Schlagwortarchiv für: 13. AHV

Slalom auf engstem Raum

Der Tagi verschlankt. Da muss man engere Kurven fahren.

Dabei quietscht es dann gehörig, und den einen oder anderen trägt es aus der Kurve. Medial eher einmalig ist das Abarbeiten mit Kommentaren an der 13. Rente.

Das ist ein Trauerspiel in bislang vier Akten. Eine klassische griechische Tragödie hat aber fünf, auf die Katharsis warten wir also noch.

Aber Vorhang auf.

Erster Akt: Am 20. Februar griff Oberchefredaktorin Raphaela Birrer in die Tasten und haute einen Leitartikel ihren Lesern in die Fresse: «Nein zu diesem kurzsichtigen Populismus». Das war so massiv gegen das eigene Publikum getextet, dass es weit über 1000 Kommentare absetzte; wie viele weitere nicht publiziert wurden, kann man sich vorstellen.

Also kroch Birrer gegen Ende des ersten Akts halbwegs zu Kreuze, indem sie der verblüfften Leserschaft erklärte, wie denn so ein Leitartikel vor einer Abstimmung zustande komme. Das sei häufig nachgefragt worden. Nein, am häufigsten hatte sich der Leser über den forschen Ton von Birrer erregt, aber eben, Slalomfahren ist auch eine Kunst. Der erste Vorhang fällt, während das Publikum amüsiert gluckst.

Zweiter Akt: Wie der Deus ex machina tritt Arthur Rutishauser auf und schleudert in der «SonntagsZeitung» Blitze: «Wir sind auf dem Weg zur Gerontokratie, also jener Herrschaftsform, in der hauptsächlich Menschen hohen Alters das politische Handeln bestimmen.» Wie ein zürnender Zeus weist er die Erdenmenschen zurecht: «Alle sehen den Staat als Milchkuh, die endlich auch für sie etwas abwerfen soll.» Obwohl beim Schreiben seines Editorials das Ergebnis noch gar nicht feststand. Aber Rutishauser hat halt mit Zeus gemeinsam, dass er in die Zukunft sehen kann. Und was er da sah, erfüllte ihn überhaupt nicht mit Freude.

Der zweite Vorhang fällt, das Publikum schweigt betroffen und harrt gespannt der Fortsetzung.

Neuerlicher Auftritt Birrer, diesmal bereits halbwegs geläutert, obwohl es noch gar nicht Zeit dafür ist. «Dieses Ja ist eine Sensation», begeistert sie sich plötzlich, als hätte sie nicht kurz zuvor vor solch kurzsichtigem Populismus streng gewarnt. Aber was geht Birrer im dritten Akt die Birrer im ersten an? Eben. Diesmal gewinnt sie das Publikum mit grosser Empathie, geradezu mit einer Arie in Anteilnahme: «Ausbau des Sozialstaats … und noch nie haben die Medien so intensiv berichtet … Viele Seniorinnen und Senioren plagen Existenzängste … Die Bedeutung dieses historischen Abstimmungssonntags kann gar nicht überschätzt werden …»

Offener Szenenapplaus, das Publikum zückt die Taschentücher und schnieft hörbar. Schon fällt wieder der Vorhang, lautstark werden Nasen geputzt, Brillengläser auch, und die eine oder andere Träne wird abgewischt. Man schaut sich im Publikum an und nickt sich anerkennend zu. Grosses Kino, das hier geboten wird.

Vierter Akt: Schon wieder wird neues Personal in die Schlacht geworfen, als retardierendes Element tritt Fabian Renz auf, Leiter «Ressort Analyse und Meinungen» und schon mehrfach verhaltensauffällig geworden. Der barmt nun auf offener Bühne: «Bitte das Rentenproblem jetzt ernst nehmen.» Leichte Unruhe im Publikum, denn wer hätte das bislang denn nicht ernst genommen?

Doch, so ernst wie Renz tut das niemand, er deklamiert: «Vielleicht spüren einfach immer mehr Rentnerinnen und Rentner, wie ihnen Inflation und Prämienschock das Geld wegfressen. Vielleicht packt immer mehr Erwerbstätige der Schrecken, wenn sie von ihrer Pensionskasse eine Rentenprognose erhalten.» Da nickt das Publikum bedächtig, schaut sich ins Gesicht und wiederholt: «Vielleicht, vielleicht, vielleicht».

Renz liest nun die Leviten, ruft zur Ordnung, klärt auf: «FDP, Mitte und SVP müssen den Missstand endlich anerkennen und anpacken. Alle Ideen sind ergebnisoffen zu prüfen – auch eine Gewichtsverschiebung von der zweiten zur ersten Säule darf nicht mit einem Denkverbot belegt sein.»

Ergebnisoffen, jubiliert das Publikum, Misstand anerkennen, murmelt es anerkennend, keine Denkverbote, das geht von Mund zu Mund.

Renz verbeugt sich erschöpft, in den fallenden Vorhang hinein brandet Applaus auf.

Fünfter Akt: Das wäre Sophocles nie passiert, aber während das Stück schon aufgeführt wird, ist der noch nicht geschrieben. Peinlich, aber wahr. Dabei werden die Slalomstangen nun ganz eng gesteckt, denn während noch bis vor Kurzem drei Bünde zur Abhandlung zur Verfügung standen, sind es nurmehr zwei.

Wie ein Menetekel an der Wand hängt ein letzter Satz von Renz in der Luft: «Beschränkt sich Tamedia hingegen auf missmutige Sparübungen, auf Predigten über Demografie und einbrechende Werbeeinnahmen …»

Hoppla, da scheint ein Übersetzungsfehler aus dem Altgriechischen vorzuliegen. Renz sagte natürlich: «Beschränken sich die Parteien hingegen auf missmutige Sparübungen, auf Predigten über Demografie und Eigenverantwortung ..

 

Jetzt schlägt’s 13

Eine wichtige Korrelation übersehen die Medien.

Mit klammheimlicher oder offener Freude berichten die Mainstream-Medien über die Annahme der verantwortungslosen Fehlentscheidung, eine 13. AHV auszuzahlen. Woher man die jährlich bis zu 5 Milliarden nehmen soll, ach, die reiche Schweiz kann sich das doch wohl leisten.

Dabei gibt es bei aller Unvorhersehbarkeit der Zukunft eine Entwicklung, die mit versicherungsmathematischer Eindeutigkeit prognostiziert werden kann. Wann angesichts der demographischen Entwicklung (zunehmende Überalterung der Gesellschaft) und einer nicht fantastisch steigenden Produktivität der Zeitpunkt erreicht ist, an dem ein Beitragszahler im Umlageprinzip AHV einen Rentenbezüger alimentieren wird.

Hier habe Arm gegen Reich abgestimmt, niedrige Lohnbezüger gegen wohlhabende, eher Ungebildete gegen Akademiker. Das ist alles richtig. Verantwortungslose gegen Vernünftige, könnte man hinzufügen.

Ähnlich wie bei der Subventionsmilliarde für notleidende Medienclans mit einem Wilhelm Tell, der mit einer Zeitung eine Mauer niederschlägt, hat auch in dieser Abstimmung eine völlig misslungene und bescheuerte Werbekampagne ihre unselige Wirkung entfaltet.

Wer auf die Idee kam, wohlsituierte Alt-Bundesräte, die eine lebenslange Pension von rund 250’000 Franken im Jahr verzehren, in einem Schreiben an alle Rentenbezüge vor dieser «brandgefährlichen Initiative» warnen zu lassen, sollte fristlos gefeuert werden. Mitsamt all den Clowns, die diesen Rohrkrepierer toll fanden und umsetzten.

Das sogenannte bürgerliche Lager konnte anfänglich vor Siegesgewissheit kaum geradeaus laufen, geriet dann zunehmend in Panik, und angesichts einer sich abzeichnenden Niederlage duckten sich alle weg, die dann im Fall nicht namentlich dran schuld sein wollten. Daran, dass sie krachend versagten. Aber das war in der Schweiz noch nie ein Grund, als Parteipräsident zurückzutreten. Oder als Bundesrat.

In all den Korrelationen, die nun in der Analyse des Abstimmungsverhaltens erstellt werden, wird eine wichtige, bezeichnende, typische vergessen. Dabei sagt sie eigentlich alles über die Motivation der Stimmbürger, die ein Ja in die Urne legten.

Es ist die Korrelation zwischen Schulden und Höhe der Zustimmung, nach Kantonen gemessen. Nehmen wir zunächst die Schuldnerquote, also den Anteil Schuldner an allen Privatpersonen. Nehmen wir jeweils nur die Extremwerte, aber die ganze Statistik stützt diesen Befund. Spitzenreiter ist Neuenburg mit 10,8 Prozent, gefolgt von Genf (10,2) und Basel-Stadt (8,5).

Am unteren Ende liegen Obwalden (3,1 Prozent), Uri (3,1), Zug (3) und Appenzell Innerrhoden (1,6). Nun korrelieren wir das mit der Zustimmung zur 13. AHV in Prozent.  Nur vom Jura übertroffen liegt Neuenburg mit 78,45 Ja-Stimmen an der Spitze. Genf (75,48), Basel-Stadt (64,45). Dagegen Obwalden 64,5 Prozent Nein-Stimmen, Uri (62,57 Nein), Zug (65,54 Nein) und Appenzell Innerrhoden als Spitzenreiter mit 68,55 Prozent Nein-Stimmen.

Wenn wundert’s, dass die kantonale Verschuldung eine ähnliche Korrelation aufweist? Was bedeutet das? Es ist offensichtlich: in den Kantonen, in denen am meisten Privathaushalte nicht mit Geld umgehen können, sammelte die Initiative am meisten Ja-Stimmen ein. Umgekehrt in den Kantonen mit den wenigsten Schuldnern gab es am meisten Nein-Stimmen.

Es ist eindeutig: wer in seinem Privathaushalt mit Geld umgehen kann, stimmt eher nein zu einer Initiative, die Milliarden Mehrkosten verursacht und mit der Giesskanne eine Extra-Rente an Arm und Reich verteilt, an den armen Schlucker und an Christoph Blocher. Der Aberwitz eines solchen Vorhabens müsste eigentlich jedem einleuchten.

Alle Schlaumeiereien, Umverteilung, Reiche werden mehr zur Kasse gebeten, Arme profitieren überproportional, nützen nix. Wer bedürftigen Rentenbezügen wirklich helfen wollte, würde die Ergänzungsleistungen ausbauen wollen. Aber das wäre nicht mehrheitsfähig, weil der Anteil bedürftiger Rentner verschwindend gering ist. Nur 12,5 Prozent der AHV-Rentner benötigen eine Ergänzungsleistung (EL).

Lustig ist das häufig gehörte Argument, dass doch für genügend Blödsinn von der Ukraine abwärts Geld rausgeschmissen werde, wieso dann nicht für Rentner. Nach der Devise: minus mal minus gibt plus. Bescheuert.

Aber das geschickte Massieren von wir hier unten, ihr da oben, der arme Rentner in der reichen Schweiz, das Allerweltswort der sozialen Gerechtigkeit, mit solchen Rattenfänger-Tönen fängt man den Stimmbürger. Keine Glanzstunde der direkten Demokratie.

 

Birrerweich

Man soll keine Namensscherze machen. Aber …

Wenn Tamedia-Oberchefredaktorin Raphaela Birrer zum Leitartikel greift, gehen ihre Untergebenen in Deckung.

«13. AHV-Rente: Es braucht ein Nein zu diesem kurzsichtigen Populismus», donnerte Birrer am 19. Februar vor der Abstimmung. Mit durchaus richtigen Argumenten erläuterte sie die Position der Redaktion, die eine Ablehnung empfiehlt. Der Leitartikel provozierte über 1000 Kommentare; sehr viele davon waren nicht gerade schmeichelhaft.

Ein Müsterchen: «Weil Ihnen wirklich schlagende Argumente fehlen, unterstellen Sie den Befürwortern der 13. AHV-Rente Populismus, Egoismus und Kurzsichtigkeit. Es ist sehr bedenklich, wenn solche Äußerungen von der ganzen Tamedia-Redaktion getragen werden

Das rüttelte dann offenbar die Chefredaktorin gehörig durch und sie beeilte sich, zu erklären und zu besänftigen: «Wie unsere Redaktion vor Abstimmungen zu ihrer Position kommt». Das hat allerdings den erregten Leser nicht wirklich interessiert, obwohl Birrer behauptet: «Unter anderem stellte sich die Frage, wie wir zu unserer Positionierung kommen. Hier lesen Sie, wie

Dann wiederholt sie langfädig Langweiliges und Altbekanntes:

«Die Positionierung der Redaktion kommt vor jeder Abstimmung und zu jeder Vorlage jeweils im sogenannten Leitartikel zum Ausdruck. Der Leitartikel ist ein Meinungsstück. Er zeigt die Argumentation der schreibenden Person (im Fall der 13. AHV-Rente: der Chefredaktorin) und basiert auf dem vorgängig definierten Positionsbezug der Redaktion. In diesem Prozess hat die Chefredaktorin ein Vetorecht. Davon hat sie aber bei der 13. AHV-Rente nicht Gebrauch gemacht, weil ihre Meinung deckungsgleich mit jener der per Stimmabgabe demokratisch ermittelten Mehrheit der Redaktion ist.»

Gälte es hier, einen Schulaufsatz zu bewerten, womit dieses Erklärstück durchaus Ähnlichkeiten hat, würde die Bemerkung lauten: «Thema verfehlt.»

Besonders köstlich ist auch der Schluss. Das sei eine «im Schweizer Journalismus übliche Vorgehensweise». Denn schliesslich, nicht wir, die anderen auch: «So empfehlen etwa auch die NZZ oder sämtliche Medien des CH-Media-Verlags («St. Galler Tagblatt», «Aargauer Zeitung», «Luzerner Zeitung» usw.) Abstimmungsvorlagen zur Annahme oder zur Ablehnung.»

Ätsch, machen doch alle, eigentlich, also reg dich wieder ab, Tamedia-Leser. Nur hat der sich gar nicht über dieses Prozedere aufgeregt und will Tamedia oder seiner Oberchefredaktorin auch nicht untersagen, bei einer Abstimmung Stellung zu beziehen. Die lautet angesichts der binären Ausgangslage halt ja oder nein (oder allenfalls Enthaltung).

Was den Leser zum Kochen brachte, war der Keulentitel, den Birrer in ihrem Rechtfertigungsstück wohlweislich nicht mal erwähnt. Daher nochmal in aller Hässlichkeit: «Es braucht ein Nein zu diesem kurzsichtigen Populismus». Dadurch fühlten sich nun zahlreiche Leser auf den Schlips getreten (ja, gilt auch für Frauen, Quere, Nonbinäre, Hybride und insbesondere Kim).

Auch mit diesem nachgeschobenen Stück sammelt Birrer nicht bei allen Kommentatoren Punkte: «In dieser Frage hat Frau Birrer oder der Tagi Kampagnenjournalismus betrieben. … Die Stellungnahme war absolut verantwortungslos von der Tagi-Redaktion. … Es ist offensichtlich nicht ganz so einfach, einen anständigen Journalismus zu praktizieren.»

Natürlich gibt es auch vereinzelt Lob für diese klare Haltung. Was hier aber mal wieder schmerzlich an den Tag tritt: irgendwie nimmt in der Chefetage bei Tamedia die Dünnhäutigkeit zu. Arthur Rutishauser holzt gegen «Roger Köppel, der letzte Freund Putins», Birrer beschimpft die Befürworter einer 13. AHV-Rente (darunter wohl mindestens die Hälfte der Tagi-Leser) als kurzsichtige Populisten, Pietro Supino entsetzt sich coram publico über einen Artikel, der von allen anderen Instanzen, inkl. Recherchedesk, als korrekt und tadellos gesehen wird – und sorgt für seine «Depublizierung» also Löschung. Obwohl nicht mal die Direktbetroffenen eine Gegendarstellung oder Löschung verlangt hatten. Irgendwas ist da faul im Staate Coninx.

Während im Fall des gespülten Artikels wieder viel die Rede von Qualitätsmassstäben ist, scheinen die für die Oberchefredaktorin nicht zu gelten. Aber immerhin, sie meldet sich gelegentlich (wenn auch viel seltener als alle ihre Kollegen) zu Wort. Die zweite Quotenfrau in der Chefredaktion bleibt völlig unsichtbar, abgesehen von Ferien-, Ess- oder Lift-Selfies.

Die wenigen noch verbliebenen Qualitätsjournalisten erleben einen Leidensweg bis zur nächsten Sparrunde, der ihnen die Entlassung wohl als Erlösung erscheinen lässt. Und wie meist kümmert sich Supino um irgend einen Pipifax, während sein gravierendes Problem, eine Oberchefredaktorin, die birreweiche Kommentare schreibt, seiner Aufmerksamkeit entgeht.