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Happy Birthday, New Yorker

Die Spitze des Journalismus wird 100 Jahre alt.

Vielleicht kann noch «National Geographic» mithalten. Aber sonst gibt es nicht Vergleichbares in den ZACKBUM bekannten Sprachen.

Der «New Yorker» war, ist und bleibt das Beste, was es im Journalismus gibt. Einige Male kopiert, nie erreicht. In Deutschland versuchte Hans Magnus Enzensberger mit «TransAtlantik» eine Kopie, für die der Autor von ZACKBUM auch einen Beitrag leisten durfte. Der Anspruch war hoch, aber bereits 1991 wurde die Nachahmung nach 82 Ausgaben wieder eingestellt. Irgendwie typisch: am Schluss kaufte der «Spiegel» das Heft auf, war aber nicht bereit, darin zu investieren.

Aber der New Yorker «New Yorker» ist auch nach hundert Jahren putzmunter und bleibt sich treu. Das fängt mit den ikonischen Covers an, immer gezeichnet, immer ein erster Leckerbissen. Und dann der Inhalt. Jeder Artikel ist ein kleines Juwel. Allerdings häufig nicht so klein; seitenlange Essays oder Reportagen sind keine Seltenheit. Aber im Gegensatz zu einem gewissen Magazin, das die Demokratie retten will, lösen diese Artikel höchstens den bedauernden Seufzer aus, dass man halt nicht alles lesen kann, aber sicher etwas verpasst.

Das erste Titelcover mit einem Dandy plus Monokel war stilbildend. Nicht für alle, sondern für die «happy few». Etwas versnobt, aber selbstironisch. Meinungsstark, aber faktentreu. Neben den gegenlesenden Redaktoren beschäftigt der New Yorker 28 Fakenchecker, weiss die NZZ.

Eine Schande, dass nur die alte Tante den 100. Geburtstag würdigt. Alleine eine Galerie der Covers gibt mehr sinnlichen Spass als ach so viel Gelaber in deutschen Gazetten. So fing alles an:

Dieses Cover heisst «Exit strategy», und besser kann man das nicht illustrativ auf den Punkt bringen:

Aber der «New Yorker» ist alles andere als ein Bilderblatt. Ausser seinen ikonischen Cartoons, die nie etwas mit dem Inhalt der Texte zu tun haben, brilliert er durch Schreiben auf höchstem Niveau und in unerreichter Tiefe.

Das liegt nicht zuletzt an einer unglaublichen Kontinuität in der Chefredaktion. William Shawn war erst der zweite Chefredaktor nach den Gründern Harold Ross und Jane Grant. Shawn arbeitete 55 Jahre hier, davon 35 als Chefredaktor. Und der aktuelle Chef David Remnick ist auch schon seit 27 Jahren im Amt.

Die Unabhängigkeit verdankt das Magazin der Tatsache, dass es nicht von Werbeeinnahmen abhängig ist, sondern 1,3 Millionen Abonnenten hat. Eine schwindelerregende Zahl, die beweist, dass erstklassiger Inhalt und Kontinuität die Erfolgsgarantie sind. Alles andere ist Gehampel von unfähigen Verlagsmanagern.

Ein zweiter Erfolgsgarant ist die Tatsache, dass sich der «New Yorker» auch im Internet etabliert hat. Wer mal einen eleganten Auftritt sehen will (alleine die Typo, ein Traum), bitte sehr.

Ach, und der Inhalt, Beispiele? Nun, wie soll man die Wellen des Meeres beschreiben? Es gibt seit der Gründung vor 100 Jahren über 5000 Ausgaben, und man könnte ein lesendes Leben damit verbringen, von ihnen aufs beste unterhalten, aufgeklärt, erhoben und amüsiert zu werden.

Wer als Journalist noch nie eine Ausgabe des «New Yorker» gelesen hat, hat sicherlich seinen Beruf verfehlt. Allerdings, ist er deutschsprachiger Publizist und tut es, dann müssen ihm die Tränen kommen und er grün vor Neid werden. Denn dieses Niveau, da kann man nur von weit unten ehrfürchtig hinaufschauen.

Und dem «New Yorker» als Leuchtturm journalistischer Kunst noch weitere 100 Jahre wünschen. Und möge er für immer jung und weise bleiben, Leitern aus Wörtern zu den Sternen hinauf bauen. Die wir Leser ehrfürchtig besteigen und wieder einmal wissen, was wir zwar anstreben, aber nie erreichen können.

Capote wäre 100 Jahre alt

Und was bleibt vom Miterfinder des «New Journalism»?

Zunächst einmal ein grosses Missverständnis. Immer, wenn ein Journalist irgend ein Ereignis genauer recherchieren will, kommen unweigerlich Vergleiche mit Truman Capotes (30. September 1924 – 25. August 1984) «Kaltblütig» auf.

Schon mit «Die Grasharfe» katapultierte sich der geniale Nachspürer menschlicher Schwächen 1951 in den Olymp der amerikanischen Literatur. Es folgte «Frühstück bei Tiffanys», und auf der Suche nach neuen Grenzen, Abgründen und der Erforschung menschlicher Niedertracht begab er sich anschliessend in die Kleinstadt Holcomb in Kansas. Dort hatte ein Gangsterbrüderpaar eine Farmerfamilie ermordet; die Beute betrug 40 Dollar. Er recherchierte fanatisch und verbissen fast 6 Jahre an dieser Story, baute in der Zeit ein Vertrauensverhältnis mit den Mördern im Gefängnis auf, deren Zutrauen er schamlos in seinem Tatsachenroman «Kaltblütig» ausnützte.

Obwohl Capote Teile seines Werks bereits geschrieben hatte und öffentlich vortrug, log er die beiden Insassen in der Todeszelle schamlos an, um ihr Vertrauen nicht zu verlieren. Kurz vor seiner Hinrichtung schilderte einer der beiden Mörder Capote die Geschehnisse, der daraufhin den Kontakt zu ihm abbrach, da er alles nötige Material nun hatte. Erst zu dessen Hinrichtung fand er sich wieder ein; das Ereignis stürzte Capote in tiefe Depressionen

Im Film «Capote» von 2005 verkörpert Philip Seymour Hoffman den Schriftsteller kongenial mit all seinen Manierismen, Schwächen, seiner Homosexualität und seiner gnadenlosen Fähigkeit, ihm anvertraute intime Geständnisse öffentlich auszuweiden.

«Kaltblütig» wird zum Megaerfolg und katapultiert Capote in die erste Liga von US-amerikanischen Schriftstellern. Dabei ist das Werk grässlich misslungen; langfädig, ausufernd, verliert sich bis ins Unendliche in unwesentliche Details. Aber wahrscheinlich ist es so wie beim «Fänger im Roggen»: Werke, die jeder zu kennen meint, aber nicht gelesen hat, bekommen eine unheimliche Aura.

1966 wurde «Kaltblütig» veröffentlicht, aber der damit verbundene Ruhm tat Capote nicht gut. Bis zu seinem Tod, befördert durch Alkohol- und Drogenmissbrauch, sollte der geniale Essayist, der aber kein guter Dokumentarschriftsteller war, kein einziges Romanwerk mehr veröffentlichen. Wie Salinger kündigte er immer wieder sein Opus Magnum «Answered Prayers», erhörte Gebete, an, ohne es geschrieben zu haben.

1975 veröffentlichte Capote immerhin ein erstes Kapitel im «Esquire»-Magazin. Hier plauderte er ungeniert alle Geheimnisse aus, die ihm vor allem weibliche Mitglieder der  High Society anvertraut hatten. Über 25 Jahre, seit seiner fabulösen Megaparty «The Black and White Ball» im Plaza-Hotel, hatte er als gern gesehener Paradiesvogel und Exzentriker Zugang zu den berühmtesten Persönlichkeiten der USA. Seine Indiskretionen führten zum Selbsmord der Millionärswitwe Ann Woodward. Unzählige Freundschaften zerbrachen, Capone wurde ausgestossen und geächtet.

Ein letzter Erzählband «Musik für Chamäleons» erschien 1980. Schon zuvor und danach irrlichtete er durch Kliniken und Sanatorien, erlitt mehrere Nervenzusammenbrüche und kam sogar ins Gefängnis. Auf seine Art verkörperte er den poète maudit, ähnlich wie Charles Baudelaire, ohne allerdings dessen überragende poetische Kraft zu haben.

Nicht wirklich verdient hat Capote, dass die durch einen Skandal bekannt gewordene Anushka Roshani sich nochmals auf die Suche nach Spuren Capotes machte. Paul Jandl richtet das mit gültigen Worten in seiner Würdigung Capotes in der NZZ hin: «Wenn die Autorin mit Zeitgenossen des Autors spricht, könnte das interessant sein, würde sich nicht permanent Roshanis teenagerhafte Aufgekratztheit ins Geschehen mischen.»

Eine trübe Leichenfledderei. Aber Jandl fasst das Leben und Oeuvre Capotes in einer Weise zusammen, vor der man sich nur verneigen kann: «Truman Capote war der Einschleichdieb der New Yorker Gesellschaft. Mit seinem Charme hat er ihr die Herzen geraubt und mit seiner Liebe zur Wahrheit beinahe den Verstand.»

Denn in seinen besten Momenten, die allerdings rar waren, wuchs Capote zu einem Marcel Proust der High Society der USA hinauf. Selbst kaltblütig, brutal und stilsicher Worte wie Rasierklingen benützend, mit kalten Augen und klarem Blick sezierte er die aufgeblasene Wichtigkeit der reichen Paradiesvögel um ihn herum, fand elegante Formulierungen auf der Höhe eines Scott F. Fitzgerald.

Und doch war Capote jemand, der mit etwas Erfolg gehabt hatte, was er gar nicht gut beherrschte. er war so zerrissen und mit sich selbst gequält, dass sein Blick in die Abgründe anderer Menschen immer nur ein Echo aus der eigenen Dunkelheit war. Auf kaum einen anderen Schriftsteller trifft das Wort von Nietzsche so zu wie auf ihn:

«Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund  blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.«