Nasse Hose

Redaktoren haben’s nicht leicht. Darunter leiden die Leser.

Reportage, Denkstück, vertiefte Analyse? Das war gestern. Heute ist klickgetriebenes Raushauen eines Stücks nach dem anderen. Massstab ist die Einschaltquote, nichts anderes zählt.

Als einziges Ventil darf der Redaktor aus dem eigenen Leben plaudern und den Leser mit unerwünschten Einblicken in sein Privatleben schrecken. Michael Feller ist «stellvertretender Leiter Kultur» bei der «Berner Zeitung/Der Bund». Viel Kultur ist da allerdings nicht, auch nicht viel Stellvertretung.

Also hebt er zu einem launigen Stück an:

Ist das die schlechteste Kolumne in Bern?

Darin berichtet er, sprachlich nicht ganz sattelfest, über ein früheres Malheur: «Der Kellner touchierte beim Hinstellen des Bierglases dergestalt den Tisch, dass sich die ganze Stange über meine Hose ergoss. Ich sah aus, als hätte ich grossumfänglich in ebendiese uriniert.»

Schrecklich, wie entkam der Stellvertreter dieser unangenehmen Situation? Ganz einfach, er liess seine Hose in den damaligen sommerlichen Temperaturen trocknen, der Kellner wünschte «mit einem schiefen Lächeln einen schönen Abend», die Rechnung ging damals aufs Haus.

Mit trockener Hose schreitet Feller nun zum Höhepunkt seiner Kolumne: «Jahre später trafen wir denselben Kellner wieder. Er arbeitete mittlerweile in einem Restaurant am anderen Ende der Stadt. Mein Bierglas war leer. Dann hörte ich zum ersten Mal diesen schlechtesten aller Sprüche: «Chani hie no chli Luft uselah?»»

Es erschliesst sich dem Leser allerdings nicht, was an diesem Spruch so schlecht sein soll; ein handelsüblicher Wink, ob das Bierglas wieder aufgefüllt werden sollte. Das kommt aber bei Feller ganz schlecht an: «Dort, wo Luft ist, im Bierglas, soll wieder Bier rein. Luft rauslassen. Kleines Quiz. Einmal um die Ecke gedacht, fertig ist der flotte Spruch. Wer ihn um ersten Mal hört, guckt dumm und bemüht dann den Mundwinkel. Wenn ich ihn höre, bin ich auf einen Schlag ausgenüchtert.»

Und dann denke Feller unwillkürlich an seine begossene Hose im Jahre 2016. Wie endet denn das ausgeleerte Bierglas? «Ich verstand den Spruch nicht. Mein ungläubiger Blick traf das schiefe Lächeln des Kellners, das auf eine Antwort wartete – und plötzlich einfror. In diesem Moment musste er mich erkannt haben. Das Bier-Opfer aus dem Sommer 16.»

Kommt da noch was, vielleicht eine Schlusspointe oder so? Das wäre aber zu viel Kunst: «Seither habe ich den Spruch einige Male wieder gehört. Ich könnte mich ärgern. Aber ich habe jedes Mal einfach nur Mitleid

Da ist der Leser weniger milde gestimmt …

 

 

 

 

 

 

 

 

Dauerwerbesendung, Part II

ElleXX ist verschlossen wie eine Auster.

Patrizia Laeri war mal als Journalistin tätig. Damals war sie es gewohnt, dass auf ihre Fragen auch Antworten erteilt wurden. Ist so im Journalismus, gehört sich auch so.

Nach diversen Flops gründete sie dann ElleXX; Motto: «Lasst uns unser Geld zusammenlegen. Für eine frauenfreundlichere Welt.»

Das mit dem Geld-Anlegen war dann nicht wirklich ein rauschender Erfolg; auf eine harsche Kritik daran reagierte Laeri nicht etwa journalistisch oder mit einer Gegenrede, sondern sie reichte gleich zweimal Klage ein. Vor dem Bezirks- und dem Handelsgericht. Dort forderte sie die sofortige Löschung des kritischen Artikels.

«Invest like the Founders» …

Allerdings setzte sie dafür die einschlägig bekannte Anwältin Rena Zulauf ein; es kam, wie es kommen musste: beide Anträge abgelehnt, happige Gerichts- und Anwaltskosten für nix.

Vielleicht entstand daraus die Idee, auch noch eine Rechtsschutzversicherung speziell für Frauen anzupreisen. Mit einer Art Dauerwerbesendung, die aber als Podcast daherkommt. Folge eins handelte von «sexueller Belästigung» und empfahl ein Produkt von CAP. Daraus ergaben sich einige Fragen an Laeri, die den Veranstaltern von ElleXX mit genügend Antwortfrist zugestellt wurden.

Allerdings entstand dann aus AkteXX die Akte XY ungelöst: keine Antwort. Dabei sind die Fragen verständlich formuliert, drängen sich auf und hätten Erklärungen verdient:

Sie bewerben neuerdings mit einem Podcast eine Rechtsschutzversicherung namens «ElleXX JUSTIS». Dazu habe ich folgende Fragen:

  1. In der ersten Folge des Podcasts wird das Thema «sexuelle Belästigung» mit einer Mitarbeiterin von CAP (der Rechtsschutztochter von Allianz) besprochen. Auf dem Produkteflyer der Versicherung, den man bei Ihnen anklicken kann, fehlt dieses Thema aber. Wie das?
  2. Sie sagen, dass «die Rechtsschutzversicherung in enger Zusammenarbeit zwischen elleXX und CAP konzipiert wurde und über die innovative Plattform JUSTIS angeboten wird». Worin genau bestand diese Zusammenarbeit?
  3. Sie sagen, JUSTIS sei eine «innovative Plattform». Wieso erwähnen Sie nicht, dass es schlichtweg eine Werbeplattform von CAP ist?
  4. Sie schreiben, man könne sofort und online eine solche Versicherung abschliessen, für «bereits ab 24.90 Franken im Monat». Auf dieser Plattform wird eine Rechtsschutzversicherung inkl. Verkehr bereits für 17.45 Franken angeboten. Woher der Preisunterschied?
  5. Erklärt sich der Preisunterschied mit einer Kommission oder Prämie für ElleXX? Anders gefragt: Bekommen Sie für Ihre Werbung geldwerte Zuwendungen?
  6. Das billigste Konkurrenzprodukt kostet 15.75 Franken im Monat (laut «comparis»). Wie erklären Sie diesen Preisunterschied von doch satten 58 Prozent?

Ein Reaktion gab es dann doch: als ZACKBUM konstatierte, dass die Antwortmöglichkeit nicht genutzt wurde, kam die Mail zurück. Offenbar hat ElleXX beschlossen, sich nicht länger belästigen zu lassen und hat uns blockiert. Da sagt ZACKBUM abschliessend: Akte geschlossen.

Wumms: Christoph Blocher

765 Folgen umfasst die Langzeit-Satire bereits. Vielleicht ein paar zu viel.

Matthias Ackeret und Christoph Blocher treffen sich zu einem regelmässigen Meinungsaustausch vor der Kamera und meistens vor der beeindruckenden Kunstsammlung des alt Bundesrats und Milliardärs und Vordenkers der SVP.

Meinungsaustausch ist vielleicht nicht die richtige Bezeichnung für «Tele Blocher»; in leicht serviler Haltung gibt Ackeret die Stichworte, auf die dann Blocher mehr oder weniger konzis reagiert. Oftmals auch mit ausladenden Armbewegungen und Sprachübungen.

Die Frage ist allerdings, ob der Moderator den Moderierten nicht vor sich selber schützen sollte. So holt Blocher in Folge 764 gegen die deutschen Grünen aus, die inzwischen wieder für AKW und sogar Kohlekraftwerke seien. Bei Minute 18.05 erfährt man dort von Blocher Erstaunliches.

«Jetzt lese ich, dass der deutsche grüne Vizepräsident nach Katar reist, um dort Kohle zu kaufen. Die haben schon vergessen, dass sie kein CO2 haben wollten

«Bleibt ihnen nichts anderes übrig, Landesinteresse», ergänzt Ackeret hurtig.

Blocher spricht von Kohle, Ackeret macht die Raute.

Es ist ja bekannt, dass Katar auf einem der grössten Kohlevorkommen der Welt sitzt, nur dürftig von einer dünnen Sandschicht bedeckt. Wer das mit Gas verwechselt, ist nicht ganz dicht.

 

Irène P. (wie peinlich) Kälin

Ein Tiefpunkt des Schweizer Parlamentarismus.

Dass ZACKBUM einmal mit Philipp Loser einverstanden ist – das schafft nur unsere peinliche NR-Präsidentin:

«Wir sehen Kälin vor dem Bundeshaus. Wir sehen Kälin auf dem Flugplatz Bern-Belp. Wir sehen Kälin vor dem Bundesratsjet. Wir sehen Kälin im Bundesratsjet. Wir sehen Kälin auf einem polnischen Bahnhof. Wir sehen Kälin auf einem ukrainischen Bahnhof. Wir sehen Kälin in einem Zug bei Nacht. Wir sehen Kälin in einem Zug bei Tag. Ein diplomatischer Ausflug als Fotoroman.»

Darunter leiden müssen wir wegen einer Medienpartnerschaft von einmaligen Dimensionen. Der «Blick», sonst vielleicht nicht das Leibblatt der grünen Kälin, durfte jeden Blick, jeden Spruch, jeden Moment dokumentieren. Denn es war ein weltbewegendes Ereignis. Der Besuch. Kriegsentscheidend. Mutig, Beeindruckend. Friedensfördernd. Solidarisch, selten wurde so ein Zeichen gesetzt.

Allerdings fällt einem spontan nur das Adjektiv peinlich ein. Oberpeinlich. Schmerzlich peinlich. Was mögen die Ukrainer nur von uns denken, nach diesem Besuch? Manchmal sagt ein Bild allerdings mehr als tausend solidarische Worte:

Links: wo bin ich eigentlich? Rechts: was steht Wichtiges an?

Hoffentlich reisst das nicht ein, aber ZACKBUM muss nochmals Loser recht geben und das Wort erteilen:

«Kälin erhielt viele Ab- und nur wenige Zusagen. Am Schluss begleiteten sie Roger Nordmann (SP), Yves Nidegger (SVP), Nik Gugger (Mitte) und Claude Wild, der Schweizer Botschafter in der Ukraine, nach Kiew. Es ist also eine offizielle Reise des Schweizer Parlaments, und doch fühlt es sich an wie ein privater Ausflug von Irène Kälin.»

Reisle machen, betroffen in Kameras schauen, ernst in Kameras schauen, fragend in Kameras schauen. Krieg schauen. In sich selber schauen. Sätze für die Ewigkeit sagen: «Er ist trotz allem ein einfacher Mensch. – Ich reise mit einem wahnsinnig schönen Gefühl ab.» Dann hielt sie noch eine Rede im Parlament, bei der die Zuhörer offensichtlich Mühe hatten, wach zu bleiben.

Wieso konnte niemand die oberste Schweizerin davon abhalten, ein oberpeinliches Bild von der Schweiz abzugeben? Es soll Ukrainer geben, die sich bis heute fragen: wer war denn das? Heidi? Und weshalb genau war die hier? Und was hat die schon wieder gesagt?

Maurer, der Sitzenbleiber

Auch der «Blick» kann’s nicht fassen. Was wagt unser Bundesrat?

In Washington trafen sich die Finanzminister und Notenbankchefs der G-20, also der wichtigsten Industrienationen der Welt. Zu denen gehört nun leider auch Russland. Als daher dessen Vertreter Anton Siluanow zwar nur virtuell, aber immerhin zugeschaltet wurde, setzten die Politiker ein Zeichen. Ganze zehn Damen und Herren erhoben sich aus den Sesseln und verliessen den Sitzungssaal. Die kanadische Finanzministerin Chrystia Freeland postete auf Twitter das Beweisfoto:

Unter den mutigen Boykotteuren waren auch US-Finanzministerin Janet Jellen oder die Präsidentin der EZB Christine Lagarde. Die möchte offenbar nicht im gleichen Raum wie der Vertreter eines kriminellen Unrechtsregimes sein. Was von hoher Empfindlichkeit zeugt, weil sie selbst wegen «Fahrlässigkeit» im Amt verurteilt wurde. Allerdings verzichtete man angesichts ihrer «Persönlichkeit» auf eine Strafe. Ungefähr so geht es auch in Putins Unrechtsreich zu und her.

Putzig auch die Begründung der kanadischen Ministerin:

«Russia should not be participating or included in these meetings», meint sie. Weil es laut ihr wohl nicht die Aufgabe eines solchen Treffens sein könnte, mit Verhandlungen oder zumindest Gesprächen Lösungsmöglichkeiten zu ventilieren.

Das Allerschlimmste kommt erst:

Hatte er wieder mal «kä Luscht»? Wollte er sich etwa als Putin-Versteher outen? War er dann ganz alleine im Saal? Aber nein, es war ja nur eine Minderheit, die ein Zeichen setzen wollte. Auch der deutsche Finanzminister Lindner blieb sitzen – wie die Mehrheit der Versammelten. So will das auf jeden Fall CH Media beobachtet haben. Nun äussert sich das Finanzministerium nicht zu diesem «Boykott des Boykotts». Auch dort muss es jede Menge Putin-Versteher geben, das Aussenministerium EDA behauptet sogar, «dass die Schweiz grundsätzlich «keine Politik des leeren Stuhls» praktiziere»», zitiert «Blick».

Blöde Realität

Das wird ganz knapp für Macron. Ausser, es gibt eine Überraschung.

Das nähere Ausland ist leider nicht so eine gegendarstellungsfreie Zone wie, sagen wir Cabo Verde. Nur ganz knapp konnte sich die Berichterstattung über die französischen Präsidentschaftswahlen gegen die Ukraine behaupten. Immerhin unser Nachbar, nach dem Austritt Grossbritanniens die zweitwichtigste Volkswirtschaft in der EU. Force de Frappe, Atommacht.

Also ist es nicht ganz unwichtig, wer dort Präsident ist oder wird. Nun war schon der amtierende Amtsinhaber eine «Überraschung», weil er sozusagen aus dem Nichts kam und eine eigene Bewegung, die man kaum als Partei bezeichnen kann, hinter sich scharte.

Viele «Frankreichkenner» kannten dann Frankreich eben doch nicht so gut und gaben ihm bis fast vor Schluss nur Aussenseiterchancen. Aber immerhin, man hatte aus dem Desaster der US-Präsidentschaftswahlen gelernt. Da hielt die Fassungslosigkeit bis in spätabendliche Nachrichtensendungen an, dass die sichere Siegerin Hillary Clinton weder sicher, noch Siegerin war. Sondern der «hat keine Chance, ausgeschlossen» Newcomer Donald Trump.

Aber auch in Frankreich war man sich vom «Frankreichkenner» Daniel Binswanger abwärts (und vor allem, da ist viel Luft, aufwärts) ganz sicher: das wird eine knappe Sache. Ganz knapp, richtig knapp. Selbst dem rechten Schreckgespenst Éric Zemmour wurden Aussenseiterchancen eingeräumt. Auf verlorenem Posten sah man hingegen den Linken Jean-Luc Mélonchon. Der grosse Gottseibeiuns wurde aber Marine Le Pen.

In den Meinungsumfragen schmolz der Vorsprung Macrons, also echoten alle Frankreichkenner von nah und fern: das wird eine ganz, ganz enge Sache. So blieb’s auch bis zu den ersten behaftbaren Hochrechnungen. 27,6 Prozent für Amtsinhaber Macron, 23,4 Prozent für Le Pen – und 22 Prozent für Mélonchon. Immerhin wurde richtig geraten, dass die sogenannten traditionellen Parteien, also Republikaner und Sozialisten, unter ferner liefen ins Ziel kommen würden.

Nun ist ein Unterschied von 4,2 Prozent nicht alle Welt. Aber weit entfernt von sauknapp. Das Adjektiv trifft eher auf Le Pen und den Linken zu, der den Einzug in den zweiten Wahlgang nur um 1,4 Prozent verpasste.

Und das rechte Schreckgespenst landete ebenfalls abgeschlagen bei 7,1 Prozent. ein vernachlässigbares Resultat, im Vergleich zu den vielen, vielen Artikeln, die Zemmour gewidmet wurden.

Nun ist die Vorhersage von Wahlergebnissen tatsächlich keine exakte Wissenschaft. Es erhebt sich aber die Frage, wozu der Konsument eigentlich Geld ausgeben soll, wenn ihm Erkenntnisse serviert werden, die er auch selbst aus den Umfragen ziehen kann. Womit der Laie dann genauso falsch lag wie der angebliche Kenner und Frankreich-Korrespondent. Unbeschadet, ob der seine Korrespondenz vom sicheren Schreibtisch in der Schweiz aus oder tatsächlich vor Ort ausübt.

Nach einer solchen Fehlananlyse könnte man – vielleicht – etwas aufs Haupt gestreute Asche erwarten. So eine klitzekleine Entschuldigung, dass man die Realität mal wieder zu sehr mit der gefärbten Brille betrachtet hätte. Aber das ist nicht die Kernkompetenz von Journalisten. Schon eine Richtigstellung oder gar Entschuldigung muss man normalerweise mit der juristischen Brechstange erzwingen.

Hier reicht der Allerweltsbegriff «Überraschung». Was hat sich der französische Wähler nur dabei gedacht? Aber wenn’s schon hier nicht knapp wurde, es steht ja noch der zweite Wahlgang bevor. Und da wird’s dann – Überraschung – ganz knapp. Richtig knapp. Ganz sicher.

 

 

Realitätsverlust

Alle Jahre wieder ist Märchenstunde. Onkel Strehle erzählt von Qualität.

Hurra, der «Qualitätsreport 2021» ist da. Der Autor bürgt für unbestechliche Qualität. Res Strehle hat sich zudem einen illustren Kreis von «Experten» beigezogen. Herausragend: Felix E. Müller, Ex-Chefredaktor NZZaS. Oder Roger Blum (lebt noch). Oder Miriam Meckel (gibt’s noch).

Was ist das Ergebnis? Falls die Frage ernstgemeint sein sollte: «wenig handwerkliche Mängel», Trennung Werbung und redaktionellen Inhalten «wurde eingehalten». Dazu «nur wenige Faktenfehler», «ein gutes Zeichen scheint uns auch, dass die Floskel «Es gilt die Unschuldsvermutung» durch eine im Bericht praktizierte Unschuldsvermutung zunehmend unnötig wird». Schliesslich: «Die Sprache war in den untersuchten Wochen in allen Tamedia-Medien verständlich, «unaufgeregt, sachdienlich und wenig manieriert», wie es Felix E. Müller als beigezogener Experte für den Tages-Anzeiger formulierte.»

Und was gibt’s Neues an der Geschlechterfront? «Das Bemühen, das generische Maskulinum als Standard zumindest in Lauftexten zu vermeiden, war im vergangenen Jahr in allen Redaktionen spürbar – diese Form wird allerdings noch nicht konsequent vermieden

Besinnlich klingt der streng-sachliche Report mit einem Schlusswort des Big Boss aus:

«Wir müssen einen strengen Massstab an unsere Arbeit legen. Nur so sind wir glaubwürdig und können unsere zentrale Rolle in der Demokratie wahrnehmen.»

Pietro Supino, Präsident und Verleger von Tamedia.

Falls beim einen oder anderen Leser Zweifel aufkommen sollten: Doch, dieser «Qualitätsreport» befasst sich mit den Erzeugnissen von Tamedia. Wirklich wahr, ungelogen. Und Supino spricht vom strengen Massstab, den er an die Behandlung der Abstimmung über die Milliardenspritze für Notleidende Verlegerclans angelegt hat.

Nicht nur Pierin Vincenz wird erstaunt zur Kenntnis nehmen, wieso denn die Floskel «es gilt die Unschuldsvermutung» immer weniger verwendet werde. Nicht etwa, weil sie in seinem Fall immer lächerlicher wirkte und wohl noch nie ein Angeklagter dermassen vorverurteilt wurde.

Trennung Werbung und redaktioneller Inhalt durch visuel fast identische Werbeseiten, lediglich mit «Sponsored Content» oder ähnliche Floskeln gekennzeichnet, die vielen Lesern nach gängigen Untersuchungen überhaupt nichts sagen?

Wenig Faktenfehler? Nun, es gab sicherlich weniger Fakten- als Orthographiefehler. Das will aber nicht viel heissen, bei der Menge an Rechtschreibverbrechen.

Unaufgeregt und sachlich? Das wüssten Marc Brupbacher und andere Amoks aber. Oder vielleicht sollte man es ihnen sagen.

Das generische Maskulin werde nicht konsequent genug vermieden? Ja furchtbar, da müssen noch die letzten Lichtblicke in einer allgemeinen Sprachvergewaltigung ausgeknipst werden. Apropos, wie kann ein «Qualitätsreport» stillschweigend über einen massiven Protest von 78 Tamedia-Frauen hinweggehen? Hat deren Kritik nichts mit Qualität zu tun? War sie gar zu unqualifiziert? Ignoriert Strehle einfach etwas, was er für unwichtig hält?

Wie steht es mit den ständigen Sparrunden; haben die keinerlei Auswirkungen auf die Qualität der Blätter? Gibt es nichts zum Überhandnehmen von Artikeln aus München zu sagen, wo selbst ein Ex-Bürgermeister der Stadt einen Katzentext in der «SonntagsZeitung» absondert, der vielleicht in Bayern bekömmlich wäre? Könnte es kein Qualitätsproblem sein, dass aus deutscher Perspektive geschriebene Kommentare und Einschätzungen eins zu eins in Schweizer Blätter übernommen werden?

Alles ist gut, alles wird gut

Ingesamt ähnelt auch dieser Raport Rechenschaftsberichten im verblichenen Sozialismus. Da Strehle ja ursprünglich aus der eher linksradikalen Ecke kommt, hat er sich vielleicht nostalgisch daran erinnert. Auch dort eilte die Partei (hier halt Tamedia) von einem Erfolg zum nächsten. Wurde geliefert, verbessert, gesteigert und auf alle Wünsche der Bevölkerung (aka Leserschaft) eingegangen.

Natürlich gab es da und dort klitzekleine Rückschläge, die allerdings meistens von aussen verursacht wurden und keinerlei Eigenverschulden enthielten. Es galt immer die Devise: nachdem man bereits ein dermassen hohes Niveau in der Perfektion des Sozialismus erreicht hatte, konnte es nur noch klitzekleine Schwachstellen geben, die man aber mit verdoppelter Energie bis zum nächsten Rechenschaftsbericht ausmerzen würde.

Aber zurück in die Gegenwart dieser Vergangenheit. Da muss man der Gerechtigkeit halber sagen, dass sozialistische Rechenschaftsberichte nie auch nur ansatzweise lustig waren.

Das Schlusswort von Strehle, angesichts des Verhaltens der Redaktion von Tamedia gegenüber der offiziellen Corona-Politik kritisch eingestellten Mitmenschen, die regelmässig beschimpft und heruntergemacht wurden, kann man nur als gelungenen Versuch sehen, den Leser mit Seitenstechen vor Lachen zu verabschieden:

«Abschliessend möchte ich allen Chefredaktionen, Journalistinnen und Journalisten dafür danken, dass sie den Tendenzen zur Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken, indem sie den gesellschaftlichen Dialog beispielsweise zwischen den Mass nahmegegnerinnen und -gegnern aller Art und den Verantwortungsträgern sowie Befürwortern aufrechterhalten.»

Da wälzt man sich auf dem Boden und klopft ab: bitte aufhören, japst man zwischen Lachsalven.

 

Wumms: Frank Urbaniok

Ein Psychiater im Kriegsmodus.

Zuletzt hatten Ferndiagnosen bei Donald Trump Hochkonjunktur. Viele Psychiater legten den damaligen US-Präsidenten auf die Couch und förderten Bedenkliches aus seiner Psyche hervor. Die Welt hat ihn überlebt.

Nun leidet der forensische Psychiater Frank Urbaniok an ADS. An einer speziellen Form des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms. 2018 trat er krankheitsbedingt nach 21 Jahren von seiner Position als Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Kantons Zürich zurück. In dieser Position war er ein häufiger Gast in der Öffentlichkeit; sozusagen der Experte der Wahl für alle psychiatrischen Fragen.

Hier ist’s wenigstens lustig …

Nun tritt er im Fachorgan für forensische Fragen auf, in «Blick TV». Dort wird er zu einer Ferndiagnose über den Geisteszustand von Präsident Putin befragt. Natürlich hat er seine Analyse zur Hand: Putin sei eine «kaltblütig manipulative Persönlichkeit», dazu «skrupellos». Solche «Psychopathen» hätten keine Hemmschwellen, ihr Handeln sei ausgerichtet nach reinem Nutzen, sie «können lügen, wie es andere nicht können».

Bis hierhin ist es eigentlich die Beschreibung eines Typus von Politiker, der überall vorkommt. Bei Putin komme noch hinzu, dass er «Angst und Schwäche» rieche, daher sei militärische Stärke etwas Wesentliches, man müsse ihm gegenüber «verteidigungsfähig sein», diagnostiziert Urbaniok.

Dann wird er ganz grundsätzlich:

«Manchmal muss man bereit sein, zu sterben, um leben zu können

Nun haben wir bekanntlich einen Doktortitel, sind aber nicht als Psychiater ausgebildet. Daher wagen wir nur in aller Vorsicht die Ferndiagnose, dass jemand, der einen solchen Nonsens-Satz von sich gibt, vielleicht selbst Hilfe braucht. Natürlich räumen wir ein, dass unsere Interpretation von ADS nicht mit der in Lehrbüchern übereinstimmt. Aber man kann doch nicht nur selbst unaufmerksam sein, sondern auch darunter leiden, dass man nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die man gewohnt ist oder braucht.

In diesem Sinne meinen wir hier einen Patienten vor uns zu haben. Vielleicht könnte das als Morbus Urbaniok in die Medizingeschichte eingehen.

Sanktionen! Boykott!

Hinweg mit allem Russischen. Da gilt es noch nachzuarbeiten.

Sportler: sowieso. Ob behindert oder nicht: sie müssen zu Hause bleiben, ganz klar. Selbst wenn sie sich von Präsident Putin distanzieren würden: sie verletzen die Gefühle ukrainischer Athleten.

Wodka Gorbatschow? Weg damit. Wird in Deutschland hergestellt? Macht nix, in den Ausguss. Überhaupt alles Kulinarische. Sorry. Kaviar, Borschtsch, Soljanka, Blinis, Kwas? Gestrichen.

Jetzt tut’s einen Moment weh, aber das muss auch sein: Lada, Niva, die beiden unkaputtbaren Autos für herbere Strassenverhältnisse? Hinweg.

Russische Literatur? Tolstoi und Dostojewskij werden doch überschätzt. Scholochow, der Kommunist, also wirklich. Pasternak? Nein, was sein muss, muss sein, auch gestrichen. Musik: logo, Schwanensee, Tschaikowsky, kann doch keiner mehr hören. Sowjetische Revolutionskunst, Majakowski, Ilja Ehrenburg, Gogol, Gorki – kennen viele nicht, brauchen wir nicht. Eisenstein, Bondartschuk? Wer will denn alte Filme schauen.

Das kyrillische Alphabet ist sowieso ein Unding, weg mit all diesen unverständlichen Beschriftungen. Die russische Geschichte, Iwan der Schreckliche, Katharina die Grosse, Lenin, Stalin, Putin: pfui. Gorbatschow? Nun ja, etwas schmerzlich, aber schliesslich ist der auch Russe, also muss er boykottiert werden.

Hammer und Sichel, die Wintermütze der Roten Armee, Gilbert Bécauds «Nathalie»: wieso läuft das noch auf YouTube?

Der pavlowsche Reflex? Abgeschafft. Also nicht ganz, der darf in einem Zusammenhang funktionieren. Russe, reich? Sofortiger Speichelfluss und die spontane Reaktion: alles wegnehmen.

Taiga, Balaleika, Ivan Rebroff? War zwar Deutscher, hat sich aber als Russe verkleidet. Boykottiert seine Lieder. Überhaupt, all die Iwans, Nathalies, Irinas, aber auch Sergejs und Michails: sofortige Namensänderung. Ist schon schlimm genug, wenn man Adolf heisst, oder.

Apropos, auch die Geschichte muss aufgeräumt werden. Hitler hat die Sowjetunion überfallen? Unsinn, das war ein Präventivschlag, ein Verteidigungskrieg, Notwehr. Deutsche KZ? Nur ein müder Abklatsch russischer Gulags.

Letztlich muss jeder mit sich selber ins Reine kommen: ist irgend etwas Russisches an mir? Habe ich mal Kasatschok getanzt? Sowjetisches Eishockey geliebt? Für Alexander Malzew oder Sergej Makarow geschwärmt? Halte ein, tue Busse, du Sünder, reinige dich, bereue und verkünde Abscheu.

Keiner ist zu klein, ein Zeichen zu setzen. Putin mit Hitlerschnäuzchen versehen. «Stop Putin» auf ein Plakat malen. Russische Geschäfte, Bars, Restaurants boykottieren. Spricht einer mit russischen Akzent, sofort Konversation abbrechen, vor die Füsse spucken und Abscheu zeigen.

Den schmerzlichsten Akt haben wir bis zum Schluss aufgespart. Einen Zobel besitzt ja ein anständiger Mensch schon lange nicht mehr. Aber vielleicht ein Fabergé-Ei? Nun, das tut nur einen Moment weh: auf den Boden legen. Draufhopsen. Wahlweise Hammer nehmen und draufhauen. Muss sein.

Kulturelle Aneignung

Gerechtigkeit für König Christian IV.!

Es ist ein eklatanter Fall von Übergriffigkeit zu denunzieren. Von kultureller Aneignung. Unerträglich. Das Opfer ist der dänische König Christian IV. (1577 – 1648). Der überlebte den Dreissigjährigen Krieg, aber seither rotiert er im Grab.

Denn er trug mit Stolz seinen Weichselzopf. So nannte man damals eine Zusammenballung verfilzter Haare. Sein Beispiel machte über den Hofstaat hinaus Schule. Und dann? Dann eigneten sich Rastafari und andere Gruppen frech die Unsitte an, die Haare nicht mehr zu waschen oder zu kämmen. Das nannten sie dann Dreadlocks, um die Herkunft vom Weichselzopf zu verschleiern.

Dieser unappetitlichen und übelriechenden Unsitte wird von vielen Menschen gefrönt. Das darf aber nicht jeder. Sicher nicht Ronja Maltzahn. Denn die Musikerin wurde von den Aktivisten von «Fridays for Future» zuerst ein-, dann wieder ausgeladen. Sie sollte in Hannover helfen, die Zukunft zu retten.

So nicht, Ronja Maltzahn.

Aber nicht so: «Wenn eine weisse Person Dreadlocks trägt, dann handelt es sich um eine kulturelle Aneignung, da wir uns als weisse Menschen aufgrund unserer Privilegien nicht mit der Geschichte oder dem kollektiven Trauma der Unterdrückung auseinandersetzen müssen», meinen die Klimaschützer zur Begründung.

Das ist erlaubt: Whoopi Goldberg.

Nimm das, König Christian IV. Wieso setzen sich diese Kämpfer gegen Aneignung nicht für die Rehabilitation des Weichselzopfes ein? Wieso gibt es keine Ausladung von schwarzen Künstlern, die sich kulturimperialistisch dieses Zeichen vom dänischen Hof angeeignet haben?

Ist der Zopf ab, ginge es

Nun hätte Maltzahn allerdings eine Chance gehabt, doch auftreten und die Zukunft retten zu dürfen. Ganz einfach; wenn der Zopf ab wäre. Die Schuleschwänzer hatten der Musikerin anheim gestellt, dass sie mit abgeschnittenen Dreadlocks, also ohne, durchaus auftreten dürfe. Dieser Wahnsinn war dann aber selbst diesen Wahnsinnigen zu viel; das sei ein Eingriff in die Privatsphäre gewesen, entschuldigte sich «Fridays for Future» später.

Wir lernen: die Erderwärmung mag durchaus ein ernstzunehmendes Problem sein. Aber viel dringlicher wäre es, etwas gegen Kopferwärmung zu unternehmen. Gegen den im roten Bereich drehenden Schwachsinn, dass auch beispielsweise in Zürich ein Piktogramm wieder verschwinden musste, dass im ÖV darauf hinwies, dass Musizieren nicht erlaubt sei.

Das ist erlaubt: Verbot ohne Sombrero. Aber schwarz …

Das wurde verboten: mit Sombrero, auch schwarz.

Oh Graus: dafür wurde ein Gitarrist mit Sombrero gezeigt. Verdammter Rassismus. Aber wehe, wer an der Fasnacht einen Sombrero trägt (und kein Mexikaner ist). Dann wär’s kulturelle Aneignung. Auch pfuibäh.

Julia Timoschenko. Erlaubt, aber nicht zum Nachahmen.

Und aufgepasst, liebe Damen. Man erinnert sich sicherlich noch an die in der Versenkung verschwundene grosse weibliche Hoffnung der Ukraine: Julia Timoschenko. Die hatte auch eine spezielle Haartracht. Wer die nun als Solidarität nachahmt, muss sich sagen lassen, dass er damit das Verbrechen der kulturellen Aneignung begeht. Was allerdings schnurstracks zur Frage führt: darf ein Nicht-Ukrainer die ukrainische Flagge schwenken? Sich blau-gelbe Striche ins Gesicht malen? Wir erwarten eine Stellungnahme von «Fridays for Future». Oder zumindest des Eidgenössischen Büros für Gleichstellungsfragen.