Wumms: Michael Hermann

Bei Tamedia versagt die Qualitätskontrolle kläglich.

Eigentlich hatten wir schon alles Nötige über diese Mietmeinung gesagt. Aber Hermann wiederholt sich, also müssen wir uns auch wiederholen:

Der «Geograph und Politwissenschaftler» ist eine der beiden Allzweckwaffen, wenn es darum geht, vorgefassten Meinungen einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben.

In seiner neusten Kolumne schleicht er sich zunächst ganz harmlos an seine Lieblingsforderung heran:

Dass Hegemonialmächte hegemonial agieren, das ist zwar weder eine neue, noch eine originelle, noch eine weiterführende Erkenntnis. Aber das ist nur einleitendes Beiwerk für Hermann, deshalb geht er recht oberflächlich zur Sache und verteilt so nebenbei ein paar Noten. Denn auf der einen Seite haben wir das hier:

«Russland und China sind Gefahrenherde für die friedliche Ordnung der Welt weit mehr als Kirgistan, Vietnam oder Katar – obwohl Letztere ebenso zu den autokratischen Regimes zählen wie Erstere.»

Aber da gibt es doch noch den grössten Hegemon von allen, den kann Hermann nun schlecht ignorieren, also quält er sich das hier ab:

«Und auch in der demokratischen Hemisphäre geht von den grossmächtigen USA weit mehr Unwägbarkeit aus als von Kanada.»

Gefahr gegen Unwägbarkeit, so schaut’s aus im wissenschaftlichen Blickwinkel.

Aber das ist nur Beiwerk, mit raschen Schritten nähert sich Hermann seinem eigentlichen Anliegen: «Alle kleinen und mittelgrossen Staaten, die sich nicht wie Belarus zum blossen Sidekick degradieren lassen wollen, haben heute ein strategisches Interesse, der Dominanz der Grossen etwas entgegenzusetzen.»

Der aufmerksame Leser fragt sich hier bereits, ob Belarus nicht ein Platzhalter für die Schweiz ist. Denn die Nicht-Hegemonialländer nah und fern müssen doch etwas unternehmen, aber hallo. Nur was? Bevor wir nun alle an den Fingernägeln zu knabbern beginnen, hat der «Politikwissenschaftler» eine «Lösung» zur Hand, die ebenfalls an Originalität schwer zu unterbieten ist:

«Als Taktgeber einer solchen IG der kleinen und mittleren Staaten ist niemand besser geeignet als die Europäische Union.»

Wir wischen uns kurz die Lachtränen aus den Augen. Die EU als Taktgeber? Die dysfunktionale, undemokratisch organisierte, seit der Eurokrise ständig vom Zerfall bedrohte EU? Als IG kleiner Staaten? So wie Griechenland? Dem Kleinstaat wurde ein brutaler Rettungsplan gegen den Willen der eigenen Regierung aufs Auge gedrückt. Dessen Umsetzung von einer demokratisch überhaupt nicht legitimierten Troika überprüft wurde. Wie Zypern? Dem Kleinstaat wurde das Rasieren von wohlhabenden Bankkunden aufs Auge gedrückt. Wie Ungarn? Der Kleinstaat wird mit Subventionsentzug drangsaliert, weil er auf einigen Gebieten seine eigene Gesetzgebung über EU-Recht stellen will.

Und dieser Haufen, dessen Parlament nicht mal Gesetze vorschlagen darf, dessen Präsidentin nicht mal für dieses Amt kandidierte, sondern im letzten Moment aus dem Hut gezaubert wurde, diese «Werteunion», die sämtliche Werte ihrer Verfassung oder die Bestimmungen von Maastricht oder Schengen kübelt, durchlöchert, übergeht, aussetzt, das soll eine Interessensgemeinschaft für kleine Staaten sein?

Zum Schluss irrlichtet Hermann über der EU noch in hoher Kadenz:

«Gerade weil sie aufgrund ihrer eigenen Vielfalt und Vielstimmigkeit keine echte Grossmacht und damit auch kein Hegemon ist, kann sie jedoch zur glaubwürdigen Organisatorin der Interessen der «KMU»-Staaten dieser Erde werden. Viele dieser Staaten sind alles andere als perfekt und genügen nicht den demokratischen Ansprüchen. Eine bessere Koordination, mehr Austausch und mehr defensive Macht unter ihnen würde jedoch einen Beitrag leisten zur dringenden Einhegung der globalen Hegemonen.»

Also, liebe KMU-Staaten, schliesst Euch der EU an, oder lasst zumindest Eure Interessen von ihr vertreten. Von ihren Kommissaren, Dunkelkammern und demokratisch in keiner Form legitimierten Machthabern. Vor allem aber, das ist ja Hermanns Mantra: liebe Schweiz, endlich in die EU eintreten.

Kümmert sich bei Tamedia wirklich niemand mehr um Qualitätskontrolle? Denkt niemand mehr an den Leser? Darf der wirklich von jedem Flachdenker gequält werden? Auf jedem Niveau, so unterirdisch es auch sein mag?

Sicher, Kolumnitis ist ein Ersatz für aufwendige Recherche und Analyse. Aber dann doch lieber noch mehr Texte aus der «Süddeutschen» als sowas. Lieber noch mehr Katzengeschichten von ehemaligen Münchner Bürgermeistern. Bitte, mit Fotos!

Eine Ente ist eine Ente

Aufgeregte Meldung: Kriegsreporter Pelda flieht von der WeWo.

So sieht die Meldung auf persoenlich.com aus:

Tatä: «Kriegsreporter Kurt Pelda wechselt per sofort zu den Blättern von Verleger Peter Wanner.» Und der Oberchefredaktor Patrik Müller freue sich über die Verstärkung. «Der Rechercheur und Auslandreporter Pelda war zuvor bei Roger Köppels Weltwoche tätig.»

Wechsel per sofort, erst im Februar war Pelda den unerträglichen Zuständen bei Tamedia entflohen und zur «Weltwoche» zurückgekehrt. Und nun das. Was mag da passiert sein? Ertrug Pelda nicht länger den Putin-Versteher Köppel? Gab es Zensur? Kriegsähnliche Zustände auf der Redaktion? Traute sich Pelda nur noch mit schusssicherer Weste und Helm an die Förrlibuckstrasse?

Was sagt denn er dazu? Eine kleine Recherchieraufgabe für das Qualitätsorgan persoenlich.com. Woran es leider krachend scheitert: «Da er in den letzten Reisevorbereitungen steckt, war er für eine Stellungnahme nicht erreichbar.»

Auf Deutsch übersetzt: Telefonnummer nicht rausgefunden, Mail an falsche Mail-Adresse geschickt. Oder einfach: never let the truth spoil a good story. ZACKBUM erreichte Pelda problemlos, der auch neben seinen «letzten Reisevorbereitungen» gerne Zeit fand, auf die Frage zu antworten, was denn da passiert sei:

«Es ist gar nichts passiert, und ich darf neben meinem Fixum bei CH Media als Freier für die Weltwoche schreiben.»

Also schlichtweg eine Verbesserung der Einkommenssituation, da das Haus Wanner bekanntlich Geld zum Verlölen hat, was es mit «watson» unermüdlich unter Beweis stellt. Mit dem Engagement für Pelda gibt Wanner immerhin sinnvoll sein Geld aus. Und Köppel kann etwas sein Portemonnaie schonen, denn solche Kriegseinsätze können recht ins Geld gehen. Nicht in erster Linie wegen unverschämten Honorarvorstellungen des Reporters. Sondern Logistik, Sicherheit, Fixer, Chauffeur, Infohonorare, Telekommunikation, das läppert sich.

Kleiner Tipp an die Kollegen von persoenlich.com: Finger rausnehmen, Grundlagen des professionellen Journalismus beachten.

Medien als Gerüchteküche

Die Medien hecheln allem nach.

Der Finanzblog «Inside Paradeplatz» platzierte am frühen Nachmittag des 8. Juni einen Knaller: «Will State Street die Credit Suisse kaufen?» Basierend auf den Informationen eines «Insiders» wolle der US-Finanzmulti ein freundliches Übernahmegebot abgeben: «Der Preis liege bei 9 Franken pro Titel, sagt ein Insider auf dem Platz Zürich. Der Aufpreis um gut 40 Prozent gegenüber den aktuellen 6.30 Franken würde die CS mit 23 Milliarden bewerten.»

Vorsichtig endete Lukas Hässig: «Ob es zu einem Deal kommt, bleibt ungewiss, auch wenn die Quelle über gute Beziehungen auf dem Finanzplatz verfügt. Solche Informationen sind naturgemäss ungesichert.»

Daraufhin spielte sich Unglaubliches ab. Obwohl die CS gerade mal wieder eine Gewinnwarnung veröffentlicht hatte, was den Aktienkurs nicht dramatisch, aber leicht in den Keller schickte, zog er nach dieser Meldung wieder an.

«Cash» hechelt hinterher.

Die gesamte Fachpresse echote die Information von IP. Nach der Devise: Wenn’s nur ein Scherz ist, sind wir ja nicht dran schuld, also können wir ohne Hemmungen ein paar Klicks damit generieren.

Die NZZ hechelt hinterher.

Die «Handelszeitung» fasste die Kapriolen zusammen: «Am Vortag hatten CS zunächst zeitweise bis zu über 7 Prozent verloren, nachdem die Bank am Morgen einen Verlust für das zweite Quartal angekündigt hatte. Am Mittwochnachmittag vollzogen die Aktien dann einen Kurssprung und schlossen 3,8 Prozent im Plus.»

Tamedia hechelt hinterher.

Natürlich beschränkten sich sowohl State Street wie die CS auf ein «no comment». Was freie Bahn für weitere Spekulationen ermöglichte.

Eigentlich gibt es gewisse Regeln, was börsenrelevante Meldungen betrifft. Eigentlich wäre es ein Zeichen von Seriosität, wenn man eine Meldung, die auf den Angaben eines angeblichen «Insider» beruht, nicht gleich raustrompeten würde. Ganz abgesehen davon, dass dieses Gerücht nicht von IP erfunden wurde, sondern schon länger herumgeistert.

Aber der heutige Zustand der klickgetriebenen Online-Medien erlaubt solche Nachdenklichkeit natürlich nicht. Zwei Kommentatoren auf IP haben die beiden wichtigsten Aspekte der Angelegenheit perfekt zusammengefasst.

Kommentator eins:

«Denke, der Insider hat heute Mittag Call-Optionen auf CS gekauft und dann dieses Märchen erfunden. Damit will er dann in die Ferien.»

Schwer zu toppen, aber dieser Kommentar ist auch nicht schlecht:

«Neuestes Gerücht: IP wird die CS übernehmen!
VRP: Lukas Hässig
CEO: Hans Geiger
CFO: Beni Frenkel
Chief Communications: Klaus J. Stöhlker»

ZACKBUM hofft, mit dieser Prognose keine neue Spekulationswelle auszulösen.

Münger hat kein Reputationsproblem

Aber er befürchtet eines für die Schweiz. Mal wieder.

Der Auslandchef von Tamedia fürchtet keinen Atomkrieg. Da steht er drüber. Aber er befürchtet sofort einen «Reputationsschaden», wenn irgend eine Dunkelkammer im Dunstkreis des US-Parlaments mal wieder über die Schweiz schimpft.

Die «U.S. Helsinki Commission» behauptet,  die Schweiz sei «bekannt als Zielland für Kriegsverbrecher und Kleptokraten». Noch härter ist der Vorwurf, sie sei «eine führende Förderin des russischen Diktators Wladimir Putin und seiner Kumpane»», referiert Münger, um entrüstet fortzufahren:  «Das ist ein Schlag ins Gesicht der Schweizer Regierung, die die westlichen Sanktionen, trotz innenpolitischen Widerstands, übernommen hat.»

Daher kriegt Münger gleich einen kleinen Mutanfall:

«Die Diffamierung der Schweiz als «Förderin Putins» ist unangebracht.»

Nimm das, Biden-Administration.

Hätte es Christof Münger dabei belassen, hätte er endlich mal einen einigermassen vernünftigen Kommentar geschrieben. Aber eben, geht nicht: «Denn ein Teil der Kritik ist berechtigt, und das wegen einer Gesetzeslücke: So sehen sich Anwälte und Anwältinnen in der Schweiz angeblich nicht dazu verpflichtet, Meldung zu erstatten, wenn ihr Klient die Sanktionen verletzt. Sie unterstehen zudem nicht dem Geldwäschereigesetz, wenn sie nur als Berater agieren.»

«Sehen sich angeblich nicht»? Hier zeigt Münger ein recht lockeres Verhältnis zu in der Schweiz geltenden Gesetzen. Ob die einem passen oder nicht: bevor sie nicht geändert werden, gelten sie. Punkt.

Dann holt Hobbyhistoriker Münger aus und erinnert an den Skandal um die sogenannten «nachrichtenlosen Vermögen». Worin der allerdings tatsächlich bestand, das hat er bereits vergessen. Unvermeidlich auch der Hinweis auf den «Imageschaden, als sich die Schweizer Grossbanken während der Finanzkrise 2008/09 ans Bankgeheimnis klammerten».

«Klammerten»? Sie wehrten sich dagegen, dass die USA mit dem Recht des Stärkeren imperialistisch ihre Gesetze in der Schweiz durchsetzten. Unter bedauerlicher Mithilfe des Bundesrats. Obwohl Schweizer Banken in der Schweiz gegen keinerlei Gesetze verstossen hatten, wurden sie zur Zahlung von Milliardenbussen und zur Auslieferung von Kundendaten gezwungen.

Nicht auf rechtsstaatlichem Weg, sondern einfach mit der Drohung: Ihr könnt’ schon dagegen vor Gericht gehen – nur seid ihr dann am nächsten Tag tot, wenn wir Euch den Handel mit US-Dollar verbieten.

Auch vom Bankgeheimnis kann man halten, was man will. Aber ein Imageschaden entstand damals in erster Linie dadurch, dass die USA ihre Position als grösste Geldwaschmaschine und grösster Hort von kriminellen Geldern und Schwarzgeld weiter ausbauen wollten und sich dabei eines lästigen Konkurrenten entledigten.

Nach all diesen Irrungen und Wirrungen kommt Münger zu einer Handlungsempfehlung: «Jedenfalls ist die Schweizer Regierung gut beraten, die Kritik ernst zu nehmen. Denn das Reputationsrisiko ist real.»

Die Schweizer Regierung ist besser beraten, diesen Kommentar einfach zu ignorieren. Was sie glücklicherweise auch tut.

Denn die Schweiz hat überhaupt kein Reputationsproblem. Münger allerdings auch nicht

 

 

 

 

 

 

Schweizer Jugend versteht Putin

Kann weisses Papier schreckensbleich werden? Der Tagi probiert’s aus.

Nun bemühen sich die Medien seit Wochen, den Kreml-Herrscher als Amok, Wahnsinnigen, Kriegsverbrecher, Diktator, Verderber seines Landes, Zerstörer der Ukraine zu brandmarken. Wieder und wieder. Und nun das.

«Neue Auswertungen der repräsentativen Tamedia-Umfrage von Ende März zeigen nämlich, dass nahezu jeder Dritte in der Alterskategorie der 18- bis 34-Jährigen den Krieg zwar verurteilt, trotzdem aber «Verständnis für die Motive Putins hat».»

Die heutige Jugend, das ist ja schrecklich. Woran liegt das nur? Dafür hat die Allzweckwaffe der Welterklärung natürlich eine Antwort. Nein, Schwurbler Kovic hat mal Pause, hier muss der «Politologe» Michael Hermann ran. Durch seine Kolumne im Tamedia-Reich kann man bei ihm sicher sein, dass er das sagt, was Tamedia hören möchte: «Jugendliche hingegen informieren sich vor allem in den sozialen Medien. So sind sie vielen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt – eben auch den Lügen der gut funktionierenden russischen Propaganda.»

Dass Hermanns Propaganda im Sinne seiner staatlichen Auftraggeber auch prima funktioniert – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Zwei Opfer dieser Propaganda hat Tagi-Redaktor Dominik Balmer aufgespürt. Der eine sagt deshalb Dummheiten wie: «Die Nato bezeichnet er als «imperial» und den Interessen der USA dienend. Das Militärbündnis habe Russland mit seiner ständigen Expansion «provoziert». Es hätte nach dem Zerfall der Sowjetunion aufgelöst werden müssen. Insofern könne er Russlands Reaktion «verstehen, wenn auch nicht gutheissen»

Der zweite Putin-Versteher ist, das musste ja so kommen, natürlich Mitglied der SVP. Der sagt: ««Ich verurteile den Krieg, das ist nie eine Lösung.» Die Schuld liege aber nicht nur bei den Russen. «Beide, die Nato und Russland, sind schuld.»»

Auch hier zeigt sich, was im Kopf passiert, wenn man sich in sozialen Medien informiert und sich sogar «bei den in der EU blockierten russischen Propagandasendern RT DE (früher Russia Today) und Sputnik informiert. Bei Medien also, die nachweislich Falschinformationen verbreiten.»

Auch die Umfrageleiterin ist erschüttert: für sie «können die sozialen Medien eine «extreme Gefahr für die freie Meinungsbildung und damit die Demokratie» sein, zumindest solange nicht klar sei, wie verlässlich Informationen auf diesen Plattformen seien».

Glücklicherweise, atmet Tamedia auf, «sind ältere Menschen gemäss Hermann grundsätzlich besser informiert – und daher in ihrem Urteil weniger wankelmütig. In fast allen Umfragen zum Russland-Krieg ist der Anteil der «Weiss nicht»- Antworten bei den Jungen hoch. Ein Indiz für ihre Unentschlossenheit.»

Also können wir wenigstens auf die Alten bauen, die sind für strikte Sanktionen und eindeutig gegen Putin. Ob sie allerdings seine Motive oder überhaupt die Situation verstehen, das ist dann schon die Frage.

Aber immerhin plappern sie nicht solchen Unsinn wie der SVP-Jüngling: «Es ist sehr wichtig, sich eine eigene Meinung zu bilden. Und zwar gerade dann, wenn alle Medien einer Meinung sind wie jetzt im Krieg in der Ukraine.»

Wo kämen wir da hin, wenn jeder versuchen würde, sich eine eigene Meinung zu bilden. Oder sich nicht nur in den Mainstream-Medien zu informieren. Der wäre dann eventuell sogar für die bewaffnete Neutralität und zweifelte an der willfährigen Übernahme aller EU-Sanktionen. Dabei ist es doch viel besser, ein Putin-Nichtversteher zu sein. Denn wer etwas (oder jemanden) nicht versteht, dem kann man leicht erklären, wie er es verstehen sollte. Und das ist ja die vornehmste Aufgabe der Auslandberichterstattung von Tamedia. Dass die zudem noch aus dem Ausland kommt, je nun, für ein paar hundert Franken Abokosten kann man doch nicht erwarten, dass Tamedia sich noch eine eigene Auslandredaktion leistet.

Oh, das tut der Konzern? Aber gut, es braucht ja jemanden, der das ß in ein anständiges ss verwandelt, parken und grillen sagt man auch nicht in der Schweiz, und für Fans der EU ist es doch völlig egal, ob der Leser Artikel serviert bekommt, die aus EU-Perspektive geschrieben sind. Das einfach zu schlucken, das ist doch viel besser als zum Putin-Versteher zu werden.

Es ist halt schon so, diese Erfahrung muss jede Generation machen: die heutige Jugend ist nicht mehr so, wie die Alten früher mal waren. Alles wird schlimmer, wo soll das nur enden?

Tagi sensibel und geschmacklos

Draussen geht’s feinfühlig zu. Im Blatt geschmacklos.

Feinfühlig wird ein Podcast über eine «Diversitäts-Beauftragte» gesendet. Der beschäftigt sich mit einem Interview, das mit Mandy Abou Shoak geführt wurde: «Jedes Theater bräuchte eigentlich eine Diversitätsbeauftragte.» Das Zürcher Theater hat eine, und die weiss:

«Der Titel «Bullestress» spielt auf Racial Profiling an. Also auf die Problematik, dass Schwarze Menschen überdurchschnittlich oft von Polizeikontrollen betroffen sind, weil sie als Gefahr für die öffentliche Sicherheit wahrgenommen werden und das wiederum hat mit Rassismus zu tun.» Nun fand dieses Interview bereits am 18. Januar statt, aber immerhin 2022.

Was «Berner Zeitung/Der Bund» recht ist, soll doch dem Tagi nicht Unrecht sein: rezyklieren ist das neue Zauberwort des Qualitätsjournalismus. Auf überflüssige Berufe kann man nicht häufig genug hinweisen.

Ganz anders geht es zu, wenn im Sport berichtet wird. Wem es bei dieser Titelzusammenstellung nicht übel wird, braucht mehr als eine Diversitätsbeauftragte:

Kind verlieren, Match verlieren, so ist das halt im Sport. Anstand und Geschmack hat man halt – oder nicht.

Jagdszenen in der Schweiz

Das Vokabular wird kriegerischer und denunziatorischer. Von der NZZ abwärts.

Da interviewt doch die NZZ Peter Regli. Genau, den Apartheid-Regli. Den Aktenvernichter Regli. Den Crypto-Skandal-Regli. Den Fall Bellasi-Regli. Den umfassend disqualifizierten Regli, zu irgendwas irgendwas zu sagen. Sicherheitsrisiko? Das ist nicht die Schweiz, das ist der, der hier interviewt wird.

Wolfgang BorchertDraussen vor der Tür», Kindersoldaten: googeln) wusste, was der Vorwurf Defätismus bedeutet. 1944 wurde er von den Nazis deswegen zu neun Monaten Gefängnis verurteilt und dann zur «Feindbewährung» an die Front entlassen. Er starb 1947 an den Spätfolgen seiner Verwundungen.

Es gibt aktuell einige Wörter aus dem Vokabular der Übermenschen, die noch nicht wieder Einzug in den Sprachgebrauch gehalten haben. Noch nicht. Defätismus ist eines, Patriotismus hingegen erlebt bereits seine Wiederauferstehung. Nationalismus sowieso. «Für Führer und Vaterland» ist allerdings immer noch pfui.

Sehr im Schwang ist aber wieder «Feindpropaganda». Unter Adolf Nazi war es streng verboten, «Feindsender» zu hören. Insbesondere das Erkennungssignal der englischen BBC musste durchs Kopfkissen abgedämpft werden. Wehe, der Nachbar, der Denunziant, hörte es aus dem Zimmer nebenan.

Ein ähnliches Verhältnis entwickeln unsere freien westlichen Medien inzwischen zum Feindsender «Russia Today» (RT). Eigentlich gehörte der verboten, wie in der EU. Nun hat aber der Schweizer Bundesrat – zum Unverständnis vieler Kriegsgurgeln in den Medien – beschlossen, die Bundesverfassung («Zensur ist verboten») ernst zu nehmen. Gegen den Willen der Bundesrätinnen Amherd und Sommaruga, was ihr ewiger Schandfleck bleiben wird.

Wer tritt im Feindsender auf?

Nun wird nicht nur über die Propaganda dieses Feindsenders hergezogen, es wird auch genau beobachtet, wer sich dafür hergibt, bei ihm aufzutreten:

«Gastgeber Köppels war Thomas Fasbender, deutscher Journalist mit eigener RT-Sendung und viel Verständnis für Putin. Seit kurzem wird Fasbender auch als Moskau-Korrespondent von Köppels «Weltwoche» aufgeführt.» Eine Sternstunde des Recherchierjournalismus von Tamedia. Putin-Versteher Köppel, trat doch bei RT auf. Wo dieser Fasbender eine Sendung hat. Der wiederum für die WeWo nicht immer ganz dichte Analysen über Russland schreibt.

Wehrkraftzersetzung hätte man das früher genannt.

Kriegerisches Vokabular auch im Boulevard-Blödblatt «Blick»:

 

Wenn’s ganz blöd und lachhaft wird, darf einer nicht fehlen. Genau, Philipp Loser. Der gibt zuerst damit an, dass er doch tatsächlich Stefan Zweig gelesen hat. Was für ein Kulturbolzen. Von Arnold Zweig hat er aber sicher noch nichts gehört, obwohl sich dessen Lektüre auch lohnen würde.

Ausflug in die Hölle

Aber dieser Kurzausflug in die Niederungen des Trends zum Zweitbuch ist nur die Einleitung hierfür:

«Fast schon unverhohlen, wie man sich rechts der Mitte freut, endlich wieder über Krieg reden zu dürfen, über Sicherheitspolitik, Geostrategie, Panzer und Bomben. Ganz egal wo man in den Gender- und Identitätsdebatten der jüngeren Zeit steht: Müsste es nicht genau umgekehrt sein? Müsste es nicht unser aller Bedürfnis und Bestreben sein, in einer Welt zu leben, in der wir es uns leisten können, leidenschaftlich über den Genderstern zu streiten?»

Rechts der Mitte? Die öffentlich auftretenden Kriegsgurgeln stehen meistens links der Mitte, mit Verlaub. Zudem muss ZACKBUM hier kriegerisch widersprechen: nein, wir wollen keinesfalls, unter keinen Umständen – lieber tot als rot – in einer Welt leben, in der leidenschaftlich über einen Unsinn wie den Genderstern gestritten wird. So stellen wir uns die Hölle vor.

Da fehlt doch nur noch der eine Teil des die Qualitätssicherung vergeigenden Duos, die Reserve-Drittklass-Chefredaktion des «Tages-Anzeiger» in Form von Mario Stäuble. Der orgelt:

«Putins Krieg ist ein direkter Angriff auf Europas Sicherheit, auf die Freiheit, auf die Demokratie. Wo seine Ambitionen enden, weiss niemand mit Sicherheit. Sich auf ein harmloses Szenario einzustellen, wäre schlicht naiv. Also muss man den Schritt machen – und Putins Geldhahn zudrehen, auch wenn es schmerzt. Und auch wenn die Aussichten auf Erfolg ungewiss sind.»

Alles ist ungewiss, nur eines ist ihm klar: Geldhahn zudrehen. Glücklicherweise weiss er auch: wer hört schon auf Stäuble. Wer macht schon mit ihm den Schritt zum Geldhahn …

Apropos:

Was interessieren den Schweizer Leser die Ansichten des 82-jährigen ehemaligen deutschen Finanzministers? Ganz einfach, das Interview des Literaturkritikers der «Süddeutschen Zeitung» Willi Winkler fiel dort von Gabentisch und wird den Lesern der SoZ lauwarm serviert. Das Original erschien am 25. März in der SZ. Da ist dann der SoZ-Leser zweite Wahl zu erstklassigen Preisen. Die SZ kostet am Freitag Fr. 3.70. Die SoZ mit Aufgewärmtem Fr. 6.-, zwei Tage später.

Auch CH Media ist nicht frei von harschen Verurteilungen:

«Man würde von Schröder gerne wissen, wie er dazu steht, dass sein Freund Putin Kinderspitäler bombardieren lässt. Schröder sagt dazu natürlich nichts, lässt sich weiter von Putin bezahlen – und hat sich diskreditiert wie kein anderer Bundeskanzler vor ihm.»

Richtig, gegen den Putin-Versteher war selbst Alt-Nazi, NSDAP-Mitglied und Blockwart Kiesinger weniger diskreditiert. Das gilt natürlich auch für KZ-Baumeister Lübke. Aber was weiss Benini schon von deutscher Geschichte.

So rempelt Francesco Benini den deutschen Altkanzler an, während sein Bruder Sandro bei Tamedia den völlig von der Rolle gekippten Sandro Brotz verteidigt. Die Benini-Amok-Brothers in Fahrt.

Aber, man muss auch loben können, der gleiche CH-Media-Benini berichtet:

«Der FDP-Stadtrat ist in eine Einzimmerwohnung umgezogen, die in der gleichen Siedlung liegt.» Denn Filippo Leutenegger hat seine Vierzimmer-Wohnung einer ukrainischen Flüchtlingsfamilie überlassen.

Das ist wirklich toll, Filippo.  Aber, lieber Francesco, ob der Mut wohl reichen täte, Deinen Besitzer und Brötchengeber und Kriegsgurgel Peter Wanner zu fragen, ob er sich davon nicht ein Scheibchen abschneiden könnte?

So in seinem Herrensitz, seinem Schlösschen im Aargau, umgeben von eigenen Rebbergen? Der hat ja bislang nur bekannt gegeben, dass er dann vielleicht mal in Zukunft, nach dem Krieg, was für den Wiederaufbau der Ukraine spenden werde. Wenn er das bis dahin nicht längst vergessen hat.

Schliesslich ist Wanner doch für «klare Kante», will gerne einen Dritten Weltkrieg riskieren, plädiert dafür, sich von atomaren Drohungen doch nicht in die Knie zwingen zu lassen. Da vermisst man etwas den Kampfesmut von Francesco Benini. Denn wes Brot ich ess

Aber: Vielleicht wäre im Wanner-Schloss noch ein Zimmerchen im Gesindetrakt, im Kutscherhäuschen oder gar im Herrenhaus frei. Nur so als Idee. Könnte doch einer der beiden Beninis mal anregen. Ausserdem baut sich Big Boss Supino gerade einen schönen Herrensitz mit vielen Zimmern hin …

 

 

 

Die Brotz-Bronca

Spanisch für Krakeel, Gefuchtel und Geschrei.

Endlich mal eine Ablenkung vom Überthema. SVP-Nationalrat Thomas Aeschi sagt etwas Blödes. Aus einer mutmasslichen Vergewaltigung durch zwei afrikanische Flüchtlinge mit ukrainischem Pass, begangen an einer ukrainischen Flüchtigen, macht er einen Indikativ Plural. Und damit wird’s zum rassistischen Schwachsinn.

Das wiederum bringt die Grünen in die Gänge. Ihre NR-Präsidentin hat’s verschnarcht, Aeschi zu rügen, dafür boykottiert die Fraktionschefin die «Arena», weil dort auch Aeschi auftreten durfte. Politischer Schwachsinn.

Sandro Brotz, notorischer SVP-Basher, nimmt sich dann Aeschi zur Brust:

«Was Sie gesagt haben, ist rassistisch. Punkt. Ausrufezeichen.»

Das wiederum löst eine neuerliche Debatte aus. Über Brotz mangelhafte Kenntnisse der Interpunktion? Nein, ob er so oberlehrerhaft einen Politiker zusammenfalten darf oder nicht.

«Ein reines Schmierentheater», so teilt der Politchef von Tamedia in alle Richtungen aus. Denis von Burg watscht gerecht alle ab. Aeschi: «unappetitliches Süppchen» gekocht. «Arena»-Boykott von Aline Trede: «undemokratisch und auch nicht klug.» Schliesslich: «Brotz hat auf billige Weise Quoten gebolzt.»

Michèle Binswanger wäscht dann Brotz nochmal die Kappe: «Der Moderator auf Abwegen» bestätige «jedes Anti-SRG-Klischee». Nicht nur in der Sendung, auch auf Twitter betrachte Brotz gerne seinen eigenen Bauchnabel: «Eitelkeit ist zwar ein in Journalistenkreisen weitverbreitetes Laster. Aber diesmal ist Brotz zu weit gegangen.»

Brotz tritt den Beweis für alle Vorwürfe an

Als wolle er ihren Vorwurf beweisen, haute Brotz auf diesen kritischen Artikel von Tamedia gleich eine Salve von Tweets raus. Als beleidigte Leberwurst. Er räumte zwar ein, dass ihm Binswanger Gelegenheit zur Stellungnahme gab, auf die er aber 24 Stunden lang nicht zu reagieren geruhte. Aber: «Dann hast du deinen Text rausgehauen. Ohne mit mir zu reden. Ich kann damit umgehen. Bin mir deine „Recherche“ im Weltwoche-Stil gewohnt. Du magst finden: Brotz teilt aus, dann muss er auch einstecken. Fair enough. Nur hat das nichts mehr mit Journalismus zu tun.»

Tschakata. Also der Herr Journalist mag nicht antworten, aber dann beschwert er sich darüber, dass man nicht mit ihm habe reden wollen und will seinerseits Binswanger damit beleidigen, dass sie im «Weltwoche-Stil» recherchiere, was immer das sein mag. Also wer nicht geduldig wartet, bis Brotz dann doch ein Momentchen in seinem übervollen Terminkalender findet, betreibe keinen Journalismus mehr. Was für ein Haudrauf, der Moderator.

Apropos, keiner geht auf den «Weltwoche»-Kommentar des ausgewiesenen Recherchierjournalisten Alex Baur ein, der konstatiert: «Doch bei diesem Exzess geht es um mehr als Parteilichkeit: Sandro Brotz stellt sein Ego über seinen Auftrag

Weitere Journalisten beteiligen sich an der Schlacht

Auch die NZZ mischt sich ein und kritisert kühl einen «politisch aufgebauschten Rassismus-Streit». Katharina Fontana stösst den NZZ-typischen ordnungspolitischen Zwischenruf aus: «Die Rassismusdiskussion, die seit ein paar Tagen läuft, trägt so hysterische wie heuchlerische Züge.» Aeschi ist daneben, die Reaktion der Grünen ebenfalls, und Brotz, nun, «das öffentlichrechtliche Fernsehen scheint neuerdings auch ein Tribunal zu sein».

Haben wir uns dann alle wieder beruhigt? Keinesfalls, es fehlt noch Sandro Benini aus dem Hause Tamedia. Er nimmt sich Kollegin Binswanger zur Brust und stellt schon im Titel klar:

Denn: «Hinter der Kritik an Brotz steckt die Vorstellung, ein Moderator müsse ausserhalb der Sendung funktionieren wie ein Kaffeeautomat: möglichst geräuschlos in einer Ecke stehen und nur etwas absondern, wenn man ihn drückt – aber dann immer genau die gleiche Menge in identischer Qualität und immer mit der gleichen Temperatur.»

Much ado about nothing, hätte Shakespeare gesagt, wäre ihm dieses Gezänke überhaupt eine Bemerkung wert gewesen. Medienschaffende äussern sich zu Medienschaffenden, die sich wiederum zu Medienschaffenden äussern, was dann von anderen Medienschaffenden bewertet wird.

Am Schluss ist dann auch die SVP sauer und will bis auf Weiteres nicht mehr in der «Arena» auftreten.

Ach so, eigentlich ging es um den Krieg in der Ukraine. Aber der ist doch lange nicht so wichtig wie die Betrachtung des eigenen und fremder Bauchnäbel.

 

 

 

 

Wumms: Markus Somm

Wenn ein Historiker die Geschichte umbiegt.

Da kaum jemand hinter der Bezahlschranke den «Nebelspalter» liest, versucht es Chefredaktor Markus Somm auf anderen Kanälen, zum Beispiel mit seinen «Memos». In Nummer 68 schreibt er unter anderem:

«Gleicht damit die Lage nicht der Situation in Afghanistan? Nachdem die Sowjets das Land 1979 überfallen hatten, um ein kommunistisches Regime in Kabul an der Macht zu halten, unterstützte der Westen den afghanischen Widerstand – mit Waffen, mit Material, mit Geheimdienstinformationen. Zehn Jahre lang bissen sich die Sowjets die Zähne aus, bis sie 1989 abzogen, ohne gewonnen zu haben. Fast 15’000 sowjetische Soldaten waren gefallen.»

Dass Russland die Ukraine überfallen hat, das ist genauso unbestreitbar wie die historische Tatsache, dass damals die UdSSR einem Hilferuf der afghanischen Regierung nachkam. Die Sowjetunion wollte das linke und sekuläre Regime (Bodenreform, Entmachtung der Oberschicht und der Clans, Bildung für alle) gegen die Mudschahedin unterstützen, reaktionäre und fundamentalistische Islamisten.

Durch die Unterstützung dieses «afghanischen Widerstands» züchteten die USA eine Generation von nicht nur fanatischen, sondern bestens ausgerüsteten Gotteskriegern heran.

Die zu Tode gefolterten Leichen des letzten Präsidenten
und seines Bruders wurden öffentlich zur Schau gestellt. 

Die nach dem Rückzug der UdSSR die Regierung massakrierten und unter Führung der Taliban einen grausamen, mittelalterlichen Gottesstaat errichteten. Als Treppenwitz der Geschichte versuchte die CIA später, die von ihnen gelieferten Stinger-Luftabwehrraketen zurückzukaufen – weil sie von islamistischen Terroristen gegen die USA selbst eingesetzt wurden.

Nach der damaligen Logik des Kalten Kriegs war der Feind meines Feindes mein Freund. So unappetitlich der auch sein mochte. Für breite Bevölkerungsschichten in Afghanistan, vor allem Frauen, war der Rückzug der UdSSR keinesfalls Anlass für Triumphgefühle.

Über all das huscht Historiker Dr. Somm hinweg, um sein Bild von der historischen Parallelität – Überfall Ukraine, Überfall Afghanistan – aufrecht zu erhalten.

Dabei ist es ein ahistorisches Zerrbild. Ein völlig untauglicher Vergleich.

 

Schmierenstück aus dem Hause NZZ

Die Suche nach bekömmlichen Newsquellen wird immer schwieriger.

Eigentlich stellt der Ringier-Verlag keine ernsthafte Konkurrenz für die alte Tante von der Falkenstrasse dar. Zu unterschiedlich ist das Zielpublikum, zu anders die Ansprache und der Anspruch.

Umso befremdlicher, wenn auch in der NZZ die Schmiere Einzug hält. Besser gesagt kaum verhohlene Häme. Nach der NZZ-üblichen Bedenkzeit rechnet Redaktor Lucien Scherrer mit dem Ringier-Verlag ab. Als Mittel der Wahl dient ihm dafür – Überraschung – der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder. Immerhin 6500 Buchstaben ist es der NZZ wert, das «Liebes-Aus» zu verhöhnen, als wolle sich der Autor bei der «Glückspost» bewerben.

Schröder, Putin-Versteher und sogar Freund, geschäftlich mit Russland verbunden, und dann Berater von Ringier, diese Steilvorlage will sich Scherrer nicht entgehen lassen. «Jahrelange Kumpanei, viele «Exklusiv»-Interviews», so nimmt der Autor Anlauf, um schnell zu ersten Höhepunkten zu gelangen:

«Vorsorgliche Abrechnung mit einem Appeaser, den man jahrelang hofiert, vermarktet und benutzt hat».

Appeaser, echt jetzt? Denn Scherrer hat das kleine Problem, dass sich Ringier ja gerade von seinem Berater Schröder getrennt hat – und ihn schon vorher massiv kritisierte. Das allerdings nur, bleibt Scherrer unerbittlich, weil man den «im allgemeinen Distanzierungseifer schnellstens fallen lässt, um dem moralischen Nullpunkt selber nicht noch näher zu kommen».

Rückgriff in die Vergangenheit

Blicke in die Vergangenheit sind immer gut, um das Munitionslager in der Gegenwart aufzufüllen. Dafür greift Scherrer auf diverse «Exklusiv»-Interviews zurück; besonders angetan hat ihm eins, das «Blick»-Oberchefredaktor Christian Dorer 2017 führte, «drei Jahre nach der Krim-Annexion». Frage: «Halten Sie Russland für gefährlich? Könnte es weitere Annexionen geben?» – «Schröders Antwort: «Die Sicherheit dieser Staaten ist durch die Nato garantiert», die Krim hingegen werde kein russischer Präsident je zurückgeben, denn Russland habe sie gar nie abtreten wollen.»

Steilvorlage für einen Schlusspunch: «Die Ukraine lässt Schröder mit seiner Antwort elegant aus dem Spiel, denn sie war und ist nicht «durch die Nato garantiert». Was das heisst, hat sein Freund am 24. Februar gezeigt – und damit nicht nur seine Fans, sondern auch einige Journalisten blamiert.»

Wie sehr blamiert sich allerdings Scherrer selbst, wenn er aus einem Interview, das 12’500 Buchstaben umfasst, alle damaligen Themen abfragt, Merkel, Flüchtlingskrise, neugewählter Präsident Macron, die Schweiz, die Türkei, der Brexit, Präsident Trump, sich auf ganze drei Fragen fokussiert, die zu Russland und der Krim gestellt wurden?

Wie lautete der kurze Abschnitt im Original?

«Halten Sie Russland für gefährlich? Könnte es weitere Annexionen geben?
Die Sicherheit dieser Staaten ist durch die Nato garantiert. Bei der Krim aber prophezeie ich Ihnen: Es wird keinen russischen Präsidenten geben, der die Krim wieder zurückgibt. Dieser Realität muss man ins Auge schauen, ob man es akzeptieren mag oder nicht.

Warum ist das so?
Wenn Chruschtschow 1954 nicht geglaubt hätte, der Sowjetkommunismus werde so alt wie die katholische Kirche, dann hätte er die Krim niemals an die Ukraine übergeben. Es bestand ja kein Grund dafür. Die Russen haben in Sewastopol einen Militärhafen. Wenn die Ukraine Teil der Nato gewesen wäre, und das war der Plan, dann hätte dieser Hafen mitten im Nato-Gebiet gelegen. Eine groteske Vorstellung. Es gibt auch unterlassene Sensibilitäten des Westens gegenüber Russland. Von der Politik der Amerikaner ganz zu schweigen.

Ist es derzeit schwierig, mit Russlands Präsident Putin befreundet zu sein?
Ich bin ein freier Mensch. Und gerade in schwierigen Zeiten ist es doch wichtig, miteinander zu reden.»

Wenn nicht polemischer Wille alle Qualitätsansprüche überfährt: ist das wirklich einer NZZ würdig, hier von einem «Liebes-Aus» zu schwafeln? Zwar zähneknirschend einzuräumen, dass Ringier das Mandatsverhältnis per sofort beendete, Schröder auch zuvor kräftig kritisierte, dann aber süffisant aus uralten Interviews Bruchstücke zu zitieren – ist das nachdenklich-ausgewogener Journalismus?

Wiederholungstäter Scherrer

Auch die NZZ muss beachten: einen guten Ruf erwirbt man sich über Jahre und mit viel Arbeit. Verspielen kann man ihn schnell und fahrlässig. In letzter Zeit wurde viel darüber geschnödet – zu Recht –, dass es um die Qualitätskontrolle bei Tamedia nicht gerade zum besten bestellt sei. Allerdings beweisen Mitarbeiter wie Rafaela Roth oder Lucien Scherrer, dass auch im Hause NZZ dieses Problem existiert. Denn gäbe es eine funktionierende Kontrolle, hätten diverse Artikel nicht erscheinen dürfen. Darunter auch dieses niveaulose Bashing eines Konkurrenten am untauglichen Beispiel.

Während Roth mehr mit Dubletten-Interviews und Backfisch-Jubel auffällt, hat Scherrer schon mal kräftig ins Klo gegriffen, als er belegfrei behauptete: «Gemäss Informationen der NZZ gibt es Pläne, die Printausgabe von «20 Minuten» im nächsten Jahr einzustellen.» Das nächste Jahr wäre 2021 gewesen. Und ein energisches Dementi des Verlags wird zwar kurz erwähnt, aber was soll’s, etwas hängen bleibt doch immer, sagte sich Scherrer damals. Schmiere halt.