Sternstunden der Weiterbildung

Frauen im Gegenwind der hässlichen Art. Kostet bloss 2300 Franken.

Von Adrian Venetz
Im Ozean der Angebote und Initiativen rund ums Thema Frau schimmert da unverhofft eine ganz besondere Perle in Winterthur: die feministische Fakultät, kurz fem. Es handelt sich dabei um einen Verein, der nicht nur Geld sammelt, sondern auch «Lehrgänge» anbietet. Kommende Veranstaltungen: Frauen zwischen Allmacht und Ohnmacht, Care-Arbeit räumlich denken, anti-feministischer Backlash in Osteuropa. Nicht fehlen darf natürlich auch die Dozentin Jolanda Spiess-Hegglin. Dazu schreibt die feministische Fakultät: «Wir beschäftigen uns damit, wie Frau* mit Gegenwind der hässlichen Art umgehen kann und welche Bedeutung ein Unterstützerinnen-Netzwerk hat.» Punkto «hässliche Art» wird Frau Spiess-Hegglin gewiss auch erläutern, wie man in einer gepflegten Diskussionsrunde einen Mord beklatscht.
Feminismus kostet. Und wie
Der feierliche Abschluss des Lehrgangs mit Diplomübergabe und Apéro findet im November 2022 statt. Musikalisch umrahmt vom «einzigartigen fem!-Chor». Gratis gibt es dieses Diplom, das sich in jedem Lebenslauf gut macht, leider nicht. 1800 Franken kostet der Lehrgang. Plus Reisespesen um die 500 Franken. Trotz «Makroskandal», dass Frauen in der Schweiz pro Jahr «100 Milliarden weniger Einkommen als Männer» haben, werden sich gewiss einige Frauen finden, die sich den Lehrgang leisten können. Schliesslich herrscht gerade hier ein akuter Fachkräftinnenmangel von Frauen*, die sich gegen anti-feministische Backlashes zur Wehr zu setzen wissen.
Keine Frage: Diese Ausbildung darf man sich auch als Mann nicht entgehen lassen. Schliesslich sind es ja gerade die Männer, die noch so viel dazulernen müssen. Also frisch und fröhlich auf zur Anmeldung. Doch rasch füllen sich die Augen mit Tränen: Männer sind für diesen Lehrgang nicht zugelassen. (Geld spenden aber dürfen sie – immerhin.) Man kann dafür ankreuzen, ob man non-binär, queer oder trans ist. Und man kann wählen, mit welchem Pronomen man angesprochen werden möchte, beispielsweise mit dem englischen Pronomen «they» für multiple Persönlichkeiten. Das geschlechtsneutrale finnische Pronomen «hän» ist leider nicht als Option aufgeführt. Hier besteht Nachholbedarf. Zudem: Ist die Bezeichnung «feministische Fakultät» nicht ein Schlag ins Gesicht all jener, die gerade nicht im toxischen Dipol «feminin» und «maskulin» denken? Müsste es nicht besser «transfeministische Fakultät» heissen? Oder «non-cis-maskuline Fakultät»? Wir sind etwas ratlos.
Der Genderstern flackert vor sich hin
Die Vorstandsmitglieder des Vereins heissen Vorständinnen*. Es gilt noch zu erörtern, in welchen Fällen der Genderstern am Wortende aufflackern darf. Dies vielleicht als Anregung für einen kommenden Lehrgang. Ein Ehrenmitglied auf Lebenszeit ist übrigens eine Frau namens Erika Bachmann. Die Auszeichnung ist wohlverdient, denn sie nennt sich heute Bachfrau. Und sie hat für ihr Wirken eine spezielle fem!-Brosche erhalten. Ehre, wem Ehre gebührt.
Und schliesslich ist es ein hehres Ziel des Vereins, eine «faire Diskussionskultur in vielfältiger Gesellschaft zu gewährleisten», wie auf der entzückend pinkfarbenen Website zu lesen ist. Dass der Verein mit einem männerexkludierenden Diplom-Lehrgang und mit Dozentin Jolanda Spiess-Hegglin genau auf dem richtigen Weg ist, dieses Ziel zu erreichen, wird kaum jemand ernsthaft bestreiten. Oder*?

Wikipedia-Politik

Wer verfasst sie und was steht in den Wikipedia-Artikeln der Schweizer Politiker?

Eigentlich wäre das eine naheliegende Aufgabe für die wenigen verbliebenen Recherche-Journis der wenigen verbliebenen Medienhäuser.

Transparenz schaffen zur Selbstdarstellung Schweizer Politiker auf Wikipedia. Denn als Erstquelle ist das Online-Lexikon für viele unverzichtbar. Das wissen natürlich auch Politiker.

Wer verfasst, korrigiert deren Einträge? Was steht drin, was nicht? Das Recherche-Team von Reflekt hat alle 253 Artikel der Parlamentarier und Bundesräte unter die Lupe genommen.

Hier zeigen ein paar wenige Journalisten mit Pfupf, was immer noch möglich ist. Wenn man sich nicht vornehmlich mit dem eigenen Bauchnabel, dem eigenen Leiden und Genderfragen befasst.

Oder den zuvielten Meinungskommentar über Covid-19 absondert.

Stattdessen pickelharte Recherche, gute Aufbereitung und internettaugliche Darstellung.

Da wir in der Schweiz sind, kamen keine grosse Skandale zum Vorschein. Aber genügend kleine.

ZACKBUM geht vorweihnachtlich gestimmt soweit zu sagen: falls Sie schon für uns gespendet haben, wäre Reflekt eine gute zweite Wahl. Zumindest viel besser als für ein anderes Erzeugnis, das auch mit R beginnt …

Take back control

Damit wurde die Brexit-Abstimmung gewonnen. Funktioniert das auch im Internet?

Das Folgende kann ein wenig technisch werden. Ist aber von brennendem Interesse für jeden Nutzer des Internets.

Immer noch viel zu viele Nutzer wiegen sich in der Illusion, dass das Internet im Prinzip gratis sei. Nette Menschen stellen Plattformen zum sozialen Austausch zur Verfügung, andere bieten umsonst E-Mail-Programme an, sogar das Suchen ist eine freundlich von Google geschenkte Maschine.

Quatsch. Es gibt Dienstleistungen im Internet, die mit Geld bezahlt werden, via Kreditkarte. Alle Dienstleistungen im Internet sind nicht kostenfrei. Sondern werden mit Daten, Profilen, Bewegungsmustern bezahlt. Das ist die neue Weltwährung, damit wird Wertschöpfung betrieben.

Das ist den meisten Nutzern egal. Immer öfter machen allerdings Nutzer die schmerzliche Erfahrung, dass es auch keine Anonymität im Internet gibt. Wilde Beschimpfungen, versteckt hinter einem Pseudonym, abgeschickt von einem Hotmail-Account? Im schlimmsten Fall steht die Polizei vor der Türe. Hättest an die individuelle IP-Adresse denken sollen, stupid.

Nun gibt es aber auch gute Gründe, wieso ein Nutzer tatsächlich dringend darauf angewiesen ist, dass man ihn nicht identifizieren kann. In erster Linie handelt es sich natürlich um Oppositionelle in Überwachungsstaaten wie China.

Dort herrscht nicht nur strikte Internet-Zensur, es wird auch versucht, jede nicht kontrollierte Aktivität zu unterbinden, und sei es auch nur ein Informationsaustausch. Als Gegenmittel zur totalen Überwachung gibt es Tor. Das ist ein Akronym für «The Onion Routing». Damit ist das Prinzip nicht schlecht beschrieben. Wie unter vielen Zwiebelschalen wird die Identität von Nutzern verschleiert.

Schutz der Privatsphäre gegen Kontrolle

Vereinfacht ausgedrückt schickt A nicht mehr direkt eine E-Mail an B, sondern die Message wird auf eine zufällige Route über Tor-Knoten geschickt, die normalerweise eine Rückverfolgung verunmöglicht. Aber diese Tor-Knoten sind öffentlich bekannt. Daher wurden sie beispielsweise von der chinesischen Internet-Zensur blockiert. Denn sie ermöglichten es auch, so auf Webseiten zu gelangen, deren direkter Zugriff ebenfalls blockiert ist.

Als Gegenmassnahme wurden sogenannte Tor-Brücken eingerichtet, die das wiederum umgehen. Es handelt sich also um den üblichen Kampf zwischen Zensoren und Widerstandsnestern gegen Zensur. Allerdings ist die Zahl dieser Brücken beschränkt, und die chinesische Internetpolizei fahndet nach ihnen als wäre es ein Stück aus der Science Fiction Serie «Matrix».

Wie bei allen Verschlüsselungs- und Verschleierungstechnologien ist auch Missbrauch möglich. Durch die weitgehende Anonymisierung der Teilnehmer ist Tor das Eingangstor zum Darkweb, wo alle Arten von kriminellen Produkten angeboten werden. Drogen, Waffen, Kinderpornografie, auf Marktplätzen finden hier Verkäufer und Käufer unter dem Schutz der Anonymität zusammen und erledigen die Transaktionen mit Kryptowährungen wie Bitcoin, die ebenfalls die Geschäftspartner anonymisieren.

Tor wird attackiert

Da Tor im Wesentlichen eine Freiwilligenveranstaltung ist, der Zugang frei, ist nicht nur durch chinesische Anstrengungen das Grundprinzip – freie und anonyme Nutzung des Internets, in Gefahr. Unterstützer von Tor fahren daher eine Kampagne, um möglichst viele neue Brücken zu bauen.

Andererseits gibt es ein Start-up aus der Schweiz, das ankündigt, die nächste Generation einer Infrastruktur zum Schutz der Privatsphäre zu bauen. Diesmal soll es allerdings nicht gratis sein, wie die Macher in einem Positionspaper festhalten.

Auf der anderen Seite sieht es ganz danach aus, als ob die hier verwendete Methode der Verschlüsselung und Anonymisierung der Nutzer zumindest zurzeit nicht knackbar ist. Zudem schafft Vertrauen, dass diese Plattform in der Schweiz, genauer in Neuenburg, entwickelt wird. Auf der anderen Seite steckt der Crypto-Skandal noch allen in den Knochen.

Auf jeden Fall ist das ein Krieg, der eine entscheidende Rolle in der Zukunft von dissidenten Bewegungen in Diktaturen spielen wird. Denn ohne unkontrollierten Informationsaustausch und ohne unkontrollierten Zugang zu Informationen kann es keine Opposition zu einem herrschenden Regime geben.

Aber möglicherweise wird die Rechenpower von Quantencomputern auch diesem Versuch zum Schutz der Privatsphäre den Garaus machen. Der dann durch den nächsten abgelöst wird.

Die Beute-Bronzen von Benin

Im Schlagabtausch über die Bührle Sammlung herrscht Begriffsverwirrung.

Der Populist mag’s vulgär. Raubkunst, abgepresst, Ausnützung einer Notlage. Verachtenswert, moralisch unter jeder Kritik.

Da ist die Welt heil und sauber in schwarz und weiss geteilt. Da kann man vor Rechtschaffenheit bebend im Nachhinein Oberlehrer spielen und von der Kanzel der guten Gesinnung Brandreden mit erhobenem, moralingetränktem Zeigefinger halten. Nur ist das ein fruchtloses Tun mit null Erkenntnisgewinn.

Wunderbar, dass wenigstens die NZZ* einem Fachmann Platz für Einordnung gibt. Der Autor Richard Schröder, emeritierter Professor an der Humboldt-Universität in Berlin und Theologe, weiss, wovon er spricht. Denn Berlin – und dort heute das Humboldt Forum – ist im Zentrum der Debatte um die sogenannten Benin-Bronzen.

Benin war ein Königreich in Westafrika, heute eine Provinz von Nigeria. Bronzefiguren schmückten damals den Palast und dienten auch als Kultgegenstände bei der Ahnenverehrung. Im Gefolge der Eroberung durch England fanden mehr als 3000 Exemplare ihren Weg nach Europa.

Und schon sind wir mitten in der Definitionsfrage. Raubkunst? Beutekunst? Konfiskation? Reparation? Privileg des Eroberers, sich schadlos zu halten? Rückgabe? An wen? Wer nicht oberflächliche Luftkämpfe mit Schlagworten gewinnen will, muss zuerst Begriffe ordnen.

Zunächst eine klare Auslegeordnung der Begriffe

Das Wort Raubkunst «wurde ursprünglich für Kulturgüter verwendet, die während des Nationalsozialismus geraubt» wurden, erklärt Schröder. Das war nicht kriegsbedingt, sondern eine Form von Gewaltanwendung des NS-Staates, vor allem gegen Juden.

Das macht die Verwendung des Wortes im kolonialen Zusammenhang und auf Afrika bezogen problematisch. Zudem stigmatisiert es Kriegsbeute; ein über Jahrhunderte, Jahrtausende übliches Vorgehen, auch bei innerafrikanischen Kriegszügen. Während ein Raub unter allen Titeln ein Straftatbestand ist, wer mit Geraubtem handelt, ein Hehler, war Beutemachen das «unbestrittene Recht des Siegers».

Bis zur Haager Landkriegsordnung von 1899. Noch Napoleon hatte in den von ihm eroberten Ländern massenhaft Kunstwerke als Kriegsbeute mitgenommen. Nun kann man solche Regeln für barbarisches Kriegshandwerk wohlfeil verurteilen; dabei übersieht man aber, dass völlige Regellosigkeit ein Synonym für Willkür und Barbarei ist.

«Man muss also Beute, die vor 1899 gemacht wurde, nicht zurückerstatten, aber man darf. Solche Rückgabe ist nicht zwingend und nicht erzwingbar, sondern eine Geste des Wohlwollens, die ihrerseits mit Wohlwollen sollte rechnen dürfen und nicht mit dem Vorwurf: «Ihr seid Diebe, Räuber, Hehler!» Man kann nicht gleichzeitig solche Vorwürfe erheben und mit Wohlwollen rechnen.»

Vom Feldherrenhügel der moralischen Überlegenheit herab …

Wer hier mit Steinen wirft, sollte nicht im Glashaus sitzen:

«Kriegsbeute zu nehmen und zu verkaufen, sahen die Könige von Benin als ihr selbstverständliches Recht an. Nach seiner Wahl wurde vom König erwartet, dass er sein Amtscharisma durch einen erfolgreichen Kriegszug beweist, den Kopf des Überfallenen und reichlich Gefangene zur Versklavung und Opferung heimbringt

Das darf natürlich nicht zu einem «die auch, wieso wir nicht» missbraucht werden. Zeigt aber, dass es – wie meist im realen Leben – komplizierter ist als «hier die räuberischen Kolonialisten, dort die edlen Wilden, denen ihre Kulturgüter geraubt wurden». Da verhält es sich ähnlich wie mit der Sklaverei. Die war – lange vor der Ankunft europäischer Kolonialherren – unter afrikanischen Stämmen völlig üblich, und diverse Völker wurden reich damit, den weissen Sklavenhändlern an der Westküste Afrikas ihre «Ware» zuzutreiben.

Das Wort «Raub» ist also bei näherer Betrachtung simplifizierend. Auch das Wort «Kunst» bedarf genauerer Definition in diesem Zusammenhang. «Geldwert erlangt ein Gegenstand, wenn er auf einem Markt nach Angebot und Nachfrage bewertet wird. Die Beniner Bronzegiesser gehörten zum Königshof und haben ausschliesslich für ihn gearbeitet. Bis 1897 waren ihre Produkte unverkäuflich. Soweit sie auf Ahnenaltären standen, hatten sie einen religiösen Wert, der sich in Geld so wenig ausdrücken lässt wie der Wert des Kölner Doms für die Domgemeinde.»

Nachdem solche Kultgegenstände lange Zeit als «Curiosa» galten und höchstens dazu dienten, in Museen ausgestellt zu werden, werden solche Benin-Bronzen heute für Millionen gehandelt:  «Erst der europäische Kunstmarkt hat die Benin-Bronzen in einem interkulturellen Zusammenspiel zu Kunstwerken geadelt und ihnen auf dem Kunstmarkt einen erheblichen Geldwert verschafft.»

Auch der Begriff Kunst bedarf der genaueren Definition 

Auch unser europäischer Kunstbegriff trifft auf viele solcher Artefakte nur bedingt zu, da er der Originalität und Einmaligkeit einen sehr hohen Stellenwert zumisst, zudem spielt Zweckfreiheit eine grosse Rolle. Hinzu kommt: «Die Objekte, die üblicherweise als afrikanische Kunst bezeichnet werden, wie Ahnenskulpturen, Zauberfiguren oder Masken aus den Dörfern, bestehen aus pflanzlichem Material. Sie sind dem Verfall ausgesetzt und müssen deshalb periodisch ersetzt werden, nicht durch eine Kopie, sondern durch einen Nachfolger.»

Alleine schon diese Erwägungen machen klar, dass das Hantieren mit dem moralischen Totschläger «Raubkunst» zwar die Chancen erhöht, in einer Debatte die Lufthoheit zu erobern, aber letztlich keinerlei Erkenntnisgewinn beinhaltet.

Als typisch westliche Arroganz wird natürlich auch denunziert, dass trotz den Verheerungen durch zwei Weltkriege viele dieser afrikanischen Artefakte bessere Überlebenschancen in einem europäischen Museum als in den ewigen Bürgerkriegswirren Schwarzafrikas hatten.

Schliesslich ist es bei den Juden und anderen Verfolgten des NS-Regimes gestohlenen Kunstwerken gelegentlich aufwendig, aber möglich, die ursprünglichen Besitzer (oder ihre Erben) ausfindig zu machen. Wer aber wäre der legitime Nachfolger des Oba, des Herrschers von Benin? Der nigerianische Staat?

 

Was der Begriff Raubkunst verschleiert», Gastbeitrag vom 30. November 2021, hinter Bezahlschranke.

 

 

 

Der Marathon Man

Hoch die Flaschen: «Inside Paradeplatz» feierte sein 10-jähriges Bestehen.

Lukas Hässig läuft und läuft und läuft. Vor genau zehn Jahren startete er mit «Inside Paradeplatz». Ein Finanzblog, der von Anfang an alles anders machte als die anderen. Über viele Jahre hinweg eine Einzelleistung. Schnell war es um 8 Uhr morgens klar, was immer mehr Banker taten: sie klickten drauf, um zu schauen, was Hässig schon wieder ausgegraben hatte.

Vasella, Vincenz, Thiam, nicht nur diese drei Spitzenkräfte verfluchen seine Recherchefähigkeiten, seinen Mut und seine Standhaftigkeit. In den guten alten Zeiten eines Lincoln Steffens (Kindersoldaten, googeln) nannte man das Muckraking. Dreck aufwühlen. Und Dreck gibt’s genug auf dem Finanzplatz Schweiz. Gleichzeitig beschämt Hässig immer wieder die gesamte Konkurrenz der Wirtschaftspresse mit seinen Primeurs.

Sein Stil ist inzwischen unverwechselbar. Kurze Sätze, Zweihänder statt Florett, Grenzgänge unter aufmerksamer Beobachtung aller Legal Departments auf dem Finanzplatz Schweiz. Dass der Journalist des Jahres, als die Auszeichnung noch etwas bedeutete, bislang nicht zu Tode prozessiert wurde, ist ein kleines Wunder.

Chapeau, auf die hoffentlich nächsten zehn Jahre. Mit Erlaubnis des Besitzers und Autors bringen wir hier seinen Geburtstagsartikel. Copy/paste, auch bei ZACKBUM.

Heute vor zehn Jahren begann Zürcher Banken-Blog. Am meisten gelesen wurden nicht Finanz-Stories, sondern solche zu Virus und Bersets Affäre.

23.11.2021 Lukas Hässig

Am 23. November 2011 hiess es hier „Ermottis Fehlstart“. Es gibt dazu einen Kommentar. „War dies der erste Artikel auf insideparadeplatz? Und noch kein Kommentar, unglaublich, das holen wir jetzt nach.“

Geschrieben am 24. September 2021. Einer von gut 300’000 Kommentaren.

Die Geschichte des Zürcher Finanz-Blogs war zunächst geprägt von Banken-Schliessungen und -Fusionen. Die Integration der Traditionsbank Clariden Leu bewegte deren Angestellte. Ihre Aufregung manifestierte sich in steigenden Leserzahlen.

Es folgte Wegelin, die wegen des US-Konflikts bei der Raiffeisen landete (2012), Vasellas Millionen-Konto (2013), die UBS Devisen-Manipulationen (2013), der CS-Steuer-Ablass in Amerika (2014) Dann der Vincenz-Skandal (2016), die EY-Lawine (2018), der Khan- Spionagefall (2019) mit Tidjane Thiams Fall (2020).

Am meisten gelesen wurden trotz diesen Highlights nicht Bankenartikel, sondern solche zu Covid-19 respektive Impfungen und die geheime Liebesbeziehung von Gesundheitsminster Alain Berset mit einer jungen Künstlerin, die vom Magistraten mit Polizei und Elitetruppe gejagt wurde.

„Pfusch mit R-Wert macht die Schweiz zu Geisterland“, ein Beitrag rund um Massnahmen aufgrund einer in der Covid-Krise berühmt gewordenen Messgrösse, schafft es laut Google Analytics auf Platz eins. Total Seitenaufrufe: 284’000. (Die auf IP ausgewiesenen Zahlen liegen tiefer; bei den älteren Stories, weil der Zähler-Mechanismus anfänglich nur ein paar Monate weit zurückreichte, bei den jüngeren, weil IP nicht alles gleich berücksichtigt wie das Analysesystem von Google.)

Mit einigem Abstand folgt auf Platz 2 der Artikel „Weltwoche-Bombe: Bersets Affäre wird Staats-Skandal“, erschienen vor rund 2 Monaten. Die Seite wurde online bis jetzt 212’265 Mal aufgerufen – Platz 2. Ebenfalls unter die ersten Zehn brachte es die erste Story zum Thema: „Bersets geheime Liebe ist bekannte Künstlerin“. Sie war schon letzten Dezember erschienen, nachdem die Weltwoche die Affäre des „Corona-Generals“ publik gemacht hatte. Platz 9, mit 95’270 Klicks.

Zurück zu den Top-Stories. Platz 3 fällt auf „Belegen tatsächlich ‚Ungeimpfte‘ die knapper werdenden Plätze?“. Die Frage stellte die Pharmazeutin Kathrin Schepis in ihrem „Standpunkt“ vom August 2021 und brachte es damit auf 201’516 Seitenaufrufe. Über 600 Kommentare folgten.

Platz 4 der Ewigen-Besten-Liste nimmt dann die Trilogie „Fall Vincenz: Wahre Geschichte“ ein, das bisher einzige zahlungspflichtige Angebot von IP als Dreiteiler zum Raiffeisen-Skandal, erschienen im Frühling 2018. Ab und zu bestellen Leser heute noch das pdf.

Weiter mit Raiffeisen-Storys, die offensichtlich bewegten. Auf Platz 5 der Top-ten findet sich „Crazy Guy hinterlässt Raiffeisen in Trümmern“ zum tiefen Fall des Saubermanns der Genossenschafts-Gruppe nach einem Liebesdesaster. Klicks: 101’833.

Auf Platz 6 folgt eine Geschichte aus der Feder eines Schreibers, der nicht mit Namen erscheinen konnte, der Redaktion aber bekannt ist und deshalb unter „Inside Paradeplatz“ diesen Frühling einen Standpunkt verfasste. „Mother Of All Short Squeezes“ lautete der Titel, es ging um sogenannte Meme-Aktien in den USA, die durch die Decke schossen und dank denen auch die „Gratis“-Plattform Robinhood durchstarten konnte. Total Aufrufe des Short-Squeeze-Stücks: 101’380.

Dicht dahinter eine nächste Love Affaire, jene des neuen Migros-Bank- Chefs mit seiner engsten Sekretärin, die in diesem Jahr im Zuge des Falls von Bord gegangen ist. „Migros-Bank-CEO vertuscht Verhältnis mit Sekretärin“ hat es bis heute auf 101’154 Aufrufe gebracht. Platz 7.

Bundesrat Bersets Ex-Beziehung gab dann wegen möglichen Links ins Basler Redlight nochmals zu reden. „Fall Berset: Spuren ins Basler Milieu“ erzielte 95’836 Seitenaufrufe – Platz 8, direkt vor dem bereits erwähnten Beitrag vor Jahresfrist zur „Künstlerin“ des SP-Manns.

Den zehnten Platz ergattert sich schliesslich bis jetzt am besten gelesene CS-Story. „Gottstein kündigt tiefere Boni für 2020 an“, hiess es hier vor 11 Monaten; der Bericht hat es auf 92’894 Seitenaufrufe geschafft.

Zum Schluss noch einen Rang mehr: Platz 11 fällt mit 88’368 Klicks auf die vor Jahresfrist erschienene Story „Anklage enthüllt: Vincenz grenzenlos bei Privat-Fun“. Diese ist insofern relevant, als gegen sie das Bezirksgericht Zürich, das die Vorwürfe kommenden Januar berät, Klage gegen den IPHerausgeber bei der zuständigen Kommission am Obergericht einreichte; weil sich der Schreibstil für einen akkreditieren Gerichtsreporter nicht gehöre. Das Obergericht gab dem protestierenden Bezirksrichter recht.

© 2021 Inside Paradeplatz

Packungsbeilage: René Zeyer schreibt unregelmässig, aber sehr gerne auf «Inside Paradeplatz».

Was ist Aufklärung?

In trüben Zeiten hilft klares Denken. Wie das von Immanuel Kant.

Am Sonntag kann man sich schon mal Zeit nehmen, sich an einer klaren Bergquelle der Erkenntnis zu laben. Das putzt die Gehirnwindungen durch und erhebt den Menschen ungemein.

Sollten die Klickraten nicht dadurch zusammenbrechen, könnten wir uns auch ohne Weiteres eine kleine Serie vorstellen.

Beginnen muss die mit dem wohl entscheidenden Versuch, die Grundlage unseres modernen Denkens in Europa und auf wenigen Inseln der Vernunft in der Welt zu definieren. Es geht um den Begriff Aufklärung. Um das, was auf Spanisch so schön «el siglo de la luz» heisst, das erleuchtete Zeitalter.

Als kühne Denker, herausragend die Enzyklopädisten um Denis Diderot, damit begannen, die Wirklichkeit an sich selbst zu messen. Keine meist religiös unterfütterten Setzungen mehr zu akzeptieren, sondern es mit etwas ganz Neuem, Subversivem zu probieren: dem eigenen Denken, dem Debattieren zwecks Erkenntnisgewinn. Mit der ersten Erkenntnis, dass nur so Fortschritt möglich ist.

Eine genial einfache Antwort auf eine schwierige Frage

Dennoch dauerte es bis in den Dezember 1784, also fünf Jahre vor der Französischen Revolution, dass ein deutscher Denker aus Königsberg die einfache Frage stellte: «Was ist Aufklärung?» Und sie in der «Berlinischen Monatsschrift» auf wenigen Seiten umfassend, gültig und bis heute beeindruckend beantwortete.

Eigentlich müsste man dieses Werk einfach wörtlich zitieren. Aber wir bieten es hier zum Nachlesen und auf ZACKBUM als Exzerpt.

Der Anfang ist ein geistiger Knaller auf der Höhe des Einstiegs in einen guten James-Bond-Streifen:

«Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.»

Diese Sätze sollte man sich heutzutage nichts nur sonntags immer wieder zu Gemüte führen. Sie sind auch in einigermassen gebildeten Kreisen, also unter Ausschluss der meisten aktuell tätigen Journalisten, bekannt. Etwas weniger bekannt ist die Fortsetzung:

«Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Theil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter majorennes), dennoch gerne Zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.»

In diesem Zustand, beklagt Kant 1784, befindet sich weiterhin der grösste Teil der Menschheit: «Ich habe nicht nöthig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.»

Immanuel Kant (1791).

Statt sich am Gängelband führen zu lassen, könne das «Publikum» sogar leicht zur Selbstaufklärung gelangen: «Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stükken öffentlichen Gebrauch zu machen.»

Gedanken über den Probierstein für Gesetze

Kant räsoniert dann ausführlich über die Pflicht, vorhandene Regeln zu befolgen, und die Freiheit, sich darüber auch kritische Gedanken zu machen. Werden solche Regeln in Gesetze gegossen, gilt laut ihm dabei nur ein Kriterium:

«Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte?»

Gegen Schluss stellt Kant die Frage: «Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung.»

Aber umso mehr man «von der Vernunft öffentlich Gebrauch machen» könne, desto mehr entwickle sich die Geschichte zu einem aufgeklärten Zeitalter.

War der Mann optimistisch. Als er 1804 starb, hatte er noch miterlebt, wie die Französische Revolution, dieser erste neuzeitliche Versuch, sich von Despotie, Willkür und Unterdrückung zu befreien, in einem Blutrausch und in Terreur endete, um schliesslich in Napoleon ihr nicht beabsichtigtes Ende zu finden.

Inseln im Meer der anbrandenden Dummheit

Im Jahr 2021, also genau 237 Jahre nach dieser phänomenalen Definition des Begriffs Aufklärung, sind selbst diese kleinen Inseln der Vernunft, der rationalen und wissenschaftlichen Welterklärung ohne Tabus, gefährdet.

An sie branden die Wellen des Meeres der Dummheit. Öffentlich wird immer weniger von der Vernunft Gebrauch gemacht. Die veröffentlichte Meinung, zumindest in den nach wie vor dominierenden Massenmedien und vielfach noch staatlich dominierten elektronischen Medien, regrediert immer mehr in obrigkeitshöriges Nachplappern, wird zur genauen Vermessung von Tabuzonen missbraucht. Vermischt moralische Kriterien, die hier nichts zu suchen haben, mit dem alten Geschäft von Verifizieren oder Falsifizieren.

Darüber finden aber immer weniger Debatten statt, sondern Setzungen. Es prallt nicht mehr das Richtige als der Sieger über das Falsche in freier Diskussion aufeinander, sondern das sich selbst genügende Gute erhebt sich über das selbst definierte Böse. Wobei das Gute selbstverständlich auch richtig ist, das Böse falsch.

Immanuel Kant würde wohl verzweifelt den Kopf schütteln, würde er dieses modernen Rückfalls in eine selbstverschuldete Unmündigkeit gewahr. Aber er wusste halt, dass Faulheit und Feigheit die grössten Feinde der Aufklärung waren, sind und bleiben.

Es darf gelacht werden: Papiermangel

Deutschland jammert, nun auch die Schweiz. Wenn für die Verrichtung das Papier fehlt.

Chips sind Mangelware. Intelligenz sowieso. Jetzt auch noch der Stoff, aus dem die Zeitungen und Zeitschriften sind. Wie persoenlich.com vermeldet, haben «20 Minuten», Tamedia, CH Media und NZZ angekündigt, dass die Zeitungsumfänge gekürzt werden.

Schuld daran sei ein allgemeiner Papiermangel, plus ein Brand in einer Zentralschweizer Papierfabrik. Nun haben es sich die Medien selbst zuzuschreiben, dass die spontane Reaktion ist: Fluch oder Segen?

Objekt der Begierde: Druckpapier.

Zum einen ist ja der grosse Vorteil des Internets, dass es unbegrenzt ist. Echt wahr. Da kann ein «Republik»-Redaktor noch so langfädig werden, es hat immer noch Platz für mehr. Obwohl das weniger ist, aber diese Dialektik versteht nicht jeder.

Auf jeden Fall gibt es nun weniger Papier. Das könnte nun zu einem neuerlichen Run auf Toilettenpapier führen, weil einige Konsumenten etwas missverstehen. Sie können immerhin die gute Entschuldigung verwenden, wenn man sie über das Missverständnis aufklärt: Wo genau ist der Unterschied?

Der Begriff «lügt wie gedruckt» kann allerdings nur mehr beschränkt verwendet werden. Wo weniger gedruckt wird, kann auch weniger gelogen werden. Überhaupt sind die Auswirkungen des Papiermangels ein Tummelfeld von dialektischen Widersprüchen.

Verwechslungen sind nicht ausgeschlossen.

Weniger Papier, weniger Platz für gedruckte Meinungen. Eindeutig ein Vorteil. Weniger Papier, mehr Platz für Buchstaben auf der Seite; es müssen nicht mehr halbseitige Porträtaufnahmen eines Bundesrats verbraten werden, um über die inhaltliche Leere hinwegzutäuschen.

Die Auswirkungen sind unüberschaubar

Allerdings, wenn es noch Fischhändler, Marktfrauen und Benützer des stillen Örtchens geben sollte, die Zeitungspapier als Allzweckwaffe einsetzen: was tun dann die? Plastik statt Papier, das lässt sich zum Einpacken verwenden. Aber zum Abwischen?

Ganz anderes Problem: Müssen dann Altpapiersammlungen unter strengen Schutzmassnahmen stattfinden? Also statt in Abfallwagen werden die wertvollen Papierbündel in gepanzerte Geldtransporter eingeladen?

Das ist natürlich nur die logische Konsequenz am Ende, vorher stellt sich die Frage: Wird Altpapier weiterhin gratis abgegeben? Oder müssen Papierbündel mit Geldbündeln abgelöst werden? Wird Altpapier gehortet, im Garten verbuddelt, in Tresorräume eingeschlossen? Wird es zur freiwilligen Bürgerpflicht erklärt, monatlich eine Minimalquote an Papier abzuliefern?

Wann werden Bücher rezykliert, wieso greift man nicht auf die altehrwürdige Herstellung von Papyrus zurück? Ist die Tradition der Verwendung von Tierhäuten zum Aufnotieren völlig vergessen gegangen? Dürfen wir an die ebenfalls altehrwürdige Methode des Palimpsests erinnern?

Könnte abgeschabt und wiederverwendet werden.

Kennt keiner mehr? Ist noch nicht so langer her. Mangel an Schreibunterlagen gab es immer wieder. Also schabte man den Text von Schriftstücken ab, oder man wusch sie, und schon war Platz für Neues geschaffen, hinweg mit dem Alten.

Viele Blätter eignen sich ebenfalls zum Beschriften, Strassenzüge, Häuserwände, eigentlich alle Oberflächen. Es muss ja nicht immer alles Gedruckte so hergestellt werden:

Kunst, Kunsthaus, Banausen

Der Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses ist ein Geschenk.

Es schmerzt, wenn man die Realität, die eigene Wahrnehmung mit der Darstellung in der Kunstwelt der Medien vergleicht.

In Tamedia erschien eine Hinrichtung des erweiterten Kunsthauses Zürich. Von einem Schmock. Einem geschmäcklerischen, übelgelaunten Redaktor, der wahrscheinlich darunter leidet, dass er für ein Feuilleton schreibt, das niemand mehr ernst nehmen kann, das weitgehend von München aus bestrichen wird, das eine Nullnummer wie Nora Zukker als Literaturchefin ausweist.

Also schlichtweg irrelevant geworden ist. Nein, schlimmer noch: lächerlich. Und wenn ein Journi etwas nicht verträgt, dann ist es, eine lächerliche Figur geworden zu sein. All diesen Frust lässt Christoph Heim an der Erweiterung des Kunsthauses aus. Dabei ist es ein Geschenk.

Wiederbegegnung mit alten Bekannten.

Am Wochenende ist offene Tür, und wer in diesen trüben Zeiten Erbauung und Bereicherung sucht (aber keinen Kant und solches Geschwurbel), der muss unbedingt und gratis den Neubau durchwandern. Das einzige Problem: es ist eine Überfülle, die sich bietet. Aber in so offenen und grosszügigen Räumen, dass selbst das wieder erträglich wird.

Man begegnet natürlich vielen alten Bekannten wieder, vor allem in der Sammlung Bührle, wo Weltberühmtes von Cézanne, van Gogh, Monet, Manet, Picasso und vielen anderen ausgestellt ist.

Huch, was macht denn Degas?

Darunter auch diese Figur von Degas; uns vorher nicht bekannt. Aber geradezu grossartig in ihrer heutigen Wirkung. Es wird nicht lange dauern, bis neben den üblichen Schmährufen (bäh, Bührle) hier noch der Ruf nach Wegschliessen erfolgen wird. Zumindest nach einer ausführlichen «Einordnung», «Klarstellung», Verurteilung. denn schwarz mit Röckchen, das geht nun gar nicht. Selbst wenn es von Degas ist, und überhaupt, wer war denn das?

Unmögliches von Edgar Degas.

Wer ist denn das heute, im Vergleich zu den verletzten Gefühlen von Fremdschämern und Fremdleidern und Entdeckern von Bauchnabelschmerzen?

Kunsthaus macht gute Lauen und Lust auf Da capo

Aber davon wollen wir uns die gute Laune nicht verderben lassen. Zürich, nicht gerade arm an Attraktionen, ist um eine reicher geworden. Im Vergleich zur Unterstützung von Genderwahn, angeblichen Hassverfolgungswebseiten und ähnlichem Unsinn handelt es sich hier endlich mal um sinnvoll angewendete Steuerfranken. Dass der Zürichberg auch noch seinen Obolus entrichtete, weil Bührle, dem das Kunsthaus in der Vergangenheit viel Geld zu verdanken hatte, nicht mehr lebt, ist auch schön.

Licht, luftig, Raum für Fantasie.

Der politischen Korrektheit geschuldet ist ein ganzer Raum, der das Leben, die Einkünfte und die Problematik von Bührle nachzeichnet. Kann man machen, muss man nicht machen. Aber die übrigen Ausstellungen, jeweils thematisch Leihgebern gerwidmet, sind nun keinesfalls ein Rückfall in den Feudalismus. Sondern erlauben vielmehr, die unterschiedlichen Geschmäcker, Vorlieben der verschiedenen Kunstsammler zu entdecken.

Das schafft Raum auch bei Grossandrang.

Also ein Ort zum Wiederkommen, Wiedersehen, Wiederentdecken, Wiedergeniessen.

Das gehört nicht nur den «happy few», sondern allen.

Aber hallo, liebe NZZ

Der neue Feuilletonchef Benedict Neff langt kräftig zu. Bravo.

Es herrscht Elend, Zähneklappern, Gewäffel und Gejammer auf dem Schweizer Medienmarkt. In einer seltsamen Volte werfen sich Linke und Alternative dafür in die Schlacht, dass schwerreiche Medienclans mit Steuermilliarden unterstützt werden.

Geschenke für Multimillionäre, was für eine Verwirrtheit, was für ein Verrutschen aller Massstäbe. Das ist bei der NZZ entschieden anders. In jeder Beziehung. Denn der NZZ-Verlag ist ausgesprochen für das verabschiedete Mediengesetz als «Kompromiss», und somit entschieden gegen das ergriffene Referendum.

Was bei Tamedia, CH Media oder Ringier völlig ausgeschlossen wäre, ist bei der NZZ offenbar gelebte Liberalität. Schon der zweite Redaktor knallt den Befürwortern der Steuermilliarde schwer eine vor den Latz.

Spitzenleistung an Klarsicht.

Der neue Feuilletonchef langt richtig zu

Diesmal ist es immerhin der frischgebackene Feuilleton-Chef Neff. «Die verlorene Glaubwürdigkeit der Schweizer Grossverleger», so lautet der Titel seines Kommentars, und in dieser Preislage geht es weiter.

Neff bringt die Schizophrenie auf den Punkt:

«Die geplante Förderung der Schweizer Medien droht an der Urne zu scheitern. Und dies zu Recht. Aus liberaler Sicht sind die Subventionen abzulehnen. Aber auch Linke dürfen sich fragen: Brauchen schwerreiche Unternehmer wirklich Staatshilfe?»

Natürlich nicht, erklärt Neff. Mehr noch; die Verlegerclans würden immer mit der Wichtigkeit ihrer Aufgabe hausieren gehen und damit, dass die Glaubwürdigkeit das grösste Kapital der Medien sei. «Umso mehr wundert man sich, dass der Verlegerpräsident und seine Verbandskollegen so fahrlässig mit der Glaubwürdigkeit des Journalismus umgehen.» Zack.

Im Gegensatz zum Gesülze von Linken und vom Verlegerverband bringt es Neff auf den Punkt:

«Bei den Familien Coninx (TX Group), Ringier (Blick) und Wanner (CH-Media) handelt es sich um reiche bis schwerreiche Familien, die über Jahrzehnte vorzüglich am Mediengeschäft verdient haben und immer noch gut verdienen.»

Neff zieht den Exponenten dieser schwerreichen Familien die Hosen stramm. Sowohl Ringier-CEO Marc Walder wie Pietro Supino von Tamedia sprächen von «primitivem Populismus» der Gegner der Mediensubventionierung, von «purer Polemik». Neff: «Mit Stilkritik reagiert oft, wer nicht in der Lage ist, die Argumente des Gegners auseinanderzunehmen.» Tschakta.

 

Clanbildung ist in Schottland gut, aber nicht in den Medien.

Neff verarbeitet die wenigen Argumente der Befürworter zu Kleinholz

Neff hat einen Lauf:  «Für die Glaubwürdigkeit privater Medienunternehmen ist die grösstmögliche Unabhängigkeit von zentraler Bedeutung.»

Der Coninx-Clan würde von der Medienförderung am stärksten profitieren, konstatiert Neff, dabei kontrolliere der Clan bereits 40 Prozent der veröffentlichten Meinung in der Deutschschweiz und 70 Prozent in der Westschweiz.

«Wer glaubt, dieses Zeitungskonglomerat habe sich in den letzten Jahren um den Journalismus besonders verdient gemacht, irrt. Obwohl sich der Verlag ein eigenes Korrespondentennetz gut leisten könnte und dies der Förderung von Schweizer Journalisten zweifellos dienen würde, stammt der Ausland-Teil bis auf wenige Artikel aus der «Süddeutschen Zeitung».» Zackbum.

Die TX Group habe dabei nach den Regeln des Kapitalismus gespielt, Marktanteile aufgekauft und die Kosten gedrückt. Alles erlaubt.

«Stossend und bigott wird es aber, wenn ein solches Unternehmen die hohle Hand macht und die Steuerzahler bittet, für die angeblich notwendigen Investitionen aufzukommen, die es selbst schon lange nicht mehr tätigen will.»

Dass hier die «Republik» und Tamedia vereint im Kampf für die Steuermilliarde seien, das ist in den Augen Neffs wirklich nur noch ironisch zu verstehen. «Die klassenkämpferische Attitüde der «Republik»-Journalisten ruht in diesem speziellen Fall aber: Gemeinsam mit Supino freut man sich auf die künftigen Millionen.»

Mit liebevoller Unterstützung der Klassenkämpfer von der «Republik».

Fazit: «Dass die Verleger nicht die Kraft haben, sich aus der Umarmung der Politik zu befreien, ist bedauernswert.» Das nennt man mal eine Breitseite, einen Blattschuss. Ein Kommentar zum Einrahmen.

Es ist auch mehr als ironisch, dass einzig die NZZ, von Linken gerne bis heute als Sprachrohr des Kapitals geschmäht, so klare Worte findet. Gegen die Interessen des Kapitals, gegen den eigenen Verlag, der sich auch auf Subventionsmillionen freut.

Die NZZ erledigt die Denkarbeit und kritisiert die Unterstützung reicher Clans mit einer Steuermilliarde. Linke Exponenten werfen sich für Multimillionäre in die Bresche. «World gone mad», so nannte der alte Weise Bob Dylan vor Jahren eine Song-Sammlung. Wie recht er doch hat.

Freude herrscht: Die Ostschweiz lebt

Medial gute Nachrichten. Wenn nur dieser Dialekt nicht wäre.

Zunächst die Packungsbeilage: ZACKBUM-Redaktor René Zeyer schreibt auch für «Die Ostschweiz».

Höchstwahrscheinlich liegt es daran, dass das muntere Online-Magazin gerade vermeldet hat:

«Mehr als eine Million Leser oder «unique user» haben unsere Seite in diesem Monat besucht.»

Und der Monat September ist noch relativ jung.

Diese gute Nachricht wurde am 20. veröffentlicht, das bedeutet, dass es wohl bis Ende Monat locker 1,5 Millionen werden können.

 

Das ist ohne Zweifel eine Erfolgsgeschichte. Im April 2018 gestartet,  bald einmal konnten 20’000 Leser pro Monat vermeldet werden. Pipifax, im Vergleich zu den aktuellen Zahlen. Diese Million ist aus mehreren Gründen bemerkenswert.

Hoch die Flaschen!

Wenig Mittel, grosser Erfolg

«Die Ostschweiz» konzentriert sich (fast) ausschliesslich auf die Ostschweiz. Lokales, Lokales, Lokales, bis hinunter zu Polizeimeldungen über Unfälle und Verbrechen. Insgesamt arbeitet nur eine Handvoll Leute mit, der Inhalt wird im Wesentlichen von Chefredaktor Stefan Millius plus ein, zwei, Mitarbeitern abgefüllt.

Mit Vorsicht, aber beharrlich wurden sogenannte Extension Lines ausgefahren, so ein Printprodukt. Von Anfang an verstand sich die «Ostschweiz» als Forum, eine Lieblingsidee am Anfang war, möglichst viele Kolumnisten, meinungsstarke Autoren zu versammeln. Eine geplante Diskussionsreihe fiel (bislang) der Pandemie zum Opfer.

Nachdem einige konservative Stimmen diese Gelegenheit ergriffen hatten, verabschiedeten sich dann leider – aber nicht untypisch – diverse linke Meinungsträger, da wollten sie nicht teilhaben. Dahinter stand sicher auch die Überlegung, dass das St. Galler «Tagblatt» der Platzhirsch in der Ostschweiz sei und bleibe. Die «Ostschweiz» hingegen ein Randphänomen.

Den langjährigen Platzhirsch bereits hinter sich gelassen

So kann man sich täuschen. Online hat die «Ostschweiz» das «Tagblatt» bereits überrundet, und die Eingemeindung ins CH Media-Reich mitsamt in Aarau hergestellter Einheitssosse, hat dem «Tagblatt» auch nicht viel Sympathie eingebracht. Tiefflieger wie die publizistische Leiter nach unten Pascal Hollenstein oder ein einseitig meinungsstarker Chefredaktor (wovon eigentlich?), der Verzicht auf jeglichen Anspruch, gerade in der Frage der Corona-Massnahmen ein Forum für divergierende Meinungen zu sein, hat dem «Tagblatt» weiter geschadet.

Nicht zuletzt ist der Unterschied auch: Die «Ostschweiz» ist gratis, das Tagblatt kostet rund 500 Franken im Jahr. Auch der Chefredaktor der «Ostschweiz» macht aus seiner (dezidiert kritischen) Meinung zur Coronapolitik des Bundesrats kein Hehl. Da er aber nicht nur eine Meinung hat, sondern auch Ahnung und seine Artikel meinungsstark, aber faktenbasiert sind, konnte sich die «Ostschweiz» auch als Plattform für abweichende Ansichten profilieren – über die Ostschweiz hinaus.

Als Sahnehäubchen ist es seit einiger Zeit so, dass das «Tagblatt» kaum eine Gelegenheit auslässt, an der «Ostschweiz» rumzumäkeln. Nicht nur ein schwerer strategischer Fehler, denn der «Tagblatt»-Abonnement fragt sich natürlich, warum er für die Darstellung dieser Fehde einen Haufen Geld abdrücken soll. Das Gezeter bedeutet auch, dass die «Ostschweiz» zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz geworden ist.

Es gibt Leben im Internet – und Ziele

Sicher, bis zu den rund 140 Millionen monatlichen Online-Lesern von «20 Minuten» ist’s noch ein Wegstückchen hin. Aber wer weiss …

Unabhängig von persönlichen Präferenzen von ZACKBUM ist es einfach so, dass diese Plattform beweist, dass es Leben im Internet gibt – jenseits von Google, Facebook und dem Gejammer der grossen Medienclans der Schweiz, die sich eine weitere Milliarde Steuergelder als Subventionen einverleiben möchten.

«Die Ostschweiz» als Gratisangebot würde dabei – wie auch ZACKBUM – leer ausgehen. Auch das macht diese Subvention so fragwürdig. Versagen wird belohnt, Erfolg bestraft.

Aber unabhängig davon zeigt die «Ostschweiz» – und das ist der Aufsteller – dass es möglich ist. Von null auf eine Million, eher 1,5 Millionen in dreieinhalb Jahren, das ist ein starkes Stück. Erfolgsgeheimnis?

Keinerlei Erfolgsgeheimnis

Überhaupt kein Geheimnis. Harte Arbeit, das Einhalten journalistischer Minimalstandards, Meldung und Meinung schön austariert, klare USP – Ostschweiz, immer Ostschweiz, abgesehen von ein paar Pausenclowns wie Zeyer –, Kontinuität, Professionalität und einen guten Sprutz Herzblut.

Dem normalen Medienmanager eines der drei Grossverlage oder der NZZ ist es letztlich egal, welche journalistische Leistung sein Konzern erbringt. Die Kohle fliesst sowieso schon durch andere Aktivitäten als Journalismus rein. Das Gehalt ist üppig und kommt pünktlich, geht was in die Hose, kräht man nach Hilfe von Vater Staat.

Das ist bei der «Ostschweiz» alles anders, und genau deshalb ist sie erfolgreich. Das Modell ist sicherlich exportierbar – auch in Gegenden ohne diesen Akzent. Es belegt die in sich ruhende Lahmarschigkeit der Medienmanager, dass sie seit Jahren keine einzige eigene Idee produzierten. Alles Neuere wie «20 Minuten» oder die meisten Handelsplattformen: eingekauft. Zukaufen, Zusammenlegen, Runtersparen aufs Skelett. Damit wird’s natürlich nichts mit erfolgreichem Journalismus.

«Die Ostschweiz» beweist, dass das kein Naturgesetz ist.