Emma ist immer für Euch da

Ein abschreckendes Interview reicht nicht. Da muss ein zweites her.

Über 500 Treffer in den letzten sechs Monaten zeigt die Datenbank SMD, wenn man Emma Hodcroft als Suchbegriff eingibt. Das letzte Mal wurde sie bei Tamedia als Antwort auf ein Interview des völlig unbekannten WHO-Sondergesandten in Sachen Corona von CH Media in Stellung gebracht.

Die Erkenntnisse hielten sich aber in sehr überschaubaren Grenzen. Auf der anderen Seite ist dieser Auftritt schon fast einen Monat her, und Hodcroft steht seit Ende November in scharfer Konkurrenz. Denn seither arbeitet sie als Postdoktorandin am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Uni Bern.

Da schiebt sich Christian Althaus in die öffentliche Poleposition; als Twitter-King aller Corona-Unken, als jemand, der 2000 Tweets später gelernt hat: Sag’s einfach, sag’s aufregend, sag’s düster. Und zähle drauf, dass du damit in die Medien kommst; welchen neuen Quatsch du erzählt hast, interessiert morgen keinen mehr.

Da muss Hodcroft, die (noch) nicht Mitglied der grossartigen Taskforce to the Bundesrat ist, natürlich antreten. Aber Twitter ist ziemlich besetzt, da können es nur zusätzliche, regelmässige, lange, langfädige, langweilige Interviews tun.

Während die anderen erschlaffen, grätscht Hodcroft rein

Nun gibt es scheint’s eine – völlig übliche – Mutation des Corona-Virus, und irgendwie haben sowohl Salathé wie Althaus wie die Taskforce den Einsatz verpasst. Da grätscht natürlich Hodcroft hinein.

Denn die bange Frage ist: Gibt’s die Mutation auch schon in der Schweiz, oder kommt sie demnächst? Leider weiss auch Hodcroft nichts Genaueres, aber immerhin ist sie Epidemiologin, das reicht doch, um mit einer neuen Nullaussage in die Medien zu kommen: die neusten Genomanalysen in der Schweiz stammten vom 19. November und umfassten nur eine kleine Auswahl an Covid-Patienten.

Dennoch vermutet Hodcroft, dass das Virus

«möglicherweise bereits in der Schweiz» sei.

Mit dieser Hammer-Erkenntnis schafft sie es immerhin in so ziemlich alle Medien; von SRF über «watson», «20 Minuten», NZZ und immer wieder ins Newsnet von Tamedia. Denn die Thematik «impfen, und wenn ja, warum nicht oder so?» braucht natürlich auch fachmännischen Ratschlag.

Die Taskforce verteidigt ihre Stellung – mit 100 Tweets

Und wer mal in der Pole-Position sitzt, wenn spätestens der Chefredaktor verlangt: Da muss noch eine Expertenmeinung her, bei dem klingelt es ständig in der Mailbox. Und da weder Hodcroft noch ihre Genfer Konkurrentin Isabella Eckerle in der Taskforce sitzen, twittern auch sie, was das Zeug hält.

Denn obwohl sich die Taskforce eigentlich jeder öffentlichen Stellungnahme – ohne Rücksprache mit dem BAG – enthalten sollte, twittern ihre Mitglieder munter drauflos; fast 100 Tweets – pro Tag. Dagegen versucht Hodcroft, mit Emotionalität anzukämpfen; so bemerkte die NZZ in einer grossen Untersuchung des Twitterverhaltens von Wissenschaftlern bei ihr spitz: «Emma Hodcroft klärt uns unter anderem über ihre Pläne für den Weihnachtsrummel auf, und sie lässt uns am Schicksal ihres Laptops teilhaben.»

Dass jeder Wissenschaftler – und auch jede Wissenschaftlerin – einen Platz an der wärmenden Sonne medialer Aufmerksamkeit sucht, ist menschlich verständlich. Karriere, Forschungsgelder, Wichtigkeit. Wieso angebliche Qualitätsblätter ihnen aber immer wieder Gelegenheit zum Luftbacken geben, das ist unverständlich.

Wir holen uns ein paar Nullaussagen ab

Janine Hosp, die aktuelle Interviewerin, ist seit 25 Jahren bei Tamedia. Mehr Qualifikation für ein Epidemie-Interview ist nicht zu erkennen. Aber Hodcroft macht es ihr auch leicht. Denn sie sagt mit wissenschaftlicher Klarheit:

«Niemand will einen harten Lockdown. Aber wenn das mutierte Virus tatsächlich in der Schweiz entdeckt wird und sich rasch ausbreitet, dann werden wir wohl keine andere Wahl mehr haben.»

Das schafft nur eine Postdoktorandin: Ein Satz mit drei Konjunktiven oder Relativierungen. Damit ist er ungefähr so aussagekräftig wie dieser Satz: Wenn morgen Wolken entdeckt werden und sich rasch ausbreiten, dann werden wir wohl keine andere Wahl haben, als die Regenschirme aufzuspannen.

Liebe verzweifelte Redaktoren: Man muss auch mal den Mut zur Lücke haben. Dank 25-jähriger Karriere kann sich Hosp sicher noch erinnern: Es gab mal Zeiten, da wurde ein unergiebiges Interview einfach gespült, dem Leser erspart. Heute wird er lieber damit gequält; Leistung, Output, Klickzahlen.

Keine deutsche Wertarbeit

Eine Qualitätszeitung braucht Qualitäts-Korrespondenten. Theoretisch.

Eigentlich ist das grosse Unternehmen Tamedia in den USA mit eigenen Korrespondenten nicht schlecht bestückt. Umso erstaunlicher, dass es auch hier deutsche Dummschwätzer von der «Süddeutschen Zeitung» in die eigenen Spalten lässt.

«So sterben Demokratien», raunte Hubert Wetzel noch vor einem Monat, der grosse Analytiker der SZ (und damit auch von Tamedia) in Washington. Das ist glücklicherweise dummes Geschwätz von gestern: «Die USA sind im Grossen und Ganzen eine erfolgreiche, stabile Demokratie», säuselt er inzwischen.

Leichte Unsicherheiten zeigt aber der Tagi bei der Titelsetzung. Hiess es noch in der ersten Version «Die US-Demokratie besiegt Donald Trump – und die Republikaner», ist das Qualitätsblatt inzwischen auf den Titel der SZ eingeschwenkt: «Die Demokratie funktioniert doch». Auch die Oberzeile «Analyse» sorgte offensichtlich für so viel Gelächter, dass sie durch ein neutrales «Wahlen in den USA» ersetzt wurde.

Ein deutscher Oberlehrer erklärt den Amis die Demokratie

Es ist immer wieder erfrischend, wenn ein deutscher Oberlehrer, der neben dem Untertan in jedem Teutonen steckt, den Amis mit erhobenem Zeigefinger erklärt, wie Demokratie so geht – und wie nicht. Nur 75 Jahre, nachdem die Amis, zusammen mit der UdSSR, den Deutschen mal wieder Demokratie einbläuen mussten – wogegen sich die Reichsbürger bis zum Letzten wehrten.

Seinen übrigen unangenehmen Eigenschaften hat Wetzel eine weitere hinzugefügt: Er ist auch noch Hellseher. Denn um mit seiner «Analyse» vorne dabei zu sein, ging er Montagmittag davon aus, dass die Wahlmänner mehrheitlich für Biden gestimmt hätten – obwohl diese Formalie noch bis am Abend in vollem Gang war. Man sollte Wetzel hören, wenn Venezuelas Maduro oder Russlands Putin ohne – das sowieso schon vorher feststehende – Wahlresultat abzuwarten, es verkünden würden, bevor der Wahlprozess beendet wäre.

Aber Wetzel hat alle Hände voll zu tun, den USA zu erklären, was demokratisch geht und was nicht. So habe Trump versucht, «durch Tricks im Amt zu bleiben, die vielleicht legal waren, aber auf keinen Fall legitim». Nun ja, Trump ist mit all seinen Versuchen gescheitert, das Wahlergebnis auf dem Rechtsweg anzufechten. Das zeigt einmal mehr, dass er ein Loser, aber gleichzeitig ein schlechter Verlierer ist. Aber dass ihm ein Deutscher Bescheid stösst, was legal und was legitim sei, das hat er nicht verdient.

Crescendo gegen die Republikaner

Wetzel neigt dazu, sich zuerst warmzuschreiben, um damit ein geradezu wagnerianisches Finale con tutti einzuleiten. Da Trump ja bald Geschichte ist, konzentriert Wetzel seinen analytischen Muskel auf die Republikaner. «Schamloser Angriff auf einen Eckpfeiler der amerikanischen Demokratie, ein blanker parteipolitischer Stunt», schäumt Wetzel auf.

Dabei haben sich bloss ein paar republikanische Parlamentarier einer völlig legalen (aber wohl nicht legitimen) Klage in Texas gegen das Wahlergebnis angeschlossen. Was sowohl ihr politisches, wie auch juristisches Recht ist. Ob es schlau ist, wäre eine andere Frage.

Das führt Wetzel, mit einem Zwischenschritt, zum üblichen Crescendo am Schluss. «Demokratie überlebt nur, wenn es genügend Demokraten gibt.» Ein grossartiger Satz von einem Deutschen, in dessen jüngerer Vergangenheit es mehrfach nicht genügend Demokraten gab. Im Gegensatz zu den USA, dort ist die Tradition seit 1776 ungebrochen.

Huldigen die Republikaner einem Möchtegernautokraten?

Nun sei aber nicht mehr ganz klar, ob die «Republikaner noch eine demokratische Partei sind». Oder doch nur «ein Führerkult, der einem Möchtegernautokraten huldigt». Gut, das Wort Führer habe ich reingeschmuggelt, weil es sich Wetzel nicht zu schreiben traute.

Mal für Mal keine deutsche Wertarbeit, sondern die Wiederbelebung des hässlichen Deutschen. Rechthaberisch, überheblich, formt die Realität nach seiner Vorstellung. Als Korrespondent sollte man – dafür ist man vor Ort – dem Leser seine Umgebung verständlich machen, erklären, einordnen. Da ist Wetzel ein Vollpfosten, rausgeschmissenes Geld. Hier gäbe es bedeutendes Sparpotenzial. Zumindest, was die Belästigung durch sein Gefuchtel in Schweizer Medien betrifft.

Ätzend, neutral, anbiedernd

Nachrufe à la Tagi, NZZ und Blick über Lucien Favre.

Der Bundesligafan aus der fernen Schweiz hatte es am Wochenende wieder mal ziemlich schwer. Zwar holte sich Union Berlin mit Trainer Urs Fischer aus Zürich-Affoltern einen Punkt gegen den Ligakrösus Bayern München. Aber am Sonntagmittag wurde Lucien Favre bei Borussia Dortmund entlassen. Die 1:5-Pleite gegen den Aufsteiger VfB Stuttgart war eine zu viel, wie es jeweils heisst. Wie so oft, wussten natürlich alle Sportjournalisten sofort, warum die sofortige Trennung die beste Lösung für den Malocherclub aus dem Ruhrpott ist. Oder wie es wir Schweizer bezeichnen: «Es ist der Totomat, der zählt», frei nach dem FC-Sion-Präsident Christian Constantin.

Eismeister Klaus Zaugg

Sportjournalisten sind ein spezielles Völkchen. Redaktionsintern stehen sie knapp über dem Autojournalisten, aber weit unter dem Ausland, der Wirtschaft und sogar der Kultur. Immerhin: Weil nichts älter ist als eine Sport-Vorschau nach dem Rennen, dem Match, dem Lauf, kann man sich viel erlauben. Paradebeispiel ist natürlich Doyen Klaus Zaugg. Er hat seine Sporen beim «Sport» abverdient und bekommt heute sein Gnadenbrot bei «Watson». Zwar schreibt er oft originell. Aber oft auch einen solchen Stuss, dass er nicht mehr ernst genommen wird in der Sportcommunity, geschweige denn von den Medienchefs in den Eishockeyvereinen. «Warum der SCB-Trainer gehen musste» oder «Warum sich Florence Schellings Wahl bis 2025 auszahlen wird» sind typische Arbeitsproben von «Bandengeneral und Eismeister» Zaugg.

Doch zurück zur Entlassung von Lucien Favre, dem international erfolgreichsten Schweizer Fusssballtrainer. Wie berichten die NZZ, der «Tagi» und der Blick? Interessanterweise höchst unterschiedlich.

Vorbildlich die NZZ. Stefan Osterhaus, seit vielen Jahren verlässlicher Bundesliga-Korrespondent der NZZ, schrieb am Montag einen differenzierten Nachruf. Er skizzierte die Ambivalenz der Klubführung und der Fans zum Thema Favre. Sein Fazit: Immerhin hatte man die vergangenen zwei Saisons unter Favre so viele Punkte geholt wie nie zuvor. Aber man wurde «nur» Zweiter. Am Dienstag folgte eine launische, aber faire Aufstellung über den Trennungsschmerz, den Favre bei seinen Abgängen seit dem Jahr 2000 ausgelöst hat. Etwa bei Yverdon, dem FCZ, Hertha Berlin und bei Mönchengladbach.

Ganz anders und viel ungnädiger der Tages-Anzeiger. Der Sonntagsdienst bediente sich schnöde bei der «Süddeutschen» und rückte den bösartigen Verriss eines Freddie Röckenhaus ins Batt. Röckenhaus, 64-jährig und in Dortmund geboren, zog über Favre her, wie das nur ein eingefleischter «Schwarz-gelb»-Fan tun kann. «Ein letzter Gruselschocker», so der Titel des Favre-Verrisses. Es ist immer sehr einfach, Entscheidungen zu kommentieren. Noch ein Beispiel: Endlich weg, «nun muss der sportliche Scherbenhaufen zusammengekehrt werden». Kein nettes Wort über den feinfühligen Romand. Nur «Stagnation und Verwirrtheit», so Röckenhaus. Für ihn als BVB-Fan ist die Sache sowieso einfach. Er wird wohl nie wieder zu tun haben mit Lucien Favre.

Das mit dem «aus den Augen, aus dem Sinn»  ist beim Blick nicht ganz so sicher. Fussball-Chef Andreas Böni würdigte Favre denn auch so: «Was Favre mit Spielern wie Jadon Sancho, Erling Haaland oder Giovanni Reyna gemacht hat, verdient grossen Respekt und Anerkennung. Auch wenn der BVB nun nach dem 1:5 gegen Stuttgart die Reissleine gezogen hat: Favre kann den Ruhrpott erhobenen Hauptes verlassen.»  Böse Zungen sagen nun aber, dass Favre ja dereinst Basel, YB oder seinen Stammverein Servette übernehmen könnte. Und dann muss man es als Blick gut haben mit dem Trainer in der kleinen Schweiz. Ausser er heisst Artur Jorge.  Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

In einer ersten Version war der Nachname von Andreas Böni (Blick) falsch geschrieben.

Von der Parteipresse zum Medienmonopol

Der Bündner Journalist Hansmartin Schmid hat die Churer Presse historisch aufgearbeitet.

Mit seinem kantigen, bündnerdeutsch eingefärbten «Hauchdeutsch» ist er den älteren TV-Zuschauern noch ein Begriff. Der aus Chur stammende Hansmartin Schmid. Er startete seine Karriere als Printjournalist und war dann viele Jahre für SRF als Korrespondent aus Graubünden, Rom, Bern und Bonn (damals noch Hauptstadt der BRD) im Einsatz. Sein Markenzeichen: Die Schirmmütze. Nun hat der 81-jährige Historiker ein besonders für Medienschaffende interessantes Werk herausgegeben. «Die Geschichte der Churer Presse – von 1797 bis zur Gegenwart». Das handliche, 80-seitige Büchlein ist auch darum speziell, weil es zu jeder der 28 beschriebenen Zeitungen seit 1797 ein abgedrucktes Titelblatt gibt. Für den Schnellleser, eine Spezies mit wachsender Ausbreitung, ist das besonders spannend. Die Titelblätter geben einen Überblick über die jeweiligen Stile der Zeitungssetzer. Das Buch ist aber auch eine Ehrerbietung an all die mutigen Zeitungsmacher der letzten 220 Jahre. Man findet quasi Eintagsfliegen, die schon um 1800 ähnlich lange wie kürzlich die Basler «Tageswoche» (2011-2018) durchhielten. Etwa die Churer Zeitung (1799-1806) oder der Volksfreund (1878-1885). Bis in die 1930er Jahre war die aus heutiger Sicht nur schwer lesbare Frakturschrift Standard. Dafür wurde noch selber in die Tasten gehauen, oft vom Verleger persönlich. Später machte man es sich einfacher.

Viele Agenturmeldungen prägten die Titelseite der Bündner Zeitung in den 1970er Jahren.

So sind die Texte des Bündner Tagblatts von 1987 auf Seite 1 allesamt von der Schweizerischen Depeschen- oder der Deutschen Presseagentur. Das ist bei der Bündner Zeitung von 1975 nicht anders. Dort kommen die Artikel von Reuter und von der DDP.

Eigentlich erstaunlich, ist doch jene Ausgabe vom 3. Januar 1975 die erste gemeinsame Ausgabe der bisherigen Konkurrenten «Neue Bündner Zeitung» und «Der Freie Rätier». Waren damals die Redaktionen so klein oder so faul? Oder wollte man die grosse Welt markieren, hatte aber keine Korrespondenten?

Braver Verlautbarungsjournalismus

Hanspeter Lebrument, heutiger Quasi-Monopolist der Churer Medienwelt, hat durchaus recht, wenn er im Nachwort davon schreibt, dass bis weit in die 1970er Jahre die Zeitungen parteipolitisch gefärbt waren. «Die Zeitungen transportierten die jeweilige Parteimeinung, übten sich in bravem Verlautbarungsjournalismus und huldigten ansonsten der Aussenpolitik», so Lebrument (79). Ob die heutigen Monopolisten auf dem Platz Chur – die Südostschweiz und das Bündner Tagblatt aus dem Haus Lebrument – wirklich kritischer sind? Wenn Frau Martullo-Blocher ruft, wird pariert. Die Ems-Chemie ist die grösste private Arbeitgeberin des Kantons. Auch der Konkurs einer Sägerei, die den Steuerzahler gut 23 Millionen Franken kostete, wurde vor einigen Jahren nicht kritisch beleuchtet. Zu sehr hing die Kantonsregierung im Schlammassel mit drin.

Viva war der Stachel im konservativen Chur

A propos kritische Zeitungen. Eine in den wilden 70er und 80er Jahren erscheinende Zeitung ist bei der Aufstellung vergessen gegangen, wie Hansmartin Schmid auf Anfrage sagt. Es war das «Viva». Zwischen 1972 und 1988 hatte ein linkes Redaktionskollektiv 71 Ausgaben mit durchschnittlich 12 Seiten im A3-Format herausgebracht. Rund um das «Viva» entwickelte sich die «Linke Alternative», die den «Viva»-Redaktor, Rechtsanwalt Andrea Bianchi, ab 1980 in die Politik brachte und der neuen Partei Stimmenanteile bis 10 Prozent. Das Projekt «Viva» ging dann unter, weil «der Generationenwechsel misslang», so Fredi Lerch in einem Editoartikel.

Alles in allem hat Hansmartin Schmid aber einen sehr aufschlussreichen Überblick über die Churer Medienlandschaft abgeliefert. Ein kurzweiliges Werk gegen das Vergessen längst aufgegebener Blätter. Und eine Zusammenstellung, die aufzeigt, wie es zum aktuellen  Medienmonopol in Chur kam.

Hansmartin Schmid wohnt heute in Domat-Ems und schreibt noch regelmässig Kolumnen im «Bündner Tagblatt».

Somedia Buchverlag: Die Geschichte der Churer Presse von 1797 bis zur Gegenwart
ISBN: 978-3-907095-19-5
Erschienen: Oktober 2020
Preis: 25 Franken

 

Das «Päckli» von Gilles Marchand und Nathalie Wappler

Die SRG schweigt Sexismusdebatte im eigenen Magazin tot.

«link» heisst das Mitarbeiter- und Mitgliedermagazin von der SRG Deutschschweiz. Der Namen ist wohl abgeleitet vom englischen «link» für Verknüpfung. Oder «Das Glied einer Kette». In der aktuellen Dezemberausgabe ist das «Glied» – um diese zugegebenermassen mittel originelle Brücke zu schlagen – aber in keinerlei Hinsicht ein Thema. Obwohl die SRG-Führung wegen dem Star-Moderator Darius Rochebin vom Westschweizer Fernsehen (RTS) und seinen im Raum stehenden sexuellen Übergriffen arg unter Druck steht. Was viele SRG-Mitarbeitende beschäftigt, wird totgeschwiegen. Doch der Reihe nach.

«Keine Kenntnis gehabt»

Rochebin soll seine berufliche Stellung und sein Ansehen ausgenutzt haben, um zu Sex zu kommen. Ein weiterer Kadermitarbeiter sei ebenfalls übergriffig geworden, und «alle hätten davon gewusst». Darum forderten 550 Mitarbeitende von RTS, immerhin gut ein Drittel der ganzen Belegschaft, in einer Petition die Absetzung der beiden Kaderleute und eine externe Untersuchung. Und was hat das mit der SRG zu tun? Der heutige SRG-Generaldirektor Gilles Marchand war von 2001 bis 2017 RTS-Direktor. Gegenüber watson.ch sagte die SRG-Medienstelle, Marchand habe von den falschen Facebook-Profilen Rochebins, nicht jedoch den Vorwürfen der sexuellen Belästigung Kenntnis gehabt. Sein Nachfolger als RTS-Direktor habe im Herbst 2017 «Massnahmen gegen Rochebin bezüglich der Einhaltung der Berufsregeln» ergriffen, über die Marchand informiert worden sei. Nun fordern kritische SRG-Angestellte und Mediengewerkschaften gar den Rücktritt von Marchand.

Ladina Heimgartner als Nachfolgerin?

Felix E. Müller gab kürzlich in der NZZaS noch einen drauf und brachte Ladina Heimgartner als Nachfolgerin ins Spiel. Sie ist seit gut einem Jahr bei Ringier, vorher arbeitet sie lange bei der SRG. Sie hat einige Vorteile gegenüber Marchand. Sie ist eine Frau, sie ist in der rätoromanischen Schweiz aufgewachsen. Und sie ist erst 40-jährig. Das ideale Alter, um den angestrebten «Transformationsprozess» der SRG auch durchzuziehen. Sprich, mehr digital, weniger Gewicht auf linear ausgestrahlte Sendungen.

«Lassen Sie mich das erklären»

Aber was hat das nun mit dem SRG-Heftli zu tun? Viel und nichts. Denn das Thema Rochebin-Sex-Marchand ist auch in Leutschenbach allgegenwärtig. Viele Mitarbeitende sind sauer, wie die SRG und demzufolge auch SRF das Problem angehen. Man bekommt den Eindruck, wie wenn die Chefs einander decken wollten. Aussitzen lautet die Devise. Dass in den nächsten Wochen Kündigungen anstehen, spielt dem Kader sicher in die Karten. Wer will schon aufmucken, wenn seine Stelle in Gefahr ist? In diese Strategie des Schweigens und Aussitzens passt nun eben die neuste Ausgabe von «link». Kein Wort über das Rochebin-Thema. Kein Wort. Dafür schreibt SRF-Direktorin in salbungsvollen Worten viel und doch wenig Konkretes über das «Transformationsprojekt SRF 2024». «Lasen Sie mich das Prinzip der Transformation am Beispiel der Volksmusik erklären», schreibt die Chefin etwa. Gestelzter geht fast nicht. Und das in einem Mitarbeiterheft, einem internen Produkt von und für Mitarbeitende. Theoretisch. Immerhin erfährt der Laie nebenbei, dass bei SRF heute weniger als 10 Prozent «unserer Mittel ins Onlineangebot fliessen, in einem Jahr sollen es etwa 20 Prozent sein.» Der Verlegerverband wird sich freuen.

Wie eine Programmzeitschrift

Was bleibt sonst vom «link»? Das Heft wirkt wie eine Programmzeitschrift. Der Text «Play Suisse» könnte auch im «Tele» stehen. Ebenso wie die Rubrik «Neu im Programm». Dafür kommen porträtierte Mitarbeiter eher zu kurz. Das Heft wirkt ziemlich unpersönlich, ja fernab von der Basis. Da ist das von zackbum.ch auch schon kritisierte Ringier-Blatt Domo noch um einiges menschlicher. Doch hier wie dort zeigt sich, dass die Chefs das letzte Wort haben. Darum ist im «link» kein Wort zum Thema Sexismus und Darius Rochebin zu finden.

In einer ersten Version wurde «link» als Mitarbeitermagazin bezeichnet. Das stimmt nicht ganz. Es richtet sich neben den Mitarbeiteiterinnen und Mitarbeitern auch an die Mitglieder der SRG. Die Auflage beträgt gut 16000 Exemplare.

Redak-Torin* Salome *Müller*In*

Rastlos und übergriffig setzt sie sich für die Sache der Frau ein. Leistet ihr dabei eine Bärinnendienstin.

Zunächst: Ich entschuldige mich Ausdrücklich für das «der» vor Frau, auch beim Genitiv hat der Sprachfeminismus noch Arbeit vor sich.

Aber fangen wir mit einer guten Nachricht an. Wie teilte mir ein aufmerksamer Leser so richtig mit: «Fortschritt. Der Stern wandert.» Natürlich, es handelt sich um einen noch nicht durchfeminisierten, männlichen Leser, der die wunderliche Marotte beobachtet, dass Salome Müller ihre Funktion als gelegentliche Tagi-NL-Autorin dafür missbraucht, vor allem die dafür auch noch bezahlenden Abonnenten (männlich) mit einem fröhlichen «Guten Morgen, liebe Leserinnen*» zu begrüssen.

Mit diesem Genderstern an ungewohntem Ort wolle sie ihren «Respekt» gegenüber all denen bezeugen, die sich nicht in das banal-binäre Raster Männlein/Weiblein pressen lassen wollen. Aber, bei Minerva, wo ist der Respekt geblieben? Die neue Variante lautet: «liebe Leser*innen». Ob das wirklich ein Fortschritt ist?

Der wandernde Stern. Aber der Dutt ist unverrückbar.

Es geht um Menschenrechte, bitte schön

Aber sprechen wir nicht länger von solchem Pipifax (der, maskulin, blöd). Inzwischen geht es der Dame mit dem komischen Wurmfortsatz auf dem Haupt um grössere Dinge. Um nichts weniger als die Menschenrechte.

Kämpferinnen für die Menschenrechte zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie sie in weit entfernten Gegenden einfordern. Das ist auch hier der Fall. Denn gegen die Schweizer Doppelbürgerin Natallia Hersche wurde im fernen Weissrussland ein «wuchtiges Urteil» gefällt. Zweieinhalb Jahre Gefängnis, weil sie dort «für die Einhaltung der Menschenrechte auf die Strasse ging».

Allerdings wurde sie nicht deswegen, sondern wegen «gewalttätigem Widerstand gegen einen Polizisten» (Art. 363, Absatz 2, Strafgesetzbuch) verurteilt. Sie räumte das indirekt auch beim Prozess ein; sie habe Todesangst gehabt und gedacht, wenn sie dem Polizisten seine Sturmhaube vom Kopf reisst und ihm in die Augen schaue, dann würde der sicher Mitleid empfinden und sie laufenlassen.

Wurde sie zum Lächeln gezwungen? Herrsche beim Prozess. (Foto: spring96.org)

Wer sich in der Schweiz gegen eine Verhaftung wehrt, bekommt einen Orden

Da Müller – in Gegensatz zu mir – das ganze Urteil gelesen und verstanden hat, kommt sie ihrerseits zu einem klaren Verdikt: «Es ist ein politisches, ein willkürliches Urteil» gegen eine «zweifache Mutter aus St. Gallen». So unmenschlich geht’s in Lukaschenkos Reich zu und her. Eine Mutter wird von ihren Kindern getrennt, nur weil sie als Doppelbürgerin nach Weissrussland fuhr, um an Demonstrationen teilzunehmen.

Sie soll sich angeblich gegen die Verhaftung gewehrt haben, womit sie natürlich auch nur ein Menschenrecht einforderte. Wenn sich in der Schweiz jemand gegen die Verhaftung wehrt, besonders bei einer illegalen Manifestation, wird er umgehend mit einem Orden für Zivilcourage ausgezeichnet.

Denn, merke auf, die Schweiz sei – im Gegensatz zu Weissrussland – ein «sicherer Rechtsstaat», weiss Staatskundlerin Müller. Es läge mir fern, das Regime in Weissrussland als Rechtsstaat zu bezeichnen. Es ist eine der typischen post-sowjetischen Diktaturen mit einem Häuptling, der seine Halbwertszeit überschritten hat. Aber was empfiehlt denn Müller der Schweiz als rechtsstaatliche Mittel? Diplomatische Betreuung, eventuell Unterstützung, Bezahlung eines Anwalts?

Der Rechtsstaat muss Druck aufsetzen gegen einen Unrechtsstaat

Ach was, Pipifax (männlich, blöd), da muss mit massiveren rechtsstaatlichen Mitteln durchgegriffen werden. «Aussenminister Cassis kann Druck aufsetzen. Oder der Bundesrat baut mit Sanktionen Druck auf.» Welche rechtsstaatlichen Mittel hätte er denn da? «Die Regierung könnte die Konten des weissrussischen Staatsoberhaupts Alexander Lukaschenko und seiner Familie einfrieren und Visa-Beschränkungen erlassen.» Habe die EU schon lange getan, worauf wartet die Schweiz?

Nehmen wir mal spasseshalber an, ein Weissrussin nähme in der Schweiz an einem Plausch des Schwarzen Blocks teil. Ein wenig Sachschaden, ein paar verletzte Bullen, das Übliche halt. Nehmen wir an, sie würde im Rechtsstaat Schweiz dafür verurteilt. Nehmen wir weiter an, Lukaschenko würde deswegen toben, seinen Botschafter einbestellen, mit Sanktionen gegen die Schweiz drohen, Einreiseverbote aussprechen.

Da würde man sicherlich auch bei Müller das Halszäpfchen sehen, so erregt würde sie diese Einmischung, dieses Verhalten eines Unrechtsstaats, diesen eklatanten Verstoss gegen die heilige Gewaltenteilung – und die Menschenrechte – verurteilen.

Was wäre, wenn sich Lukaschenko das trauen würde?

Was masst sich der an, unsere Urteile als politisch und willkürlich zu verunglimpfen. Soll doch lieber mal bei sich aufräumen. Dem sollte man eine Antwort geben, dass er nur noch Sternchen sieht, würde die Sternchen-Feministin vielleicht fordern.

Menschenrechte sind Grundrechte, weiss Müller am Schluss ihres rechtsstaatlich durchaus durchwachsenen Kommentars. «Sie gelten auch für Natallia Hersche.» Wohl auch im Rechtsstaat Schweiz. Aber nicht für Müller, wenn sie fordert, mit unrechten Mitteln ein mögliches Fehlurteil zu bekämpfen.

Kleine Rechtskunde über Doppelbürger (ja, auch Doppelbürgerinnen*)

So nebenbei: Die Doppelbürgerin mit oder ohne Stern kann sich im einen ihrer Heimatstaaten nicht auf die Zugehörigkeit zum andern berufen, sondern ist erst einmal Inländer/In*+#. So viel zum Schutz der Schweizer Staatsbürgerin. Und bei aller Abscheu gegen Lukaschenko: Das Frauenstimmrecht wurde in Belarus, so wie in der gesamten UdSSR, 1917 eingeführt. Im Fall. Aber Feminismus und Logik, nun ja, ich sage nichts mehr, so als Mann.

Keiner zu klein, Chefkommentator zu sein

Mario who? Also bitte, Mario Stäuble ist Tagi-Co-Chefredaktor. Aber leider nicht Bundesrat.

Mario who Stäuble darf endlich seine Leidenschaft ausleben. Denn dank seiner neuen Position traut sich keiner, ihn vor sich selbst zu schützen. Also kommentiert er wie wild vor sich hin. Kein Thema zu klein, um nicht seiner Ratschläge, Zurechtweisungen, Kritiken zu bedürfen.

Alleine in den letzten sechs Monaten gehen sie in die vielen Dutzende. Da kennt er kein Pardon: «Eine kapitale Peinlichkeit» sei die Entstehungsgeschichte des Forscher-Campus in Dübendorf. «So geht man nicht mit Genossenschaftern um», rügt er streng die Genossenschaft Sunnige Hof.

Aber sein Lieblingskommentarthema ist natürlich, Überraschung, die Pandemie. Da erweckt er den Eindruck, dass er gar nicht weiss, wo und bei wem er mit seinen Ratschlägen, Anweisungen, Urteilen, Forderungen anfangen soll.

Stäuble kann auch nicht gleichzeitig überall sein

Schon Ende Juni wusste Stäuble: «Die Clubs sollen schliessen und nachbessern.» Bereits eine Woche später war er sicher: «So funktioniert das mit der Quarantäne nicht.» Am 24. September warnte er streng: «Zürich darf nicht nachlassen» bei der Corona-Abwehr. Am 15. Oktober war er bereits leicht verzweifelt: «Zürcher Regierung verschläft die zweite Welle.»

Am 19. Oktober musste dann der Bundesrat gerüffelt werden. Seine Massnahmen seien ungenügend, «um die Corona-Kurve zum Abflachen zu bringen». Lassen wir das mal sprachlich durchgehen, denn wir sind ja nicht Stäuble, der nassforsch fortfährt, dass der Bundesrat dann schnell zugeben müsse: «Der Spagat funktioniert nicht. Wir müssen verschärfen.» Man beachte den Pluralis Majestatis (kann man googeln). Oder aber, Stäuble sieht sich schon insgeheim als achter Bundesrat.

Hinter den Kommentaren versteckt sich ein grosses Leid

Aber das grosse Leid von Stäuble ist, dass einfach keiner auf ihn hören will. Obwohl er doch unablässig mahnt, warnt, mit dem Zeigefinger wackelt. «Zürich macht viel zu wenig, viel zu spät», wechselt er schon am 23. Oktober wieder das Angriffsziel. Dann muss er erschöpft eine Pause eingelegt haben, aber am 4. Dezember ist er wieder voll auf der Höhe der Rechthaberei: «So schwindet das Vertrauen in den Schweizer Weg.»

Aber nicht das Vertrauen Stäubles in seine Fähigkeiten als Weg- und Zurechtweiser. Am 8. Dezember schliesslich übertrifft er sich selbst. Er haut gleich zwei Kommentare raus. Um 17 Uhr eine erste Watsche für die Zürcher Regierung: «Die Standpauke aus Bern war nötig.» Das hat Seltenheitswert; der Co-Chef des Tagi lobt Bern und brät Zürich eine über. Aber er hat nachgeladen; um 21.13 greift er nochmals ins Weltgeschehen ein: «Endlich klemmt der Bundesrat das «Gstürm» ab.»

Was für ein «Gstürm»? Nun, damit meint Stäuble den Föderalismus, den man wohl zusammen mit dem Ständemehr auch gleich abschaffen sollte. Denn endlich soll das «föderalistische Corona-Wirrwarr» mit einem Machtwort aus Bern beendet werden. Allerdings: obwohl der Bund nun die Kontrolle übernehme, sei «der Schaden längst angerichtet».

Ein brutal klingender Schritt vorwärts

Aber jetzt endlich: Sperrstunde für Läden und Gastro ab 19 Uhr, Kulturleben noch mehr lahmlegen. Restaurants ganz schliessen, wenn die Fallzahlen nicht sinken. Da kann Stäuble keine Rücksichten nehmen: «Was für die betroffenen Branchen brutal klingt, ist in Wirklichkeit ein Schritt vorwärts», behauptet der Angestellte Stäuble. Für den brutal wäre, wenn er keine Geschäftsspesen mehr machen dürfte. «Jetzt müssen landesweite Entscheide her», weiss er.

Die Welt, zumindest die Schweiz, wäre eine viel bessere. Wenn sie nur endlich ein Einsehen hätte und auf Stäuble hören würde. Statt sich bei dieser Kommentarflut zu fragen, was ein Tagi-Co-Chefredaktor eigentlich sonst zu tun hat.

Eine neue Kassandra ist unter uns

Man muss sich dieses tragische Schicksal vor Augen führen: eine moderne und männliche Kassandra, sieht das Unheil voraus, warnt, zeigt sogar Lösungen auf, weiss immer, wer was falsch macht – und wie man’s besser machen könnte.

Aber wie Kassandra, der Gott Apollon die Gabe der Weissagung gab, dann aber auf sie sauer wurde, als sie sich nicht verführen liess, und sie damit bestrafte, dass niemand ihren richtigen Vorhersagen glauben werde, ist auch Stäuble mit diesem Schicksal geschlagen. Er weiss es, er weiss es besser, er sieht’s kommen – aber nichts, keine Reaktion, kein Innehalten, keine Umkehr der Regierenden auf ihren Irrwegen.

Wir wissen Trost

Das schlaucht ganz schön. Aber voller Mitgefühl können wir Trost spenden: Weil keiner auf ihn hört, kann er völlig haftungs- und verantwortungsfrei seine Weisheiten verkünden, seine Forderungen raustrompeten. Er wird nie in der peinlichen Situation sein, sich rechtfertigen zu müssen, wenn man auf sein Gequatsche gehört hätte. So gesehen sind doch alle besser dran.

Insidertipp aus der Inseratewelt

Man zahlt weniger und hat erst noch einen höheren Beachtungsgrad.

Es ist ein uralter Trick der Inserenten. Der Blick hat ein Textlayout von sechs Spalten, also buchen wir ein grosses Inserat von fünf Spalten. Und hoffen, dass die Setzer den Leerraum mit etwas besonders Auffälligem füllen. Vor einigen Tagen hat der Blick das besonders schön umgesetzt. Dabei hat die Inserentin, also die Ladenkette Spar, zu Trick 77 gegriffen. Sie hat nicht nur in der Breite das Zeitungsformat nicht ganz ausgefüllt, sondern auch in der Höhe geschmürzelt. Und was macht der Blick. Er tappt voll rein. Oben der Titel und ein Foto, in der linken leeren Spalte neben dem Inserat dann die dazugehörige Textspalte. Es ist ein visuelles Verbrechen.Und ein Beispiel, dass Inserenten definitiv am längeren Hebel sitzen.

Der Bruttopreis von 23600 Franken für Spar hat sich gelohnt. Der Beachtungsgrad der Leserschaft war sicher doppelt so hoch, wie wenn man eine ganze Seite gebucht hätte. Die kostet 26200 Franken brutto.

Offen ist, wieviel Rabatt Spar bekommt, weil der Lebensmittelsupermarkt öfters inseriert im Blick. In der Fachsprache heisst das von Spar gewählte Format übrigens Juniorpage. Und ja. Im Inseratebusiness rechnet man immer mit doppelt so vielen Spalten pro Seite wie  im Redaktionsteil. Spar hat also streng genommen eine Breite von zehn von insgesamt zwölf möglichen Spalten gebucht. Er hat gut gerechnet.

Ärgernis bajour. Reloaded

Wir können nichts dafür. Berichterstatterpflicht ist manchmal hart.

Bajour freut sich darüber, nun schon ein Jahr alt zu sein. Das ist wunderbar, und wir gratulieren zum ersten von maximal drei Geburtstagen.

Denn solange kriegt das Projekt jedes Jahr eine flotte Million in die Kasse gelegt. Das bedeutet, dass bajour jour für jour – wenn es tatsächlich aus eigenen Kräften weitere 120’000 kassiert hat – ziemlich genau Fr. 3068.50 durch die Kehle rinnen und im Abfluss verschwinden lässt.

Nun kann man für 3000 Eier doch eine gewisse Leistung erwarten; das entspricht schliesslich dem Tageshonorar eines ziemlich guten Kommunikationsspezialisten. Aus der Oberliga. Schauen wir mal an einem stinknormalen Dienstag, was bajour dafür bietet.

Was bekommt man für 3000 Spendenfranken am Tag?

Zunächst hat man, clever, clever, den roten Streifen oben links, der die spärlich tröpfelnden neuen «Member» misst, etwas umgebaut. Nun sind es «156 Dezember-Member». Wir kommen darauf zurück.

Die Tagesleistung. Da hätten wir mal «Vontobels Wachstumsschübe». Hier schreibt der Weltökonom Werner Vontobel, der sich schon an früheren Wirkungsstätten seinen Übernamen redlich verdient hat. Er fängt mit «Voll» an. Wir müssen das erwähnen, weil er ihm mal wieder alle Ehre macht.

Obwohl auch nicht mehr der Jüngste, wählt er einen echten Ranschmeisser-Titel für die junge Generation: «Lieber Staat, her mit dem Corona-Chlütter». Ist der Ruf erst ruiniert … Aber was meint er denn damit? Er will die «bange Frage» beantworten, ob denn der Staat noch genug Geld habe, um weitere Pandemie-Wellen abzufedern.

Verblüffende Doppelantwort: «Erstens Ja! Und zweitens ist das die falsche Frage.» Wir lernen schon hier dazu: Man kann auch eine falsche Frage mit ja beantworten. Allerdings nur dann, wenn man anschliessend Stuss erzählt. Voodoo-Ökonomen wären stolz darauf, so einen Wirtschaftsfachmann an der Seite zu haben.

Wenn Vontobel anfängt zu rechnen: Deckung suchen

Denn Vontobel macht eine saubere Rechnung auf. Corona und die staatliche Massnahmen hätten den Konsum «aufs Jahr gerechnet um 25 Milliarden Franken» einbrechen lassen. Das habe der Staat netterweise ersetzt. Aber Trottel bei der NZZ und anderswo würden behaupten, dass damit sogar kommende Generationen belastet würden.

Unsinn, donnert Vontobel, diese 25 Milliarden seien ja eingespart worden, lägen auf der hohen Kante, würden daher vererbt. Also alles im Lot, alles ausgeglichen. Dass sich die Kosten von Corona inzwischen auf über 130 Milliarden Franken belaufen, dass es einen gewaltigen Einbruch im BIP gegeben hat, dass flächendeckende Pleitewellen, Massenarbeitslosigkeit bei sinkenden Staatseinnahmen durch Steuern drohen, von solchen Kleinigkeiten wollen wir uns doch nicht die gute Laune und die Schübe verderben lassen.

Nach diesem Tiefflug durch Kannixverstan erfreut bajour Basel mit der Frage: «Was hat euch Corona gebracht, Dritte Stock Records?» Sicher ist es typisch Zürcher Überheblichkeit, dass mich das wirklich keinen Deut interessiert. Genauso wenig wie der recht späte «Wochenkommentar»: «Warum Basel nicht links ist».

Wenn man richtig rechnet: au weia

Aber, den Höhepunkt hat uns bajour aufgespart: «Und da waren’s 156 Dezember-Member». Illustriert ist das mit der ewig gleichen, übel gemechten Fotografie aller Mitarbeiter von bajour. Wobei, Achtung Brüller, die meisten Nikolauskappen tragen. Und was ist daran so speziell?

Wenn krampfhaft auf hip gemacht wird …

Nun, nachdem bajour bislang insgesamt rund 1850 Zahler behauptet, darunter eine Minderheit «Gönner» (120 Franken) und eine Mehrheit «Member» (40 Franken), hat man mal wieder in die Liste der Versprechen geschaut und gemerkt: «Ok, Leute, wir haben 2100 Member in den Businessplan geschrieben.» Obwohl man «gut unterwegs» sei, fehlen dann doch noch «248 Member bis Jahresende».

Ist auch dämlich, solche Businesspläne, da muss man den feuchten Finger in die Luft halten, hält ihn möglichst tief, aber dann wird man auf so einen Unsinn noch behaftet. Und jetzt muss man Gas geben, um «Das Wunder von Bajour» fortzusetzen.

Die «gehörte journalistische Stimme»

Denn mit diesen 248 neuen Members bis Jahresende kann bajour weiter «an unserem Ziel arbeiten: In den nächsten drei Jahren zu einer wirklich schlagkräftigen redaktionellen Truppe und zu einer gehörten journalistischen Stimme, direkt aus Basel zu werden».

Hoffentlich reicht die Schlagkraft aus, um wenigstens einen Texter anzustellen, der Deutsch kann und sich nicht durch Sätze holpert. Vontobel würde hier sicher sagen, dass alles im grünen Bereich sei und mit diesen 248 neuen Zahlern bajour sicherlich das Dreijahresziel erreiche.

Wir wollen ja hoffnungsfrohen Anfängern nicht den Mut nehmen oder Illusionen zerstören. Müssen aber doch zu bedenken geben: bei 2100 Zahlenden, davon grosszügig angenommen 500 Gönner, kommt Bajour auf Jahreseinnahmen von haargenau 124’000 Franken. Das ist zwar nicht Vontobel, aber Arithmetik. Nun lässt bajour bislang 1,12 Millionen pro Jahr runtergurgeln.

Wie viele Member braucht es, um auf eine Million zu kommen?

Gut, das ist von der «Republik» noch weit entfernt. Aber es stellt sich doch die Frage, wie bajour in zwei Jahren dann mit 124’000 Franken zu einer «gehörten journalistischen Stimme» wird. Ach, so kann man das nicht rechnen? Die Zahlen der Member werden doch explodieren? War bei der «Republik» leider nicht so. Aber nur mal spasseshalber, wie viele Member bräuchte es denn, um auf eine Million zu kommen?

Nun, 25’000. Schluck. Das wären ja gleichviel, wie die «Republik» mit Selbstmorddrohungen und Hängen und Würgen in drei Jahren hinkriegte. Nehmen wir mal fantasievoll an, dass bajour dannzumal 5000 Gönner hätte. Die würden 600’000 in die Kasse spülen. Dann bräuchte es nur noch 10’000 Member.

Geht doch, würde Vontobel hier sicher sagen. Aber wer auf den hört, ist sowieso verloren.

Der billige Biller im Tagi

Was soll ein Beitrag von Maxim Biller über Lisa Eckhart im Newsnet?

Die Erklärung ist einfach: Das Gebolze eines deutschen Drittklassliteraten gegen eine österreichische Kabarettistin erschien eigentlich in der «Süddeutschen Zeitung». Anlass ist deren Auftritt heute Freitagabend im «Literarischen Quartett» des ZDF (23.30 Uhr).

Was geht den Schweizer Leser dieser Erguss über 10’000 Anschläge an, der ja offensichtlich eine sehr deutsche Angelegenheit behandelt? Eigentlich nichts, aber da der Tagi ja immer mehr Inhalt von der SZ übernimmt, rutschen halt auch solche Ausrutscher ins Blatt.

Zunächst die nötigen Erklärungen

Vielleicht für die Leser, die sich in deutschen Untiefen nicht so auskennen: Maxim Biller ist ein unbedeutender Autor, der zu Zeitgeist-Zeiten mit einer Kolumne namens «100 Zeilen Hass» krampfhaft auf sich aufmerksam machen wollte. 2003 schaffte er es, dass der Vertrieb seines Romans Esra gerichtlich verboten wurde. Er hatte darin intime autobiographische Erlebnisse verwurstet, als Abrechnung mit einer verflossenen Freundin. Deren Mutter stellte er als herrschsüchtige, psychisch kranke Alkoholikerin dar.

Also ein richtiger Charmebolzen. Lisa Eckhart ist eine Kabarettistin, die mit ihrem Auftreten als langbeinige, superblonde Provokateurin und teilweise grenzwertigen Scherzen über Faschismus und Nazis für Aufregung sorgt. Natürlich sauste schon öfter die Antisemitismuskeule auf sie hernieder; ein Auftritt von ihr am Hamburger Literaturfestival wurde gestrichen, weil der Veranstalter angeblich nicht die Sicherheit von Künstlerin und Publikum garantieren konnte.

Henrik M. Broder, sonst auch immer schnell mit der Nazikeule zur Hand, verteidigte Eckhart öffentlich gegen den Antisemitismus-Vorwurf. Soweit, so deutsch. Nun erregt sich Maxim Biller darüber, dass Eckhart ins «Literarische Quartett» eingeladen ist. Dazu muss man wissen, dass diese TV-Sendung vom legendären deutschen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki erfunden und lange Jahre geleitet worden war.

Auch Biller hatte einen Kurzauftritt in der TV-Sendung

Der Jude hatte die Terrorherrschaft der Nazis im Warschauer Ghetto überlebt und verlor durch diese Greueltaten nicht seine Liebe zur deutschen Literatur. Der er in dieser Sendung scharfzüngig, witzig, mit klaren Ansichten und Lob, sowie auch schneidenden Hinrichtungen Ausdruck verlieh.

Dann muss man noch wissen, dass auch Biller einen Kurzauftritt im «Literarischen Quartett» hatte. Dann hat man die Hintergründe, wieso er unflätig, unanständig, schamlos gegen die Kunstfigur Eckhart vom Leder zieht. Durch ihren Auftritt habe «der deutsche Jude und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki endgültig den Kampf gegen die Nazis verloren».

Wie denn das? Weil da eine «28-jährige Frau aus einem Dorf in der Steiermark» mit «ihrer sehr, sehr blonden HJ-Frisur, mit ihrem Nazi-Domina-Look und ihrem herablassenden, nasalen Offiziersmessen-Ton» den Hitler-Faschismus wiederbelebe. Diese «Truppenbetreuerin des zu zwei Dritteln wiedervereinigten Deutschlands», bei der leider Teile des Feuilletons «ihre als unwitzige Witze getarnten volksverhetzenden Politlosungen als angebliche Ironie verklärt», von dieser «aus der Zeit gefallenen Ostmark-Kabarettistin».

HJ-Frisur und Nazi-Domina-Look?

Satire muss weh tun, gebrochen sein, Grenzen überschreiten. Der Scherz in Anlehnung an «ein Reich, ein Volk, ein Führer», dass sie zuhause Hitler-Dokus so schaue: «Eine Familie, ein Sofa, ein Sender» ist gar nicht so schlecht. Dass sie sich nebenbei mehrfach und sogar gerichtlich gegen eine Einvernahme durch die AfD zur Wehr gesetzt hat, was soll’s. Weder AfD noch Biller können Satire und Kunstfigur von der Realität unterscheiden.

Hinterlistige Abrechnungen, gelbgrüner Hass und Neid

Während Reich-Ranicki noch die deutsch-jüdische Kritik in der Tradition eines Heine, eines Börne, eines Kerr, ja eines Lessings verkörperte, lobhudelt Biller, geschieht durch diese Einladung der Bühnenfigur Lisa Eckhart nichts weniger als:

«Jetzt gewinnen die Hitlerboys im Zweiten Deutschen Fernsehen ihre antizivilisatorische Schlacht gleich noch ein zweites Mal!»

Unverschämtes Gewäffel eines von Neid zerfressenen, übellaunigen Schriftstellers, der seine mageren Fähigkeiten für Abrechnungen mit Lebensgefährten einsetzt, für gelbgrünen Hass, weil Eckhart heute so provoziert wie er früher, und erst noch mit Erfolg. Das neidet er ihr, und Reich-Ranicki bewundert er, neidet ihm aber gleichzeitig seine Biografie. Denn wie gerne würde der 1960 in Prag geborene Biller seinen Hass auf alles, was für ihn nach Antisemitismus riecht, mit seiner eigenen Biografie begründen. Mit Pogromen, Todesgefahr, persönlichem Leiden.

Kann er aber nicht, das gibt sein Lebensweg nicht her. Aber in Deutschland kann er natürlich bis heute die Karte spielen: «Ich bin Jude, ich darf das.» Wieso damit allerdings die zahlenden Leser von Tamedia belästigt werden, ist völlig unverständlich.