«Wendler»-Fall in Zürich

Das Tagblatt löscht Pedraita-Kolumne.

Trash-TV-Fans kennen den Fall. Schlagersänger Michael Wendler verglich Quarantäne-Massnahmen mit einem KZ.  Später wollte er zurückrudern, indem er seine «KZ»-Bezeichnung als «Krisen-Zentrum» verstanden haben wollte. Die Folge: RTL schnitt den Juror Wendler in der aufgezeichneten Castingshow «Deutschland sucht den Superstar» heraus. Wo es nicht ging, verpixelte RTL den Sänger.

Das pdf des Tagblatts wurde angepasst. Die Seitenzahl von 52 blieb aber gleich.

Nun passierte dem Kolumnisten Urs Pedraita im Tagblatt der Stadt Zürich etwas ähnliches. Er schrieb von einer Welt, die sich «in ein grosses Konzentrationslager mit freiwilligen Gefangenen“ verwandelt habe. Er zitierte dabei Sätze, die momentan im Internet herumschwirren. Nicht eben auf vertrauenserweckenden Seiten. Ob die Zitate nun aus einem Text von 1942  stammen, als der Holocaust in vollem Gange war oder nicht. Für die beiden Vertreter der Stadt Zürich im fünfköpfigen Redaktionsausschuss war das zuviel. Das Tagblatt musste eine Woche später – heute Mittwoch also – eine halbseitige Entschuldigung abdrucken. Die besagte Kolumne wurde zudem im Netz gelöscht.

Es zeigt sich, dass das Tagblatt, das der Zeitungshaus AG gehört, unter strenger Beobachtung des links-grün dominierten Stadtrats von Zürich steht. Die Zeitungshaus AG ist jene Firma der Familie Blocher, welche Gratiszeitungen der Swiss Regiomedia AG, die Furttaler Zeitung und eben das Tagblatt der Stadt Zürich herausgeben. Entstanden ist das Konstrukt nach einem Tauschgeschäft mit Tamedia, als jener Konzern 2018 im Gegenzug die Basler Zeitung übernahm. Das Tagblatt und der Stadtrat von Zürich: Es ist eine «unheilige» Allianz.

 

 

 

Wer stoppt Rutishauser?

Ein seltener Fall von medialer Selbstjustiz. Über Jahre hinweg.

Auf einer Wand stand: «Ich hasse dich.» Zudem sei Abfall herumgelegen, und weitere Wände seien mit Flüssigkeiten verschmiert gewesen. Diese unappetitlichen Details serviert Arthur Rutishauser zum Gipfeli den Lesern der «SonntagsZeitung».

Wer meinte, dass er nach drei Jahren und der Einreichung der Anklageschrift seine Position als Lautsprecher der Staatsanwaltschaft und als rücksichtsloser Enthüller von eigentlich strikt vertraulichen Ermittlungsakten aufgegeben habe, hat sich ein weiteres Mal getäuscht.

Es ist schon drei Monate her, dass allgemeiner Wahnsinn in den Medien ausbrach, ein Wettlauf begann, wer am schnellsten die saftigsten Stellen aus der Anklage zitieren kann. Ein weiteres Mal wurde die Unschuldsvermutung ad absurdum geführt. Die Eröffnung einer Strafanzeige gegen Unbekannt, wegen fortgesetztem Bruch des Amtsgeheimnisses, beeindruckt den Oberchefredaktor von Tamedia offenbar überhaupt nicht.

Mit der gleichen Munition nochmal nachladen

Die Anklageschrift gegen den gefallenen Bankerstar Pierin Vincenz ist bis auf den letzten Tropfen ausgewrungen; das letzte Wort hatte hier die NZZ, die nassforsch bekannt gab, dass sie im Besitz aller 364 Seiten der Anklageschrift sei. Ohne, dass ihr bislang eine Strafanzeige ins Haus flatterte.

Nun konnte aber Rutishauser endlich mal wieder nachlegen. Schon seit drei Jahren haut er jedes Dokument, mit dem er angefüttert wird, ohne Rücksicht auf Anstand, Amtsgeheimnis, Vorverurteilung, Unschuldsvermutung einfach raus. Geradezu zwanghaft. Nun kann er wieder einen besonderen Leckerbissen servieren: «Vincenz’ Ausflüge ins Rotlichtmilieu waren vom Raiffeisen-Präsidenten abgesegnet».

Das ist nun aber Schnee von vorgestern, längst bekannt, längst beklagt, längst kritisiert. Nicht zuletzt in der «Ostschweiz» wurde schon seit Längerem die Frage gestellt, wieso der damals amtierende Johannes Rüegg-Stürm nicht schon längst wegen ungetreuer Geschäftsführung, wegen sträflich-fahrlässiger Vernachlässigung seiner Aufsichtspflichten angezeigt und in Regress genommen wurde.

Der lächerliche Professor ist nur ein Vorwand

Wobei zur Lächerlichkeit ungemein beiträgt, dass er bis heute an der HSG Studenten in richtiger Geschäftsführung professoral unterrichten darf. Aber das ist eigentlich nur ein Vorwand für Rutishauser. Um nochmals in unappetitlicher Detailversessenheit wie einleitend erwähnt aus einem Polizeirapport über den Zustand der Suite im Zürcher Hyatt zu berichten. Dort war ein kleiner Fehler in der Terminplanung von Vincenz etwas ausgeartet und hatte zu einigen Beschädigungen im Hotelzimmer geführt.

Die Reparaturrechnung setzte Vincenz laut Anklageschrift auf seine Spesenrechnung. Die, wie alle anderen auch, von Rüegg-Stürm angeblich sorgfältig geprüft, für rechtens befunden und abgezeichnet wurde. Dieser Skandal ist längst bekannt, ebenso die unverständliche Entscheidung der Uni St. Gallen, dennoch den Lehrauftrag von Rüegg-Stürm bis zu seiner Pensionierung zu verlängern.

Nachdem die Anklageschrift nichts mehr hergibt, wurden Rutishauser offensichtlich das Einvernahmeprotokoll von Rüegg-Stürm durch die Staatsanwaltschaft und mindestens ein Polizeirapport zugespielt. Eine Einvernahme, in der sich der Professor nochmals bis auf die Knochen blamiert, wie er naheliegenden Fragen nach seiner Aufsichtspflicht gelenkig wie ein Schlangenmann auszuweichen versucht. Wieso es ihm nicht aufgefallen sei, dass Vincenz angeblich mehr als 100’000 Franken an Spesen in Striplokalen und anderen einschlägigen Etablissements eingereicht habe.

Nichts Neues, aber die Wiederholung saftiger Details hilft bei der Vorverurteilung

Das gibt Rutishauser nochmals Gelegenheit, unter dem Deckmäntelchen der Berichterstatterpflicht die saftigsten Details dieser Spesen wieder auszubreiten. Auch hier gibt’s nichts Neues, aber es hilft natürlich bei der medialen Vorverurteilung, bei einer Art öffentlicher Selbstjustiz, mit der Rutishauser auch noch die letzten lächerlichen Reste der Unschuldsvermutung in die Tonne tritt.

Es ist ein Stück aus dem Tollhaus. Die einzigen bislang einwandfrei begangenen Straftaten sind Verletzungen des Amts-, Geschäfts- und Bankkundengeheimnisses. Und zwar wiederholt und ohne dass es der Staatsanwalt in den quälend langen Jahren seiner Untersuchung für nötig hielt, wenigstens Strafanzeige einzureichen.

Das holte nun als eine seiner ersten Amtshandlungen das Bezirksgericht Zürich nach, nachdem es durch die Einreichung der Anklageschrift die Hoheit über das Verfahren bekommen hat. Viel mehr Aktivität hat es allerdings bislang auch nicht entfaltet. Es brütet offensichtlich noch über der Frage, ob es – unter welchem Vorwand auch immer – die Anklage zwecks Verbesserung abschmettern will, sich für nicht zuständig erklären – oder in den sauren Apfel dieses Riesenprozesses beissen.

Behauptungen der Anklageschrift werden im Indikativ erzählt, als Tatsachen

Natürlich wurde die angebliche «Enthüllung» der SoZ in der dürftigen Nachrichtenlage des Sonntags fleissig kolportiert und weiterverbreitet. Manchmal im Konjunktiv, häufig aber auch, wie in der Darstellung Rutishausers, im Indikativ.

Das ist eine weitere Verluderung der Sitten. Unschuldsvermutung? Selten so gelacht. Zitate aus einer Anklageschrift, die schliesslich nur die Sicht der Staatsanwaltschaft wiedergibt, als Tatsachen darstellen? Ausrisse aus angeblichen Spesenabrechnungen publizieren? Ohne den geringsten Hinweis darauf, dass es sich hier bislang lediglich um Anschuldigungen handelt? Ohne Hinweis, dass nicht einmal die Anklage vom Gericht angenommen wurde? Ohne Hinweis darauf, dass ein Urteil noch in weiter Ferne liegt und Freispruch oder Schuldspruch sein kann?

Ohne Rücksicht darauf, dass Pierin Vincenz, unabhängig davon, ob er sich etwas hat zuschulden kommen lassen oder nicht, seit nun drei Jahren durch dieses Schlammbad von Indiskretionen geschleift wird? Also an seiner Vorbildfunktion müsste der Oberchefredaktor noch etwas arbeiten; da ist noch viel Luft nach oben.

Im Zweifel für den Angeklagten

Bei diesem Urteil des Presserates zugunsten der Branchenorganisation «Pro Viande» war Zähneknirschen hörbar.

Zähneknirschen deshalb, weil der Fall genau eines der vom Presserat oft kritisierten Themen betraf: die leicht übersehbare Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung. Eine Zeitungsseite in der «Sonntags-Zeitung» über die Nachhaltigkeit von Schweizer Fleisch, natürlich gestaltet im Layout der «Sonntags-Zeitung».

Zur Erinnerung: Im Jahresbericht 2020 des Presserates ging Max Trossmann, Co-Vizepräsidenten dieses Presserates, detailliert ein auf das Täuschungspotenzial der Werbeindustrie. «Angetrieben von immer neuen Beschwerden beschäftigte den Presserat ein Thema im vergangenen Jahr stark: der vermehrte Einsatz der verschleiernden Werbeform des sogenannten Native Advertising», schrieb Trossmann dazu. Es folgte eine lange Abhandlung über die Formen und Gefahren dieser Publireportagen. Beim Thema «Publireportagen» ist Trossmann also ohne Zweifel vorbelastet.  Trotzdem hat er zusammen dem Präsidenten Dominique von Burg sowie dem Co-Vizepräsidenten Casper Selg kürzlich über das heikle Thema «Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung» befunden. Das Urteil traf anfangs Januar 2021 bei den Parteien ein. Es fiel erstaunlicherweise im Sinne der Angeklagten, der PR-Agentur «Pro Viande» aus. Eine Organisation, die Urs P. Gasche vom Infosperber 2019 so beschrieb: «Die Aufgabe der Organisation der Fleischlobby Proviande ist es, den Absatz von Schweizer Fleisch zu fördern. Der Bund subventioniert die Proviande-Fleischwerbung mit mehreren Millionen Steuergeldern. Indirekt subventioniert der Bund damit die unsägliche Vermischung von Werbung und unabhängiger Information in grossen Zeitungen.»

Die Geschäftsidee von «Pro Viande ist also nicht neu». Auf deren Website heisst es: Die Inhalte der Publireportagen sind dabei auf das jeweilige Online- oder Print-Medium und sein Publikum zugeschnitten: die Inhalte werden zielgruppengerecht vom jeweiligen Medium im Auftrag von Proviande produziert.» Und noch ein Inhalt von der Website: «Laut Statuten erfüllt Proviande Leistungsaufträge des Bundes».

Ohne Ideologie geurteilt

Trotzdem liess das hochkarätige Richtergremium des Schweizerischen Presserates ihre Ideologie im Schrank. Davon konnte sie auch der neckische Autorenhinweis am Ende des Textes nicht abhalten: «Dieser Beitrag wurde von Commercial Publishing in Zusammenarbeit mit Proviande erstellt. Commercial Publishing ist die Unit für Content Marketing, die im Auftrag von 20 Minuten und Tamedia kommerzielle Inhalte produziert.»

Der Presserat urteilte zwar, dass «die Schriftgrösse der Anschrift Anzeige von Proviande gering ist, sie kann leicht übersehen werden. Auch der Begriff «Sponsored» sei verwirrend, da es sich hier um eine bezahlte Anzeige von «Proviande» handelt und nicht um Sponsoring. «Dennoch hat die «Sonntags-Zeitung» die Anzeige als solche klar genug gekennzeichnet, allein im Kopfteil finden sich drei Hinweise auf den kommerziellen Inhalt», sind sich Dominique von Burg, Casper Selg und Max Trossmann einig.

Beurteilung des Inhalts? Nicht zuständig

Wie gut und korrekt der Inhalt ist – immerhin von Tamedia-Mitarbeitern geschrieben – lassen die drei Herren offen. «Es gehört nicht in den Zuständigkeitsbereich des Presserats, den Inhalt der Anzeige von Proviande auf deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, weshalb er sich dazu nicht äussert.»

Beruhigend für die Werbewirtschaft dann das Schlussfazit: «Entsprechend tritt der Presserat nicht auf die Beschwerde ein, sie ist offensichtlich unbegründet.»

Anders sieht das die Szene der Vegetarier und Kämpfer gegen «Tierfabriken». Im Internet liefen sie Sturm gegen den verfänglich gekennzeichneten Artikel. Vergeblich.

 

Altes neu angemalt beim «Spiegel»

Gedruckt war gedruckt. Einzige Möglichkeit der Veränderung: wegschmeissen. Viel einfacher ist’s im Internet.

Jedes Mal, wenn einem aufmerksamen Leser ein Fehler auffällt, schreibt der «Spiegel» brav am Schluss des Artikels, dass zunächst Albert Hitler dort gestanden sei, das nun aber durch Adolf Hitler ersetzt wurde.

Das ist korrekt, deshalb machen wir das auch. Denn ausser fleissigen Herstellern von Screenshots kann eigentlich keiner beweisen, dass beispielsweise Titel und Lead eines Artikels völlig verändert wurden. Die wenigen Internet-Archivplattformen helfen da auch nicht wirklich weiter.

Also wäre es wohl ebenfalls korrekt, wenn nicht nur falsche Angaben, Schreibungen oder Zuordnungen im Text korrigiert und diese Korrektur auch ausgewiesen würde. Noch viel mehr Bedeutung hätte das bei den zum Einstieg wichtigsten Elementen.

Wo ist denn der nur der Artikel hin?

So lautete beispielsweise der Titel eines Gastkommentars im «Spiegel»: «Amerikas Demokratie kann immer noch scheitern». Der ausserhalb von Kiel und dem «Spiegel»-Hauptquartier in Hamburg eher unbekannte, vertretende Professor Torben Lütjen legte noch nach: «Wahrscheinlich war der 6. Januar der Startschuss zu einer Dekade rechtsradikalen Terrors.» Zack.

So stand das jedenfalls am 19. Januar bei «Spiegel online». Auch ich machte keinen Screenshot, und als ich den Link setzen wollte, fand ich den Kommentar plötzlich nicht mehr. Aber die Suche nach «Amerikas Demokratie kann immer noch scheitern» führte mich zu diesem hier:

Gleicher Autor, gleiches Foto, gleiches Datum. Alter Wein, neu verkorkt.

Dem aufmerksamen Leser fällt vielleicht auf: Ganz anderer Titel, ganz anderer Einstieg, gleicher Autor, gleicher Text. Ohne jede Angabe der Veränderung, noch des Grundes. Wie erklärt der «Spiegel» das denn? Ein Fall für die Leiterin Kommunikation, nicht etwa für den verantwortlichen Redaktor.

Eine Erklärung, die es nicht wirklich besser macht

Die Erklärung ist wunderlich: «Es kommt vor, dass Titelzeilen noch einmal verändert werden. In diesem Fall zu dem Zeitpunkt, als der Beitrag von Torben Lütjen aus Gründen der Aktualität zum zweiten Mal auf der Homepage von DER SPIEGEL veröffentlicht wurde.»

Potztausend. Also wurde dieser Unsinn schon nach den Ereignissen am 6. Januar im Kapitol zu Washington veröffentlicht. Als sich herausstellte, dass das doch nicht der Startschuss zu Bürgerkrieg, Gemetzel und marodierenden Horden von Trump-Anhängern war, fand die Redaktion offenbar: Ach, das Stück ist doch auch fast zwei Wochen später noch brauchbar. Bloss Titel und Lead, okay, die passen vielleicht nicht mehr in die Landschaft.

Kein Problem. Neuer Titel, neuer Lead, geht doch wieder, wirkt wie neu. Dass auch beim «Spiegel» solche jämmerlichen Sparmassnahmen ausgebrochen sind, erschütternd.

 

No panic!

Der «Blick» ist eine Zeitung, die mit ausschliesslich positiven Nachrichten Wellness für die Seele bieten will. Panik verbreiten ist ihr fremd.

Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, mag die leisen Töne. «Ich habe meine Redaktion angewiesen, keine Panik zu verbreiten», sagte er vor einer Woche im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema «Corona und die Medien». Das war seine Reaktion auf den genau gegenteiligen Vorwurf, dass sich nämlich seine Medien auf alles stürzen, was selbst Kanalratten vor Angst aus den Städten vertreiben würde. Ausserdem sagte er sinngemäss, Corona sei eine so wilde Situation, dass man gar nicht künstlich übertreiben müsse, die Realität sei ja verrückt genug.

Aber das ist sie eben offenbar doch nicht. Eine Woche nach dem salbungsvollen Versprechen steckten sich in St. Moritz zwölf Personen mit einem mutierten Virus an. Der «Blick» titelte, das Virus «wüte» im Wintersportort. Wobei ein Taschenspielertrick angewendet wurde, das Wort «wütet» fand sich nur auf dem Anriss auf der Startseite von blick.ch, im Artikel ist dann die Rede von «breitet sich aus». Immer noch völlig falsch und übertrieben, aber immerhin ist Ausbreitung kein Begriff aus dem Paniksprech.

So verbreitet man garantiert keine Panik

Am Tag darauf darf zwar ein Mitglied der Engadiner Task Force an gleicher Stelle relativieren, es sei «kein wilder Ausbruch, nur eine Häufung von Fällen». Die Panik wäre damit etwas gedämpft, aber das ist offenbar nicht erwünscht. Daher wählte die Dorer-Truppe bei dieser Entwarnung als Übertitel «Turbo-Virus wütet in St.Moritz». Turbo und wütet. Viel mehr Panik geht nicht.

Lässt sich mal keine Panik verbreiten von der Redaktion, welche die Anweisung hat, sie solle keine Panik verbreiten, gibt sie einfach die Panik einer anderen Person wieder. «Schock für Mutter Julia T.* (45) anfangs Woche!», schreibt der Blick. Ja, klar, Anfang Woche, Montag halt, da ist sind wir alle geschockt. Aber nein, es ist schlimmer. Denn: Auf eine Terminanfrage bei einer Ärztin erhielt Julia T. als Antwort, sie – die Ärztin – werde keine Maske tragen bei der Behandlung. Schock! Man kann sich wahrlich vorstellen, wie Frau T. kraftlos vom Stuhl kippte, als sie diese E-Mail sah. Zumal das ja die einzige Ärztin ist, die in der Schweiz praktiziert und es somit keine Alternativen gibt.

Panik gestern, Panik heute, Panik morgen. Aber don’t panic

Und auch am Tag danach herrscht Panikmodus in der panikbefreiten Redaktion von blick.ch. Der «Global Risk Report» des WEF zeigt: Corona war gestern, wir müssen uns schon in diesem Jahr auf neue ansteckende Krankheiten vorbereiten. Das könnte man vorübergehend relativ gelassen nehmen, weil die WEF-Experten bereits 2006 vor einer Pandemie warnten, die sich danach 15 Jahre Zeit nahm, bis sie auftauchte. Aber die «Blick»-Onliner zimmern aus der lauwarmen Prognose sicherheitshalber doch den Aufmacher. Für den Fall, dass die Panikwelle nach St.Moritz bereits wieder verebbt ist.

Entweder hat die Redaktion ihrem Chef nicht zugehört, als der aufrief, keine Panik zu verbreiten oder es hält sich keiner daran. Dritte Variante: Das alles ist nach «Blick»-Massstäben keine Verbreitung von Panik. Dann darf man gespannt sein, wie die Zeitung aussieht, wenn ein zukünftiger Chefredaktor auf Panik steht.

Der Autor Stefan Millius ist Chefredaktor der «Ostschweiz».

Packungsbeilage: Unser Mitarbeiter René Zeyer publiziert dort regelmässig.

 

 

Wenn Steffi Buchli nicht wäre

Das neue Frauen-Sportmagazin SPORTLERIN hat noch Luft nach oben. Die Redaktion besteht wie ZACKBUM.ch nur aus Männern.

SPORTLERIN heisst ein neues Hochglanz-Magazin. Die erste Nummer ist im Dezember herausgekommen, aber sie scheint noch nicht ausverkauft. Immerhin: An die riesigen unverkauften Beigen der «Die-reichsten-Schweizer»-Bilanz kommt das fast ebenso dicke Heft nicht heran. Der erste Eindruck: recht edel, und für 10 Franken bekommt man einiges geboten. Kurzfutter und Aktuelles findet man weniger, dafür viele Portraits und Interviews. Vor allem das Gespräch mit der neuen Blick-Sportchefin Steffi Buchli ist erfrischend, obwohl es von einem Mann geführt ist. Das nämlich war eine der Hauptkritiken am neuen Heft, etwa von der Annabelle: «Ein Frauensport-Magazin von drei Männern: Kann das gut gehen?» Die folgenden Fragen der Annabelle-Mitarbeiterin Sandra Huwiler könnten auch ZACKBUM.ch gestellt werden. Denn in einem unterscheiden sich die Redaktionen von SPORTLERIN und von ZACKBUM nicht. Beide bestehen aus je drei Buddies, und die sind männlich.

Annabelle: Das Gründerteam besteht aus Männern. War nicht das Bestreben da, eine Frau ins Team zu holen?
Doch, aber wir fanden niemanden.
Stört es Sie persönlich nicht, dass «SPORTLERIN»/ «ZACKBUM» jetzt drei männliche Chefs hat?
Doch, aber es ging nicht anders.
Was tun Sie noch, um dem männlichen Blickwinkel entgegenzusteuern?
Wir suchen zuerst jeweils Autorinnen.

Dass nun auch Bänz Friedli in die Tasten haut, ist nicht weiter schlimm. Auch nicht, dass Michèle Binswanger wie im Tages-Anzeiger über Krafttraining schreibt. Trotzdem: In der ersten Ausgabe ein Interview mit der Frau Bundesrätin für Sport, mit der prominentesten Schweizer Sportjournalistin, mit der besten Schweizer Fussballerin und mit der ersten und einzigen Eishockeymanagerin der Welt. Was kommt in Ausgabe zwei? Irgendwie scheinen die Themen schon ein wenig ausgeschossen. Das* Überraschungsmoment fehlte. Oder wie Steffi Buchli im Interview auf die Frage sagte, wie viele Prozente ihres Sportkonsums sie den Frauen widme: «Das ist brutal. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, es seien mehr als 10 Prozent». Union-Trainer Urs Fischer würde ergänzen: «Da muss mehr kommen.»

Zerwürfnis mit Tamedia-Ressortleiter
Lob gebührt den drei Gründern und Machern trotz den Abstrichen: Es sind drei Berner «Giele»: Roman Grünig (44), ist im YB-Management tätig. Leander Strupler (36) gibt schon das Magazin BOXEN heraus. Fabian Ruch (42) schlussendlich war 22 Jahre Sportjournalist bei der Berner Zeitung. Und verliess den Tamedia-Konzern kürzlich im Streit. Ein Zerwürfnis mit dem Ressortleiter soll zur Kündigung geführt haben, wie die Medienwoche mutmasste. Wenn auch andere ehemalige Tamedia-Journies so kreativ sind, darf sich die Medienszene freuen.

Roman Grünig, Fabian Ruch und Leander Strupler (v.l.).

Gefährlich für die arrivierten SRF-Personen
Fabian Ruch ist es auch, der das Interview mit Steffi Buchli geführt hat. Nicht gut weg kommt darin SRF. Buchli arbeitete von 2003 bis 2017 dort, bevor sie zu MySports wechselte: «Da wird die ganze Klaviatur des Machtkampfes gespielt, vom Hintenrumreden bis zur offensichtlichen Blutgrätsche (…). Am Anfang hatte ich nur Freunde beim Fernsehen. Wenn Du neu bist, mögen Dich alle, weil Du erst mal keine Gefahr darstellst. Aber je mehr Landgewinne Du machst, umso gefährlicher wirst Du für die arrivierten Personen (…). Ich wurde dann auch persönlich enttäuscht und realisierte, dass man sich nur auf die Familie und den engsten Freundeskreis verlassen kann.» Der Sexismus sei bei SRF 2010 noch stärker spürbar gewesen als heute: «Es gab früher viele Redaktionssitzungen, in denen halt ein Mann mal sagte:

«Lasst uns Beachvolleyball bringen. Ein bisschen Füdli geht immer.»

Hat Steffi Buchli gewisse Mechanismen entwickelt, wenn sie in unangenehme Situationen gerät, fragt Ruch: «Burschikos geht immer, frech sein, sich wehren, kühl bleiben. (…) Viele Männer finden, es sei schwierig geworden, Komplimente zu verteilen oder zu flirten. Das ist absurd. Mit gesundem Menschenverstand weiss jeder, was möglich ist. Ein Kompliment für ein Kleid liegt drin, aber auf die Brüste gucken und einen dummen Spruch machen, das ist peinlich.»

Etwas übrigens findet Steffi Buchli schade: «Das Sportpanorama durfte ich leider nie moderieren.» Auch wenn es ein Format wie das Sportpanorama bei Blick-TV nicht gibt, bleibt zu hoffen, dass Buchli dort öfter mal am Bildschirm auftaucht. Ob Ringier dann wieder die Geschichten-Klamotte fährt mit sieben verschiedenen Steffi-Buchli-Frisuren?

 

*Dank eines genus-sicheren Lesers haben wir in Neutrum korrigiert. Merke: Der Überraschungseffekt. Aber das Überraschungsmoment.

Die Wüste lebt

Lena Bueche leistet dem Lokaljournalismus einen Bärendienst.

«Lokaljournalismus lebt» ist der Titel zu einem längeren Artikel von Lena Bueche in der «NZZ». Was löblich tönt, beginnt schon mit einem kreuzfalschen Einstieg. «Viele Lokalzeitungen sind in den letzten Jahren verschwunden – entweder wurden sie eingestellt oder von einem der grossen Medienhäuser einverleibt. Denn wie auch der Rest der Medienbranche stehen sie unter wirtschaftlichem Druck: Die Werbeeinnahmen gehen zurück, Nachrichten werden gratis im Netz konsumiert, online verdrängt Print.»

Erstaunlicher-, ja erfreulicherweise, sind in den letzten Jahren praktisch keine Lokalzeitungen eingegangen. Als negative Ausnahme gilt die Rhonezeitung im Wallis, ein Gratisblatt mit immerhin über 40000 Exemplaren wöchentlich. Sie erschien im März 2020 zum letzten Mal. Schon 2018 erwischte es den Rigi-Anzeiger. Einige Wochen später barfi.ch, ein Basler Onlineportal. Auch die Waadtländer Gratis-Wochenzeitung Le Régional verschwand, im Mai 2020. Den als Print nicht mehr erscheinenden «Le matin» in der Westschweiz hingegen kann man nicht als Lokalzeitung bezeichnen, ebenso wenig wie die 2018 Knall auf Fall eingestellte Tessiner Tageszeitung «Giornale del Popolo».

Die vielen Quartier- und Lokalzeitungen gedeihen prächtig

Das sind alles Ausnahmen, welche die Regel bestätigen: Die vielen Quartier- und Lokalzeitungen gedeihen erstaunlich prächtig. Auch die Coronakrise kann ihnen vorderhand wenig antun. Lokale Inserenten sind zumeist sehr treu. Warum also kommt Lena Bueche auf so ein schräges Fazit? Zugegeben, es tönt gut. Und bildet die Legitimation, damit Bueche nachher die üblichen Verdächtigen in Sachen «Lokale Onlineportale» aufs Podest schreiben kann. Sie tut dies mit der rührenden Bemerkung, damit würde «der Lokaljournalismus wiederbelebt und zukunftstauglich gemacht». Wiederbelebt? Ist er klinisch tot? Nur weil die «NZZ» ihre lokalen Seiten stetig zusammenkürzt, muss das noch nicht für die ganze Branche gelten. Ebenso nicht, wenn Tamedia wie von ZACKBUM.ch schon im November gemeldet, ihre kantonalen Redaktion der Landzeitungen Zürichsee-Zeitung, Landbote und Zürcher Unterländer zusammenlegt.

Es gibt eine enorme Menge an Quartier- und Lokalzeitungen, die den Mikrokosmos der Schweiz repräsentieren. Es mag für Aussenstehende nicht besonders interessant sein, wenn der Chorleiter von Döttigen sein 30-Jahr-Jubiläum feiert. Wenn die GLP ihre Kandidaten für die Schulpflege in Oberrohrbach nominiert. Wenn die Feuerwehr Zollikon ein neues, nicht gerade günstiges Multifunktionslöschfahrzeug vorstellt. Und wenn 124 Unterschriften zur Rettung des Restaurants Frieden in Unter-Affoltern gesammelt wurden. Aber es interessiert im Dorf oder in der Kleinstadt. Vielleicht mehr als die xte Analyse über Donald Trump.

Kreuzverkehrte Analyse, kreuzverkehrtes Lob

Darüber schreibt Lena Bueche aber keine Zeile. Lieber verklärt sie Portale wie «Tsüri», «Bajour» und «Kolt» (aus Olten) zu Rettern des Lokaljournalismus. Dabei sind die Mitgliederzahlen, herkömmlich Abonnenten und in der Republik-Sprache «Verleger» genannt, oft erstaunlich tief. «Tsüri.ch» zum Beispiel hat deren 1200. Allein der Verband Schweizer Regionalmedien umfasst 25 Blätter mit einer Leserschaft nach Wemf von 1,5 Millionen. «Bajour» behauptet, knapp 2500 «Member» zu haben. Die Höngger Zeitung in Zürich zum Beispiel gibt es seit 1926. Jenem Redaktionsteam muss man nicht unbedingt sagen, wie Lokaljournalismus geht. Die Auflage dieses Quartierblattes: 13200.

«Tsüri» hingegen ging kürzlich nach Schwamendingen, einem Aussenquartier von Zürich. Der Artikel beginnt so: «Schwamendingen hat es nicht einfach. Googelst du danach, schlägt dir die Suchmaschine automatisch Schwamendingen Ghetto vor.» Dann folgt die Aufzählung aus Google: «Der Kreis 12 im Norden von Zürich setzt sich aus den Quartieren Saatlen, Schwamendingen-Mitte und Hirzenbach zusammen. Er zählte 2019 rund 33’000 Einwohner*innen. Der Anteil Ausländer*innen liegt mit 35,9 Prozent ein paar Prozent über dem städtischen Durchschnitt von 32,2 Prozent». Undsoweiterundsofort. Das soll also der neue Lokaljournalismus sein. Frau Bueche, schreiben Sie doch nächstes Mal über die wahren Lokalzeitungen.

Ex-Press XVI

Blasen aus dem Mediensumpf

Wir beginnen mit einer guten Nachricht: In dieser Ausgabe gibt es kein Wort über Corona. Ausser ein positives: Immerhin haben wir es diesem Virus zu verdanken, dass Donald Trump nicht wiedergewählt wurde.

Oder, wie er es bis heute sieht: ihm sein Erdrutschsieg mit Betrug und Schummelei gestohlen wurde. Deshalb hat er als erster – und hoffentlich letzter – US-Präsident seine Anhänger aufgefordert, zum Capitol zu marschieren und dort Stärke zu zeigen.

Wie verarbeitet das nun die Schweizer Presse? Nützt sie die bekannte Bedächtigkeit, Neutralität, das Abwägen, werden die selbsternannten Qualitätsmedien ihrem Anspruch gerecht, für Mehrwert mehr verlangen zu dürfen?

Das Zentralorgan der professionellen Berichterstattung

Fangen wir beim Zentralorgan für differenzierte Berichterstattung an. Der «Blick» verfügt über einen Hobby-Korrespondenten in den USA. Der 25-Jährige MAZ-Absolvent beobachtet messerscharf die politischen Ereignisse in den USA. Vom seinem Wohnsitz San Diego aus, im Süden Kaliforniens. Da ist Washington 3656 km entfernt, oder fast 5 Flugstunden.

Ausser, der «Blick» spendiert seinem Korrespondenten ein Ticket. Aber den Sturm aufs Capitol hat Nicola Imfeld, «USA-Korrespondent der Blick-Gruppe» in seinem sicheren Wohnzimmer seiner WG erlebt. Da hat er – wie alle anderen im 6647 km von Washington entfernten Zürich – die Ereignisse in der Glotze verfolgt.

Aber, diesen Vorteil hat man in Zürich natürlich nicht, er kann sofort eine erste Reaktion aus den USA anbieten; die seines «total unpolitischen Mitbewohners». Das ersparte ihm eine erste Strassenumfrage, und die Reaktion ist bedeutungsschwanger: Denn der «legte seine Arbeit im Homeoffice nieder. Für Stunden! Ungläubig sass er vor dem TV-Bildschirm im Wohnzimmer. «Warum habt ihr uns zur Weltmacht werden lassen?», fragte er und stellte gleich fest:

«Wir verdienen es nicht!»

Ein erstes, erschütterndes Zeugnis aus San Diego. Weltexklusiv! Lässt sich das noch toppen? Schwierig, aber Imfeld macht’s möglich: «Es war ein trauriger Tag. Ich habe neben meinem Mitbewohner auf der Couch eine Träne verdrückt. Er hat sich geschämt.»

Einordnung und Analyse? Was ist das

Bevor wir auch zum Taschentuch greifen, was hat der USA-Korrespondent des immerhin grössten Medienhauses der Schweiz an Analyse und Einordnung zu bieten? Leider nicht viel, ausser einem guten Ratschlag für die Republikaner: «Die Partei muss eine starke Alternative bieten, die die berechtigten Sorgen ihrer Wähler ernst nimmt. Aber keine Frau oder keinen Mann, die Amerika in eine Diktatur verwandelt.»

Hoffentlich hören die Amis auf die Schweizer Stimme der Vernunft, wenn auch syntaktisch nicht ganz sattelfest, aus dem fernen San Diego.

 

Der trumpelnde Tages-Anzeiger

Sicherlich auf ganz anderem intellektuellen Niveau wird sich doch die Analyse und Einordnung des Tamedia-Konzerns bewegen, der mit seinen Blättern immerhin die halbe Deutschschweiz beschallt.

Nun ja, da hat Tamedia gleich zwei Probleme. Die intellektuelle Schwerarbeit nimmt ihm bekanntlich das Korrespondentennetz der «Süddeutschen Zeitung» ab, der man nun wirklich nicht vorwerfen kann, dass sie jemals unparteiisch über Trump berichtet habe. Im Gegenteil, schon unzählige Male sah die SZ die US-Demokratie in Gefahr. Was immer besonders lustig ist, wenn das eine Zeitung aus einem Land sagt, dem die USA vor 75 Jahren die Demokratie aufzwingen mussten – gegen den erbitterten Widerstand der Deutschen.

Das ist ja kein Schweizer Problem. Das zweite von Tamedia ist aber, dass der Konzern faktisch kaum mehr eigene Auslandberichterstattung hat, aber immer noch einen Auslandchef. Der musste natürlich seinem Oberchefredaktor Arthur Rutishauser kommentarmässig den Vortritt lassen, aber endlich durfte dann Christof Münger auch.

Nun ist das Thema leider auch auf seiner Flughöhe ziemlich durch, erledigt, zu Tode kommentiert. Ausser, jemandem fiele etwas Neues ein. Dafür ist Münger aber nicht zu haben. Er hält sich ans Bewährte. Vom Titel «Brandstifter Trump und seine Biedermänner» (Achtung, Bildungsalarm, Anspielung auf Max Frisch), über den «Tag der Schande» und natürlich zum Schlussakkord in D-Moll:

«Es geht ums grosse Ganze, um Demokratie oder Diktatur.»

(Artikel hinter Bezahlschranke.)

Schon wieder, kann man da nur gelangweilt weiterblättern. Schon wieder rausgeschmissenes Geld für News und Meinungen, die man sich gratis bei CNN und vom Nachbarn holen kann.

 

Die «Weltwoche» in Verteidigungsmodus

Interessanter ist natürlich, wie sich das Hauptquartier der Schweizer Trump-Versteher, durchaus auch Trump-Lobhudler, Trump-Bewunderer, sogar Fans des vollirren und vielfach gescheiterten Steve Bannon, auf den Rückzug begibt. Der darin seinem ehemaligen Chef nicht unähnlich ist. Sowohl Roger Köppel wie der Trump-Groupie Urs Gehriger, bekannt für copy/paste-Journalismus, müssen online das Weite suchen, weil die jüngsten Ereignisse ihres gefallenen Lieblings mal wieder nach Redaktionsschluss stattfanden.

Beide probieren es mit dem eingesprungenen Doppelaxel. Man erhebt sich in die Luft, dreht und wendet sich, gibt Trump die Schuld am Wahldebakel in Georgia und weist nun streng darauf hin, dass er hier eine rechtsstaatliche Grenze überschritten habe. Aber ein Doppelaxel besteht aus zwei Drehungen, also muss natürlich der Objektivität halber auch darauf hingewiesen werden, dass diese Spaltung der US-Gesellschaft von Brandstiftern hüben und drüben verursacht worden sei. Und dass es selbstverständlich Wahlbetrug und Manipulationen gab, einfach nicht so arg, wie Trump behauptet.

Ob die beiden nach diesem Sprung auch sicher wieder landen – oder ob sie auf dem Eis ihrer vorherigen Rhetorik kräftig auf die Schnauze fallen, das wird sich noch weisen.

 

Telegene CH Media

Wenn einem schon die meisten Privat-TV-Sender der Schweiz gehören, sollte man das doch auch ausnützen. Also lässt CH Media im hauseigenen «Talk täglich» ihren Auslandchef Samuel Schumacher gegen das Einmann-Orchester Roger Köppel antreten. Das dürfte den zweiten real existierenden Auslandredaktor der zwei Dutzend Kopfblätter im CH Media-Reich recht ins Schwitzen gebracht haben. Aber Schumacher schlug sich tapfer, während Köppel doch den Eindruck erweckte, dass er noch am Üben ist, wie er sich aus dieser selbstverschuldeten Peinlichkeit wieder herauswinden will.

Netterweise stellt CH Media ein «Best of» zur Verfügung, länger möchte man das auch nicht aushalten müssen. Was bietet dieses Haus der publizistischen Qualität sonst? Wenig, sehr wenig.

In letzter Verzweiflung staubt es den beinahe 85-jährigen Erich Gysling ab und widmet ihm als «US-Experten» sogar eine Sondersendung, deren Erkenntnisgewinn schon im Titelzitat aufblitzt: «Die Trump-Bewegung wird auch unter Biden weitergehen.»

Zudem ist die Bezeichnung US-Experte eigentlich eine Beleidigung für Gysling. Er ist schlichtweg Experte für alles, was ausserhalb der Schweiz stattfindet. Die arabische Welt, Afrika, China, Asien, USA, Amerika, wo es einen Experten braucht, da ist Gysling. Seit Peter Scholl-Latour tot ist, hat er diese Position auch unangefochten als Einziger.

 

Was nichts kostet, ist nichts wert?

Da ist in der Schweiz die interessante Antwort: jein. Nachdem «watson» im ersten Schock die USA schon wieder am Rande des Abgrunds sah, hat es sich wieder gefangen und kehrt zu den Listicals zurück. Im Falle von Trump und USA zu «Hier gibt’s 27 lustige Tierbilder». Oh, Pardon, verrutscht, ich meine natürlich «30 Bilder und Videos, die «Trumps Amerika» auf den Punkt bringen»:

Wer mir erklären kann, was daran lustig ist, gewinnt ein Gratis-Abo von ZACKBUM.ch.

Der hoffnungsvolle Jungredaktor, der diesen Schrott zusammengestellt hat, zählte offenbar auf überwältigende Reaktionen und weist vorsichtshalber darauf hin, dass allenfalls Tweets zunächst in der Queue steckenbleiben könnten. Da hat er sich vergblich Sorgen gemacht, Tweets 8 Stunden nach Veröffentlichung: null.

Von 0 auf 20

Von dieser Nullnummer nun zu «20Minuten». Man hat es wohl noch nie als so segensreich empfunden, dass sich das Blatt konsequent jeden Kommentars enthält. So hat Chefredaktor Looser, nicht zuletzt in unserer Preisverleihung für Journalisten des Jahres dekoriert, im Gegensatz zu ziemlich allen Kollegen auf der Welt und in der Schweiz darauf verzichtet, seine Leser davon in Kenntnis zu setzen, dass auch er sehr indigniert ist über diesen US-Präsidenten, das Schlimmste befürchtet, aber das Beste hofft.

Bravo.

 

Die gute, alte NZZ

Wurde die alte Tante auch durchgeschüttelt, sieht sie die USA am Abgrund oder über genügend Selbstheilungskräfte verfügend? Verurteilt sie, schämt sie sich wenigstens? Distanziert sie sich, wagt auch sie schräge Vergleiche zwischen dem Sturm aufs Capitol und der Besetzung des Bundesplatzes, die gerade einem FDP-Mann den (wohl erwarteten) Shitstorm bringen?

Auch auf die Gefahr hin, als deren ehemaliger Korrespondent der Parteilichkeit bezichtigt zu werden: Nö, sie versucht das, was alle anderen in der Schweiz nicht mal im Ansatz liefern: eine differenzierte Berichterstattung mit Manpower:

Keine einfachen Beschreibungen: Das ist NZZ at its best.

Aber eben, was ist das schon gegen die Feuerkraft der selbsternannten Bezahl- und Qualitätsmedien, die ja nicht nur einfach das schreiben, von dem sie hoffen, dass es bei ihrem Publikum am besten ankommt. Sondern auch, sich damit noch mehr Staatsbatzeli zu erschreiben.

Aufgefallen II (Samuel Schumacher)

Schumacher ist ein kleiner Tausendsassa. Allerdings nicht ganz sattelfest.

Zunächst eine kurze Würdigung von Mann und Werk. In seinem noch jungen Leben war Schumacher bereits Mitbegründer der Quatsch-Zeitschrift «Das Lamm», Reporter und nun Leiter Auslandredaktion bei CH Media. Da sind seine leitenden Funktionen allerdings überschaubar, bei einem weiteren Mitarbeiter.

Deshalb pumpt er sich bei Linkedin mächtig auf: «Als Auslandchef bei CH-Media koordiniere ich die Zusammenarbeit mit 40 KorrespondentInnen rund um den Globus. Dazu kommen gelegentliche Auftritte in TV-Diskussionssendungen.»

Unglaublich, dass ihm zudem nicht nur Zeit dafür bleibt, über die USA, China und den Nahen Osten zu schreiben. Ein wirkliches Multitalent, dessen wahre Fähigkeiten nur dann zu ermessen sind, wenn man weiss, dass er auch noch «als Trekking-Guide beim Wanderreise-Anbieter Imbach Reisen regelmässig zweiwöchige Touren durch China, das Königreich Bhutan und Palästina/Israel» leite.

Eine Nicht-Glosse zu einem Nicht-Thema zu einem Nicht-Moment

Wahrscheinlich braucht der Mann keinen Schlaf, denn selbst an Weihnachten rafft er sich dazu auf, sich mit einem brandaktuellen Thema zu beschäftigen, über das allerdings schon so ziemlich alles gesagt und geschrieben wurde. Aber nicht von allen, also muss sich auch ein Ausland-Chef noch zu Wort melden, mit einer «Glosse zu Donald Trump». Wahnsinn, darauf hatte die Welt so lange vergeblich gewartet.

Er will zwar seinen Mitbürgern mehr als das Parlament helfen, aber das wäre wohl eine Fake News.

Nun fangen aber seine Probleme schon beim ersten Wort an. Entweder weiss bei CH Media keiner, was eine Glosse ist, oder man hält seinen Beitrag tatsächlich für komisch oder satirisch. Der erste Satz mag da vielleicht noch durchgehen:

«Donald Trumps Unterschrift sieht ein bisschen aus wie die zittrige Aufzeichnung eines Seismographen nach einem mittelschweren Erdbeben.» Nach diesem Brüller wischen wir uns die Lachtränen aus den Augen und erwarten mehr. Das ist aber im heutigen Elendsjournalismus fast immer die falsche Einstellung. Denn es kommt nichts mehr an Glosse.

Nach starkem Anfang stark nachlassen

Sondern die übliche Latte an Vorwürfen. Trump habe doch tatsächlich 204 Executive Orders in seiner Amtszeit unterzeichnet. Damit könne er jeweils den Gesetzgebungsprozess im Parlament umgehen. Man muss allerdings sagen, dass Trump auch hier eher faul war; sein Vorgänger Obama unterzeichnete 276. Okay, der wurde auch wiedergewählt.

Aber wir wollen ja auf Glosse machen. Also pickt sich Schumacher eine «zunehmende Abstrusität» zeigende Order heraus: Die fordert, dass US-Stadtplaner zukünftig nur noch «schöne Amtsgebäude» bauen dürfen. Wer schon mal in den USA war und monströs hässliche Amtsbunker gesehen hat, kann diese Forderung durchaus verstehen.

Wer allerdings – sicherlich im Gegensatz zu Schumacher – diese Executive Order vom 18. Dezember liest, kann sich durchaus der Meinung der National Civic Art Society anschliessen. Die Non-Profit-Organisation spendet uneingeschränkt «Applaus» für diesen Versuch, Regierungsgebäude weniger Vertretern von Brutalismus oder anderen Modeströmungen zu überlassen.

Zahlreiche Begnadigungen durch Trump, aber an seinen Vorgänger kommt er bei Weitem nicht heran

Dann habe Trump auch noch «zahlreiche weitere Begnadigungen» unterschrieben. Wieso «weitere»? Hat er denn vorher Amtsgebäude begnadigt? Aber item, sein Vorgänger Obama hat an seinem letzten Amtstag noch schnell 330 Knastinsassen begnadigt, Rekord. Das waren mehr als durch seine 12 Amtsvorgänger zusammen. Plus die Reduktion von Haftstrafen bei weiteren 1715 Sträflingen während seiner Amtszeit.

Unvergessen auch die Begnadigung von Marc Rich durch Bill Clinton; der Hasardeur und Händler hatte sich vor der US-Strafjustiz in die Schweiz geflüchtet, aber mit einer kräftigen Spende gut Wetter gemacht. Also eigentlich business as usual, weder aussergewöhnlich, noch eine Glosse. Sondern reines Gewäffel. Aber, das weiss Schumacher aus seinen vielen Jahren journalistische Tätigkeit, nicht nur eine Glosse, eigentlich alles im Journalismus braucht eine Schlusspointe. Soweit richtig, aber bei einer Glosse sollte wenigstens die etwas lustig oder satirisch sein.

Trekking, Führung, Schreibe, Wirtschaft: Nichts ist vor Schumacher sicher

Auf der anderen Seite, so weit unten im Text erinnert sich Schumacher vielleicht nicht an die Kategorie, in der er angeblich schreibt. Aber er bleibt immerhin seinem Leitmotiv treu, der Unterschrift. Die verweigere Trump nämlich unter das 900-Milliarden-Hilfsprogramm, das die «gebeutelte US-Wirtschaft so dringend bräuchte», lässt Schumacher auch noch profunde ökonomische Kenntnisse aufblitzen.

Dann wagt er noch abschliessend den Blick in die Zukunft, dass Trump weiterhin seinen Stift zücken werde, um «weitere Freunde aus dem Knast zu holen und absurde Executive Orders zu unterschreiben».

Das würde man einem Volontär um die Ohren hauen

Wir finden, das ist eine Glosse, die man einem Volontär um die Ohren hauen würde, mit der Ansage: Lern erstmal, was eine Glosse ist, dann schreib eine. Aber weder die 40 Korrespondenten, verteilt über den ganzen Globus, noch sein einsamer Mitarbeiter würden es wagen, dem Auslandchef des Mitglieds des Tageszeitungsduopols CH Media anzudeuten, dass das weder eine Glosse, noch originell, noch interessant, sondern schlichtweg Schrott ist.

Daher hoffen wir, dass Schumacher mehr seine Kernkompetenz Trekking ausbaut, sich nur noch um das Redigieren von Korrespondenten-News kümmert und so dem Ausland eine kleine Chance gibt, einigermassen unbeschädigt in die Spalten von CH Media zu kommen.

 

 

Die Westentaschen-Philosophin

Barbara Bleisch tut etwas, was man unbedingt vermeiden sollte: In der falschen Gewichtsklasse boxen.

Nun gut, sie ist keine Boxerin, sondern prügelt auf die Philosophie ein. Die musste zwar schon vieles ertragen, aber wieso sie alle paar Wochen in den Organen von Tamedia misshandelt wird, bedürfte wohl einer tiefenphilosophischen Analyse.

Aber machen wir es banal-verständlich, denn Banalisierungen sind Bleischs Steckenpferd. In ihrer neusten Kolumne gründelt sie über der Frage, ob impfen vernünftig sei oder nicht. Das Ergebnis ist absehbar: «Sich impfen zu lassen, ist sicher vernünftig. Und wer will schon mit Zwang zur Vernunft gebracht werden, wenn er aus eigenen Stücken vernünftig sein kann?»

Das ist eine gute Frage; versuchen wir, sie am Beispiel Bleisch zu beantworten. Allerdings ist sie weder aus eigenen Stücken vernünftig, noch dürfte es Sinn machen, sie mit Zwang zur Vernunft zu bringen.

Ein Paradoxon aus der Spieltheorie: Gehen Sie ins Gefängnis. Gehen Sie nicht über Los.

Denn sie verheddert sich auf dem Weg zu dieser Schlussfolgerung einmal mehr rettungslos in halb verstandenen, halb verdauten philosophischen Begriffen. Sie behauptet kühn, dass der Einzelne das geringste Risiko trage, wenn sich alle anderen impfen und er von der Herdenimmunität profitieren könne, ohne sich selbst der Gefährdung einer Impfung auszusetzen.

Aber wenn alle so denken würden, gäbe es keine Herdenimmunität. Soweit banal trivial richtig. Nun ist das aber noch viel zu kurz, um die Kolumne zu füllen. Daher muss Bleisch noch ein paar Raketen steigen lassen. Die Impfung sei «der klassische Fall eines Paradoxons, das aus der Spieltheorie bekannt» sei.

Eigentlich ist das nicht bekannt, es ist auch kein Paradoxon, und die Spieltheorie befasst sich nicht mit banalen Dingen wie «Mensch ärger dich nicht». Sondern sie befasst sich mit Situationen, in denen verschiedene Subjekte miteinander interagieren, kooperativ oder nicht-kooperativ. Das wird dann ziemlich schnell sehr mathematisch und sehr komplex.

Natürlich darf Immanuel Kant nicht fehlen

Also nichts für Bleisch. Die kann sich offenbar dunkel daran erinnern, dass die Entwicklung der Spieltheorie mal etwas mit dem «homo oeconomicus» zu tun hatte, also mit dem postulierten Wirtschaftssubjekt, das rundum informiert zweckrational nur die besten Entscheidungen für sich fällt. War zwar nur Quatsch, damit der Faktor Mensch in die schönen Algorithmen passte, mit denen die Voodoo-Meister der Ökonomie alles erklären wollten.

Ist längst als Schwachsinn entlarvt und ad acta gelegt. Nur nicht für Bleisch. Die behauptet: «Die Spieltheorie baut auf einen Vernunftbegriff, der sich gänzlich am Eigeninteresse orientiert.» Das ist leider so falsch, dass nicht mal das Gegenteil richtig ist. Der Spieltheorie geht es vielmehr darum, an Beispielen wie dem berühmten Gefangenendilemma aufzuzeigen, dass kooperatives Verhalten erfolgreicher ist als nicht-kooperatives.

Nachdem Bleisch einen unsinnigen Vernunftbegriff eingeführt hat, fällt es ihr nicht schwer, ihm Unsinn, bzw. ein «schweres Defizit» vorzuwerfen: Er halte «uns für ausschliesslich eigeninteressierte Individuen». Das sei natürlich falsch. Das sage übrigens nicht nur Bleisch, sondern, in solchen Zusammenhängen immer gern genommen, das sage auch Immanuel Kant.

Der – schüttel – «moralische Impf-Imperativ»

Nun hat Kant tatsächlich ziemlich viel gesagt, und das auch nicht gerade leicht verständlich formuliert. Er hat es aber ganz sicher nicht verdient, dass Bleisch aus seinem grossartigen kategorischen Imperativ einen «moralischen Impf-Imperativ» macht. Spätestens damit hat sie den Boxkampf gegen die Philosophie nicht nur nach Punkten, sondern durch k.o. gewonnen.

Wo soll das alles enden? Tamedia stellt eine neue Literaturleiterin ein, die wohl Günter Grass nicht von Heinrich Böll unterscheiden kann, die keine Ahnung hat, wer Gregor von Rezzori oder Robert Neumann war, wie viele Pseudonyme Tucholsky benützte, wie man den Unterschied zwischen Heinrich und Thomas Mann auf den Punkt bringen könnte oder welche Schreibtechnik Alfred Döblin verwendete. Nein, «Berlin Alexanderplatz» ist nicht von Rainer Fassbinder.

Und dann schlägt eine Westentaschenphilosophin eins ums andere Mal die Philosophie nieder, als sei sie ein Punchingball für Flachdenker. Woraus das Publikum den falschen Schluss zieht: Literatur und Philosophie, das kann man doch vergessen, wer braucht schon solchen Quatsch.