Blattkritik: Das «Spiegel»-Bild heute

Hat sich das Nachrichtenmagazin von Relotius erholt?

Das Objekt der Blattkritik ist die «Spiegel»-Ausgabe vom 18. Juli 2020. Die Titelstory knüpft an bessere Zeiten an: «Der Wirecard Thriller» nimmt sich des wohl grössten deutschen Wirtschaftsskandals an.

Der ehemalige Börsenliebling und als deutsches IT-Wunderkind gehandelte Konzern erwies sich als Betrugsmaschine, es fehlen rund 2 Milliarden Euro in der Bilanz. Seine Nummer zwei ist abgetaucht, und den Spuren dieses Jan Marsalek geht ein Team von 18 Redaktoren auf etwas mehr als neun Seiten nach. Launig illustriert und knackig betitelt mit «Auf der Jagd nach Dr. No».

Tatsächlich fördert der «Spiegel» hier Neues und Erstaunliches zu Tage. Es geht um Libyen, Russland, Spionagesoftware und wirklich knackige Anekdoten wie aus einem Bond-Film. Sauber chronologisch aufgearbeitet, hier spielt das Blatt seine Manpower und seine Fähigkeit, ein Recherchepuzzle süffig aufzubereiten, voll aus.

Rechthaber statt Recherche

Weniger glorios ist allerdings noch vor der Titelstory das erste Meinungsstück. Seit einiger Zeit leistet sich der «Spiegel» einen «Leitartikel». Hier erhebt der deutsche Oberlehrer sein hässliches Haupt: «Es reicht jetzt», kanzelt er Ungarns Premier und seine «illiberalen Freunde» ab. «Höchste Zeit», «Wesenskern würde beschädigt», hier wird mit dem Zeigefinger gefuchtelt, als würde irgend jemand auf die Ratschläge eines Journalisten hören.

Dem Zeitgeist geschuldet ist auch, dass jedes der klassischen Ressorts, zuerst «Deutschland», mit inzwischen fünf Seiten Kurzfutter eingeleitet wird. Ebenfalls den Mantel in den Wind hängt der «Spiegel» mit einem länglichen Stück über die Politik als Männerdomaine. Dann kommt etwas, was es seit Jahren nicht mehr gegeben hat, ein neues Ressort: Reporter.

Das beinhaltet, Überraschung, Reportagen. Offensichtlich die Wiedergutmachung für den Schaden, den der Fake-Reporter Claas Relotius anrichtete. Dessen Reportagen entsprachen zwar genau den Wünschen und der Gesinnung der Redaktion, hatten aber den kleinen Nachteil, dass sie über weite Strecken schlicht erfunden waren.

Das klassische «Spiegel»-Gespräch»

Im grossen Wirtschaftsstück «Masslose Macht», dem Aufmacher einer Serie über die zunehmende Dominanz des Staates in der Wirtschaft, merkt man deutlich, wie zwischen Kritik an staatlichen Monopolbetrieben und an «übertriebenen» Privatisierungen geeiert wird. Besonders hier zeigt sich, dass der «Spiegel» nun beileibe nicht in erster Linie ein Nachrichtenmagazin ist. Sondern ein Meinungsblatt. Es will nicht spiegeln, allenfalls einordnen und analysieren, es will nicht nur erklären, sondern richten.

Ein schönes Stück alter «Spiegel»-Kultur ist das Interview mit dem ehemaligen Sicherheitsberater des US-Präsidenten, John Bolton. Der hatte schon mit einem Enthüllungsbuch mit Trump abgerechnet. Im Gespräch erweist sich die alte Kriegsgurgel als schlagfertiger und gebildeter Mensch. Wunderbar seine Sottise, als er gefragt wird, ob dem Präsidenten eine Rede Merkels über Multilateralismus auf die Nerven gegangen sei: «Trump weiss wahrscheinlich gar nicht, was Multilateralismus ist.»

Politisch korrekt ist dann aber das Interview mit den beiden Journalistinnen, die den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein wegen seinen sexuellen Übergriffen zu Fall brachten. Und nach 130 Seiten, auch das ist dem Zeitgeist geschuldet, ist dann Schluss.

€ 5.50 kostet das, in der Schweiz unverschämte Fr. 8.10. Früher war Montag obligatorischer «Spiegel»-Tag für sehr viele Deutsche, auch für mich. Seit 1995 ist die Auflage von über einer Million auf 700’000 zurückgegangen, und Erscheinungstag ist Freitag.

Im deutschen Sprachraum unerreicht

Von Fake Journalismus scheint sich das Magazin gut erholt zu haben, und wenn es wie bei dieser Titelgeschichte seinen journalistischen Muskel anspannt, ist es zumindest im deutschen Sprachraum unerreicht. Auch dem Zeitgeist geschuldet ist die immer grosszügigere Bebilderung mit auch ganzseitigen Fotos. Das hatte das Blatt früher nicht nötig, ein Gewinn ist’s nicht.

Überhaupt nicht erholt hat sich der «Spiegel» aber von seiner krachenden Fehleinschätzung, dass Donald Trump keine Chance habe, US-Präsident zu werden. Seither verfolgt ihn das Blatt hasserfüllt, beschimpft ihn als «Brandstifter» ruft «Das Ende der Welt» aus und tut so, als wäre es seine Aufgabe, den Präsidenten wegzuschreiben. Wie meist, wenn Journalismus Gesinnung zeigen will, ein Zeichen setzen, warnen, aufrufen, wird’s schal und unerträglich. Würde der «Spiegel» wieder vermehrt versuchen, dem Motto seines Gründers zu folgen, «sagen was ist» statt «sagen, wie’s sein sollte», dann wäre er wieder geniessbar.

Aber bei all seinen Schwächen, bei allen Zerrbildern, die er aus der Realität widerspiegelt: Natürlich bleibt er unverzichtbar für die politische Debatte im deutschen Sprachraum. Bis heute kann ihm kein anderes Blatt das Wasser reichen. Was ein Lob und auch ein Armutszeugnis ist.

ZHAW top, MAZ Flop

Corona-Lockdown und Ausbildung?

Während die ZHAW und zum Beispiel auch die Höhere Baugewerbliche Berufsschule Zürich praktisch von heute auf morgen auf den Online-Unterricht umstellten, tat sich das MAZ in Luzern bedeutend schwerer.

Der Modul-Kurs vom 13. bis 27. März der MAZ-Diplom-Ausbildung wurde einfach gestrichen. Grund: Corona-Lockdown. Das führte zu einiger Kritik. Denn das Schulgeld für die gut 90 Tage Schule beträgt happige 28400 Franken. Die 10 Kurstage sollen nun zumindest teilweise im Herbst nachgeholt werden. Schneller reagierte die ZHAW, die Fachhochschule Winterthur in der Fachrichtung Kommunikation. Schon nach einer Woche Lockdown wurde den Studentinnen und Studenten wieder Unterricht erteilt, per Email und Videochat. Zudem konnte man aufgezeichnete Vorlesungen herunterladen. Ähnlich lief es bei der Höheren Fachschule der Baugewerblichen Berufsschule Zürich. Dort setzte man auf das Improvisationsgeschick der Dozenten. Meist innert Tagen stellten diese auf digitalen Fernunterricht um. Kein Wunder, denn die Studenten wollen etwas geboten bekommen für die 17000 Franken. Diesen Betrag müssen die Studies umgerechnet auf gut 60 Tage Unterricht bezahlen.

Yanez ging, Fehr kam

Warum tat sich ausgerechnet das MAZ so schwer? Das Maz, das sich rühmt, das „führende Schweizer Kompetenzzentrum für Journalismus und Kommunikation“ zu sein. Ein möglicher Grund: Der Corona-Lockdown fiel ausgerechnet in die Zeit der Stabsübergabe von Diego Yanez an Martina Fehr. Die neue Direktorin übernahm die Leitung des MAZ am 1. Mai 2020. Fehr, die von der Somedia-Gruppe kam, will die Kritik nicht gelten lassen. Man habe die Kurse in der Diplomausbildung sowie im Radio- und VJ-Lehrgang virtuell fortgesetzt. „Einzelne Inhalte, die sich für den Fernunterricht nicht eigenen, werden im Herbst nachgeholt; dies gilt auch für Prüfungen“, so die 45-Jährige. Und auch Fachkurse wie Medienrecht, Online-Recherche, Verifikation von Fakten, Umgang mit PR oder auch Kurse in der Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Luzern habe man im Fernunterricht durchgeführt. Mussten Angebote gestrichen und/ oder zeitlich verschoben werden? Nochmals Fehr: „Umbuchungen haben wir insbesondere in der Abteilung Kommunikation vorgenommen. Die meisten Kurse und massgeschneiderten Angebote werden nun im Herbst durchgeführt. Einzelne Kurse mussten wir aber auch streichen“.

10 Prozent weniger Kurgeldeinnahmen – vor Corona

Den finanziellen Schaden kann Martina Fehr derzeit nicht beziffern. Schon von 2018 auf 2019 gingen die Kursgeldeinnahmen um eine halbe Millionen oder gut zehn Prozent zurück. Die Schulgelder der Kantone gar um 25 Prozent. Total betrug der Einnahmenverlust 547415 Franken – vor Corona. „Das zweite Semester ist für uns traditionell das umsatzstärkere. Was aber trotzdem klar ist: Wir werden den erlittenen Umsatzverlust im zweiten Halbjahr nicht aufholen können“. Das wiegt darum schwer, weil das MAZ sowieso immer stärker unter der Konkurrenz leidet. Das MAZ mit einem Trägerverein im Hintergrund gilt zwar als praxisnaher als die staatliche ZHAW, dafür aber auch als viel teurer.  Entsprechend sinken die Anmeldungen in Luzern, während in Winterthur der Laden brummt.

Das Expeditionsteam in Langeweile

Was macht so ein «Expeditionsteam» der Republik den ganzen Tag lang? Es guckt vielleicht aus dem Fenster hinaus und zählt nach, ob mehr rote Autos oder grüne Lastwagen vorbeifahren. Wenn das geklärt wurde (mehr rote Autos), nimmt es ein Blatt Papier und schreibt links oben «Mann», daneben «Frau» und ganz rechts «Beides». Und dann zählt es jeden Monat nach, welches Geschlecht am meisten Republik-Texte geschrieben hat.

Am 12. Juni präsentierte das Expeditionsteam seine irre Arbeit. Eigentlich hätte sie sich das sparen können, denn: «Die schlechte Nachricht: Der Frauenanteil bei den redaktionellen Stellenprozenten stagniert hartnäckig bei 36 Prozent.» Der Chefredaktor Christof Moser, zuständig vielleicht für Einstellungen, haut natürlich auf den Tisch und brüllt: «Schlicht ungenügend.»

Da es sich bei der Republik aber um die Republik handelt, werden fünf Seiten Text vollgeschrieben und sieben Grafiken nachgereicht. Der Leser weiss am Ende, dass in den Republik-Texten die Frauen in 31 Prozent der Fälle als Expertinnen auftreten, in 42 Prozent als Protagonistinnen und in 27 Prozent als Expertinnen-Protagonistinnen. So detailliert wollten wir das schon immer wissen.

Allerdings «kann es Unschärfen geben», schreibt die Republik, ob eine Frauen mal als Expertin oder Protagonistin auftritt. Vielleicht, ein Vorschlag, schreibt die Republik nächstes Jahr, dass die Frauen zu 100 Prozent als Expertinnen-Protagonistinnen auftreten. Da macht das Expeditionsteam sicher nichts falsch und kann wieder Autos und Lastwagen zählen.

Wikipedia: Die Welt der pickligen Nerd-Götter

Wikipedia ist auch ein Hort der Willkür.

Die «TagesWoche» gab es rund sieben Jahre lang. Das ist eigentlich eine erstaunlich lange Zeit für eine Zeitung, deren einzige Existenzberechtigung ein «wir sind dagegen» war. Gegen die bösen Blocher-Medien. Gegen die betriebswirtschaftlich gerechtfertigte Führung einer Tageszeitung in Basel, die zuvor vor dem Aus stand. Das war das ganze Programm der TagesWoche. Das reichte immerhin bis zum bitteren Ende 2018.

Die TagesWoche hat einen Eintrag auf Wikipedia.

Ganz knapp erreichte das Pendlerblatt NEWS die Zwei-Jahresmarke. In dieser Zeit schaffte das Blatt einiges: Es wurde täglich an Knotenpunkten des öffentlichen Lebens und eigens dafür bereitgestellten Boxen zur Verfügung gestellt. Die Zeitung schaffte auch einiges nicht: sie war an keinem einzigen Tag auch nur für den Hauch von gesellschaftlicher Relevanz zuständig. Eine Schleuder von Agenturmeldungen ist vermutlich noch die freundlichste Umschreibung. Niemand las die Zeitung, niemand wollte sie wirklich.

NEWS hat einen Eintrag auf Wikipedia.

Praktisch reine Willkür

Die Liste könnte beliebig weitergeführt werden. Wikipedia ist eine Art Chronik des Lebens, auch des Lebens, das längst Geschichte ist, und es ist nichts zu sagen gegen diese Einträge, die uns helfen, die Vergangenheit einzuordnen. Aber kennt jemand die Kriterien, die dafür sorgen, dass man in diesen erlauchten Kreis aufgenommen wird? Ob tot oder lebendig? Theoretisch gibt es sie. Aber in der praktischen Anwendung sind sie vor allem eines: reine Willkür.

Wir – sprich: Die Medienmarke «Die Ostschweiz» – kann davon ein Lied singen. Wir werden systematisch von Wikipedia ausgesperrt. Die Nutzer der Wissensplattform dürfen auf keinen Fall erfahren, dass es uns gibt. Weshalb auch immer.

Es gibt «Die Ostschweiz» auf Wikipedia. Es ist ein sehr kurzer Abgesang auf die gedruckte Tageszeitung, die Ende 1997 eingestellt wurde. Nachdem wir die Marke im April 2018 wiederbelebt hatten, beantragten wir eine Ergänzung des Eintrags. Mit der banalen Information, dass rund 20 Jahre nach dem Ende von «Die Ostschweiz» der Traditionsname in neuer Form wiederaufersteht. Sprich: Wir wollten nicht mal einen eigenen Eintrag. Es hätte uns gereicht, wenn der bisherige ergänzt worden wäre. Das Begehren wurde abgelehnt: Wikipedia-Einträge, so lernten wir, dürfen sich nur immer um eine bestimmte Sache drehen und nicht um eine Art Neuauflage. Da die neue «Die Ostschweiz» rein formal mit der alten nichts zu tun hat, darf der Eintrag nicht mit der neuen Situation vermengt werden.

Gut, kann man akzeptieren. Auch wenn die Realität eine andere Sprache spricht, denn es gibt Millionen von Artikeln auf Wikipedia, in denen es um X geht und plötzlich die Rede von Y ist, aber was solls: Wir waren verständnisvoll und beantragten stattdessen einen ganz neuen Eintrag unter dem Titel: «Die Ostschweiz (Onlinezeitung)». Denn, so unsere naive Überzeugung, wir hatten ja etwas erschaffen, das Teil der Wirklichkeit war, und davon durfte und sollte man auch auf Wikipedia lesen.

Was heisst schon relevant?

Nein. Durfte und sollte man nicht. Auch dieser Versuch fand keine Gnade, der Entwurfseintrag wurde gelöscht. Einer der Wikipedia-Götter schrieb als Begründung kurz und knapp: «Relevanz?»

Ach. Relevanz. Relevanz? Seit zweieinhalb Jahren informieren wir jeden Monat rund 150’000 Leserinnen und Leser in der Ostschweiz über das, was die Region bewegt. Das ist offensichtlich nicht relevant. Um bedeutend genug zu sein für Wikipedia, hätten wir wie die TagesWoche Millionen einer reichen Erbin an die Wand fahren und nach einigen Jahren eingehen müssen – dann hätte es vermutlich gereicht. Wir haben definitiv was falsch gemacht: Uns gibt es immer noch, und wir stehen dank eines motivierten Aktionariats finanziell gesund da. Wenn etwas funktioniert, ist es nicht relevant. Offenbar ist das basisdemokratisch geführte Wikipedia zutiefst sozialistisch angehaucht und mag nur, was nicht rentiert, anders lässt sich das nicht erklären.

Relevanz? Wären wir doch nur das «Pöschtli», eine in Thusis herausgegebene Wochenzeitung. Die erreicht zwar nur einen Bruchteil unserer Leserschaft, aber offenbar ist sie im Gegensatz zu uns wichtig genug. Warum? Vielleicht, weil hin und wieder Artikel auf Rätoromanisch erscheinen. Das hilft immer in der Schweiz, aber damit können wir beim besten Willen nicht dienen. Nichts gegen das «Pöschtli», wirklich, aber kennt irgendjemand ausserhalb von Thusis diese Publikation?

Sicher auch nicht schlecht wäre es, wenn wir die jüdische Gemeinde in der Schweiz ansprechen würden. Denn «Tachles», das jeden Monat 7000 Leserinnen und Leser bedient, ist auch eines Wikipediaeintrags würdig. Nein, ich habe nichts gegen Juden, um dem zu erwartenden Aufschrei vorauszukommen, aber: Das ist relevant, und wir sind es nicht?

Pickel müsste man haben

Relevanz? Wer definiert die? Bei Wikipedia sind es einige Nerds, die vermutlich noch bei den Eltern wohnen, seit 15 Semestern «studieren» und vom Keller aus Beiträge bearbeiten in Ermangelung eines anderen Hobbys. Beziehungsweise sie gutheissen oder ablehnen. Wir stellen sie uns so vor: Fettige Haare, Pickel, eine Nickelbrille, ein seit längerem nicht gewaschenes T-Shirt mit dem Aufdruck einer amerikanischen Universität – und ein grenzenloses Sendungsbewusstsein. Die Leute, die über Relevanz entscheiden, sind vermutlich selbst die fleischgewordene Irrelevanz.

Nein, wir gehen nicht unter, wenn man uns auf Wikipedia nicht findet. Aber Journalisten haben – jedenfalls, wenn sie den Namen verdienen – ein ausgeprägtes Empfinden für Ungerechtigkeiten. Und es gibt beim besten Willen keinen Grund dafür, warum zugrunde gegangene, rein politisch motivierte Titel oder Nischenmedien unter Ausschluss einer breiten Öffentlichkeit auf Wikipedia sagen dürfen, dass sie existieren (oder existiert haben), aber ein prosperierendes Regionalmedium nicht.

Fazit: Pickel müsste man haben.

Von Stefan Millius, Chefredaktor «Die Ostschweiz».

Packungsbeilage: Der ZACKBUM.ch-Redaktor René Zeyer publiziert in «Die Ostschweiz».

SoZ: Tief gesunken

Erst ein Tag alt, schon erste Gegendarstellung nötig

 

Der Niedergang des einstigen Qualitätstitels «SonntagsZeitung» ist unaufhaltsam. Immer weniger Inhalt, immer weniger Qualität, immer mehr verludernde Sitten. Bis hin zum Austragen von Privatfehden.

Fertigmacherjournalismus aufgrund gestohlener Geschäftsunterlagen im Fall Bastos. Veröffentlichung von angefütterten Dokumenten im Fall Vincenz. Beides wurde von mir 2019 öffentlich scharf kritisiert.

Daraufhin feuerte der «Tages-Anzeiger» eine Breitseite gegen mich ab: «Das doppelte Spiel eines Wirtschaftsjournalisten». Eine ganze Seite Rachefeldzug.

Im Vorfeld wurden mir zum Teil unverschämte Fragen gemailt, die ich öffentlich beantwortete. In der vergeblichen Hoffnung, damit ein weiteres solches Stück zu vermeiden.

Dreamteam Brönnimann Rutishauser

Als Autorenteam zeichneten Christian Brönnimann und Arthur Rutishauser. Brönnimann war verantwortlich für die Kampagne gegen Bastos. Rutishauser war von mir mehrfach kritisiert worden, wieso er sich von der Staatsanwaltschaft im Fall Vincenz mit Interna abfüttern liess, die er dann als «exklusiv» und sich auch auf die ewigen anonymen Quellen berufend, publizierte.

Obwohl ich selbst und die immerhin angefragten Firmen strikt verneinten, dass ich mich mit finanziellen Forderungen oder mit Beratungsangeboten an sie gewandt hatte, behauptete Tamedia dennoch – «bestätigen drei voneinander unabhängige Personen», die natürlich anonym bleiben mussten – das Gegenteil. Um diesem üblen Stück nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, verzichtete ich auf Schritte gegen diese Unterstellungen. Vielleicht ein Fehler.

Aber offensichtlich ist man weiterhin nachtragend im Hause Tamedia. Während früher nur Banken alle meine öffentlichen Äusserungen unter die Lupe nahmen, ob sich da etwas finden liesse, was man gegen mich verwenden könnte, macht das nun die ehemalige Qualitätszeitung SoZ. Lange Monate vergeblich, aber nun meinte man, etwas gefunden zu haben.

Stümper am Werk

In der Spalte «Bürohr», wo anonym Gerüchte verbreitet und Behauptungen aufgestellt werden, glaubt man, mir eine reinbrennen zu können. Nur: Zum allgemeinen Niedergang der SoZ gehört auch, dass nur noch schlampig recherchiert wird, wenn überhaupt.

Der Anlass ist eigentlich nichtig, wenn es nicht so komisch wäre. Denn hier behauptet die SoZ, ich hätte zur Genese des Namens unserer Medien-Show auf einen Geniestreich verwiesen, der Beni Frenkel berührt habe; damit sei der Name gesetzt gewesen. In Wirklichkeit sei das ein alter Hut, behauptet die SoZ, «denn Frenkel liess den Domain-Namen zackbum.ch schon im Mai 2009 auf sich eintragen».

Liebe Anfänger und Stümper im Hause Tamedia: Ich gebe zu, das Internet gibt es noch nicht so lange, da muss man sich ja erst dran gewöhnen. Dem Recherschör war dann nichts zu schwör, er schaffte es in einer journalistischen Meisterleistung, Beni Frenkel als Besitzer des Domain-Namens aufzuspüren. Bravo.

Nur: Bei jedem Domain-Namen steht normalerweise, wann er zuerst registriert wurde. In diesem Fall tatsächlich im Jahr 2009. Tatä? Leider nein, denn er wurde damals nicht von Frenkel registriert. Der ihn sich deswegen, nach seinem Geniestreich in diesem Jahr, vom bisherigen Besitzer besorgen musste.

Was lernt man daraus? Die Kollegen von der SoZ lernen nichts. Deswegen kriegen sie nun eine Gegendarstellung reingepfeffert, denn nur aus Schaden wird man klüger. Wie könnte sich das äussern? Nun, indem man seinen journalistischen Muskel nochmal angespannt hätte und sich bei Frenkel erkundigt, ob er nicht schon seit 2009 Besitzer dieses Namens sei. Aber auch da gilt offenbar: lass dir eine gute Anekdote ja nicht durch die Wahrheit totrecherchieren.

Wie es die SoZ oder Tamedia begründen kann, für solchen Stuss auch noch Geld zu verlangen, das wird immer mehr zu deren wohlgehüteten Geheimnis.

«Ist das so korrekt?»

Premiere im «Schweizer Journalist»: Der Chefredaktor verunglimpft einen Medienschaffenden

Und muss sich dafür im Blatt entschuldigen. Eine Nachlese.

 Am 10. Februar hatte David Sieber ein Problem. Der ziemlich neue Chefredaktor des «Schweizer Journalisten» hatte fast alle Artikel für die erste Nummer von 2020 zusammen. Ein Porträt über die Politikchefin beim Blick, eine Geschichte über eine Journalistin auf Weltreise und ein paar alte Kamellen über Beförderungen. Sachen, die in einem Branchenblatt halt so vorkommen. Was dem 57-Jährigen noch fehlte, war eine spannende Geschichte für das 15 Franken teure Heft.

Sieber setzte sich am Nachmittag des 10. Februars nochmals an den Rechner hin und schrieb eine E-Mail an Philipp Gut, Ex- stellvertretender Chefredaktor der Weltwoche. Er habe vernommen, so Sieber, dass der Grund für Guts Abgang bei der Weltwoche ein Verhältnis mit Köppels Sekretärin sei. «Ist das so korrekt?» Eine Deadline fehlte. Gut antwortet ihm am 13. Februar, um 12:41 Uhr: «kompletter Unsinn.»

Die Geschichte war klinisch gesehen also tot. Moralisch gesehen, schon früher. Niemand interessiert sich ernsthaft dafür, ob zum Beispiel die Mutter von David Sieber Sex mit dem Gärtner hatte oder nicht. Man nennt so etwas altmodisch «Privatsphäre».

Leider zu spät

Sieber antwortete Gut: «Danke. Leider sind Sie zu spät. Das Heft ist gedruckt, das Gerücht drin, inkl. Köppels Dementi.» In der Nummer 1/2020 frotzelte dann Sieber alias «Dr. Media» genüsslich, dass nicht nur Gut, sondern auch die Sekretärin entlassen worden seien. Der Haken: Die Sekretärin arbeitete zu diesem Zeitpunkt weiterhin bei der «Weltwoche».

Zackbum wollte von Sieber wissen, wann die Antwort von Gut hätte erscheinen müssen, um das Fiasko zu verhindern. Drei Stunden früher, so Sieber. Wahrscheinlich stimmt das auch nicht. Sieber hätte den Artikel verhindern können. Wie sehr er das wollte, ist eine andere Geschichte. Das Heft wurde erst am 14. Februar gedruckt. Sieber hätte den Artikel darum problemlos verhindern können, indem er die entsprechende Druckseite ausgewechselt hätte.

«Da ist mir der Gaul durchgegangen.»

Gut verlangte ein Dementi in der nächsten Nummer. Sieber realisierte langsam, dass er Blödsinn gemacht hat. «Da ist mir der Gaul durchgegangen», schreibt er Gut. In der nächsten Nummer erscheine das Dementi, verspricht er ihm. In der Nummer 2/2020 steht aber nichts. Sieber rechtfertigt sich gegenüber Gut. Wegen der «internationalisierten» Nummer von 2/2020 sei das Korrigenda nicht erschienen. «Ich hätte Sie informieren müssen, was mir leider unterging.»

Fake News sind überall

Gut hatte langsam die Faxen satt. Er wendet sich an den Presserat und nimmt einen Anwalt. Und nun geht alles plötzlich schnell. Man findet einen Kompromiss: Gut lässt die Beschwerde fallen, Sieber frisst dafür Kreide. In der Nummer 3/2020 entschuldigt er sich «in aller Form für die Falschmeldung».

Das Ganze wirft aber ein schiefes Licht auf den Chefredaktor des «Schweizer Journalisten» und ehemaliges Mitglied des Stiftungsratsausschusses des Schweizer Presserates. In einem Interview antwortete er auf die etwas dämliche Frage, ob Fake News eine Gefahr oder eine Chance für die Medien darstellten, mit «Eine Gefahr. Weil Medien immer mal wieder auch Fake-News-Lieferanten sind. Leider.» Ja, leider.

Huhu, Werbung

Print stirbt, digital floriert, Google kassiert

Nirgendwo gilt so sehr wie im Internet: The winner takes it all. Der zweitgrösste Verkaufsplatz: zum Sterben verurteilt. Die zweitgrösste Suchmaschine: Was fürs Archiv. Die zweitgrösste soziale Plattform? Bald begraben.

Lange Zeit galt ein einfacher Dreisatz in der Verteilung des Werbekuchens in der Schweiz. Ein Drittel geht an Print in jeder Form, also Werbung in Medien, plus Direct Mailing, Plakate und alles, was aus Papier ist.

Ein Drittel geht in die elektronischen Medien, also Funk und Fernsehen. Wobei TV die Radios gnadenlos abtrocknet. Und dann werden noch stolze 750 Millionen im Jahr für Werbeartikel aller Art rausgehauen. Plus immer mehr Online-Werbung.

Online geht die Post ab

Das alles macht für 2019 einen Kuchen von rund 4,5 Milliarden Franken aus. Noch deutlich beschleunigt durch die Pandemie sind zwei glasklare Tendenzen festzuhalten: Printwerbung, vor allem in Papiermedien, stirbt. Online-Werbung verzeichnet dagegen zweistellige Zuwächse.

Macht ja nix, könnte der Laie denken, da wird einfach umplatziert, was früher Printmedien auf Papier einnahmen, kassieren sie halt nun digital im Netz. Damit zeigt der Laie wieder einmal, dass er keine Ahnung hat. Denn auch  im Internet geraten die klassischen Werbeformen, also Banner, Inserts, Pop-ups, Umrahmungen des Contents, in den Content platzierte Werbeunterbrechungen in Form von Videos, immer mehr aufs Abstellgleis.

Wer Online-Marketing betreiben will und etwas davon versteht, benützt dafür in erster Linie die ganz grossen Plattformen. Zurzeit ist der fast überall herrschende Landeplatz Nummer eins Google. Adwords, Google Ads, Suchmaschinenoptimierung, wer gefunden werden will, benützt Google. Dann kommt lange gar nichts, und dann kommt Facebook. Das gleiche Spiel.

Wer einen eigenen Videokanal eröffnen will, benützt natürlich YouTube. Wer eine jüngere Zielgruppe ansprechen will, Instagram, Whatsapp oder Tiktok. Journalisten schwören auf Twitter, was ausser ihnen aber kaum einer so sieht. Und zufällig gehören alle diese Plattformen auch einem der grossen Datenmonster Google und Facebook. Nur Tiktok ist das erste chinesische Gewächs, das seinen Siegeszug um die Welt antritt.

Meister der Werbung in alle Richtungen

Die zudem sich auch als Werbeschleudern betätigen. Millionen von Webseiten, die sich keine eigene Akquise leisten können, stellen zum Beispiel Google Werbeplatz zur Verfügung. Dort spielt dann das Suchmaschinenmonster Werbung drauf. Und verdient den Löwenanteil der Einnahmen. Was dazu führt, dass alleine diese beiden Plattformen in der Schweiz rund 90 Prozent des Online-Werbekuchens abgreifen.

Ja, geschätzt eine Milliarde, für den Rest hierzulande bleiben nur die Brosamen. Aber damit nicht genug. Schweizer Medienhäuser flüchteten sich ja auch ins Internet, nicht nur mit den klassischen Produkten, sondern auch mit Handelsplattformen. Immobilien, Autos, Stellen, Krimskrams, das Übliche halt. Damit wollen sie die einbrechenden Werbeeinnahmen wett machen.

Aber zu kurz gedacht: Auch hier gilt, the winner takes it all. Google und Facebook sind daran, auch die Schweiz mit ihren eigenen Kauf- und Tausch- und Suchplattformen zu überrollen. Und dagegen ist dann Ricardo, meindeal, Immoscout oder wie das Zeugs auch immer heisst, zwergengross. Und alles zusammen ist ein Sprutz gegen Amazon. Und Amazon wiederum ist ein Zwerg gegen Alibaba.

Alles schlechte, sehr schlechte Nachrichten für alle, die von Werbung leben. Dort, wo der Werbeträger noch selbst abkassieren kann, gehen die Umsätze dramatisch runter. Dort, wo die ganz Grossen abräumen, dramatisch rauf. Und lokale Angebotsplattformen werden unter dem Druck schon alleine von Amazon, ganz zu schweigen dann von Alibaba, plus Google und Facebook, zerbröseln. Ist nicht schön, aber ist der Lauf der Welt.

Die «Republik» und die Mission

Eine katholische Missionarin, für das Online-Blatt aber eine «Journalistin»

Die «Republik» hat mal wieder ein Stück für tapfere Leser veröffentlicht. 31’500 Anschläge für einen Vergleich zwischen Peru und Kolumbien. Genauer: Wie eine Familie in Peru durch das Virus fast ruiniert wird, während die in Kolumbien Hilfe findet.

Denn «die Peruaner zahlen den Preis für die neoliberalen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte», weiss die «Republik». Die ja eigentlich alles weiss und sogar besser weiss. Ausser vielleicht, den Background einer Autorin unter die Lupe zu nehmen, die der Leserschaft als Journalistin verkauft wird.

Hildegard Willer beschreibt in diesem, nun ja, Schriftstück, das Schicksal der Familie Tanta in Peru. Vater Eulogio, 73, hat sich mit dem Corona-Virus infiziert. 10’000 Franken koste eine Behandlung im Privatspital, jenseits der Reichweite der Familie. Und die staatlichen Spitäler würden gar keine Über-60-Jährigen mehr aufnehmen.

Vergötzung des Reichtums

So sei das halt in einem «neoliberalen Versuchslabor», schimpft Willer. Ob das wohl damit zu tun hat, dass Willer zur «Bethlehem Mission Immensee» gehört? Diese Missionsgesellschaft will «am Wachsen des Reichs Gottes mitarbeiten». Denn: «Wir sind von Gott getragen und herausgefordert angesichts der Verführungen durch die Vergötzung des Reichtums, der Herrschaft und des Marktes, die Elend und Leid verursachen (vgl. Jes 46,1-8).»

Jedem sein Glaube. Allerdings: Gerade in Lateinamerika hat sich die katholische Kirche mitsamt Missionaren nicht gerade einen positiven Ruf erarbeitet. Wäre es da vielleicht nicht geboten gewesen, der Leserschaft der «Republik» die Autorin nicht nur als «freie Journalistin in Peru» und «Journalismus-Dozentin an der Päpstlich-Katholischen Universität Peru» vorzustellen?

Sondern im Rahmen der Transparenz und allen weiteren schönen Wortblasen, die die «Republik» gerne blubbert, aber immer in der Hoffnung, dass keiner genau hinschaut, als eher fundamentalistische Missionarin? Oder gibt’s die Hoffnung, dass auch Peru ganz weit weg ist, und wer weiss da schon Genaues. Aber der «Republik»-Leser braucht klare Ansagen, damit er die Welt versteht.

Also tobte in Peru der «Neoliberalismus», erkor das Land sogar zu seinem «Versuchslabor». Und wohin Neoliberalismus führt, weiss man ja. Die Armen werden noch ärmer, die Reichen reicher, es herrscht soziale Kälte, Raubtierkapitalismus halt.

Da lassen wir doch einfach beiseite, dass einer der Unterschiede zwischen Kolumbien und Peru darin besteht, dass dem ersten Land das populistisch-sozialistische Experiment erspart blieb, das Peru zwischen 1969 bis 1990 ruinierte. Als Folge davon wurden ab 1990 die Rezepte von Hernando de Soto umgesetzt; ein sehr lesenswerter peruanischer Ökonom.

Der plädiert unter anderem dafür, den überall in der Dritten Welt grassierenden informellen Sektor, also den staats- und weitgehend rechtsfreien Noterwerb vieler, zu legalisieren. Um beispielsweise mit Besitztiteln Rechtssicherheit und Kreditwürdigkeit herzustellen.

Eine grossartige Idee in einem Versuchslabor, das nach dem Fujimori-Putsch vor allem in den Nullerjahren Peru zweistellige Wachstumszahlen bescherte. Und ganz so nebenbei sank die Armutsquote von über 50 auf unter 20 Prozent.

Neoliberaler Linker García

Aber natürlich irrlichtert auch Peru ohne verankerte demokratische Strukturen vor sich hin. Geradezu symbolhaft ist dafür der Linke Alan García. Als jugendliche Hoffnung 1985 zum Präsidenten gewählt, war er 1990 so unpopulär, dass ihm sogar eine Rede zur Amtseinführung seines Nachfolgers verwehrt wurde. Unter seinem sozialdemokratischen Regime war das Land vollends auf venezolanisches Niveau mit einer Hyperinflation von über 10 000 Prozent versunken.

Seltsamerweise wurde Alan Garcia 2006 nochmals zum Präsidenten gewählt. Doch das wirkliche Wunder passierte erst nach seiner Wiederwahl: Der Sozialdemokrat setzte die neoliberale Politik entgegen aller Wahlversprechen fort und bescherte damit dem Land eine Bonanza, von der vor allem die Unterschicht profitierte. Und an diesem neoliberalen Erfolgsmodell änderte auch der linkspopulistische Ollanta Humala kein Koma, der das Land von 2011 bis 2016 regierte, obwohl er sich gerne als Freund von Evo Morales und Hugo Chavez feiern liess. Grell links blinken, scharf rechts abbiegen war das simple Erfolgsrezept der erfolgreichsten Regierungen Perus.

Tatsächlich wurde in Peru seit den 1990er Jahren so ziemlich alles privatisiert, was sich privatisieren lässt, vom Bergbau über die Trinkwasser- und Stromversorgung bis zur Kehrichtentsorgung. Es funktionierte so gut, dass seither kein Mensch mehr ernsthaft eine Verstaatlichung fordert, nicht einmal die Linke. Das einzige, was von der Privatisierungswelle nie tangiert wurde, war neben dem Schulwesen die öffentlich Gesundheitsversorgung. Dazu ist allerdings zu bemerken, dass jeder, der es sich irgendwie leisten kann, die staatlichen Schulen und Spitäler grossräumig umfährt. Sie sind einfach schlecht. Doch das war im sozialistischen Regime nicht besser, im Gegenteil.

Weniger Gesinnung, mehr Ahnung

Tatsächlich wuchs das Budget für das staatliche Gesundheitswesen in den letzten zwei Jahrzehnten permanent und überdurchschnittlich. Einiges hat sich verbessert, doch insgesamt ist Perus öffentliche Gesundheitsversorgung immer noch auf Drittweltniveau. Allerdings ist es nachgerade zynisch, dafür eine Liberalisierung verantwortlich zu machen, die einzig in diesem Sektor nie stattgefunden hat. Es ist vielmehr der Staat, der schon vor der Covid-19-Krise kläglich versagt hat. Man könnte sich vielmehr fragen, warum im Gesundheitswesen nicht funktionieren sollte, was sich bei der Strom- oder Wasserversorgung bewährt hat.

Aber für all diese komplizierten und bunten Wege und Widersprüche müsste man halt weniger Gesinnung, dafür mehr Ahnung haben. Nur interessiert die Realität weder die «Republik»-Redaktion, noch die Autorin, noch die Leserschaft. Sie will, wie die Autorin, nicht wissen, sondern glauben. Und den Glauben immer wieder bestätigt bekommen. Auch wenn in diesem Glauben die Erde noch eine Scheibe ist, Neoliberalismus nur böse und immer einen hohen Preis fordert. Aber alles andere regelt der göttliche Ratschluss, stellvertretend die «Republik»-Macher. Amen.

SRF: «Alles riecht nach Mittelmass»

Zurück in die Zukunft: Als es die Fernsehfabrik gab

«Alles riecht nach Mittelmass», ist eine der Kernaussagen von zwei Reportagen über das Schweizer Fernsehen. «Die Fernsehfabrik», so der Titel, wurden intern produziert. Der Inhalt ist oft selbstkritisch und gut reflektiert. Viele bekannte TV-Gesichter kommen vor. Dafür sind die Interviews mit der Chefetage eher langatmig und leicht unterwürfig. Der Grund: Die Trouvaillen stammen aus den Jahren  1973 und 1980. Jetzt kann man sie auf Youtube anschauen. Der Clou: bei einem der Filme  (1973) führt der spätere Fernsehdirektor Peter Schellenberg Regie.

Beim anderen  (1980) Urs Bernhard, der danach eine internationale Karriere als Regissseur und Modefotograf hinlegte.

Für ältere Semester sind die Filme eine Augenweide, weil man viele Protagonisten vor der Kamera noch kennt, zumindest vom Hörensagen. Etwa «Menschen-Technik-Wissenschaft»-Gründer André Ratti, Moderatorin Heidi Abel, Nachrichtensprecher Léon Huber oder die noch überschaubar kleine Sportabteilung.

Für Unter-40-Jährige sind die Dokumente allenfalls interessant als Rückblende. Im Stil von: «Als die Blder laufen lernten». Doch wären so selbstkritische Portraits über SRF heute noch möglich? Wo alles von Medienjuristen und PR-Leuten geprüft und oft weichgespült wird? ZACKBUM.ch hat nachgefragt bei Laut Carmen Hefti, Leiterin Media Desk von SRF.

 «Alles riecht nach Mittelmass». Würde so eine kernige Aussage heute noch durchgehen?

«Hier muss ich etwas ausholen, denn es kommt immer auf die Sendung und auf den Kontext an, und auch darauf, wer eine solche Aussage macht (ist es eine Meinung eines Porträtierten oder wird eine solche Aussage im Off-Text bzw. von einer Moderatorin oder einem Moderator gemacht). Pointierte Aussagen sind prinzipiell erlaubt, solange wir keine Personen und keine Gruppen von Personen diskriminieren – weder wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit noch aufgrund ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechteridentifikation.» In längeren Beiträgen oder Dokumentationen könne auf Nationalität und ethnische Zugehörigkeit, Religion, sexuelle Orientierung, Geschlechteridentifikation und dergleichen eher eingegangen werden, weil dort die Möglichkeit besteht, bestimmte Haltungen zu begründen, Zusammenhänge zu erläutern sowie stereotype Vorstellungen zu benennen und ihnen entgegenzuwirken.

Hefti liefert noch folgende Unterscheidung: «Bei Sendungen mit Informationsgehalt muss das Publikum in die Lage versetzt werden, sich aufgrund der vermittelten Fakten und Meinungen eine eigene Meinung zu den behandelten Themen bilden zu können. Umstrittene Aussagen sowie Ansichten und Kommentare müssen als solche erkennbar sein.» Wenn also beispielsweise in einer Dokumentation oder Reportage Personen ihre Meinung pointiert äussern, sei das in Ordnung, solange die Meinung entsprechend eingeordnet werde, so Hefti.

Die Filme findet man hier:

Die Fernsehfabrik (1973)

Die Fernsehfabrik (1980)

Laut SRF gibt’s im SRF-Archiv  insgesamt vier Sendungen «Die Fernsehfabrik». Die beiden Sendungen von 1973 und 1980 sind online zu finden, die anderen zwei Sendungen – die von 1983 und 1987  – aktuell nicht.