Das Z-Schnitzel aus Köln

Gleich zwei Fachkräfte kümmern sich um einen neuen Rassismus-Skandal. Aus dem fernen Norden, frisch im Tagi serviert.

Zugegeben, der Kulturszene in der Schweiz ging’s auch schon mal besser. Selbst der Kulturminister ist zurzeit mehr Gesundheitsminister.

Aber vielleicht wäre das doch die Gelegenheit für die zentrale Kulturredaktion des «Tages-Anzeiger», der «Berner Zeitung», der «Basler Zeitung», einheimischem Schaffen etwas Publizität zu verschaffen. Aber wie meint der Konzern? Gelegenheit? Wie können wir die versemmeln?

Ganz einfach. Patrick Wehner, hauptberuflich Chef vom Dienst beim Jugendmagazin «jetzt» der Münchner «Süddeutschen Zeitung», und Aleksandra Hiltmann, Balkan-Enthusiastin sowie Kulturredaktorin bei Tamedia, machen ihre Schweizer Leser auf einen neuerlichen, nun ja, Skandal aufmerksam.

Dünnhäutig berichten sie darüber, dass in «Die letzte Instanz» ungeheuerlich Weisshäutiges geschah. Himmels willen, was denn? Nun,

«fünf weisse, privilegierte Medienmenschen redeten im Fernsehen darüber, welche Begriffe rassistisch sind und welche nicht».

Diese Formulierung fischten die Autoren schon mal aus dem Shitstorm, der sich daraus entwickelte.

Das Überflüssigste, was ich seit Langem gelesen habe.

Ach so, Sie möchten zunächst wissen, was das für eine Sendung ist und welche privilegierten Weisse darüber diskutierten, ob man in Deutschland noch «Zigeunerschnitzel» sagen darf oder nicht? Nun, dank Kabel-TV haben Sie sicherlich schon mal vom WDR gehört. Ein Teil der ARD, gleichzeitig der Lokalsender für Nordrhein-Westfalen mit Sitz in Köln.

Wiederholung einer Sendung ohne Maus

Von dort kommen Welterfolge wie «Die Sendung mit der Maus» – und eben die Talkshow «Die letzte Instanz». Beim ersten Mal ging das allen durch die Lappen, aber ihre Wiederholung am 29. Januar riss die Antirassisten zu energischen Reaktionen hin. Nein, für niederknien und «Black Lives matter» grölen ist das Wetter zu garstig. Ein Shitstürmchen auf Twitter tut’s da auch.

Sie fragen sich nun vielleicht, was das mit der Schweiz oder mit Kultur zu tun hat. Das, lieber Leser, ist eine gute Frage. Sie drängt sich noch stärker auf, weil Kulturschaffende wie Janine Kunze, Jürgen Milski oder Micky Beisenherz teilnahmen. Sagt Ihnen nix? Macht nix, mir auch nicht. Aber, immerhin, Thomas Gottschalk (ältere Leser erinnern sich) drängt es im fortgeschrittenen Alter wieder vor die Kamera, also auch hier.

In seiner gewohnt lockeren Art trug er das Bonmot vor, ob er denn aus politischer Korrektheit jetzt auch «die Salzstreuerin» sagen müsse. Bonmot? Keinesfalls, der «Comedian» Gianni Jovanovic, aus einer Roma-Familie stammend, macht auf seine persönliche und die Betroffenheit einer ganzen Ethnie aufmerksam: diese Sendung sei «einfach traumatisierend für die Menschen dieser Gruppe der Sinti und Roma und auch für mich persönlich sehr verletzend gewesen».

Es wäre sicher Ausdruck mangelnder Sensibilität – wenn nicht von Schlimmerem –, hier zu denken, dass sich ein wenig bekannter Comedian über seine Herkunft etwas ins Scheinwerferlicht stellen will.

Z****** oder Zigeuner?

Obwohl beide auch weiss, bringen die Autoren des Tagi-Artikels ihre Abscheu gegenüber dem «Z-Wort» zum Ausdruck, indem sie es nicht mal ausschreiben. Selbst in Zitaten, wenn in der Sendung gesagt wird, «bei Z******-Schnitzel habe ich doch nicht an Diskriminierung gedacht». Unvorstellbar, welche «Ignoranz» hier alle Beteiligten zeigten, gegenüber «allen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe in Deutschland diskriminiert, misshandelt oder ermordet wurden und werden».

Endlich findet das einsame Gendersternchen viele Schwestern und Brüder. Gnadenlos dann das Fazit der beiden journalistischen Leichtmatrosen: Die Sendung habe sich «zwischen hartem Boomer-Cringe, viel Ignoranz von weissen Medienmenschen und Rassismus» bewegt. Leser über 20 müssen googeln, um alle Worte zu verstehen. Oder noch besser: einfach vergessen.

Nun hat doch die gleiche Kulturautorin noch vor wenigen Monaten ein Interview mit dem Grossneffen des grossen Django Reinhardt geführt. Der Geiger Markus Reinhardt durfte da doch – wo sind die Sternchen, wenn man sie braucht – unwidersprochen sagen: «Zigeuner ist die richtige Bezeichnung für mich.» Logische Begründung: «Es gibt viel mehr Stämme als die Sinti und Roma.» Und: «Auch ändert man bestimmte Dinge nicht, wenn man nur den Namen ändert.»

Wir Antirassisten sind fassungslos. Wie konnte die gleiche Autorin nur …

Wie konnte Hiltmann ihm das durchgehen lassen? Wieso wurde noch im September letzten Jahres das Z-Wort nicht dem Leser erspart? Hiltmann ist wahrscheinlich zu jung, um sich noch an Sergius Golowin und sein schönes Buch «Zigeuner-Magie im Alpenland» zu erinnern. Oder zu kulturlos. Auf jeden Fall: Wenn das «Comedian» Jovanovic hätte lesen müssen, wäre er so verletzt worden, dass er blutend ins Krankenhaus überführt werden müsste.

Kultur ist in «Leben» aufgegangen; aber lebt sie noch?

Wir fragen uns: Was interessiert den Schweizer kulturaffinen Leser eine idiotische deutsche Aufregung um eine drittklassige Talkshow im entfernten WDR? Geschrieben von einem einem Jugendheftli-Redaktor und einer sich selbst für bankrott erklärenden Kulturredaktorin? Oder noch einfacher: Wozu braucht Tamedia überhaupt noch eine Kulturredaktion? Wenn auch noch Meldungen des Kieler Radios NDR 1, Welle Nord, oder der Landeszeitung für die Lüneburger Heide von der Süddeutschen auf korrekte Sprachverwendung abgeklopft werden, füllen sich doch die Kultur-Spalten von Tamedia wie von selbst.

«Wendler»-Fall in Zürich

Das Tagblatt löscht Pedraita-Kolumne.

Trash-TV-Fans kennen den Fall. Schlagersänger Michael Wendler verglich Quarantäne-Massnahmen mit einem KZ.  Später wollte er zurückrudern, indem er seine «KZ»-Bezeichnung als «Krisen-Zentrum» verstanden haben wollte. Die Folge: RTL schnitt den Juror Wendler in der aufgezeichneten Castingshow «Deutschland sucht den Superstar» heraus. Wo es nicht ging, verpixelte RTL den Sänger.

Das pdf des Tagblatts wurde angepasst. Die Seitenzahl von 52 blieb aber gleich.

Nun passierte dem Kolumnisten Urs Pedraita im Tagblatt der Stadt Zürich etwas ähnliches. Er schrieb von einer Welt, die sich «in ein grosses Konzentrationslager mit freiwilligen Gefangenen“ verwandelt habe. Er zitierte dabei Sätze, die momentan im Internet herumschwirren. Nicht eben auf vertrauenserweckenden Seiten. Ob die Zitate nun aus einem Text von 1942  stammen, als der Holocaust in vollem Gange war oder nicht. Für die beiden Vertreter der Stadt Zürich im fünfköpfigen Redaktionsausschuss war das zuviel. Das Tagblatt musste eine Woche später – heute Mittwoch also – eine halbseitige Entschuldigung abdrucken. Die besagte Kolumne wurde zudem im Netz gelöscht.

Es zeigt sich, dass das Tagblatt, das der Zeitungshaus AG gehört, unter strenger Beobachtung des links-grün dominierten Stadtrats von Zürich steht. Die Zeitungshaus AG ist jene Firma der Familie Blocher, welche Gratiszeitungen der Swiss Regiomedia AG, die Furttaler Zeitung und eben das Tagblatt der Stadt Zürich herausgeben. Entstanden ist das Konstrukt nach einem Tauschgeschäft mit Tamedia, als jener Konzern 2018 im Gegenzug die Basler Zeitung übernahm. Das Tagblatt und der Stadtrat von Zürich: Es ist eine «unheilige» Allianz.

 

 

 

Tagblatt der Stadt Zürich: Probleme mit Paid Post

Regierung legt beim Amtsblatt «Augenmerk» auf klare Abgrenzung.

Am 21. Oktober 2020 reichten die beiden Zürcher Gemeinderäte Rafaël Tschanz und Mélissa Dufournet (beide FDP) eine Schriftliche Anfrage beim Stadtrat ein. Auslöser war ein ZACKBUM-Artikel. Eine freie Mitarbeiterin verwebte im «Tagblatt der Stadt Zürich» ihre Arbeit als Influenzerin mit einer Kolumne. Sie schwärmte von einer App der ZVV. Auf ihrem Blog deklarierte sie die «bezahlte Partnerschaft», nicht aber im städtischen Amtsblatt.

Tschanz und Dufournet wollten vom Stadtrat erfahren, wer eigentlich die Einhaltung des Redaktionsstatuts des Tagblatts überprüft. Aus der letzten Woche veröffentlichten Antwort geht hervor, dass die Probleme anscheinend nicht neu sind:

Die städtischen Vertreterinnen haben in den letzten Jahren das Augenmerk insbesondere auch auf die klare Abgrenzung von Inseraten zum redaktionellen Teil und auf die deutliche Kennzeichnung von Inhalten, die dem Verlag abgegolten werden (Paid Post, Verlagsreportagen und dergleichen), gelegt.

Die Chefredaktorin Lucia M. Eppmann sieht gemäss Antwort des Stadtrats aber keine Probleme mit der beanstandeten Kolumne. Da die freischaffende Mitarbeiterin in ihrem Blog zusätzlich einen Link zur ZVV aufgeschaltet habe, sei der Blog ausführlicher als die Kolumne im Blatt. Darum hätte sie der Redaktion nicht einmal mitteilen müssen, dass sie mit dem gleichen Thema anderweitig Brötchen verdiene.

Manchmal hilft auch Nichtwissen. Eppmann: «Was ohne mein Wissen stattfindet, weiss ich leider nicht.» Wir empfehlen, diesen schönen Kalenderspruch vor ihrem Zimmer aufzuhängen. Und auch bei den Verkäufern.

«Die Stiftung Medienvielfalt unterstützt uns»

Das Wissenschaftsportal «Higgs» scheint über dem Berg.

Der umtriebige Journalist Beat Glogger schlug vor gut einem Jahr Alarm. Das fehlende Geld bei seinem Portal «Higgs» müsse über ein Crowfunding zusammenkommen. Falls dieses fehlschlage, «geht der Laden zu», so die NZZaS. Dass «man auf allen Ebenen am Kämpfen» sei wegen der Finanzierung, sagte Glogger schon im Doppelpunkt von Radio 1 im April 2019. Wie sieht die Situation heute aus?

Im Doppelpunkt bei Roger Schawinski zeichneten Sie die Zukunft Ihrer Firma eher düster. Zudem erfolgte ein ziemlich negativer Artikel in der NZZaS mit dem Titel «Glogger bald am Ende». Wie waren die Reaktionen darauf? 

Ich habe bei Schawinski nicht über meine Firma gesprochen. Sie verwechseln da wohl was. Das Zitat, das Sie mir hier vorlegen, kenne ich nicht. Ich finde es auch nicht in der SMD. Meinen Sie allenfalls «Magazin «Higgs» vor dem Aus»? Allerdings war der betreffende Artikel überhaupt nicht negativ – wie Sie sagen. Er hat aufgezeigt, dass higgs ein Problem hat, weil die Finanzierung durch die Gebert Rüf Stiftung entfallen ist. Und er hat auf unser Crowdfunding aufmerksam gemacht. Das war alles sehr neutral bis motivierend.

Dann war das Echo positiv?

Sollten Sie diesen Artikel meinen, dann waren die Reaktionen super. Wir haben das Crowdfunding kurz vor dem Lockdown im März erfolgreich abschliessen können und über Fr. 120.000 generiert. Die Summe, die wir fürs Überleben des Jahres 2020 brauchten. Seither sind auch die direkten Einzelspenden erfreulich gestiegen. Wir haben 2020 nicht nur überlebt, sondern auch die Grundlage geschaffen, um optimistisch ins 2021 zu steigen.

Somit hat Ihnen Corona keinen Strich durch die Rechnung gemacht?

Nein. Auch bezüglich der Resonanz ist das Jahr 2020 für higgs eine Erfolgsstory. Unsere unaufgeregte, zuverlässige und kontinuierliche Corona-Berichterstattung hat sich ausbezahlt. Wir haben mengenmässig nur noch halb so viel kurze Newsstorys publiziert wie im 2019, dafür deutlich mehr Zeit in investigative Geschichten gesteckt. Das hat sich ausgezahlt:  Die Visits haben sich verdreifacht, die Unique Clients mehr als verdoppelt. Unsere Geschichten werden von der Republik und der NZZ empfohlen. Man kann also mit gutem Gewissen sagen, higgs ist zu einem immer noch kleinen, aber relevanten Player im Schweizer Mediensystem geworden.

Mussten Sie – wie viele andere Medienfirmen auch – Kurzarbeit anmelden?

Nein.

Jetzt  scheint laut einem Stelleninserat von Higgs eh alles besser zu laufen. Warum?

Das Stelleninserat deutet nicht darauf hin, dass wir ausbauen, sondern rührt daher, weil eine Redaktorin uns verlässt. Was seit unserem Überlebens-Aufruf gegangen ist, habe ich in obiger Frage schon teilweise beantwortet. Kurz: wir haben aus verschiedenen Quellen Unterstützung gefunden, die uns das Überleben sicherten.

Gibt es immer noch Stiftungen im Hintergrund, die Geld bezahlen?

Die zwei grössten sind der Schweizer Nationalfonds SNF, die Stiftung Medienvielfalt, die Stiftungen Avenira und Wissen für alle sowie einige kleinere Unterstützer aus der Wirtschaft und dem Bildungsbereich. Aber auch Kleinvieh macht Mist. Das Jahr 2021 ist noch nicht voll ausfinanziert, aber wir nehmen die Herausforderung an und sind optimistisch die verbleibenden Löcher im Budget noch zu stopfen.

Sind die «Blocher-Medien» immer noch Abnehmer Ihrer Inhalte?

Nachdem wir im Zuge der finanziellen Neuaufstellung unsere Angebote für die Zeitungen kostenpflichtig gemacht haben, sind alle Regionalzeitungen (Aargauer Zeitung, Bieler Tagblatt, Freiburger Nachrichten, Zürcher Oberländer) ausgestiegen. Ausgestiegen sind infolge der neu eingeführten Kostenpflicht auch die Online-Portale Blick.ch und Nau.ch. Alle Titel der Tamedia sind schon ausgestiegen, bevor wir unsere Inhalte kostenpflichtig gemacht haben.  Geblieben sind die Titel der Swiss Regiomedia (Blocher-Zeitungen, wie Sie es nennen) und das Tagblatt der Stadt Zürich. Diese bezahlen unseren Content.

Wen haben Sie neu akquiriert?

Neu hinzugekommen sind drei Zeitungen in der Westschweiz: Le Nouvelliste, Le Quotidien Jurassien und La Liberté. Mit dem Portal heidi.news unterhalten wir eine Content-Partnerschaft. Sie übernehmen Artikel von uns und wir von ihnen. So geben wird der Forschung aus der Romandie mehr Präsenz in der Deutschschweiz und umgekehrt. Diese Kooperation in die Westschweiz ist Teil des Abkommens mit dem Schweizer Nationalfonds.

Reut es Sie nie, dass Sie nicht einen etwas «normaleren» Firmennamen gewählt haben?

Mir ist nicht klar, was Sie mit «normaler» meinen. Etwa so wie ZACKBUM? Spass beiseite. Ich vermute, Sie verwechseln da gewisse Dinge. Die Firma heisst Scitec-Media GmbH. Das Webportal heisst higgs. Ich finde beide Namen normal. Scitec ist ein Zusammenzug von Science und Technology. Solche Verkürzungen sind für Firmennamen ziemlich üblich, weil sie genau beschreiben, was die Firma tut: wir erstellen Medien in den Themenbereichen Wissenschaft und Technik.

 Alles klar. Aber ist Higgs tatsächlich eingängig genug als Name?

Higgs, der Name des Portals, ist jedem halbwegs wissenschaftlich interessierten Menschen bekannt. Das Higgs-Boson und das zugehörige Higgs-Feld vermitteln gewissen subatomaren Teilchen die Schwerkraft. Auch wenn das so wohl niemand genau weiss, ist das Higgs-Boson aber ein Star, weil es auch das Gottesteilchen genannt wird. Ausserdem ist der Entdecke Peter Higgs für seine Entdeckung mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Den Namen eines berühmten Physikers als Namen für ein Wissenschaftsmagazin zu wählen, scheint mir auch ziemlich normal. Vgl. Galileo, Leonardo, Einstein. Der einzige Unterschied besteht darin, unser Physiker lebt noch. Und Kinder und Jugendliche, die mit higgs nichts anfangen können, finden den Namen halt trotzdem cool, weil er irgendwie auch lustig ist.

Was halten Sie als ehemaliger SRF-Wissenschaftsmitarbeiter vom heutigen SRF-Angebot in dieser Sparte?

Sie sprechen auf das Magazin an, das eben auch den Namen eines berühmten Physikers trägt: Einstein. Ich mag die Sendung gut. Obschon das Konzept etwas völlig anderes ist, als wir damals gemacht haben. Es ist monothematisch als Moderatorenreise gestaltet und kein Magazin. Dafür aber erstaunlich aktuell und cool und modern gemacht. Ich schaue es ab und zu.

War eine Rückkehr nie ein Thema?

Kommt wieder drauf an, wie genau Sie diese Frage meinen. Nie ein Thema. Natürlich denkt man darüber nach. Also ist es Thema. Aber ein Going-Back stand nie konkret zur Diskussion. Ich gehe in meinem Leben immer weiter.

Demnach bezog SRF nie Inhalte von Ihrer Firma?

Auch hier habe ich wieder die Unsicherheit, was Sie mit «Firma» meinen. Scitec-Media hat in den Nuller-Jahren einige Beiträge für SRF produziert. Higgs nicht.

Herr Glogger, besten Dank.

(Das Interview wurde schriftlich geführt.)

Als der Tagi angebräunt war

In letzter Zeit verwandelt sich der «Tages-Anzeiger» in ein Frühwarnsystem vor dem Faschismus.

Im Sport, in der Politik sowieso, fast überall und jederzeit, der Tagi kann nicht häufig genug vor braunen Zeiten warnen. Kein Anlass zu nichtig; wenn der Möchtegern-Schriftsteller Lukas Bärfuss zu einer seiner wirren und holprigen Reden zur Zeit ansetzt, dann titelt der Tagi: «Die Nazis sind nie weggewesen».

Offensichtlich hat er solche Andeutungen auch zu häufig Richtung SVP, Donald Trump oder gar Roger Köppels «Weltwoche» gemacht. Also schlug das Magazin zurück. Titelgeschichte «Hitlers Schatten über dem Tages-Anzeiger». Hier blättert Christoph Mörgeli genussvoll durch die Berichterstattung der 30er-Jahre und findet Absonderliches bis Widerliches. Artikel von Adolf Hitler und anderen Nazi-Grössen, mehr als bedenkliche eigene Positionen, eher übel.

Aber kein Anlass für den antifaschistischen Tagi von heute, die eigene Vergangenheit nochmals aufzuarbeiten. Denn das sei schon längst geschehen. Im Wälzer «Medien zwischen Geld und Geist», 1993 zur Feier 100 Jahre Tages-Anzeiger erschienen. «Der Artikel der «Weltwoche» enthält keine Informationen darüber hinaus», teilt die Tagi-Kommunikationschefin persoenlich.com auf Nachfrage mit.

18 Seiten über den Tagi in braunen Zeiten

Das hätte sie vielleicht besser gelassen. Obwohl die damalige Festschrift weder beim Tagi selbst, noch digital vorhanden ist, ist dem Rechercheur natürlich nichts zu schwör. Der 530 Seiten dicke Wälzer ist antiquarisch für zwei Franken erhältlich. Offensichtlich hielt und hält sich das Interesse in überschaubaren Grenzen.

Darin findet sich tatsächlich ein Kapitel «Die Bewährungsprobe des Nationalsozialismus». Garantiert völlig unparteiisch schlängelt sich hier der langjährige Tagi-Redaktor Hugo Wild durch diese Thematik. Sicherlich kann man in einer Jubelbroschüre keine brutalstmögliche Abrechnung mit dem Verhalten des Tages-Anzeigers in den braunen Jahren erwarten.

Aber die grosse Milde, die Wild hier walten lässt, vermisst man doch heutzutage, wenn der Tagi bei allem, das rechts von der SP steht, tendenziell immer mit dem Faschismusverdacht zur Hand ist. Ein Seite-1-Artikel von Hitler aus dem Jahr 1931? Nun ja, auch Mussolini durfte mehrfach seine Positionen erläutern. Aber natürlich auch Winston Churchill, US-Präsident Herbert Hoover, usw.

Milde und Verständnis im Nachhinein

Genauso verständnisvoll begegnet Wild der lange gepflegten Abstinenz des Tagi, Taten oder Untaten Hitlers zu verurteilen. Oder er hoffte schon damals, dass viele Leser sich gar nicht mehr an diese Zeiten erinnerten. So zitiert Wild kommentarlos die Schlagzeile vom 2. Juli 1934: «Hitler unterdrückt eine Meuterei gegen das Dritte Reich». So logen die Nazis die brutale Ausschaltung der Führung der SA um, als «Röhm-Putsch», obwohl der SA-Chef gar keinen geplant hatte. Sondern mit rund 100 weiteren SA-Chargen liquidiert wurde, weil er Hitler zu mächtig war.

Als Höhepunkt seiner «Kritik» räumt Wild ein, dass ein Artikel vom 1. August 1933 im Tages-Anzeiger, der das «Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses» «nahezu kritiklos referiert» hatte, das sei «heute, wo man von der späteren (!) Dämonisierung der ganzen Rassenlehre weiss, tatsächlich nicht leicht zu verstehen». Ausser diesem kleinen Verständnisproblem und der Lüge, dass die Nazi-Rassenideologie damals gar noch nicht bekannt gewesen sei, sieht Wild eigentlich keinen Anlass zur «Aufarbeitung».

Alles kalter, brauner Kaffee?

Also alles alter Kaffee, längst eingestanden, erledigt, bewältigt? Im Gegenteil; Mörgeli hat tatsächlich einige Argumente, die diese Reaktion als Schutzbehauptung, als Ausdruck völligen Desinteresses an der eigenen Vergangenheit, erscheinen lassen.

Alleine schon ein paar weitere Zitate, die Wild wohlweisslich unter den Tisch fallen lässt, zeigen einen recht angebräunten Tagi: Das leider misslungene Attentat auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller sieht das Blatt als «Fügung des Schicksals». Zum Blitzkrieg gegen Frankreich 1940 fällt dem Tagi ein: «Die militärische Leistung der Deutschen zwingt uns Achtung ab.» Und den Überfall auf die Sowjetunion sieht der Tagi applaudierend als «Kreuzzug gegen den Bolschewismus».

Zudem verliert das Tagi-Werk kein Wort über weitere familiäre Verstrickungen in das Deutsche Reich. Die Erbengemeinschaft, der auch Berta Coninx-Girardet angehörte, mit derem Geld Otto Coninx den Tagi erworben hatte, bot dem deutschen Regime an, ihm ihr sogenanntes Feuerschlösschen bei Bonn als Gauführerschule der NSDAP zu überlassen. Für zehn Jahre kostenlos, versteht sich, unterzeichnet mit «Heil Hitler».

Keine wohlfeile Kritik an Früherem, aber an Gegenwärtigem schon

Es wäre wohlfeil, mit dem heutigen Kenntnisstand über solche Missgriffe, Fehler, Verirrungen oder schlichtweg Opportunismus herzufallen. Wem aber das F-Wort so leicht in die Tastatur gerät, wer so häufig und gerne mit dem Zeigefinger wackelt und da und dort und aller Orten Gebräuntes denunzieren will, der kann sich sicherlich nicht mit der faulen Ausrede, das sei doch alles schon bekannt und aufgearbeitet, der eigenen Vergangenheit entziehen. Ausser eben als Wendehals, personifiziert im ehemaligen Chefredaktor Res Strehle.

Aber auch heute, oder gerade heute, gibt es genügend Journalisten bei Tamedia, gegen die Tartuffe als blutiger Anfänger erscheint. Aber vielleicht kennt den nicht einmal die neue Literaturchefin Nora Zukker.

100. Geburtstag des «Schweizer Monat»

Der Chefredaktor über umstrittene Gastautoren und Inserate.

ZACKBUM: Herr Ronnie Grob, der «Schweizer Monat» feiert bald seinen 100. Geburtstag. Haben Sie auch 100 Abonnenten?

Ronnie Grob: Ja, sogar ein paar Tausend.

Konkret?

Ich sag dann Bescheid, wenn wir Zehntausend haben.

Per Ende letzten Jahres hat Ihre Edelfeder Milosz Matuschek die Redaktion verlassen. Befürchten Sie einen Aderlass an Abonnenten?

Nein, das nicht, es kommen ja laufend welche dazu. Zuletzt sind wir langsam, aber stetig gewachsen, sowohl bei der Anzahl Abonnements als auch bei den Zugriffen auf die Webseite. Milosz ist ein brillanter Schreiber, ich habe seine Kündigung bedauert.

In der letzten Ausgabe geben Sie umstrittenen Personen wie Hans-Georg Maaßen und Peter Gauweiler ein Podium …

…umstrittenen Personen? Bei wem denn umstritten? Maaßen war Präsident des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz bis 2018, als eine Mehrheit deutscher Journalisten meinte, ihn zu einer Art persona non grata machen zu müssen. Peter Gauweiler sass 14 Jahre lange für die CSU im Deutschen Bundestag, zuletzt war er stv. Parteivorsitzender der CSU, er ist ein wichtiger Kritiker an aus dem Ruder laufenden Projekte der Europäischen Union. Bei uns sind Personen mit guten Argumenten, die diese nachvollziehbar begründen können, stets hochwillkommen. Ob Sie oder andere Journalisten diese Personen für «umstritten» halten, spielt beim Entscheid, ob wir einen Text bringen oder nicht, keine Rolle. Der «Schweizer Monat» soll beurteilt werden aufgrund der darin publizierten Texte. Die aber scheinen vor allem unsere Leser zu interessieren. Journalisten lesen uns jedenfalls kaum.

Wie sieht das bei Ihren Werbekunden aus? Das Magazin «eigentümlich frei» wirbt bei Ihnen auf einer ganzen Seite. Dem Magazin werden weltanschauliche Überschneidungen mit der Neuen Rechten vorgeworfen. Warum dürfen «umstrittene» Werbekunden bei ihnen inserieren?

Mit «Eigentümlich frei» machen wir Austauschinserate. Ich meine, dass freiheitlich gesinnte Menschen in Deutschland nicht gerade mit vielen guten Medien gesegnet sind. Deshalb wollen wir unser Produkt diesen Leuten anbieten. Ganz generell halte ich es für besser, wenn nach Hintergrund und Orientierung suchende Leser den «Schweizer Monat» lesen als dass sie in irgendwelchen Telegram-Gruppen Fake News konsumieren. Bei uns stimmen die Fakten. Aussagen sind mit Quellen belegt, die im Text oder in den Fussnoten nachzulesen sind.

Sie selber schreiben auch populistisch. Ich zitiere aus Ihrem Editorial von der letzten Ausgabe: «Behörden drängten die Bevölkerung dazu, Apps zu nutzen.» Wer hat Sie dazu gedrängt, die Covid19-App zu installieren?

Der Druck der Regierung auf die Bürger, diese Staats-App zu installieren, war hoch, und einige Medien haben sie dabei tatkräftig unterstützt. «Drängen» ist aus meiner Sicht die korrekte Formulierung. Zum Glück war die App ein Reinfall. Und trotzdem haben wir sie mit unseren Steuern finanziert.

Sie sind seit 2016 beim «Schweizer Monat», die letzten 1,5 Jahre tätig als Chefredaktor. Davor galten Sie als einen der versiertesten Medienjournalisten der Schweiz. Was geht im Schweizer Journalismus?

Ich stelle eine erschreckende Homogenität innerhalb der Redaktionen fest und auch zwischen ihnen. Journalisten denken zunehmend deckungsgleich, und nicht mehr unterschiedlich. Wer aus dem Meinungskonsens ausschert, wird entweder nicht eingeladen oder dann ausgeschlossen. Die daraus entstehende Meinungs- und Haltungseinfalt beeinflusst die Themenvielfalt und die Schreibweise massiv. Wenn es um die Corona-Beschlüsse des Bundesrats geht, verhalten sich einige Journalisten wie Royalisten. Statt den König und seine Entourage verteidigen sie den Bundesrat und die Beamten. Gegen die Regierungskritiker.

Aber in der zweiten Corona-Welle wird der Bundesrat doch auch hart kritisiert.

Ausnahmen gibt es immer wieder, da gebe ich Ihnen Recht. Aber wenn der Bundesrat Einschränkungen verfügt, wird das am Ende immer abgenickt in den Redaktionen. Einigen gehen die Einschränkungen ja immer noch zu wenig weit. Für den sehr liberalen Staat, wie es die Schweiz einmal war unter der Führung des Freisinns, sind diese Entwicklungen gefährlich.

Dann sind Sie sicher mit ZACKBUM glücklich?

Einerseits ja. ZACKBUM überrascht mit spritzigen, frechen Texten, Meinungen, Themen. Euch kümmert nicht, was andere dazu meinen, eigentlich kümmert euch – wie erfrischend! – überhaupt nichts. Das führt zu idiotischen, aber auch zu genialen Ergebnissen, und diese sind durchaus eine Erweiterung des Medienjournalismus. Andererseits bekommt, wer ZACKBUM liest, den leisen Eindruck, es sei alles schlecht im Journalismus, und überall nur Trottel am Werk in den Redaktionen und den Verlagen. Ausser natürlich bei ZACKBUM, das keine Abonnenten hat und keine Einnahmen. Nun gut: Die Freiheit ist da, um sie zu nutzen. Und ihr nutzt sie. Das finde ich grossartig!

Wer stoppt Rutishauser?

Ein seltener Fall von medialer Selbstjustiz. Über Jahre hinweg.

Auf einer Wand stand: «Ich hasse dich.» Zudem sei Abfall herumgelegen, und weitere Wände seien mit Flüssigkeiten verschmiert gewesen. Diese unappetitlichen Details serviert Arthur Rutishauser zum Gipfeli den Lesern der «SonntagsZeitung».

Wer meinte, dass er nach drei Jahren und der Einreichung der Anklageschrift seine Position als Lautsprecher der Staatsanwaltschaft und als rücksichtsloser Enthüller von eigentlich strikt vertraulichen Ermittlungsakten aufgegeben habe, hat sich ein weiteres Mal getäuscht.

Es ist schon drei Monate her, dass allgemeiner Wahnsinn in den Medien ausbrach, ein Wettlauf begann, wer am schnellsten die saftigsten Stellen aus der Anklage zitieren kann. Ein weiteres Mal wurde die Unschuldsvermutung ad absurdum geführt. Die Eröffnung einer Strafanzeige gegen Unbekannt, wegen fortgesetztem Bruch des Amtsgeheimnisses, beeindruckt den Oberchefredaktor von Tamedia offenbar überhaupt nicht.

Mit der gleichen Munition nochmal nachladen

Die Anklageschrift gegen den gefallenen Bankerstar Pierin Vincenz ist bis auf den letzten Tropfen ausgewrungen; das letzte Wort hatte hier die NZZ, die nassforsch bekannt gab, dass sie im Besitz aller 364 Seiten der Anklageschrift sei. Ohne, dass ihr bislang eine Strafanzeige ins Haus flatterte.

Nun konnte aber Rutishauser endlich mal wieder nachlegen. Schon seit drei Jahren haut er jedes Dokument, mit dem er angefüttert wird, ohne Rücksicht auf Anstand, Amtsgeheimnis, Vorverurteilung, Unschuldsvermutung einfach raus. Geradezu zwanghaft. Nun kann er wieder einen besonderen Leckerbissen servieren: «Vincenz’ Ausflüge ins Rotlichtmilieu waren vom Raiffeisen-Präsidenten abgesegnet».

Das ist nun aber Schnee von vorgestern, längst bekannt, längst beklagt, längst kritisiert. Nicht zuletzt in der «Ostschweiz» wurde schon seit Längerem die Frage gestellt, wieso der damals amtierende Johannes Rüegg-Stürm nicht schon längst wegen ungetreuer Geschäftsführung, wegen sträflich-fahrlässiger Vernachlässigung seiner Aufsichtspflichten angezeigt und in Regress genommen wurde.

Der lächerliche Professor ist nur ein Vorwand

Wobei zur Lächerlichkeit ungemein beiträgt, dass er bis heute an der HSG Studenten in richtiger Geschäftsführung professoral unterrichten darf. Aber das ist eigentlich nur ein Vorwand für Rutishauser. Um nochmals in unappetitlicher Detailversessenheit wie einleitend erwähnt aus einem Polizeirapport über den Zustand der Suite im Zürcher Hyatt zu berichten. Dort war ein kleiner Fehler in der Terminplanung von Vincenz etwas ausgeartet und hatte zu einigen Beschädigungen im Hotelzimmer geführt.

Die Reparaturrechnung setzte Vincenz laut Anklageschrift auf seine Spesenrechnung. Die, wie alle anderen auch, von Rüegg-Stürm angeblich sorgfältig geprüft, für rechtens befunden und abgezeichnet wurde. Dieser Skandal ist längst bekannt, ebenso die unverständliche Entscheidung der Uni St. Gallen, dennoch den Lehrauftrag von Rüegg-Stürm bis zu seiner Pensionierung zu verlängern.

Nachdem die Anklageschrift nichts mehr hergibt, wurden Rutishauser offensichtlich das Einvernahmeprotokoll von Rüegg-Stürm durch die Staatsanwaltschaft und mindestens ein Polizeirapport zugespielt. Eine Einvernahme, in der sich der Professor nochmals bis auf die Knochen blamiert, wie er naheliegenden Fragen nach seiner Aufsichtspflicht gelenkig wie ein Schlangenmann auszuweichen versucht. Wieso es ihm nicht aufgefallen sei, dass Vincenz angeblich mehr als 100’000 Franken an Spesen in Striplokalen und anderen einschlägigen Etablissements eingereicht habe.

Nichts Neues, aber die Wiederholung saftiger Details hilft bei der Vorverurteilung

Das gibt Rutishauser nochmals Gelegenheit, unter dem Deckmäntelchen der Berichterstatterpflicht die saftigsten Details dieser Spesen wieder auszubreiten. Auch hier gibt’s nichts Neues, aber es hilft natürlich bei der medialen Vorverurteilung, bei einer Art öffentlicher Selbstjustiz, mit der Rutishauser auch noch die letzten lächerlichen Reste der Unschuldsvermutung in die Tonne tritt.

Es ist ein Stück aus dem Tollhaus. Die einzigen bislang einwandfrei begangenen Straftaten sind Verletzungen des Amts-, Geschäfts- und Bankkundengeheimnisses. Und zwar wiederholt und ohne dass es der Staatsanwalt in den quälend langen Jahren seiner Untersuchung für nötig hielt, wenigstens Strafanzeige einzureichen.

Das holte nun als eine seiner ersten Amtshandlungen das Bezirksgericht Zürich nach, nachdem es durch die Einreichung der Anklageschrift die Hoheit über das Verfahren bekommen hat. Viel mehr Aktivität hat es allerdings bislang auch nicht entfaltet. Es brütet offensichtlich noch über der Frage, ob es – unter welchem Vorwand auch immer – die Anklage zwecks Verbesserung abschmettern will, sich für nicht zuständig erklären – oder in den sauren Apfel dieses Riesenprozesses beissen.

Behauptungen der Anklageschrift werden im Indikativ erzählt, als Tatsachen

Natürlich wurde die angebliche «Enthüllung» der SoZ in der dürftigen Nachrichtenlage des Sonntags fleissig kolportiert und weiterverbreitet. Manchmal im Konjunktiv, häufig aber auch, wie in der Darstellung Rutishausers, im Indikativ.

Das ist eine weitere Verluderung der Sitten. Unschuldsvermutung? Selten so gelacht. Zitate aus einer Anklageschrift, die schliesslich nur die Sicht der Staatsanwaltschaft wiedergibt, als Tatsachen darstellen? Ausrisse aus angeblichen Spesenabrechnungen publizieren? Ohne den geringsten Hinweis darauf, dass es sich hier bislang lediglich um Anschuldigungen handelt? Ohne Hinweis, dass nicht einmal die Anklage vom Gericht angenommen wurde? Ohne Hinweis darauf, dass ein Urteil noch in weiter Ferne liegt und Freispruch oder Schuldspruch sein kann?

Ohne Rücksicht darauf, dass Pierin Vincenz, unabhängig davon, ob er sich etwas hat zuschulden kommen lassen oder nicht, seit nun drei Jahren durch dieses Schlammbad von Indiskretionen geschleift wird? Also an seiner Vorbildfunktion müsste der Oberchefredaktor noch etwas arbeiten; da ist noch viel Luft nach oben.

Wildwest im Internet

Eine Errungenschaft der Zivilisation war, das Faustrecht abzuschaffen. Die private Rechtsprechung. Nun ist sie wieder da.

Es dauerte im Wilden Westen, aber irgendwann setzte sich auch dort durch, dass der Cowboy nicht einfach das Recht – oder was er dafür hält – in die eigenen Hände nehmen darf. Sondern dass er Entscheidung und Urteil dem Staat zu überlassen hat.

Manchmal schlägt die Geschichte wirklich merkwürdige Purzelbäume. So wie sich vor 200 Jahren Grossgrundbesitzer oder die Halter von Riesenherden, später dann Ölbarone aufführten, inklusive Rechtsprechung, so ist das heute auch wieder.

Von vielen Kurzdenkern bejubelt, haben diverse soziale Plattformen bekanntlich dem Ex-Präsidenten Donald Trump den Stecker gezogen. Nachdem sie fast vier Jahre lang zusahen, was er alles so twitterte, auf Facebook stellte oder auf YouTube, entdeckten sie plötzlich kurz vor der Amtsübergabe ihre soziale, politische und sonstwas Verantwortung.

Statt Trump entscheiden nun Zuckerberg, Dorsey, Page?

Man tritt Mark Zuckerberg nicht zu nahe, wenn man ihn als leicht schrullig bezeichnet. Bösartiger könnte man von Autismus sprechen, auch das hässliche Wort Soziopath in die Runde werfen.

Man tritt auch Jack Dorsey nicht zu nahe, wenn man ihn als leicht abgedreht bezeichnet. Er ist, zusammen mit einem Hedgefonds, arabischen und russischen Investoren als Mitgründer einer der grössten Einzelaktionäre von Twitter. Man tritt auch Larry Page nicht zu nahe, dem Mitentwickler von Google (Marktmacht 92 Prozent) und damit Mitbesitzer von YouTube, wenn man ihn als grossen Heuchler (don’t be evil) bezeichnet.

Nun sind diese Herren daran beteiligt, wenn einem Nutzer ihrer Plattformen der Stecker gezogen wird. Deutschland, wovon auch Schweizer Betreiber von Webseiten betroffen sind, hat die Absurdität und staatliche Bankrotterklärung auf die Spitze getrieben. Mit dem nicht nur sprachlichen Monster «Netzwerkdurchsetzungsgesetz». Wer sich mal ein schönes Stück deutsche Wertarbeit anschauen will, bitte sehr.

Eine gute Absicht verkehrt sich ins Gegenteil

Kurz gefasst macht dieses Gesetz auch den Betreiber einer sozialen Plattform haftbar, wenn der Hassposts, rassistische Schmierereien, Aufrufe zur Gewalt und so weiter nicht zackig säubert. Wer entscheidet, was noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist und wo der strafbare Raum beginnt? Nun, der Betreiber natürlich. Erst in nächster Instanz der Gesetzgeber, wenn er Fehlverhalten mit strammen Bussen bestraft.

Wie so oft verkehrt sich hier eine gute Absicht, eine Schranke gegen Hass und Hetze im Internet hinzustellen, ins Gegenteil. Zunächst brauchte der deutsche Gesetzgeber bis Herbst 2017, um dieses Gesetz zu verabschieden. Der absolute Sündenfall besteht darin, dass damit ganz offiziell privaten Firmen die Autorität übergeben wird, Zensur ausüben zu dürfen.

Die Wurzel des Übels liegt – wie meist – in den USA. Dort schafften es die grossen Plattformen mit geschickter Lobbyarbeit, sich vor einer Verantwortung zu drücken, die sonst jeder im Netz hat. Wenn ein Amok eindeutig gesetzwidrige Botschaften postet oder als Kommentar abschickt, dann haftet natürlich er selbst dafür. Aber auch die Plattform, die sich als Multiplikator missbrauchen lässt. Deshalb werden inzwischen von allen solchen Plattformen Kommentare moderiert oder gleich ganz abgeschafft. Ausser bei Facebook, Twitter & Co.

Nackte Brust schwierig, brauner Kommentar kein Problem

Die haben sich nämlich eine Ausnahmebewilligung gemischelt, dass sie eben keine Newsplattformen sind, sondern nur dem sozusagen privaten Meinungsaustausch ihrer Nutzer dienen. Ausdruck typisch amerikanischer Verklemmtheit ist dabei, dass es sehr schwierig ist, eine nackte Brust, selbst von einem Kunstwerk, hochzuladen. Rassismus, Hetzreden, absurde Verschwörungstheorien, Geschwafel über eine jüdische Weltverschwörung, das ist hingegen kaum ein Problem.

Ausser im deutschen Sprachraum. Das ist die vermeintlich gute Seite. Die rechtsstaatlich mehr als bedenkliche ist, dass es dem Belieben und der Willkür der Kontrolleure von Privatfirmen überlassen bleibt, ob eine Mitteilung im Netz bleibt oder gelöscht wird. Oder gleich der Account gesperrt wird.

Genau wie bei vielen grauen und schwarzen Listen herrscht hier völliger Wildwest. Wer als Person gesperrt wird oder gar auf eine Blacklist kommt, hat keinerlei rechtsstaatliche Möglichkeiten, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Wer’s nicht glaubt und sehr viel Geld hat, kann gerne versuchen, eine dieser Plattformen haftbar zu machen oder zur Streichung seines Namens aufzufordern.

Chancen zur Gegenwehr: faktisch null

Alle Dummköpfe, die das Verstummen von Trump auf den sozialen Netzwerken bejubelt haben, sind sich offenbar nicht darüber im Klaren, dass sie Willkür und Faustrecht applaudieren. Was sich nicht zuletzt darin manifestiert, dass fast vier Jahre lang alle diese Plattformen x-fach an Trump verdienten. Durch Gratis-Werbung in Form von Nennung in allen Newskanälen, und in Form von volumenabhängiger normaler Werbung auf dem Gleitmittel Trump.

Das Gesetz in Deutschland, die hilflosen Aufrufe zur Beseitigung rechtsfreier Räume im Internet bewirken bis heute nur eins: Wildwest wird durch reine Willkür ersetzt. Jedem kann begründungslos oder mit windiger Begründung der Stecker gezogen werden. Rechtsmittel dagegen: null. Willkommen in der schönen, neuen Welt.

Offene Fragen zum Fall Luzia Tschirky

Stimmt da alles?

Es war einmal im fernen Minsk, da lief Luzia mit zwei Freunden vergnügt durch die Innenstadt von Minsk. Die drei jungen Menschen waren auf dem Weg zu einem belarussischen Café. Sie blinzelten in die Mittagssonne. Am glücklichsten aber war Luzia. Normalerweise arbeitet sie für den Staatssender SRF. Aber heute hatte sie sich den ganzen Tag freigenommen. «Bald trinken wir leckeren Kaffee», freut sie sich und hakt sich bei ihren Freuden ein. Schmunzelnd ignoriert sie die Pfiffe der belarussischen Männer, die ihr hinterhergucken. Vor einer Strasse warten die drei Freunde, bis die dämliche Ampel endlich auf grün schaltet.

In diesem Moment bremst plötzlich ein schwarzer Minibus scharf vor ihnen. Ein Maskierter reisst die Türe auf und wirft das Trio in den Bus. Luzia ist ausser sich und schreit: «Ich bin eine Schweizer Journalistin! Hier, mein Journalistenpass! Lasst mich raus!» Aber njet da. Luzia und ihre beiden Freunde werden unsanft auf eine Polizeistation gebracht. Luzia schreit weiter: «Ich bin Angestellte vom SRF, ich bin Schweizerin, lasst mich raus!»

Luzia schreit so laut, dass sogar der Leiter der Polizeistation wach wird. Er kommt runter. Luzia brüllt ihn an: «Ich bin Schweizerin, ich will zu meinem Botschafter!» Der Leiter guckt sich Luzia an und versucht sie zu beruhigen: «Keine Angst, du kommst raus. Da ist die Türe, arrivederci.»

Endlich, nach drei Stunden Haft ist Luzia draussen und fährt gleich zur Botschaft. Dort wird sie schon von Claude empfangen. Der Botschafter mit Bauch weiss sofort, was man in diesen Fällen tut: Er holt schnell zwei Gläschen und füllt sie mit Vodka auf. Luzia ist wieder happy. Sie tweetet in alle Himmelsrichtungen und berichtet von ihrer Tortur.

So ungefähr soll am Sonntag der Krimi gelaufen sein. Es ist die Story von Luzia Tschirky, in einem Land fern von uns. Als die Nachricht tröpfchenweise an die Schweizer Journalisten gelangte, herrschte glückliche Alarmstimmung: Schweizer Blondine von russischen Horden gefangen und schliesslich freigelassen – was gibt es besseres bei diesem Scheisswetter?

Nun, die Sache ist wie immer etwas komplizierter. Offen bleibt die Frage, ob sie als Reporterin unterwegs war oder als Touristin. Im Interview mit SRF News sagt Tschirky, dass sie am Sonntag «privat in der Stadt unterwegs» gewesen sei. In der Tagesschau-Anmoderation heisst es aber: «Geplant war eine Schaltung und Analyse zu den Ereignissen.»

Sie soll mit zwei Bekannten in den Bus geworfen worden sein, erwähnt Tschirky immer wieder. Wer die waren und wie sie hiessen, verrät sie nicht. In Interview sagt sie: «Ich hoffe, meine Bekannten kommen rasch wieder frei.» Helfen würde definitiv eine Bekanntmachung der Namen. Das würde den Druck auf die Behörden erhöhen. Oder: es handelt sich um polizeibekannte Protestler. In dem Fall wäre Tschirky fahrlässig reingetappt. Ob das immer noch mutig gewesen war, ist eine zweite Frage.

Auch wer sie schliesslich aus der Polizeihaft befreite, ist unklar. In der «Tagesschau» sagt sie: «Auf der Polizeistation sass ich mehrere Stunden. Da kam der Leiter der Polizeistation und rief mir zu: «Du, komm her.» Er sagte mir dann, der Schweizer Botschafter sei jetzt hier, ich könne mit ihm mitkommen.» Auf srf.ch sagt sie: «Irgendwann kam eine Frau vom Migrationsdienst und meinte, mir würde nichts geschehen. Dann durfte ich gehen» Wer hat Tschirky denn nun erlöst? Der Herr Polizeileiter oder die Frau Migrationsdienst?

Die Fragen bleiben ungeklärt «SRF ist sehr froh, dass Luzia Tschirky schnell wieder freigekommen ist. Auf Ihre Fragen gehen SRF und Luzia Tschirky nicht weiter ein.» Wir sind ja auch glücklich, dass Tschirky wieder draussen ist. Beim nächsten Mal sollte sie sich dreimal überlegen, mit wem sie wann und wo einen Kaffee trinken will.

Meinungsmacher Urs Leuthard

Oder: Wenn einem die Ergebnisse nicht passen.

Am 7. März stehen drei eidgenössische Vorlagen an: die Initiative für ein Verhüllungsverbot, das Gesetz über die elektronische Identität und das Freihandelsabkommen mit Indonesien. Jüngste SRG-Umfragen deuten ein Ja bei allen Vorlagen. Am deutlichsten steht es um das Verhüllungsverbot: 56 Prozent Ja, 40 Prozent Nein, 4 Prozent Unentschieden.

Vor allem die 4 Prozent sind interessant. Dass sich ein Monat vor der Abstimmung so wenige Schweizerinnen und Schweizer noch keine Meinung gebildet haben, ist selten.

Urs Leuthard ist Leiter Bundeshausredaktion SRF. Das deutliche Umfrage-Ergebnis zum Verhüllungsverbot ist ihm natürlich aufgefallen. «Einiges deute darauf hin», versucht Leuthard zu beruhigen, dass die Abstimmung doch noch abgelehnt werde.

Er argumentiert, dass sich seit zwei Jahren die Erfolgsformel «jünger, weiblicher, grüner» an den Wahlergebnissen durchgeschlagen habe. Darum: «Das bedeutet auch mehr Nein-Stimmen bei der Burka-Initiative.»

Auf die Frage von Zackbum, ob bei der SRG-Umfrage keine Frauen, Grüne und Junge befragt wurden, antwortete Leuthard: «Wenn Sie die Umfrage genau anschauen, sehen Sie, dass die Jungen und die tendenziell «Grüneren» sehr deutlich gegen die Initiative sind.» Das ist falsch. Die von ihm unter anderem aufgeführte GLP würde (Stand Umfrage) mit 49 Prozent Ja gegen 46 Prozent Nein abstimmen. Hinzu kommt: Bei den Umfrageergebnissen weist die SRG öffentlich keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf.

Die Initiative habe auch darum einen schwachen Stand, weil sie von der SVP lanciert worden sei, so Leuthard. Er nennt seine Einschätzung eine «Analyse». Allzu viel Zeit hat der junge Cousin von Doris Leuthard nicht in seine Analyse investiert. Betrachtet man die vergangenen Abstimmungsniederlagen der SVP fällt auf: Die SVP hat dann verloren, wenn sie gegen fast alle anderen Parteien antrat, die sich ebenfalls ins Zeug legten. Beim Verhüllungsverbot will aber keine einzige Partei gegen die SVP ankämpfen. Leuthard zu Zackbum: «Die Ausgangslage ist tatsächlich hier etwas anders als bei vergangenen SVP-Initiativen.»

Insgesamt eine schwache Analyse. Leider nicht selten bei SRF. Die zentrale Frage lautet aber: Warum wird eine SRG-Umfrage von einem SRF-Angestellten überhaupt bewertet? Leuthard: «Ich bewerte nicht die Umfrage, ich versuche die Umfrage-Resultate in einen Kontext einzuordnen.»

Über den Versuch ist er nicht hinausgekommen, der Leiter Bundeshausredaktion SRF. Und wenn er Kontexte so gerne einordnet: Warum nicht gleich alle drei Vorlagen?