Berichten, was relevant ist

Gute Ansage. Gute Idee. Aber wenn ewig der eigene Bauchnabel näher ist als die Welt?

Der Journalist, so steht’s sicher in einem verstaubten Lehrbuch, hat die vornehme Aufgabe, die Welt zu kartographieren. Zu berichten, was sich so alles abspielt, nah und fern. Da das etwas mehr ist, als in eine Zeitung passt, muss er auch noch das Relevante auswählen und gewichten.

So viel zur schönen Theorie. Gehen wir in die hässliche Praxis. «Blut, Busen und Büsis für die Romandie», gleich zwei Werke ist dem «Tages-Anzeiger» das welterschütternde Ereignis wert, dass es neuerdings auch eine Online-Ausgabe des «Blick» auf Französisch gibt. Das mag ja den Westschweizer Leser allenfalls am Rande interessieren.

Aber hier in der Deutschschweiz? Echt jetzt, und auch noch einen Podcast obendrauf? In dieser Ausführlichkeit? Absurd. Gesteigert werden kann das nur noch auf eine Art: Tamedia berichtet über diese Expansion, vermerkt, dass auch «watson» aus dem Hause CH Media schon in die Romandie eingedrungen ist.

Die Westschweiz (rot eingefärbt).

Dass man der Konkurrenz von Herzen alles Schlechte wünscht, ist menschlich verständlich. Das Tamedia mit keinem Wort erwähnt, dass dieser Konzern der Platzhirsch bei den französischsprachigen Medien in der Schweiz ist – das ist wieder mal ein kräftiger Beitrag zur Förderung der Glaubwürdigkeit.

Nur Bäumchen werden ausgerissen

Auch im Lieblingsgeschäft der modernen Journalisten reisst Tamedia nur ganz kleine Bäumchen aus. Wenn man der Welt mangels Ressourcen dafür schon nicht näher kommen kann, dann gibt’s ja immer noch den Kommentar. Den der Tag rückt immer näher, an dem der frisch eingestellte Kindersoldat im Newsroom, nachdem ihm seine Verrichtungsbox auf einem halben Meter Breite und Tiefe zugewiesen wurde, verschreckt fragte: Aber ich dachte, dass sei ein Bürojob. Ich soll jetzt echt rausgehen und reportieren? Aber es regnet doch!

Stattdessen lieber ein Kommentar. Zu aktuellen Ereignissen. Oder zu längst vergangenen, noch besser. Wenn das Ereignis passiert ist und schon etwas abgehangen zu müffeln beginnt, ist der beste, weil sicherste Moment, dran zu schnuppern und die Ergebnisse der Schnüffelei dem Leser zu servieren.

Das tut der unermüdliche Michael Hermann, der sich nicht einkriegen kann, dass der Bundesrat doch tatsächlich eingesehen hat, dass das Rahmenabkommen dermassen aus dem Rahmen gefallen ist, dass man die Leiche endlich ruhen lassen sollte, statt versuchen, sie immer wieder wachzuküssen.

Hermann ist dabei unangenehm aufgefallen, dass die Gegner eines vernünftigen Zusammenwucherns im Hause Europa, wo die Schweiz in der Mitte doch nicht abseits stehen könne, mit dem Argument arbeiten, dass sie an Souveränität verlieren könnte.

Ganz falsch, doziert Hermann. «Die Schweiz agiert ängstlich, wenn es um ihre Selbstbestimmung geht», behauptet der Wissenschaftler eingangs. Das ist natürlich bedauerlich, liebe Schweiz. Man stelle sich vor: Helvetia kauert ängstlich in einem noch nicht zur Touristenattraktion umgewidmeten Gotthard-Reduit in der Ecke und bibbert. Wie man kann das arme Wesen wieder ans Tageslicht der europäischen Sonne führen?

Souveränes Denken mit Hermann

Da hat Hermann eine merkwürdige Idee. Dieses Mäandern muss man in voller verwickelter Länge geniessen:

«Die Covid-19-Situation ist nicht zuletzt ein Stresstest für die Handlungsfähigkeit von Staaten und damit im Kern auch für das Ausmass ihrer Souveränität. Mit ihren eigenständigen Strategien haben Dänemark und Schweden in besonderem Mass ihr Vermögen unter Beweis gestellt, selbstbestimmt zu handeln. Und hier kommen wir bereits zum eigentlichen Clou: Beide Staaten sind hochgradig souverän, obwohl beide EU-Vollmitglieder sind.»

Wer ZACKBUM erklären kann, was Hermann uns damit sagen will, bekommt die Medien-Verdienstmedaille am Band mit Brillanten (falsch, aber glitzern) verliehen. Auch der Nachsatz zum Clou macht’s nicht wirklich verständlicher: «Was wir in der Schweiz dabei gerne vergessen: Souveränität misst sich nicht am Ausmass des Abseitsstehens.»

Aha, wer’s immer noch nicht verstanden hat (wir zum Beispiel), dem greift Hermann noch paartherapeutisch unter die Arme, sich dabei auf «unsere zwischenmenschliche Erfahrung» stützend:

«Es gibt Personen, die sind stark eingebunden und leben dennoch selbstbestimmt, und andere, die halten sich aus allem raus und schaffen es doch nicht, ihr Leben selber zu bestimmen.»

Wir befürchten nun, dass Hermann als Paartherapeut ungeeignet wäre. Allerdings ist er es auf seinem Gebiet auch. Zudem ist er beratungsresistent. Denn zur Abrundung singt er noch Lobeslieder auf ausgewählte EU-Staaten, die trotz Mitgliedschaft ganz furchtbar souverän seien und vor allem die Schweiz auf diversen Gebieten längst hinter sich gelassen haben. Der Letzte, der diese Nummer probierte, war der unermüdliche WeWo-Kolumnist und ehemalige SP-Chef Peter Bodenmann. Der sang über Jahre hinweg das Lied, wie toll es doch Österreich ginge, wie die uns Schweizer so was von abhängen würden, eigentlich auf allen Gebieten besser und besser werdend, möglicherweise mit Ausnahme des Käsefondues.

Bei denen geht’s ab, in der Schweiz herrscht Stillstand, Rückschritt, Gejammer, bald werden wir wieder auf den Alpen Kühe hüten und zur Selbstversorgung zurückkehren. Weil wir Deppen nicht in der EU sind. Aber seit geraumer Zeit, hat Bodenmann diesen Wortsalat auf den Schindanger geworfen und möchte nicht mehr daran erinnert werden. Er wird aber auf den Stockzähnen grinsen, dass Hermann nun diesen toten Gaul nochmal reiten will.

 

Die Dumm-Verkaufe

Medien werden vom Staat unterhalten, bezahlt, subventioniert. Kein Problem, sagen die Medien.

Jeder Mitarbeiter von CH Media weiss, dass letztlich der Wanner-Clan das Sagen hat. Jeder Mitarbeiter bei Ringier weiss, wie der Besitzer des Verlags heisst. Wer bei Tamedia in Lohn und Brot steht, kennt den Coninx-Clan und seinen Statthalter Pietro Supino.

Alle Verlagshäuser legen grossen Wert darauf, dass sie völlig unabhängig berichten, nur der Wahrheit und den journalistischen Regeln verpflichtet. Da lachen die Hühner schallend. Und suchen vergeblich nach kritischen Artikeln über Wanners auf CH Media. Selbst wenn der von Beruf Sohn und von Funktion Leiter Radio Florian Wanner sich in der UKW-Debatte lächerlich macht und durch Unkenntnis glänzt, wird darüber natürlich höflich geschwiegen.

Weder über den Aston Martin noch über den Kunst-Spleen von Michael Ringier liest man jemals kritische Artikel. Und solange Frank A. Meyer was zu sagen hat, wird es kein böses Wort über die EU und nur böse Worte über den «Führer aus Herrliberg» und die SVP geben.

Man muss Prioritäten setzen

Bei Tamedia kümmert man sich angelegentlich um korrektes Gendern, Frauenquoten und den Kampf gegen Sexismus. Der Profitwahn Supinos und die Unwilligkeit des Coninx-Clans, in Krisenzeiten mal ins eigene, tiefe Portemonnaie zu greifen, ist eher weniger ein Thema.

Reiner Zufall, habe überhaupt nichts mit den Besitz- und Machtverhältnissen zu tun, wird auf Wunsch geschwurbelt und gesabbert. Reiner Zufall, dass es nicht mal dem Neueinsteiger einfallen würde, mit dem Vorschlag in die Themenkonferenz zu platzen, ob man nicht mal den beim Jubiläums-Jubel «Medien zwischen Geld und Geist» zum 100. des «Tages-Anzeiger» (1993) von Coninx persönliche gestrichenen Beitrag nachreichen sollte.

Ganz allgemein gilt: welche Gehälter in den Chefetagen für welche meist kläglichen Leistungen bezahlt werden, wann wenigstens damit aufgehört wird, Sparmassnahmen, Rausschmisse, Zusammenlegungen und Verödung allgemein als bedeutenden Fortschritt verkaufen zu wollen, das sind Tabuthemen. Dass man damit die verliebenden Leser stinksauer macht, was soll’s. Weniger Abokosten für deutlich geschrumpftes Angebot? Himmels willen, niemals.

Das «Medienpaket» ist auf der Zielgeraden

Nun werden aktuell noch die letzten Differenzen zwischen Stände- Und Nationalrat bezüglich des «Medienpakets» ausgeräumt. Damit ist gemeint, dass die Schweizer Medien geradezu nordkoreanisch in Reih und Glied ausgerichtet werden. Nein, niemand behauptet, jetzt würden dann nur noch Jubelartikel über den so furchtbare geschickten Verhandler Bundesrat hereinbrechen.

Aber die Einzigen, die kein Problem damit haben, vom Staat reichlich mit Steuergeldern beschenkt zu werden – sind die Verleger-Clans. Die für sie schon längst zu Quengelverstärkern denaturierten Begriffe wie Vierte Gewalt, Kontroll- und Wächterfunktion glaubt ihnen doch keiner mehr.

Sie bringen nicht einmal mehr minimale Solidarität untereinander auf. Da werden Werbeallianzen geschmiedet, und wer draussen bleiben muss, stellt sich auf die Zehenspitzen und tobt, als ginge es um sein Leben. Dabei befürchtete Tamedia nur dass Ringier an die grösseren Geldtöpfe mit seiner Admeira gelangen könne. Schlimmer noch: immer öfter wird für Aussenstehende unerfindlicher und unbegreiflicher Konzernjournalismus betrieben.

Konkurrenz wird schon mal niedergemacht

Unvergessen, als ein Tamedia-Redaktor mit passendem Nachnamen über den Südostschweizer Platzhirsch in den dortigen Medialgefilden herfallen wollte/musste/sollte. Dabei hackte er Hanspeter Lebrument dermassen gewalttätig und ohne jede Faktengrundlage zusammen – in bester «Republik»-Manier nur mit anonymen Quellen arbeitend –, dass Tamedia den Artikel in elektronischen Archiven löschte und den ja nur His Master’s Voice spielenden Journalisten dazu verdonnerte, höchstselbst sich bei Lebrument zu entschuldigen.

Weil man sich nichts gönnt, tobt eine der Schlachten über dem Thema Internet. Wer kriegt da was und warum? Um Medienplattformen zu unterstützen, die ohne Zweifel demnächst in chinesische Hände übergehen werden. In wieweit chinesische Investoren bereits sind, so geduldig dem Treiben ausser Kontrolle geratener Journalistinnen zuzuschauen?

Vorher tobt aber noch ein Nahkampf zur Frage: Werden nun Online-Auftritte auch mit Steuergeldern zu geschüttet, und wenn ja, nach welchen Auswahlkriterien.

Nur, was bezahlt werden muss, kriegt Staatskohle

Bislang hält die Linie, dass dort das Füllhorn nur über Angeboten ausgeschüttet wird, die in irgend einer Form Geld dafür verlangen, dass man die magere Leistung sehen darf. Allerdings ist Tamedia mit «20 Minuten» und CH Media mit «watson» unterwegs. Beides News-Schleudern ohne Zahlschranke. Die würden also leer ausgehen. Was überraschenderweise die beiden Verleger-Clans gar nicht lustig finden.

Nebenbei würde das bedeuten, dass auch die deutlich wachsende Plattform «Die Ostschweiz» leer ausginge – ZACKBUM ebenfalls. Hier wäre allerdings Unabhängigkeit mit oder ohne staatliche Subvention garantiert.

Bei den clanbestimmten Verlagen wäre es einfach eine noch verstärkte Abhängigkeit. Denn sie bekommen ja heute schon unter verschiedenen Titeln staatliche Beihilfen. Zwecks Ruinieren der Glaubwürdigkeit.

Unsere Nationalbank beim Eierquetschen

Vornehmer heisst das Short Squeeze und bedeutet, Spekulanten in die Hose zu fassen.

Das ist normalerweise ein Spiel für die Big Boys an den Börsen. Zu denen gehört aber auch unsere gute, alte Nationalbank. Wenn ganz grosse Hedgefunds grün und blau vor Ärger und Angst werden, hält sich das Mitleid in Grenzen. Citron Resarch, Melvin Capital oder Citadel sind solche Giganten, die normalerweise unter dem Radar fliegen. Zurzeit aber eher unbekleidet dastehen und sich die Hände vors Gemächt halten.

Wie so häufig hat die «Financial Times», eines der wenigen Organe, in dem Wirtschaft noch kompetent analysiert wird, den Fall aufgeblättert. Wie so häufig hat «Inside Paradeplatz» als bislang einziges Schweizer Organ darauf hingewiesen.

Die Probleme beim Leerverkaufen sind in der Leere des Journalismus zu kompliziert

Ein Short Squeeze ist eine ziemlich unangenehme Klemme, die beim Shorten entsteht. Shorten heisst, ein Wertpapier auf Termin leer zu verkaufen. Zum heutigen Kurs, weil der Spekulant davon ausgeht, dass er es sich bei fallenden Kursen später billiger besorgen kann und so ohne die geringste Wertschöpfung Reibach macht.

Für Fallschirmspringer ohne Fallschirm ist die Variante des leer Shortens. Der Spekulant geht voll ins Risiko und hat seine Wette auf die Zukunft mit nichts unterlegt. Ein theoretisches, aber naheliegendes Beispiel: Die Aktie der Credit Suisse ist mit 9.85 am Freitag aus dem Markt gegangen. Ich biete sie zu diesem Preis zum Verkauf am Mittwoch. In der Hoffnung, dass ich mir sie dann für 9.75 besorgen kann. Hübscher Gewinn ohne Arbeit.

Peinlich wird’s aber, wenn sie am Mittwoch nur für 9.95 zu haben ist. Denn ich muss mein Verkaufsversprechen halten, mich also mit Verlust eindecken. Der ist hier bitter, aber überschaubar.

Richtig peinlich wird’s aber, wenn der Kurs durch die Decke geht. Das war bei der US-Trümmelfirma Gamestopp vor Kurzem der Fall. Deren Aktienkurs dümpelte friedlich bei rund 20 Dollar vor sich hin. Einige Hedgefonds verloren das Vertrauen ins Geschäftsmodell der Bude und begannen zu shorten. Aber statt dass der Kurs ihnen den Gefallen tat, weiter abzusaufen, explodierte er auf bis zu 480 Dollar. Nun stelle man sich vor, dass ein Spekulant zu diesem Preis sich mit ein paar tausend Aktien eindecken muss, die er für 20 Dollar zu liefern hat.

Ein Short Squeeze ist sehr unangenehm

Zumindest Männer, und die überwältigende Mehrheit der Börsenhaie sind Männer, haben dann ein Gefühl, als würden ihre Testikel in einen Schraubstock geraten. Sehr unangenehm. Das gleiche Spiel läuft zurzeit mit den Aktien der Kinokette AMC. Eigentlich, dank Corona, auch ein Kandidat für fallende Kurse. Aber auch AMC wird zu einer Meme-Aktie. So wiederum nennt man Papiere, deren Börsenwert nichts mehr mit dem inneren Wert der dahinterstehenden Firma zu tun hat.

Hedgefunds müssen ja irgendwie Geld verdienen, und sei es nur, um die exorbitanten Fees und Boni des Managements zu bezahlen. Die sind aber im Allgemeinen sehr gut im Abkassieren, weniger gut im Analysieren und Spekulieren. Das neue beim Gamestopp-Casino war, dass auf der Versammlungsplattform Reddit ein Trader unter dem putzigen Pseudonym «Roaringkitty» (brüllendes Kätzchen) eine Community von Kleinhändlern aufgebaut hatte, die gemeinsam so viel Gewicht bekamen, dass sie den Kurs der Spielefirma nach oben treiben konnten.

Das wiederum trieb ein paar Hedgefonds fast in den Bankrott; einer soll dabei beinahe 50 Prozent seines Wertes verloren haben. Aber da ja die meisten Einnahmen von Händlern weiterhin umsatzabhängig sind (schliesslich ist auch das Verrösten von Geld Umsatz), bedeutet eine verlorene Wette die nächste Wette, diesmal aber in die Vollen.

Auch die AMC-Aktie explodiert – nach oben

Das scheint gerade bei der AMC-Aktie zu passieren. Statt sich gefälligst nach unten zu bewegen, explodiert sie förmlich nach oben. Ganz echt furchtbar blöd wird es dann, wenn Shorties – so nennt man diese Spekulanten – mehr Kontrakte ausgestellt haben, als es überhaupt Aktien gibt.

Wie diverse Finanzkrisen gezeigt haben, kann man an der Börse ziemlich viel anstellen; Aktien aus dem Nichts herbeizaubern gehört aber nicht dazu. Auch bei AMC ist inzwischen rund 80 Prozent der Aktien im Besitz von einer Community von Retailhändlern. Allerdings, unvermeidlich sind auch Big Boys wie BlackRock, die Pensionskasse von Arizona – und die Schweizerische Nationalbank (SNB) eingestiegen. Ihr, also uns, gehören rund 200’000 AMC-Aktien. Ihr Paket hat die SNB erst Anfang Mai verdoppelt.

Auf der anderen Seite, also womöglich auf der Verliererstrasse steht – man möchte fast sagen: logisch – die Credit Suisse. Sie soll zu den grösseren Leerverkäufern der Aktie gehören. Funktioniert auch hier der Short Squeeze, dürfte es diesmal ein paar grosse Hedgefunds lupfen.

Unvergessen: der Short Squeeze mit de VW-Aktie 2008.

Richtig lustig wird’s aber dann, wenn die SNB zwar zu den Gewinnern gehört. Aber der CS unter die Arme greifen muss, too big to fail, nicht wahr. Gewinne kassiert das Management, Verluste deckt der Staatsbürger mit seiner SNB ab. Ein Scheissspiel? Aber sicher. Nur hätte es der Staatsbürger ja in der Hand, kräftiger bei seiner SNB mitzureden. Denn die ist auch eine AG. Aber eben, von «da sollte man mal» bis zur Aktion ist es ein weiter Weg.

Vor der Aktion stehen auch Horden von Bedenkenträgern, die ein Hindernis nach dem anderen aufstapeln. Und den Gründungszweck der SNB völlig aus den Augen verloren haben.

Immerhin; endlich ist die Schweiz mal wieder Weltspitze. Mit Abstand. Die Bilanz ihrer Notenbank ist bedeutend grösser als das BIP. Und die SNB ist der grösste Hedgefonds der Welt. Mit ganz tiefen Taschen. Und mit der Lizenz zum Drucken. Zum Gelddrucken.

Dieser Artikel erschien zuerst auf «Die Ostschweiz».

Was macht eigentlich …

… Pascal Hollenstein? Die journalistische Leiter nach unten von CH Media?

Sein Megaphon im Dienste von Jolanda Spiess-Hegglin verstaubt zurzeit in der Ecke. Publizistischer Bedarf besteht auch nicht. Eigentlich könnte Pascal Hollenstein in die Frühpensionierung abschwirren. Der Leser würde es ihm danken. Ausser, er machte den Felix E. Müller (Ex-Chef der NZZaS, pensioniert und weiterschreibende Sparmassnahme) und schriebe und schriebe und schriebe.

So ist Pascal Hollenstein nicht. Hat er nichts zu sagen, schweigt er. Schweigt er nicht, hat er trotzdem nichts zu sagen. Item, zum Abbruch der Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen mit der EU hielt die Welt gespannt den Atem an und kriegte schon ein rötliches Gesicht.

Die hat sich nun entladen, endlich. Hollenstein präsentiert das Resultat tiefen Nachdenkens, unermüdlichem Polierens, einem titanischen Kampf mit der Sprache (nach dem dritten K.o. warf sie das Handtuch).

Hollenstein geht’s ums Ganze, worum denn sonst

In seinem Kommentar geht es ums Ganze:

«Ein Sieg von Blocher und der SVP, für den die Partei einen hohen Preis zahlen könnte».

Hollenstein versucht sich hier an einem gepflegt-staatstragenden Ton, der Helmut Schmidt gut anstand. Auch Hollenstein will das ganze Orchester auffahren. Warnen, mahnen, erinnern. Analytische Schärfe aufblitzen lassen. Sozusagen das Wort zum Sonntag der Politik sprechen. Oder in einem Wort: klugscheissen.

Auch das muss man können. So versemmelt es Hollenstein schon mit der Einleitung: «Die Schweiz mag die politische Folklore. Zum festen Inventar gehört dabei die Illusion, Bundesräte stünden immer und in jedem Fall über parteipolitischen Interessen.» Keine Ahnung, bei wem – ausser vielleicht Hollenstein – diese Illusion zum festen Inventar gehört. Wer trotzdem weiterliest, wird dafür nicht belohnt. Eher gequält.

Wohin und zurück mit Hollenstein.

Denn Hollenstein hat eine (in Zahlen 1) Idee gehabt. Nicht originell, nicht umwerfend, aber he, immerhin eine Idee. Die lautet so: durch den Abbruch der Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen ist der SVP der nächste Wahlkampfschlager, wenn nicht die Seele der Partei abhanden gekommen. Ihre Daseinsberechtigung. Denn wäre es doch noch zu einer Einigung gekommen: «Ein Traumszenario für die Volkspartei, deren einstiger kometenhafter Aufstieg eng mit der EWR-Abstimmung 1992 zusammenhängt.»

Dieser Abbruch trifft die SVP hart, meint Hollenstein

Also sozusagen a one trick pony, wie der Ami sagt. SVP, das ist Anti-EU. Lassen wir mal die Partei als Hort von Volksverhetzern, Corona-Leugnern, staatliche Massnahmen laienhaft und verantwortungslos kritisierenden Dumpfbacken beiseite. Also Anti-EU. Denn für sie sei mit dem Abbruch der Verhandlungen

«der Feind abhandengekommen, das Lieblingsthema weg und kein anderes in Sicht. Kurz: Ein Desaster.»

Schön für die bürgerlichen Parteien, und da kann es für die NZZ nur eine geben. Aber da sieht Hollenstein ein kleines Fünklein Licht, das er nun auch während Dusche und Bad nie mehr erlöschen lässt: «Nicht gut, aber immerhin etwas besser sieht es für FDP, Mitte und SP aus. Allen drei Parteien drohten bei einem Abstimmungskampf zum Rahmenabkommen hässliche interne Querelen. Der SP mit ihrem Gewerkschaftsflügel. Insbesondere aber die Freisinnigen boten im Rahmenabkommen-Dossier ein pitoyables Bild, ihr Aussenminister Ignazio Cassis wäre in den Wahlen zur ernsthaften Belastung geworden.»

Wir lieben es, wenn ein Tiefflieger das Wort «pitoyabel» verwendet, weil er meint, damit eine geradezu goetheanistische Flughöhe zu simulieren.

Nachdem Hollenstein die Auswirkungen dieses historischen Moments (meiner Treu, Verhandlungen wurden abgebrochen, das kann doch mal passieren, passiert auch ständig) abgeschmeckt, abgewogen, staatmännisch eingeordnet hat, in einer verstaubten Grossbürgersprache, wie es sich nicht einmal mehr die NZZ trauen würde, sondern nur noch Möchtegerns, wie sieht denn das Orakel die Zukunft?

Höret und staunet:

«Für die FDP und insbesondere Ignazio Cassis geht es in den nächsten Wahlen um viel, der Formstand der Partei ist miserabel. Gewiss, nach dieser Woche ist nun die Konkurrentin SVP thematisch geschwächt. Aber ob das reicht, um den freisinnigen Absturz zu verhindern, bleibt offen. Denn die eigentliche Gefahr droht den Freisinnigen ohnehin von den Grünliberalen. Mit dem historischen europapolitischen Entscheid vom Mittwoch ist sie nur noch grösser geworden.»

Ein Desaster. Dieser Kommentar von Hollenstein

Wer einen Ausblick auf kommende Wahlen mit «für xy geht es um viel» beginnt, hat eigentlich schon jede Kontrolle verloren. Denn, vielleicht abgesehen von Diktaturen, wann geht es bei Wahlen für Parteien mal nicht um viel? Wann hört man aus Parteizentralen: Ach, die nächsten Wahlen? Sind uns egal, wir müssen noch überall das Gendersternchen einpflegen.

Ich schwör’s, Hugo Bütler hätte so einen Satz vielleicht noch per Montblanc Meisterstück und grüner Cheftinte aufs Papier gekritzelt. Dann angeschaut, kurz den Kopf geschüttelt, leise «Quatsch» gesagt, das Papier zerknüllt, Papierkorb, neuer Anlauf. Nicht nur das unterscheidet Hollenstein von Bütler.

Der ehemalige Chefredaktor der NZZ, dessen Kürzel Bü. lautete, wurde von Niklaus Meienberg selig (Nora Zukker, das war, aber lassen wir’s) völlig richtig damit vorgeführt. Ob Bü. wohl für Büttel stünde? Oder für Bünzli? Nein, das stehe für Bürgertum, donnerte Meienberg. Wofür steht denn dann hol.? Genau, für ein fehlendes h nach dem o.

 

Schämt Ihr Euch gar nicht?

Ihr üppig verdienenden Nulpen an der Spitze Schweizer Medienkonzerne. Oder seid ihr wirklich schamlos indolent?

Pietro Supino ist VR-Präsident von Tamedia, bzw. von TX Group, formerly known as T. Hat irgendwas mit dem «Tages-Anzeiger» zu tun. Supino kassiert im Jahr rund 2 Millionen Franken. Ein Klacks gegen das, was seine Familie Coninx über die Jahrzehnte abgeräumt hat.

Was hat Supino eigentlich für all diese Kohle bislang geleistet? Publicitas beerdigt, ein Interview im eignen Blatt im letzten Moment zurückgezogen. Jede Menge Geld durch den Ankauf von Handelsplattformen verballert (Fashionfriends, jobs.ch, ricardo.ch). Die werden dann alle von Amazon, Facebook, Google und schliesslich Alibaba abgeräumt.

Viel von Qualitätsjournalismus geredet, noch mehr dafür getan, ihn totzusparen, Skelettredaktionen herzustellen, dann Zentralredaktionen, die alles versorgen und bestreichen sollen. Klargestellt, dass an Ertragszielen sicher nicht gerüttelt wird, es auch keine Quersubventionen gibt, wenn bspw. der Stellenanzeiger fast vollständig ins Internet abgeschwirrt ist.

Wenn Supino, die kalte Seele der Profitmaximierung, in die Harfe greift (oder greifen lässt), um mit Res Strehle, der sich nun wirklich für überhaupt nichts zu schade ist, ein «Handbuch Qualität in den Medien» zu schreiben, dann muss der Leser einen kugelsicheren Magen haben, damit es ihm nicht übel wird. Beim Lesen eines solchen Geschwurbels:

«Weil das Herstellen von Öffentlichkeit im Konflikt mit dem Interesse von Betroffenen stehen kann, erfordert unsere Arbeit Unabhängigkeit und ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Wir streben Fehlerfreiheit, Wahrheit im Sinne der Vollständigkeit der massgeblichen Fakten, Fairness und Transparenz auch über Korrekturen an, die im schnelllebigen Medienalltag kein Mangel, sondern ein Qualitätsmerkmal sind.»

Inzwischen zeigt Tamedia jeden Tag, wie man diesen grossartigen Prinzipien nicht nachlebt.

Krise? Hektik, Panik, Abtauchen

Schliesslich hat Supino eine ganz schlechte Falle beim Protestschreiben von 78 erregten Mitarbeitern bei Tamedia gemacht. Betroffenheit geheuchelt, es dann dem armen Arthur Rutishauser überlassen, damit fertigzuwerden. Der toppt ihn allerdings (ausser im Salär). Der Oberchefredaktor des Hauses, also der Verwalter all des Elends, der Verkünder von immer neuen Sparrunden. Der gleichzeitig das Niveau in den Keller fährt (Affaire Vincenz, Publikation von gestohlenen Geschäftsunterlagen, schöngeschrieben als Leaks oder Papers).

Schlechte Stimmung in den Zentralredaktionen, schlechte Stimmung in der verbleibenden Aussenredaktionen. Mit ausschliesslich anonymen Beispielen unterfüttert, behaupteten Mitarbeiterinnen, unter unerträglichen Zuständen zu leiden. Sexismus, Diskriminierung, dumme und anzügliche Sprüche. Das wurde dann gleich an die Öffentlichkeit durchgestochen, mittels eines anrüchigen Absenders.

Die Gelegenheit, endlich etwas für sein Geld zu tun. Stattdessen liess sich Rutishauser vorführen. Entschuldigte sich mal präventiv (für durch nichts und bis heute nicht bewiesenen Behauptungen von Fehlverhalten). Dann setzte er im Ernst eine der Unterzeichnerinnen, die selber in mehr als fragwürdige Recherchemethoden verwickelt ist, als Untersuchungsrichterin über die Stichhaltigkeit der Anschuldigungen ein. Dann stuhlte er sie zur «Ansprechperson» runter, schliesslich wurde sie zu «20 Minuten» entsorgt.

Im Fall Vincenz, wo sich Rutishauser immer wieder von interessierten Kreisen anfüttern und mit Unterlagen versorgen liess, schuf er ein einseitiges tendenziöses, den Ruf von Vincenz längst vor einer Verhandlung oder gar Schuldspruch restlos ruinierendes Werk, das in jeder Journalistenschule als Beispiel verwendet werden kann, wie man es ja nicht machen sollte.

Nabelschau statt Weltenschau

Und das alle in einem Verlag, wo Nabelschau wichtiger als Weltenschau geworden ist. Wo die Vergewaltigung der Sprache wichtiger als ihre Beherrschung geworden ist. Wo fast alles Publizierte von Meinung trieft. Unablässig Fanale und Zeichen gesetzt werden müssen. Die Welt nicht erklärt, sondern belehrt werden soll. Also ein Medienkonzern auf dem Weg nach unten. Bravo.

All die anderen? Nichts anderes

Ringier? Auch hier läuft sich die nächste Generation warm. Marc Walder zeigt währenddessen, dass man es mit Tennisspielen fast so weit wie Roger Federer bringen kann. Nämlich zum CEO und Mitbesitzer des Verlags. Leistungsausweis? Umbau zum Gemischtwarenladen, Wertschöpfungsketten mit Promis, die es in diesem Ausmass in der Schweiz noch nie gab.

Mehr Haare als Argumente: Meyer (l.), Walder 2013.

Wenn sich Marc Walder «auf einen Espresso» mit seinem Vordenker Frank A. Meyer über die 1:12-Initiative unterhielt, lacht man sich heute noch kaputt. Meyer ist dagegen, Walder hält sich bedeckt, beide hätten empfindliche Einkommensverluste hinnehmen müssen, wäre sie angenommen worden. Titel wie Format ist übrigens geklaut. Pardon, adaptiert. Nachempfunden. Ausserdem war’s bei Helmut Schmidt ein Zigarette. Ausserdem ist Meyer nicht Schmidt.

Ach, und auch da gibt es ja einen Oberchefredaktor. Christian Dorer ist der Name. Der steht dem vor, was mal eine machtvolle Meinungsmachmaschine war. Und bringt das Kunsstück fertig, die «Blick»-Familie Stück für Stück zu entmannen, auflagemässig in nie gekannte Tiefen zu fahren – und lächelt sich mit seinem Traumschwiegersohncharme durch alles durch. Während unter ihm ein munteres Gehen (weniger ein Kommen) herrscht. Auch das für ein Gehalt, das sicherlich bei einer halben Kiste liegen dürfte.

Lassen wir den Wanner-Clan (CH Media) für einmal aus; dort reicht es offenbar, von Beruf Sohn zu sein, um zu zeigen, dass man von elektronischen und digitalen Medien keine Ahnung hat.

Schliesslich die NZZ, angeführt vom meinungsstarken, nachtragenden und schneidend scharfen Eric Gujer. Der aber kein Problem damit hat, zusammen mit seiner Gattin sich in einem Wellness- und Diäthotel in Österreich zu erholen, dem Hotel-Newsletter huldvoll ein Interview zu gewähren, während seine Gattin auf zwei Seiten NZZ über Hotel, Diät und alles schwärmen darf. Sicher hat er selber bezahlt, sicher wurde damit nicht gegen hausinterne Regeln verstossen.

Wo bleibt das Gespür für Anstand?

Aber ein Chefredaktor, der nicht mal persönlich dazu Stellung nimmt, leises internes Gemurmel mit eisigem Blick zum Verstummen bringt, auch kein Problem damit hat, dass seine Göttergattin gleichzeitig seine Untergebene ist, die wiederum kaum auf Widerstand stossen dürfte, welchen Quark sie auch immer schreibt, darf das in einer NZZ sein? Ein Chefredaktor, der das bejaht, ist deutlich überbezahlt. Aber ganz deutlich. Wie viel der CEO der NZZ kassiert? Ebenfalls für einen Mann am Fenster, für einen Grüssaugust viel zu viel.

Die Medien bieten ein Bild des Elends. Mit unwürdigem Gebettel und Gebuckel haben sich die Privatkonzerne happig Subventionen erquengelt. Jammern kann die Chefetage. Kassieren auch. Schamfrei money for nothing kriegen: kein Problem.

Keine Idee haben, die auch nicht ausdrücken können. Kein Geschäftsmodell für die Zukunft. Sparen, rausschmeissen, abschmelzen, ausdünnen, weniger Angebot für gleich hohe oder sogar noch höhere Preise. Das mit markigen Worten über bedingungslose Qualität zusossen wollen. Das können sie.

Zuschauen, wie ein ehemals angesehener Beruf ruiniert wird. Verzwergt. Das können sie. Mal was tun für ihr Geld; Rettungsplan, originelle Ideen, Führungsqualitäten zeigen? Das können sie nicht. Scham? Kennen sie nicht.

Träumerei

Darf auch mal erlaubt sein: wir erträumen uns guten Journalismus. Wie es wohl war, als es den noch gab?

Keine Nostalgie, kein Dummvergleich früher (alles besser) mit heute (alles schlechter). Als der Besitz von Druckmaschinen eigentlich das Gleiche war wie die Lizenz zum Gelddrucken, wurde auch jede Menge Unsinn angestellt.

Wir konnten Info-Honorare von bis zu 100’000 anbieten. Ob das die Wahrheit verbog oder beförderte? Für schlecht gefälschte Hitler-Tagebücher wurden Millionen bezahlt, der Ruf einer angesehenen Illustrierten für Jahrzehnte ruiniert.

Faker, Erfinder, Hochstapler gab es schon immer. Auch gnadenlose Vorgaben wildgewordener Chefredaktoren, eine Story unbedingt hinzuwürgen. Meist mit legitimen, aber unverhältnismässigen Mitteln. Manchmal auch mit Tricks und Untergriffen.

Wir sassen morgen im Flieger, wenn heute eine besonders saftige kleine Meldung irgendwo erschien. Kinderhandel in Honduras, Arbeitssklaven in Afrika, Ausbeutung wie auf dem «Totenschiff» von B. Traven. Den hatte übrigens der gleiche Journalist aufgespürt, eine Riesenleistung, der dann mit den Hitler-Tagebüchern unterging.

Es gab noch Tugenden

Begleitet wurden solche Auswüchse aber von ein paar Tugenden. Witwenschüttler wurden von allen verachtet. Man rutscht nicht über das Leid eines Menschen in die Schlagzeilen. Agents provocateurs auch. Die brachten den Zündstoff selber mit, um dann zuzuschauen, wie was in die Luft flog – und um darüber exklusiv zu berichten. Einen cleanen Drögeler wieder auf den Drogenstrich zu schicken, um eine Reportage drüber zu machen, widerlich.

Passierte auch alles, aber der Mainstream war: die Aufgabe eines Journalisten ist, zu schauen, aufzuschreiben, verstehen zu versuchen. Verstehen, nicht verurteilen. Wenn damals bei der Themenfindung einer gefragt hätte: und was ist unsere These, was ist die Storyline? Er wäre auf völliges Unverständnis und die Antwort gestossen: Woher soll ich das denn wissen, ich habe ja noch gar nicht angefangen.

Es herrschte verdientes Vertrauen. Wie im angelsächsischen Journalismus bis heute wäre niemand auf die Idee gekommen, ein Interview zu autorisieren. Man vertraute dem Journalisten, dass der in de Lage und willens ist, das gesprochene Wort zu respektieren. Man war selbstbewusst genug, um die Banalität zu verstehen: gesagt ist gesagt. Wozu redet man sonst miteinander, wenn man’s anschliessend alles umschreibt?

Die Fakten, die Ergebnisse einer Recherche hatten meistens ein Gewicht, das kurz hinter einer amtlichen Feststellung lag. Wer früher auf dem Boulevard spazierte und Einblicke in seine Intimssphäre gewährte, wäre nie auf die Idee gekommen, sich zu beschweren, wenn das nicht für, sondern gegen ihn verwendet wurde.

Der Unterschied zu heute liegt im Kern des Geschäfts

Vor allem liegt aber der Unterschied zu heute in der Sache selbst. Der Fotograf fängt die Realität in einen Rahmen – und gibt sich eine Heidenmühe dabei. Der Journalist verdichtet und übersetzt die Realität in Buchstaben. Auch er gibt sich eine Heidenmühe dabei. Sucht nach dem treffenden Wort, dem richtigen Aufbau, der gerechten Gewichtung. Beide wissen um ihre Macht. Man kann jeden Menschen fotografisch fertigmachen, verschönern oder sein Wesen abbilden. Man kann jeden Menschen schriftlich hinrichten, zum Monster niederschreiben, schöner machen, als er jemals sein könnte. Oder versuchen, ihm gerecht zu werden.

Kann man gesehen haben. Ist aber unwahrscheinlich.

All das fehlt heute. Deshalb jauchzen wir, wenn wir eine gelungene Reportage lesen. Bei der nicht die Befindlichkeiten des Reporters im Zentrum stehen. Wie der sich fühlt, was das Erlebte bei ihm auslöst, ganze Zickenkriege, die zur Langeweile des Lesers geführt werden. Diese unselige Nabelschau der heutigen Kindersoldaten, die die Welt nur durch den Filter ihres narzisstischen Ichs sehen können – weil ihnen Kenntnisse, Methode und nicht zuletzt die Intelligenz fehlt, sich auf die überkomplexe, verwirrliche Wirklichkeit einzulassen.

Statt auch mal Brocken mit Kanten und Brüchen, die durchaus beim Lesen wehtun dürfen, gibt’s meistens Brei. Noch verdünnt und verwässert, wenn er zudem angeblichen Korrektheiten entsprechen soll.

Alle die, die mangels anderen Fähigkeiten stellvertretend für Unterdrückte, Schwarze, Frauen, Menschen aus anderen Kulturen und Zeiten geklautes Leiden feilbieten, sind die ewige Pandemie des modernen Journalismus. Totschläger des Widerspruchs, sie missbrauchen und vergewaltigen die Sprache, die sie gerechter machen wollen. Dafür verwenden sie nicht ganz verstandene Begriffe wie inkludiert oder diskriminiert. Mitgemeint oder mitgenommen.

Erwischt: der moderne Journalist bei der Arbeit.

Brei kann ich selber, sagt sich immer lauter der Leser; getretner Quark wird breit, und nicht stark, sagt sich der gebildete Leser, wenn er die Sprachdurchfälle der «Republik» liest. Nichts gegen lange Stücke. Man kann auch in der Dimension von «Krieg und Frieden» schreiben (Achtung, Nora Zukker, das ist so ein dicker Wälzer eines Russen, sollte man auch gelesen haben, übrigens ebenso «Leben und Schicksal», das ist ein anderer dicker Wälzer eines Russen).

Man sollte nur dann, wenn man kann

Aber nur, wenn man’s kann. Heutige Schreibstars (die sich selbst aber unter dem Mikroskop betrachten müssen, um Grösse zu vermuten) wollen Picasso oder Richter oder Pollock bieten. Sie wollen eine Kuh in drei Perspektiven gleichzeitig, hyperrealistisch und gekleckst darstellen. Aber nicht, weil sie schon längst über die naturalistische Kuh hinaus sind. Sondern weil sie nicht mal das malen oder schreiben könnten.

Wer aus dem Traum eines Journalismus in der Liga Kurt Tucholsky, Lincoln Steffens, Joseph Roth oder auch eines Tom Wolfe aufwacht, ist im Alptraum des heutigen Journalismus angekommen. Wo gestolpert, geholpert wird, schiefe Bilder zusammengenagelt, dummdreiste Ratschläge erteilt werden, viele Erkenntnisse laut gackernd als neu präsentiert. Nur, weil der Schreiber so ungebildet ist, dass er nicht weiss, dass das schon längst – und viel besser – formuliert wurde.

Nein, besser nicht träumen. Einfach abwarten, bis intelligente Textprogramme diese Bagage ersetzen. Schriftsteller und ein paar Ausnahmekönner für die happy few (so nannte Stendhal seine Leser, Nora Zukker, das war ein französischer, aber lassen wir das, hopeless) wird es auch immer geben. Nur nicht mehr diese Banalität des Blöden, die sich tagtäglich zu Buchstaben formt.

Pariser Professor ist sehr ungehalten

Es ist halt ein Kreuz mit diesen Politikern. Wahre Geistesriesen wie Thomas Maissen haben ihnen leider nichts zu sagen.

Gekleidet in edlem Zwirn sitzt Maissen in einem edlen Stadtpalais in Paris. Der «renommierte Historiker» ist dort seit 2013 Direktor des Deutschen Historischen Instituts. Eine wunderbare Position, wo er unablässig furchtbar wichtige historische Erkenntnisse schürfen und präsentieren könnte.

Aber leider macht Maissen den Fehler vieler Historiker: weil sie im Nachhinein bei der Geschichtsbetrachtung immer Recht haben – und sich die Betrachteten, weil tot, auch schlecht wehren können – meinen sie, das gebe ihnen besondere Gaben bei der Beurteilung der Aktualität. Maissen ist ein idealtypisches Beispiel, wie sich solch ahistorische Überheblichkeit mit krachenden Fehlanalysen mischen kann.

Vor anderthalb Jahren wurde Maissen in einem längeren Interview zu den Auswirkungen des Mauerfalls im Jahre 1989 befragt; also aus der Perspektive 30 Jahre danach. Aber das ist noch keine historische Dimension, deshalb kamen diese Lachschlager heraus:

  1. «Wäre ich Bundeskanzler gewesen, wäre es noch viel schlimmer gekommen
  2. «Der Fall des Kommunismus hat es möglich gemacht, dass die EU eine gesamteuropäische und fast unumgängliche Integration vorantreibt.»
  3. «Die Schweiz gehört in die EU, um mitwirken zu können, wenn diese Art von Problemen angegangen werden.»

Tja, das sieht «die Schweiz» aber entschieden anders, sogar der Bundesrat wagt es, Maissen zu widersprechen. Das tut er natürlich nicht ungestraft. Denn die Regierung hat es doch gewagt, die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen nach vielen Jahren als sinnlos abzubrechen.

Damit hat sie sich den zürnenden Maissen eingehandelt: «Feige, mutlos, ein grosser Fehler». Maissen turnt sogar in Metaphern herum, mit denen er sich in seiner Zunft eher lächerlich macht. Die Ankündigung letzten Mittwoch sei «eine Abdankung ohne Predigt. Etwas ist gestorben, aber niemand weiss, wie es weitergeht.» Furchtbar, es gibt eine Leiche, aber die Trauergemeinde hat keine Ahnung, was nun kommt. Vielleicht eine Beerdigung, würde die Leiche, Pardon, der Laie sagen, aber damit zeigte er nur, dass er kein studierter Historiker ist.

Souveränität wird schwer überschätzt

Maissen ist noch nicht fertig mit seinem Bundesrat-Hauen: «Das ist kein Zeichen eines neu erworbenen Selbstbewusstseins, sondern von Verzagtheit.» Der Entscheid sei eine «neue Phase dieses Durchwurstelns».

Aber er kann auch gründeln, aus reicher historischer Erfahrung schöpfen und verkünden:

«Die Existenz der Schweiz hängt nicht von der Souveränität ab, denn diese ist nicht etwas Zeitloses, sondern vielmehr ein völkerrechtliches Ordnungsinstrument

Ein solcher Satz ist selbst für studierte Historiker wie mich schwer zu verstehen. Vielleicht muss man dafür in einem hübschen Stadtpalais in Paris sitzen.

Oder Napoleon zum Gründer der modernen Schweiz ausrufen.

Napoleon: grosser Sarkophag für kleinen Kaiser.

Hat uns Maissen noch mehr mitzugeben? Klar, wenn man ihn quatschen lässt, ohne ihm zu widersprechen, sprudeln weitere Sottisen nur so aus ihm heraus: ««Diktat aus Brüssel» ist eine Floskel.» Hm, dass das eine Floskel sei, ist selber eine. Da sind wir aber heillos in tiefen erkenntnistheoretischen Redundanzen gefangen, die man möglicherweise mit Luhmann oder aber mit Poststrukturalismus in weitere Räume der Erkenntnis führen könnte, um es mal ganz einfach auszudrücken.

Maissen kann’s aber noch einfacher: «Die Regierung ist schnell eingeknickt, weil sie gemerkt hat, dass die SVP und die Gewerkschaften gegen diesen von der Regierung fair ausgehandelten Vertrag sind

So spricht der Historiker, urteilt in den Mantel der Geschichte gehüllt, dass das ein «fair ausgehandelter Vertrag» war. Also mal wieder Populisten von rechts und links eine sinnvolle Regierungspolitik kaputt gemacht haben.

Wieso hört denn keiner auf Maissen?

So geht’s halt, wenn mal wieder niemand auf Maissen hört, der doch unermüdlich und immer wieder sagt, dass die Schweiz in die EU gehöre. Aber, dammisiech, was für einen Professor fraglos klar ist, das sehen halt blöde Parteien, Interessensvertreter und sogar der Bundesrat nicht ein.

Immerhin, nach bösen Erfahrungen mit Unkenrufen und Schweizuntergängen nach dem gescheiterten EWR-Beitritt 1992, hält sich Maissen deutlich zurück bei der Frage, ob das gescheiterte Rahmenabkommen nun den sofortigen oder erst den aufgeschobenen Exitus der Schweiz bedeutet.

Aber, auch Historiker können pessimistisch in die Zukunft schauen, das mit dem EU-Beitritt sei nun wirklich eine Weile vom Tisch. Ausser, was er aber der Schweiz nicht wünsche, eine Notlage oder Bedrohung würde doch noch zu einem Umdenken führen.

 

ZACKBUM findet, dass sich Maissen doch gerne weiter mit Napoleon oder mit Ereignissen befassen sollte, die schon so lange zurückliegen, dass sie eine Begegnung mit diesem Historiker unbeschadet überstehen. Aber Gegenwart und gar Zukunft, das ist halt nicht sein Beritt.

 

Verfassungsfeindlich: Der wohlig erwärmte Frosch

KenFM wird zum «Verdachtsfall» des Berliner Verfassungsschutzes. Recht so für diesen Rechten?

Deutschland hat bis heute keine rechte Verfassung. Ihre Ausarbeitung sollte erst nach der Wiedervereinigung an die Hand genommen werden. Wiedervereinigt ist Deutschland seit 1990; also wurde mal das Grundgesetz kurzerhand zur Verfassung erklärt. Obwohl das nur ein Provisorium sein sollte.

Über dem Grundgesetz wacht der Verfassungsschutz. Über den Verfassungsschutz wacht die Politik. Das wurde dem damaligen Präsidenten Hans-Georg Maassen zum Verhängnis. Nach der Ermordung eines deutsch-kubanischen Doppelbürgers in Chemnitz machte ein Video die Runde im Internet, das angeblich Beleg für «Hetzjagden» von Rechtsradikalen auf Ausländer sein sollte.

Maassen bezweifelte diese Interpretation nachdrücklich, obwohl sich die Bundesregierung bereits darauf festgelegt hatte. Resultat: Maassen war seinen Job los, gilt seither als des Rechtsradikalismus verdächtig – und hatte völlig recht. Recherchen führten zur Autorin des Videos, die versicherte, dass es sich keinesfalls um eine Hetzjagd gehandelt habe, sondern eine Reaktion auf die Provokation von Asylsuchenden während eines Trauermarschs.

Wen schützt nun der Verfassungsschutz?

Wen oder was der Verfassungsschutz schützt, ist also Interpretationssache. Angesichts der besonderen Geschichte Deutschlands im letzten Jahrhundert ist immer noch eine hohe Sensibilität vorhanden, wenn es um mögliche «Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung» geht, wie das so schön heisst. Die kann von rechten Hetzern oder von linken ausgehen.

Der erste Schritt ist, dass eine solche Gruppe von Gefährdern unter «Beobachtung» gestellt wird. Das geschah schon Teilen der AfD, was eher grenzwertig ist, weil die demokratisch gewählt die grösste Oppositionspartei im Bundestag ist.

Nun hat es KenFM getroffen. Das ist eine durchaus schräge Plattform im Internet, gegründet und betrieben von Ken Jebsen. Jebsen war lange Jahre bei staatlichen Funkanstalten angestellt, bis er sich selbständig machte. Es gibt auch – bevor das jemand als Wahnsinnsfund raustrompetet – einige Interviews mit mir auf KenFM. Selbstverständlich sind weder die Fragen, noch die Antworten verfassungsfeindlich.

Plattform für steile Thesen

Im Zusammenhang mit Corona und anderen Entwicklungen ist allerdings nicht abzustreiten, dass Jebsen gelegentlich zu absonderlichen Theorien neigt und seine Plattform auch Autoren öffnet, die ziemlich steile Thesen vertreten. Zum Beispiel über die erzwungene Landung einer Ryanair-Maschine in Weissrussland zwecks Behändigung eines an Bord befindlichen Oppositionellen: «Es gibt weitere Indizien, dass dieser Coup geplant abgelaufen ist und der Kapitän der Ryan-Air eingeweiht, Teil der Aktion, war.»

Gemeint ist hier, dass der Westen eine völlig legitime Aktion Weissrusslands zum Vorwand nehme, um das Land und seinen Diktator mit Sanktionen zu bestrafen.

Könnte man so sehen, allerdings wären ein paar Beweise, Belege, Indizien nicht schlecht. Sonst sind das halt verschwörungstheoretische Ausfälle ohne grosse Bedeutung. Ausser, man sieht dahinter das gefährliche «Schüren von Verschwörungsmythen», mit dem die Szene der «Querdenker» weiter radikalisiert werde.

Bis zu den «Corona-Demonstrationen» ist es nicht mehr weit. Neben friedlichen Gegnern der Corona-Massnahmen würden «sich auch solche Menschen sammeln, die nicht dem herkömmlichen Bild des Rechtsextremismus entsprechen, aber dennoch dem Staat seine Legitimation absprechen würden und im äußersten Fall auch zur Anwendung von Gewalt bereit seien, behauptet der Verfassungsschutz».

Erfindet dafür gleich ein typisch deutsches Wortmonster:

«verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates».

So lautet nun auch der Vorwurf gegen KenFM.

Dem war zuvor schon der Facebook-Account gesperrt worden, wegen «Verbreitens medizinischer Desinformation». Das passierte auch schon dem Blog «achgut.de», auf dem unter anderen Henrik M. Broder publiziert.

Kleingeld oder wirklich höchstgefährlich?

Ist das Pipifax, im Vergleich zu China oder all den vielen Diktaturen auf der Welt? Nein, es ist brandgefährlich. Man könnte es mit dem gerne zitierten Frosch-Beispiel illustrieren. Wirft man einen Frosch in heisses Wasser, tut er alles, um zu entkommen. Setzt man ihn aber in erträglich lauwarmes Wasser und erhitzt das langsam, merkt er das nicht und stirbt.

Die schöne Geschichte mit beliebig vielen Interpretationsmöglichkeiten in der Wirklichkeit hat nur einen Fehler: sie stimmt nicht. Ist Quatsch. Unsinn. Urban legend. Aber – vielleicht ausser für Frösche – völlig harmlos. So wie die meisten Verschwörungstheorien auch. Überhaupt nicht harmlos ist der Begriff «Delegitimierung des Staates». Da es ihn vorher nicht gab, kann er als Allzweckwaffe überall eingesetzt werden.

Zu Beispiel gegen KenFM. Jebsen sei, so murmeln die Verschwörungstheoretiker um Georg Mascolo bei der «Süddeutschen», ein «wirkmächtiger Verbreiter von Verschwörungsmythen. Verfassungsschützer auch aus anderen Bundesländern sehen ihn so».

Meiner Treu, und ich hielt Jebsen für einen wachen, umtriebigen, neugierigen Journalisten, der sich auf Interviews gut vorbereitet, Platz für Antworten lässt, aber mit kritischen Fragen auch Distanz hält. Also schon mal handwerklich den 78 Verschwörungstheoretikerinnen und ihren sich präventiv entschuldigenden männlichen Kollegen bei Tamedia (oder bei CH Media, oder bei Ringier) haushoch überlegen.

Es mag ja sein, dass er sich etwas verrannt hat; ich habe sein Wirken nicht mehr aufmerksam verfolgt. Aber dass hier von den Mainstream-Medien wieder unkritisch der Talk einer politisch instrumentalisierten Behörde übernommen wird, bislang kein Schreibzwerg auf die Idee kam, mal zu fragen, was einer Behörde eigentlich einfällt, neue Begrifflichkeiten zu erfinden, das ist einfach ärmlich. Passt aber ins Bild.

Jeder darf Zensor spielen – vorausgesetzt, er ist mächtig

Private Unternehmen wie Facebook dürfen entscheiden, was sie für akzeptabel oder für verboten halten. Irgendwelche US-Multimilliardäre dürfen entscheiden, wann eine nackte weibliche Brust ein Kunstwerk (meistens erlaubt), wann obszön ist (sofort verboten).

Mit der Medizin-Keule werden kritische Stimmen zur desaströsen Corona-Politik mit ihren unabsehbaren finanziellen Folgen stumm geschaltet. Nein, es gibt meiner Kenntnis nach keine geheime Weltregierung, die sich bei Bilderberg oder in der Romandie zu Geheimtreffen einfindet, schwarze Helikopter ausschickt, die Pandemie ausgelöst hat und zur Erringung der totalen Kontrolle wie in Orwells «1984» benützt.

«Tatvorwurf: Desinformation», titelt die SZ. Diversant, hiess das im kommunistischen Sprachgebrauch, Volkszersetzer im faschistischen, subversive Wühlerei im «Zivilverteidigungsbüchlein» der Schweiz.

Die Worte wechseln, die Absicht bleibt die gleiche: Zensur, Unterdrückung abweichender Meinungen, der Ersatz des Arguments durch die Keule. Diese finstere Absicht wird immer getarnt und verkleidet dargeboten; man wolle nur das Beste, Schlimmeres verhindern, die arme Öffentlichkeit vor üblen Gesellen und gefährlichen Gedanken bewahren, schützen.

 

Es ist immer das gleiche böse Spiel. Diejenigen, die angeblich die Meinungsfreiheit und die offene Gesellschaft mit solchen Mitteln schützen wollen, sind in Wirklichkeit ihre schlimmsten Feinde.

Politisch korrekte Farbenlehre

Man würde dem Wahnsinn ja gern aus dem Weg gehen, aber der steht mittlerweile förmlich überall. Neuestes Beispiel: Ein «Skandal» um Briefmarken.

Von Stefan Millius

Inzwischen reicht es bekanntlich nicht mehr, kein Rassist zu sein. Man muss neuerdings auch auf Schritt und Tritt erklären, dass man keiner ist und fortwährend Zeichen gegen Rassismus setzen. Proaktiv. Wer einfach so vor sich hinlebt und jeden Menschen lässt, wie er ist, schweigt ja gewissermassen trotz so viel Ungerechtigkeit auf der Welt. Damit ist er dann so etwas wie ein passiver Rassist.

Deshalb fand die spanische Post, sie müsse ein Signal aussenden, um zu zeigen, wie ernst es ihr ist mit der politisch korrekten Haltung. Das tat sie mit einer Briefmarkenserie, die grafisch nun nicht gerade eine Herausforderung war. Die Marken sind einfarbig, ohne Sujet – und symbolisieren die Hautfarben. Die hellste Briefmarke ist die teuerste und damit die wertvollste, mit der Marke im dunkelsten Farbton lässt sich die geringste Fracht spedieren.

Wer das liest, zuckt aus Erfahrungswerten heraus innerlich zusammen: Wie kann man eine dunkle Hautfarbe minderwertiger darstellen? Das kann ja nur in einem Shitstorm enden.

Leider um die Ecke gedacht

Gemach, sagt die Post in Spanien, das ist ja gerade der Witz an der Sache. Otto Normalverbraucher muss sich so zwingend Gedanken über rassistische Ungleichheiten machen, wenn er ein Paket frankiert und dafür viel mehr dunkle als helle Marken braucht. So wolle man «auf die Realität von farbigen Minderheiten aufmerksam machen».

Zeichensetzer Binswanger, wieso haben Sie hier nicht mitgemacht?

Da hat ein Marketingmensch offenbar um die Ecke gedacht. Mindestens 18 Mal. Und es ging gehörig schief. Denn die komplexe Botschaft hinter der hehren Absicht muss aufwendig erklärt werden. Das will niemand hören. Vom Twittermob verstanden wurde nur die verkürzte Version: Ach so, die spanische Post hält die dunkle Hautfarbe also für weniger wert als die helle! Rassistenpack!

Mit im Boot ist auch die Organisation «SOS racismo», die auch für Nichtspanischsprechende unschwer erkennbar Rassismus bekämpft. Auch dort hielt man das offenbar für eine gute Idee und darf sich nun durch wenig freundliche Zuschriften wühlen.

Auch umgekehrt ist nicht gefahren

Das provoziert das Gedankenspiel: Wäre es denn beklatscht worden, wenn man die Sache gedreht hätte? Also die dunklen Briefmarken die mit dem höchsten Wert gewesen wären? Kaum. Dann hätte es mit Sicherheit geheissen: «Die Post gaukelt mit ihrer Aktion etwas vor, das nicht der Realität entspricht und verharmlost damit das Problem!»

Auch die vereinten Methodisten sind dagegen. Alles wird gut.

Fazit: Nichts tun ist sträfliche Vernachlässigung der gesellschaftlichen Pflichten. Etwas tun ist meistens ein Schuss nach hinten, weil es nicht exakt dem Verhalten entspricht, dass die Aktivistenfront erwartet oder von dieser uminterpretiert wird. Ganz einfach, weil diese Leute eigentlich gar keine Signale gegen Rassismus sehen wollen, denn es ist wesentlich spannender, angebliche Rassisten an den Pranger zu stellen,

Wirklich risikofrei ist es eigentlich nur, in den sozialen Medien bei jeder möglichen oder unmöglichen Situation jemandem vorzuwerfen, er sei ein Rassist. Das ist nie verkehrt. Billiger kann man nicht beweisen, dass man zu den Guten gehört.

 

 

 

 

 

 

 

 

Totalflop «Play Suisse»

SRG hat ein Streamingangebot. Nur: kein Schwein schaut. Aber wir sind beim Gebühren-TV.

Das kann sich nur ein Staatssender leisten. Pardon, ein Gebührensender mit Auftrag des Service Public. Gratis, versteht sich, oberhalb der Zwangsgebühren. Und auf allen Kanälen, sowie modern und vorne dabei.

Deshalb gibt es seit einem halben Jahr «Play Suisse». Ein Totalflop, der von jedem Sender, der etwas auf die Kohle achten müsste, schon längst eingestampft worden wäre. Mal ein paar Zahlen, um die Relationen zu wahren:

Nummer zwei im Streaming-Angebot in der Schweiz ist Netflix. 1,8 Millionen zahlende Nutzer. YouTube hat 5,5 Millionen. Und «Play Suisse» hat 260’000 Gäste mit Login. Gratis natürlich, als Bestandteil des «service public» der SRG. Ach, was «Play Suisse» eigentlich ist?

«Die neue Streaming-Plattform der Schweiz. Hier finden Sie die  besten Schweizer Filme – ohne zusätzliche Kosten.» Alles ausgewählt, kuratiert, «alles, was Sie dafür benötigen, ist ein Login. Entdecken Sie eine neue Art des Fernsehens.»

Die neue Art des Fernsehens ist bei näherer Betrachtung alt

Neu? Selten so gelacht. Schon beim Login hat sich SRG verstolpert. Denn die Informationen wandern schnurstracks in die USA mit ihren lausigen Datenschutzgesetzen. Weil die SRG zu schmürzelig war, eine eigene Software zu entwickeln – oder in der Schweiz einzukaufen. Lieber eine Bude im Portefeuille von Microschrott.

ZACKBUM hat diesen Skandal aufgedeckt – aber keinen interessiert es. Dabei lohnt sich die Lektüre des Kleingedruckten: «Wir geben Personendaten auch an Dritte beziehungsweise Auftragsbearbeiter weiter, die ihren Sitz nicht in der Schweiz und in Nicht-EU/EWR-Ländern haben.»

Ausser, natürlich, der Nutzer protestiert dagegen. Aber wie soll er das tun, wenn er keine Ahnung hat, was mit seinen Daten passiert? Immerhin, die gute Nachricht ist: die Anzahl Nutzer mit Login ist überschaubar. Sehr überschaubar.

Wer kam denn auf diese tolle Idee? Die «Medienwoche» kolportiert das so: Generaldirektor Gilles Marchand habe eines Tages einen Einfall gehabt: «Ich war überzeugt, dass die Schweiz eine Plattform braucht, die einheimische Serien, Filme und Dokumentationen aus allen Landesteilen an einem Ort vereint».

Wer ist an einem Ort vereint?

Nun, gönnen wir Marchand diese Legende, er hat’s ja auch nicht leicht zurzeit. Da braucht er jedes Erfolgserlebnis. Nur: woher nehmen – und nicht stehlen? Ursprünglich war geplant, diese Plattform zusmmen mit privaten Anbietern aufzubauen. In erster Linie wäre da der Wanner-Clan (CH Media) mit seinen zusammengekauften TV- und Radiostationen in Frage gekommen.

Nur: man konnte sich nicht einigen, damit verabschiedete sich doch ein gröberes Stück der landesweiten Plattform. Denn die 3-Plus-Gruppe überflügelt inzwischen gelegentlich sogar die Einschaltquoten von SRF. «Ein Streaming-Portal zu etablieren, auf das niemand gewartet hat, schafft man nur mit einer gewissen Wasserverdrängung», meint Nick Lüthi in der «Medienwoche» richtig. In den sechs Monaten seiner Existenz verdoppelte Netflix die Zahl seiner zahlenden Gäste. Allerdings auf einem ganz anderen Niveau. Platzhirsch SRG hat rund 4,3 Millionen Unique Users pro Jahr.

Eine lachhaft kleine Zahl. Kaum einer kennt «Play Suisse». Das liegt auch an der grossartigen Idee, diese Streamingplattform nicht in die vorhandenen Internet-Auftritte der SRG einzubinden. Auf der anderen Seite, wenn schon, denn schon, werkeln ganze 17 Vollzeitstellen für ein Angebot, bei dem gilt: kein Schwein schaut.

Zusammenfassung: ein Desaster

Wir fassen zusammen: lausig- fahrlässiger Umgang mit Datenschutz der User. Nischenangebot, kaum einer kennt’s. Aber immerhin gratis, wenn man nichts dagegen hat, dass seine Daten im Netz herumschwirren.

Schön für SRG, dass Wertschöpfung oder Ertrag nun wirklich etwas für private Anbieter ist. Das kann man bei Einnahmen pro Kopf der Schweizer Wohnbevölkerung von 365 Franken im Jahr durchaus verstehen. Wir reden hier von grösseren Beträgen, die schlichtweg verwaltet, verröstet, in langweiliges Sendungsbewusstsein umgemünzt werden.

Aber mal Hand aufs Herz: nur weil der Generaldirektor mal eine Idee hatte, wofür man ihm ja gratulieren möchte, bei dem Gehalt? Für mehr als eine halbe Million im Jahr (mehr als ein Bundesrat) sollte das ab und zu drinliegen. Andererseits: wenn die Idee halt ein Totalflop ist, wieso dann dran festhalten?

Halbe Kiste, aber kein Geld für den Coiffeur?

Ach so, weil’s doch keine Rolle spielt. Wenn die Kostenstellennummern vergeben sind, läuft halt sowas wie geschmiert. Und läuft und läuft und läuft. Steht einsam und alleine im Netz rum, hält immerhin eine Schar von Medienschaffenden in Lohn und Brot. Könnte man auch einfach abschalten, und kaum einem würde es auffallen. Aber wieso auch, der zwangsweise bespasste Gast zahlt doch sowieso.

«Play Suisse»? Wer sucht das? Ohne Lupe?

Ach, und obwohl auch die SRG letztes Jahr einen Millionenverlust einfuhr, ist das doch kein Grund, die happigen Saläre der Teppichetage etwas niedriger zu legen. Ebenfalls ist es kein Grund, an den angeblich «leistungsabhängigen» Lohnkomponenten was zu schräubeln. Wer sich mal an eine halbe Kiste gewöhnt hat, dem würde es schwer fallen, sich mit weniger zufriedengeben zu müssen.