Lang lebe der Konjunktiv

Politiker beherrschen ihn ziemlich gut. Denn es gibt das Reale ihres Tuns, wobei alles andere irreal sei. Schlimmer noch: falsch wäre, fatal.

Die gerade abgetretene Angela Merkel hat den Ausdruck zwar nicht erfunden, aber immer wieder und gerne verwendet: alternativlos. In Griechenland Milliarden versenken? Alternativlos. Den Euro retten? Alternativlos. Hü und hott bei der Pandemie? Alternativlos.

So entstand dann auch die AfD, die Alternative für Deutschland. Aber das sind deren Probleme. Sollten sich doch ein Beispiel an der Schweizer Zauberformel nehmen, dann gäbe es kein langes Gezeter, ob Scholz oder Laschet oder keiner oder beide oder was.

Dem Schweizer ist die Schweiz näher, dem Ostschweizer die Ostschweiz. Nur wir Zürcher kümmern uns gerne auch um andere. Solche, die’s nötig haben. So sind wir, so möge man uns.

Der richtige Konjunktiv ist gar nicht so einfach

Das ist auch alternativlos. In Wirklichkeit ist die Verwendung von Konjunktiv eins, zwei – und den Konditionalis nicht vergessen – gar nicht so einfach. Also rein grammatikalisch. Aber auch in der Realität.

Es gibt den noch harmlosen Satz: «Hätte meine Oma Räder, wär’ sie ein Motorrad.» Das ist wohl vom Kinderlied abgeleitet «Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad.» Das ist alles noch Spass und Tollerei.

Weder spassig, noch lustig, aber eher toll (im Sinne von Tollhaus) wird’s, wenn der Politiker mit ernster Miene vors Stimmvolk tritt und spricht: das ist nun alternativlos. Das ist’s schon deswegen, weil alles andere noch viel schlimmer wäre. Konjunktiv zwei, nebenbei.

Das ist ein ganz fataler Satz. Aus zwei Gründen. Er stellt die Entscheidung, die Politik des Regierenden als einzig mögliche, denkbare, richtige, vernünftige dar. Alles andere wäre gaga, Habakuk, Blödsinn, fahrlässig, unverantwortlich, kurzsichtig. Oder einfach: blöd, bescheuert, beknackt.

Wenn’s nicht alternativlos ist, dann ist’s falsch

Zweitens: Natürlich gäbe es Alternativen, aber die wären halt viel schlimmer. Euch gefallen die wirtschaftlichen Folgen der Lockdowns nicht? Schon, aber alles andere … Ihr habt Probleme mit einer Impfpflicht, die gar keine Pflicht ist, aber irgendwie doch? Mag sein, nur wäre alles andere …

Ihr wollt über die Änderungen vom 19. März am sogenannten Covid-19-Gesetz abstimmen? Gut, das dürft ihr, aber wir, der Bundesrat, müssen schon klar machen: «Es gibt keinen Plan B.» Das sagt der Gesundheitsminister mit den schwarzen Augenbrauen und beachtlicher Libido.

Was will er denn damit sagen? Na, Dummerchen, ganz einfach: ein Ja Ende November ist alternativlos. Natürlich könnte man, Konjunktiv, theoretisch auch nein stimmen. Aber das wäre dann ganz dumm, im Fall. Ab März 2022 gäbe es dann (Konditional zwei) keine Zertifikate mehr. Planungssicherheit, Batzeli, Hilfen, Entschädigungen, Unterstützung: alles futsch, bei einem Nein.

Das gilt auch verschärft im Kampf gegen die Massnahmen-Kritiker. Also die Skeptiker, also die Leugner. Die sich radikalisierenden Demonstranten. Die schon mal das Bundeshaus stürmen wollten, wenn man sie liesse. Die immer gewalttätiger werden. Die die ganze Stimmung in der Schweiz vergiften. So geht das alternativlos natürlich nicht.

Zur Komplettausrüstung des modernen Politikers gehört noch ein zweites Besteck: das «ja, aber». Ersatzweise das «natürlich, aber».

Natürlich, sicher, auf jeden Fall. Aber …

Natürlich darf in der Schweiz demonstriert, dürfen Referenden ergriffen werden, dürfen Slogans wie «Eat the Rich», «Klassenkampf» «nieder mit», «alle gemeinsam gegen» skandiert und plakatiert werden. Ja, natürlich. Aber: doch nicht so. Doch nicht von denen. Doch nicht bei diesem Thema.

Natürlich gibt es keinen Impfzwang in der Schweiz. Aber. Natürlich darf man die wissenschaftliche Richtigkeit von Aussagen der Task Force bezweifeln. Aber. Selbstverständlich darf man die Corona-Politik des Bundesrats kritisieren. Aber. Natürlich darf man sich als Frau Gedanken über die Auswirkung der Impfung machen. Aber.

Mit diesen beiden Instrumenten kommt man ziemlich weit. Bis in eine Kantonsregierung, sogar bis in den Bundesrat.  Aber wenn man sie fleissig anwendet, sollte man sich nicht darüber beschweren, dass es in der Gesellschaft weniger konsensual als vorher zugeht. Sich Ränder radikalisieren, viele sich nicht mitgenommen, ernst genommen, vertreten fühlen.

Auch das dürfen sie natürlich. Aber. Sie könnten (Konjunktiv) doch einsehen, dass es zur offiziellen Politik keine Alternative gäbe (Konjunktiv zwei). Gebe (Konjunktiv eins). Gibt. Indikativ, so liebt’s der Politiker in diesem Fall. Aber nur in diesem.

Zündeln, zeuseln: Jacqueline Büchi

Blattübergreifende Kampagne: gebt BR Ueli Maurer Saures.

Normalerweise gibt es nicht viel Verbindendes zwischen der «Blick»-Gruppe und Tamedia. Bei der Kopfblatt-Sammlung unter der Ägide des «Tages-Anzeigers», der mit seiner Rumpfredaktion in Zürich den gesamten Inhalt der Blätter von Basel bis Bern bespielt, ergiesst sich eine dünne Einheitssauce in die Spalten allerorten.

Vieles davon ist nicht mal selber zusammengerührt, sondern wird tel quel von der «Süddeutschen Zeitung» in München übernommen. Einfach minus ß und so. Das sollte man aber zu schätzen wissen, denn es ist meistens verdaulicher als Selbstgebrautes.

Gerade hat sich die «Blick»-Gruppe auf Bundesrat Ueli Maurer eingeschossen. Auf «totalitäre Tendenzen» bei den Massnahme-Kritikern im Allgemeinen, so in der Tradition von Hitler und Stalin, schrieb ein völliger ausgerasteter Chefredaktor Gieri Cavelty.

Und liess es sich nicht nehmen, Ueli Maurer mit erfundenen Zitaten in die Pfanne zu hauen. Da kann nun der Tagi nicht abseits stehen, denn er verfügt über die Allzweckwaffe Jacqueline Büchi.

Nach Dialogverweigerung nun der Frontalangriff

Sie fiel schon in der Vergangenheit unangenehm auf, indem sie Dialogverweigerung mit Kritikern der offiziellen Corona-Politik forderte. Streng brach sie den Stab über der «Arena», die es doch sehr zu ihrem Missfallen gewagt hatte, ein einziges Mal auch abweichenden Meinungen Platz zu geben: «Doch was, wenn Aussagen verbreitet werden, die menschenverachtende Züge annehmen?»

Ja was wohl. Bereuen, Selbstkritik üben, nie mehr tun, meinte Büchi. Als hätte das nicht genügt, ihre antidemokratische Meinung, ihre Absage an Pluralismus unter Beweis zu stellen, darf sie nun in einer ebenfalls ausrastenden Tamedia nachtreten.

«Maurer zündeln zu lassen, ist gefährlich»,

warnt sie am Dienstag. Dabei wurde schon ausführlich gegen das angebliche Zündeln gefäustelt und polemisiert und getobt. Aber halt noch nicht von Büchi, und wer würde sich bei Tamedia schon trauen, einer Frau den Mund zu verbieten? Wer würde sich schon trauen, zu Büchi zu sagen: das ist eine antidemokratische Meinung, die zudem nichts Neues, dafür jede Menge Falsches enthält. Also bringen wir das nicht.

Das traut sich niemand, also muss der Leser leiden. Eigentlich sollten Tagi-Abonnenten einen Club der Masochisten gründen. Denn wer dafür bezahlt, sich quälen zu lassen, ist Masochist.

Büchi quält die Wahrheit und den Leser

Büchi arbeitet mit dem ganzen Instrumentarium einer begabten Quälerin. Maurer habe «das Kollegialitätsprinzip nicht nur geritzt, sondern es verletzt», «populistische Rhetorik wie aus dem Lehrbuch», «raunend berichtete er …»,

«in trumpesker Manier flirtete er zudem mit Verschwörungstheorien».

Kurzum: «was Maurer macht, ist brandgefährlich. Er sabotiert die Arbeit seiner eigenen Regierung.» Ist das alles? Aber nein, was dem Demagogen Daniel Ryser von der «Republik» recht ist, kann Büchi doch nicht zu billig sein:

«Was passiert, wenn der Kampf gegen die Corona-Massnahmen den verbalen Rahmen verlässt, liess sich in Deutschland beobachten: Dort erschoss ein 49-Jähriger einen Verkäufer, mutmasslich wegen der Maskenpflicht.»

Lesen wir hier richtig? Büchi setzt die Amoktat eines Irren in Deutschland mit den Auswirkungen einer Rede eines Schweizer Bundesrats in Beziehung? Nicht nur das, sie fordert mit der Strenge einer Domina Konsequenzen:

«Die Gesamtregierung muss Haltung zeigen und den Brandstifter in die Schranken weisen. Sonst riskiert sie ihre eigene Glaubwürdigkeit – und den Frieden im Land.»

Bevor in der Schweiz dann mal der Bürgerkrieg ausbricht, angeführt von den «Friedenstrychlern» und Ueli Maurer: Gibt es denn auch bei Tamedia kein Schamgefühl mehr? Kein Gespür, wo die Grenzen des für ein Qualitätsmedium Erlaubten liegen?

Qualitätsmanagement, Schranken des Erlaubten?

Wo bleibt das vielgerühmte Qualitätsmanagement, wo sind die Kontrollinstanzen, die Filter, die solches verantwortungsloses, despektierliches und inhaltlich zudem falsches Schreiben kontrollieren, korrigieren, verhindern?

Ist es nun wirklich überall erlaubt, Aussagen zu verfälschen, demagogisch umzudrehen, um daraus eine Meinungssuppe zu kochen, die der Leser auslöffeln muss, auch wenn es ihm dabei hochkommt?

Offenbar ist das allgemeine Bemühen der grossen Medienclans der Schweiz und ihrer ausführenden Organe: tieferlegen. Niveau runternehmen. Den Bereich einer ernstzunehmenden Debatte verlassen. Alle Meinungen zulassen, so dumm, falsch und unqualifiziert demagogisch sie auch sein mögen. Hauptsache, sie passen ins Weltbild.

Folgen einer Bundesratsrede?

Ein Chefredaktor sieht rot

Oder braun-rot. Gieri Cavelty, gebeutelter Chef des SoBli (Lachappelle) rempelt Bundesrat Maurer an. Gibt’s diesmal die rote Karte?

Die Höchststrafe hat Cavelty eigentlich schon kassiert. Am Sonntag beschwerte sich der SoBli lautstark über angeblich unanständiges Verhalten des damaligen VR-Präsidenten von Raiffeisen.

Am Montag durfte er – mitsamt der feixenden Öffentlichkeit – im «Blick» eine Entschuldigung des Ringier-Verlags dafür lesen mit der Ankündigung, dass dieser Artikel restlos aus allen Archiven gespült sei und man so etwas nie mehr tun wolle.

Zur allgemeinen Verwunderung blieb Cavelty auf seinem Sessel sitzen. Aber vielleicht reicht es diesmal für einen Abflug. Denn er will sich mit der Generallinie seines Hauses gut stellen und gleichzeitig kräftig nachtreten: «Die Bewegung der Impfgegner zeigt totalitäre Züge», behauptet er in seinem aktuellen Editorial.

Dafür nimmt er den ganz groben Hammer hervor. Denn die «radikalen Impfgegner» missbrauchten einen Begriff, dem wie keinem anderen in «den letzten 200 Jahren derart viel Gewalt widerfahren» sei: der Begriff «Freiheit». In den Beispielen greift er weit in die Geschichte zurück und ganz tief nach unten. So habe die NSDAP 1935 den «Parteitag der Freiheit» gefeiert. Dabei seien hier die Nürnberger Rassegesetze verkündet und die deutschen Juden ihrer bürgerlichen Freiheiten beraubt worden.

Fast noch schlimmer: «Der sowjetische Diktator Josef Stalin beschwor in seinen Reden die «Freiheit der Arbeiter und Bauern»», donnert Cavelty.

Bei den Nazis war allerdings die «Befreiung» von den Bestimmungen des Versailler Vertrags gemeint, und dass der sowjetische Diktator auch nur einmal von deren Freiheit gesprochen haben soll, dafür gibt es keinen Beleg.

Reichsparteitag der Impfgegner?

Offensichtlich beschlich dann Cavelty selbst leiser Zweifel, ob das statthaft sei: «Aber ist es nicht mehr als übertrieben, die paar Tausend radikalen Impfgegner in einem Atemzug mit den finstersten Gestalten der Geschichte zu nennen?»

Nun, die Jahrhundertverbrecher sollen nur illustrieren, dass jemand, der das Wort Freiheit verwende, «noch lange nicht ihr Fürsprecher» sei. Dafür hätte es wohl nicht den demagogischen Zusammenhang mit Hitler-Faschismus und Stalin-Diktatur gebraucht, aber item. Er sei halt erlaubt: «Doch gerade im Hinblick auf ihr Handeln darf sich man bei den radikalen Impfgegnern nichts vormachen. Die Bewegung zeigt erschreckend aggressive und totalitäre Tendenzen.» Solchen Ansprüchen der deutschen Syntax beugt sich Cavelty allerdings nicht.

Gab’s denn schon einen Reichsparteitag der Impfgegner, machen sie Anstalten, Millionen von Menschen zu liquidieren, wie das Stalin tat? Noch nicht, aber das kann vielleicht noch werden, denn: «In den Vorzimmern mancher Bundesräte stapeln sich Drohbriefe, praktisch täglich erhalten sie einschüchternde Anrufe und E-Mails.»

Es gibt auch in der Schweiz immer einen Bodensatz von Verwirrten und Amoks, die ihren Frust ablassen, indem sie anonyme Beschimpfungen oder Drohungen ausstossen. Widerwärtig, aber nichts Neues. Mindestens so widerwärtig ist es, das alleine den Kritikern der Massnahmen zur Pandemiebekämpfung in die Schuhe zu schieben.

Natürlich gibt es auch unter ihnen Verwirrte und Verblendete. Aber die Gewerkschaften und die SP haben es sich zu recht verbeten, dass man ihnen die Taten des Schwarzen Blocks in die Schuhe geschoben hätte, der jeweils nach den 1.-Mai-Demos Saubannerzüge durch Zürich mit beeindruckendem Sachschaden durchführte.

Hemmungslose Anbiederung der SVP

Aber damit bereitet Cavelty nur seinen eigentlichen Schlag vor:

«Hinzu kommt, dass sich die grösste Partei des Landes der Bewegung hemmungslos anbiedert.»

Wie äussert sich diese Hemmungslosigkeit? Bundesrat Maurer schlüpfte doch tatsächlich in ein T-Shirt der «Freiheitstrychler», «einer jener Organisationen, die bei den Demonstrationen der radikalen Impfgegner den Ton angeben», weiss Cavelty. Diese Bezeichnung würden sich wohl 99 Prozent aller Teilnehmer an solchen Manifestationen verbitten, aber auch damit ist Cavelty nur unterwegs zu seinem vermeintlichen Blattschuss.

Denn Maurer hielt auch noch eine Rede, die Cavelty so zusammenfasst: Die Menschen müssten sich «wehren gegen den Mainstream und gegen die Moral», sagte Maurer.

Er verbreitete bei dieser Gelegenheit gleich noch den Unsinn, die Covid-Impfung mache Frauen unfruchtbar.

Mit derlei Darbietungen bestätigt dieser Meister der Doppelzüngigkeit die radikalen Impfgegner in ihrer Haltung und er befeuert sie in ihrem Tun.»

Damit nähert sich Cavelty dem Schluss, dem Höhepunkt und der Climax seines Kommentars. Der verdient es, vollumfänglich zitiert zu werden:

«Unser Rechtsstaat gibt jedermann die Freiheit, Unfug zu erzählen und insbesondere dem Wort Freiheit noch mehr Gewalt anzutun. Ebenso aber gehört es in einem funktionierenden Rechtsstaat zur Aufgabe der Medien, den totalitären Charakter einer Bewegung zu benennen – sowie die Gefahren, die davon ausgehen. Nicht weniger deutlich müssen die Medien darauf hinweisen, dass Politiker wie Ueli Maurer unmittelbar die Verantwortung dafür tragen, wenn das Misstrauen gegenüber unseren Institutionen stärker wird.»

Das nennt man allerdings einen klassischen Schuss ins eigene Knie und in den Fuss zugleich. Cavelty will Bundesrat Maurer unterstellen, der trage die Verantwortung für zunehmendes Misstrauen in Institutionen. Währenddessen es die Aufgabe der Medien sei, aufrecht vor Gefahren zu warnen.

Schön gegeben, nur leider falsch …

Dieses schöne Selbstbildnis hat leider nur zwei Fehler. Denn von dieser Rede, blöd gelaufen für Cavelty, gibt es eine Aufzeichnung. Aus der geht eindeutig hervor, wie jedermann nachprüfen kann, dass Maurer einen solchen Unsinn NICHT gesagt oder verbreitet hat (ab Minute 11.25).

Alleine das ist schon hochnotpeinlich. Aufgrund von Drohungen von ein paar Verwirrten auf den totalitären Charakter «einer Bewegung» zu verweisen und sie mit Hitler oder Stalin zu vergleichen, ist geradezu widerwärtig. Einem Bundesrat etwas in den Mund zu legen, das er nicht gesagt hat, ist für einen Chefredaktor unverzeihlich. In einem ähnlichen Fall musste schon der damalige Chef der «SonntagsZeitung» den Hut nehmen, obwohl er selbst gar kein Falschzitat verwendet hatte. Aber einer seiner Redaktoren.

Schliesslich muss man Cavelty darauf hinweisen, dass solche demagogischen Falschbehauptungen das Misstrauen in die Medien ganz deutlich steigern. Um eine weitere Erosion des sowieso schon angeschlagenen Images zu vermeiden, kann es nur eine Konsequenz geben.

Untauglicher Verteidigungsversuch des Mediensprechers

Cavelty lies den «Mediensprecher der Blick-Gruppe» an seiner Statt antworten. Maurer berichte «von einer Zusammenkunft mit fünf jungen Frauen, die ihm von ihrer Angst erzählen, aufgrund der Impfung «keine Kinder bekommen» zu können. Er widerspricht diesen Bedenken nicht und stellt nichts klar, sondern verweist vielmehr darauf, dass es sich um «gescheite, gut ausgebildete Frauen» handelt.» Wie steht es um den Respekt vor dem Konjunktiv eins? Statt seinen Respekt für alle, die sich impfen lassen, und für alle, die das nicht tun, auszudrücken, hätte der Bundesrat widersprechen sollen?

«So unterstreicht er die vermeintliche Glaubwürdigkeit ihrer Aussage und verbreitet so das von Impfskeptikern in die Welt gesetzte Gerücht, dass eine Impfung Frauen unfruchtbar mache.» Zum Mitschreiben: Maurer referierte eine Begegnung und betonte das Bildungsniveau der Frauen. Er verbreitet damit weder ein Gerücht, noch unterstreicht er die Glaubwürdigkeit einer Aussage. Er referiert als Anekdote diese Begegnung. Wie viele Ringier-Journis braucht es, um diesen Unterschied zu verstehen?

Wie kann nur ein zurechnungsfähiger Fachmann einen solchen Unsinn erzählen: «Es gibt bisher wenige Daten bei jungen Frauen, weil die meisten Frauen nicht so schwer erkranken. Die Studie aus Wuhan zeigt jedoch, dass bei den Frauen mit ganz schweren Infektionsverläufen eine spätere Einschränkung der ovariellen Reserve vorliegt.» Wer verbreitet denn da solche Gerüchte? Hoppla, das tut die von SRF interviewte Abteilungsleiterin für Jugendgynäkologie des Unispitals Zürich. Eine Fachärztin! Am Unispital! Unterstreicht mit dem Wort «Studie» noch die vermeintliche Glaubwürdigkeit dieser Aussage! Ein Fall für Cavelty!

«Zu einer Richtigstellung sehen wir keinen Anlass», fügt his master’s voice noch hinzu. Immerhin: damit bringt er das ganze Elend der «Blick»-Gruppe auf den Punkt.

Knigge mit Kick

Die Medien als Benimm-Ratgeber. Ratschläge statt Recherche.

Im Kapitalismus gilt das Leistungsprinzip. Im Prinzip. Sogenannte Qualitätsmedien zeichnen sich dadurch aus, dass sie Eigenleistungen erbringen und dafür Geld verlangen. Im Prinzip.

Journalistische Eigenleistungen bestehen aus Recherchen, Analysen, dem Herstellen von Zusammenhängen, Aufdecken von Missständen. Auch aus Interviews mit durchdachten Fragen und interessanten Antworten. Im Prinzip.

Da aber Schmalhans Küchenmeister ist, zweimal gegoogelt und einmal geskypt aus der Verrichtungsbox im Newsroom heraus bereits als journalistische Spitzenleistung gilt, greift um sich, was früher ein Randphänomen war. Weil das den Leser eigentlich eher am Rande interessiert: die Meinung.

Vielleicht ist einer der Gründe für die Erfolgsstory von «20 Minuten», dass das Pendlerblatt auf eines konsequent verzichtet: seine Leser mit Meinungen zu beschallen. Natürlich impliziert Auswahl der Themen, Gewichtung und der Spin der Darstellung immer auch Meinung. Aber es gibt keine Kommentare, keine Editorials, keine Leitartikel. Für «20 Minuten» dreht sich die Welt auch weiter, ohne dass sie zurechtgewiesen, eingeordnet, erklärt oder beschimpft wird.

Deshalb ist «20 Minuten» auch in der Tx Group eine eigene Geschäftseinheit. Der ganze Rest des Medienschaffens ist in Tamedia gebündelt. Und hier wird gemeint, was die Spalten hergeben.

Mal wieder ein «Editorial» vom Katheder herab

In einem «Editorial» zieht «Redaktionsleiter» Thomas Speich über die Demonstranten gegen die Corona-Massnahmen her. Immerhin konzediert er ihnen das Recht auf Manifestationen. Er ruft sogar zum Dialog auf: «Gute Argumente finden sich sowohl auf der Seite der Massnahmen-Kritiker als auch auf jener der Befürworter. Wir täten auch gut daran, uns die jeweils anderen anzuhören.»

Bis hierher ist es einfach nur eine banale, daher überflüssige Meinungsäusserung. Aber das ist natürlich nur die Einleitung für eine strenge Zurechtweisung:

«Was aber endlich und endgültig aus der Welt geschafft gehört, ist dieser unselige «Diktatur»-Vorwurf, der gerade an solchen Demos gerne erhoben wird. Das ist reine Polemik, bar jeder Grundlage.»

Nun kann man tatsächlich darüber diskutieren, ob der Vorwurf angebracht ist oder nicht. Es ist allerdings eine altbekannte Tatsache, dass bei Demonstrationen zugespitzt wird. Denn ein Plakat oder sogar ein Transparent hat nur einen begrenzten Platz für eine eher kleine Anzahl Buchstaben.

«Gesundheit vor Profit», fordert die Unia. «Eat the Rich», plakatieren die Linksautonomen. «Die Krise bekämpfen, heisst den Kapitalismus bekämpfen», belehrt ein Transparent, «Nieder die Zäune, hoch die Fäuste» ein anderes. Auch immer wieder beliebt: «Klassenkampf» oder «Proletarier aller Länder vereinigt euch!» oder «Solidarität heisst Widerstand».

Gelebter Widerstand am 1. Mai.

Das ist nur eine kleine Auswahl an Sprüchen, die jeweils zum 1. Mai feilgeboten werden. Über ihre Sinnhaftigkeit kann man ausgiebig diskutieren, am besten bei einem revolutionären Roten in der Roten Fabrik.

Sprüche, Taten, Zuspitzungen, Zensur

Niemand käme allerdings auf die lachhafte Idee, dazu aufzufordern, einige dieser Sprüche aus der Welt zu schaffen. Aber bei Massnahmen-Gegnern fühlt sich der Redaktionsleiter bemüssigt, ihrem Diktatur-Spruch die Knöpfe reinzutun. Denn unsere Landesregierung sei nun nie diktatorisch gewesen. Wer so etwas behaupte, solle sich mal die Philippinen anschauen, da gehe es diktatorisch zu und her.

Klare Ansage mit 13 Buchstaben und einem Satzzeichen.

Woher kommt dieser verbissene Ernst gegenüber einer zugegeben leicht lächerlichen Überspitzung? Ist das die reine Meinungslust? Das Bedürfnis, die Welt ein wenig besser zu machen, indem man ihr Bescheid stösst? Das Angebot eines Dialogs?

Wäre es so, wäre es lediglich lächerlich, so wie die Überspitzung «Diktatur». Leider ist es aber mehr als das. Denn ausser in den Kolumnen des Pausenclowns Markus Somm kommen die Argumente – auf die man doch auch hören sollte – der Massnahmenkritiker bei Tamedia nicht vor. Oder höchstens, um als unwissenschaftlich, fahrlässig, unverantwortlich, gefährlich nahe an Verschwörungstheorien, zumindest weltfremd, ungehörig, absonderlich in die Pfanne gehauen zu werden.

Ist das noch erlaubt?

Der Ersatz von Meldung durch Meinung ist das eine. Der Abschied vom Modell Forumszeitung ist das andere, Schlimmere. Denn während des Endkampfs des medialen Pluralismus, als es sich abzeichnete, dass in allen Grossstädten der Schweiz, mit der einzigen Ausnahme Zürich, nur noch ein Monopolblatt überleben wird, wurde das Mantra gebetet: schon, aber dafür wird in der Basler, Berner, Luzerner, Zuger, Aarauer, St. Galler, Appenzeller Zeitung Platz für Pluralismus sein.

Das war allerdings nur so eine Meinung.

Sturm oder kein Sturm, das ist hier die Frage.

 

Wenn eine Bank auf dem Weg nach unten ist

Die «Financial Times» berichtete, dass der VR-Präsident seinem CEO das Vertrauen entzogen habe. Die Reaktion: ein Doppelinterview – im SoBli.


«How low can you go?» Ein sinnvolle Frage – beim Limbo. Beim Fine Swiss Banking ist sie eher deplatziert.
Die FT, neben dem WSJ die Benchmark in der Wirtschaftsberichterstattung, beschrieb in einem längeren Artikel die Differenzen zwischen dem neuen VR-Präsidenten Ontario Horta-Osório und dem auch nicht so lange amtierenden CEO Thomas Gottstein.

Stein des Anstosses: Die Doppelklatsche, die die Credit Suissse mit Greensill und Archegos einstecken musste. Exponiert in einem Fonds eines vorbestraften Hasadeurs in den USA, investiert in ein durchschaubar lusches Geschäftsmodell eines australischen Hasardeurs. Nicht angeleiert vor Gottstein, aber von ihm nicht gestoppt, bis es zu spät war.

Soll der neue VRP nicht so toll gefunden haben, deshalb schaue er nach Ersatz oder spiele sogar mit dem Gedanken, die Position des CEO temporär selbst zu übernehmen. Zudem führe er Gottstein an sehr kurzer Leine, berichtet die FT.

Ob das so ist, lässt sich von aussen schwer beurteilen. Normalerweise publiziert die FT allerdings nur, wenn sie ihrer Sache verdammt sicher ist. Andererseits: solange der Break nicht vollzogen ist, sind solche Meldungen sehr schädlich für eine Bank. Was tun? Gegensteuer geben, natürlich.

Zwei ganz dicke Freunde, wie man auf dem Foto oben sieht

Wie das? Am einfachsten, indem man zu zweit ein Interview gibt und Friede, Freude, Eierkuchen zelebriert. Problem dabei: die FT ist dafür nicht zu haben. Die NZZ auch nicht. Nicht einmal Tamedia oder die Schweizer Wirtschaftspresse. Was tun? Plan B, wohl eher Plan C: gemeinsames Interview im Zentralorgan der gehobenen, seriösen Wirtschaftsberichterstattung. Dem «SonntagsBlick».

Nichts gegen den SoBli. Aber man stelle sich kurz die internationale Resonanz vor. FT berichtet dies, die beiden CS-Spitzen dementieren, im SoBli.

Where? What the heck is the «SonntagsBlick»? Is this serious? Are they kidding?

So ungefähr die Reaktion auf den internationalen Finanzmärkten.

Haben die beiden wenigstens Substanzielles zu sagen? Nun ja; der SoBli geht in medias res, obwohl er den Ausdruck sicher nicht kennt. Fragt knallhart, ob der VRP seinen CEO auswechseln und selbst die operative Führung übernehmen wolle. Knallharte Antwort: zweimal ein «Nein».

Nach einem knallharten Doppelnein fliegen Wattebäusche

Nachdem das geklärt ist, kann man das übliche Banker-Gequatsche ablassen: «Wir sind heute in einer viel besseren Position als zuvor.» Aktienkurs im tiefen Keller, nach der Klatsche ist sicherlich vor der Klatsche, die CS wäre zu einem Schnäppchenpreis zu haben, ihr passiert das nur deswegen nicht, weil alle noch weitere Leichen im Keller befürchten. Aber super Position.

Könnte man vielleicht denken, dass es mit der Handhabung von Risiken, so angesichts von Milliardenverlusten, etwas hapert? Ach nein: «Historisch verfügt die CS über eine sehr ausgeprägte Risikokultur. …  Aber es ist klar, dass es seither gewisse Versäumnisse gab.» ( Gottstein) «Wir müssen den Risikoappetit zügeln und die Anreize richtig setzen.» (Horta-Osório).

Gut, damit wäre das auch geklärt, worüber reden wir denn noch? Vielleicht über die wirklich wichtigen Sachen:

Frage: Sie sind ein sehr guter Tennis-Spieler, Herr Gottstein ein begnadeter Golfer …
Horta-Osório: Moment! Ich bin okay. Aber Thomas spielt besser Golf als ich Tennis.
Gottstein: Da bin ich mir nicht so sicher.
Horta-Osório: Du hast am letzten Sonntag beim Golfen unentschieden gespielt, ich habe meine Tennispartie verloren. Das ist Beweis genug. (lacht)

Haben die beiden seelenverwandten Sportskanonen vielleicht noch weitere Ratschläge auf Lager, ein Anlagetipp möglicherweise? Nun, das nicht, aber:

Horta-Osório: «Ich vermeide Gluten und Milchprodukte. Ich versuche, mich ans Intervallfasten zu halten, um meinen Körper zu entgiften. Auch ein wichtiger Aspekt ist der Schlaf.»

Nun gibt der VRP bekanntlich die Strategie und die grossen Linien vor, der CEO führt aus. Hier allerdings schwächelt Gottstein bedenklich: «Da ist er disziplinierter als ich.»

Damit gewinnen die beiden jede Limbo-Meisterschaft mit Abstand. Und bei Corporate Communication der CS sollten vielleicht ein paar Stellen neu besetzt werden. Schon alleine das Foto (oben am Anfang des Artikels als Bildzitat) freizugeben, müsste zu einer fristlosen Entlassung führen. Eigentlich.

 

 

Impfpflicht: Beeinflussung und Zwang

Übernehmen oder sich übernehmen: die beide Tamedia-Varianten des Qualitätsjournalismus.

Wenn die grossen und teuren Kopfblätter von Tamedia ein Interview von der «Süddeutschen Zeitung» übernehmen, muss man froh sein. Dann steht wenigstens nichts Schlimmeres in den Blättern. Bloss Seichtes.

Der SZ fiel es ein, weil auch ihr nicht viel einfällt, den emeritierten Professor Robert Cialdini zu interviewen. Der hat mal ein Buch namens «Influence» geschrieben. Das war ein Bestseller – 1984. Inzwischen hat der Pensionär viel Zeit für Gespräche.

Wer sich über das popoglatte Gesicht des immerhin 76-Jährigen wundert: heute ist medizinisch einiges möglich. Nur nicht immer so auffällig …

Die SZ leitet ihr Gespräch mit dem «Godfather of Influence» so ein: «Wenn es jemanden gibt, der weiß, wie man andere beeinflusst, dann sind Sie das, Mr. Cialdini. Ihr Buch „Influence“, das erstmals 1984 erschien, hat sich weltweit fünf Millionen Mal verkauft. Wie bringt man Menschen dazu, sich impfen zu lassen?»

Original …

Das ist Tamedia natürlich zu lang und nicht politisch korrekt genug, also schrumpft sie ein auf: «Wie bringt man Menschen dazu, sich impfen zu lassen?»

… und Kopie.

Beide Weltblätter bringen aber die gleiche banale Antwort:

«Jedenfalls nicht, indem man ihnen sagt, dass sie Idioten sind.»

Das hätten wir Laien nicht gedacht, auch dem Politik-Chef von Tamedia wäre diese Erkenntnis neu (siehe unten). Auch bezüglich der Wahl eine Gerichts hat Cialdini wertvolle Erkenntnisse zu referieren: «Wenn man Restaurantgästen sagt, dass ein Gericht das beliebteste ist, wird es noch beliebter. Nach einer Studie wird jedes Gericht sofort 13 bis 20 Prozent stärker nachgefragt, wenn es auf der Speisekarte als beliebtestes Gericht ausgewiesen ist.»

Beeindruckt referierte Banalitäten

Nun soll Cialdini vor einem runden Dutzent Jahren auch beim Wahlkampf von Barack Obama beraten haben; welche Erkenntnisse hat er denn da aufblitzen lasse? «Menschen wählen Kandidaten, die sie mögen. Klingt banal, ist aber so.»

Das klingt nicht nur banal, das ist eine Binse. Auch die Erkenntnis, wie sich Menschen orientieren: «Gerade in Zeiten der Unsicherheit flüchten wir in immer kleinere Stämme. Rät uns einer etwas aus unserem Stamm, sagen wir Ja.»

Das alles ist an Flachsinn nicht zu überbieten, löst aber dennoch bei den SZ-Journalisten Gehirnkrämpfe aus: «Das klingt alles ziemlich kompliziert.» Was hat uns denn der Professor noch mit auf den Weg zu geben?

«Menschen werden eher aktiv, wenn es den persönlichen Interessen dient».

Auch das hätte vor ihm niemand gedacht. Wer bis hierher noch belustigt bis genervt reagiert (Letzteres, wenn er für diesen Dumpfsinn auch noch bezahlt), sollte sich eines Besseren belehren lassen. Solche Nullnummern sind immer noch besser als hausgemachte Meinungen bei Tamedia.

Banal, aber immer noch besser als Selbstgedachtes

Da hätten wir mal den zweiten ins zweite Glied zurückbeförderten Chefredaktor Mario Stäuble. Der ist offensichtlich finster entschlossen, sich wechselweise mit seiner Kollegin Priska Amstutz lächerlich zu machen. Einmal sie, einmal er.

Dieses Wochenende war er dran, er durfte einen «Leitartikel» schreiben. Sein kleines Missverständnis: das bedeutet nicht, Leid beim Leser auszulösen.

«Die Hetze muss aufhören», dekretiert Stäuble ex cathedra (nur googlen, lieber Mann). Denn: «Vier Tage nach Maurers Rede skandieren Demonstranten in Bern «Ueli! Ueli!», bevor sie am Zaun rütteln, der das Bundeshaus schützt.» Dieser zeitliche und inhaltliche Zusammenhang ist ausser Stäuble bislang niemand aufgefallen.

Gehetzt wird überall, barmt Stäuble, besonders in der «Ostschweiz», die habe einen Gastkommentar «vollgepackt mit fiebriger Kriegsrhetorik» veröffentlicht: «Jetzt müssen wir kämpfen. (…) Wenn wir die Herrschenden nicht daran hindern, werden sie unser Land dem Teufel verkaufen. (…)»

Vollscheiben sind immer die anderen

Vollscheiben, Kriegsrhetoriker, SVP, QAnon-Verschwörungstheoretiker, furchtbar: «Hier werden Grenzen überschritten.» Nach all dem Gehetze glaubt man Stäuble nicht mal mehr das Feigenblatt, dass er auch gegen andere Hetzer austeilt: «Provokateure gibt es indes auf beiden Seiten. Es hilft nicht, wenn der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause sich selbst als Beschützer des Parlaments inszeniert, indem er sagt, man habe einen «möglichen Sturm aufs Bundeshaus» verhindert.»

Wieso sucht er eigentlich nicht konfrontative Kommentatoren im eigenen Haus? Wohl weil es sich um seinen Vorvorgesetzten handelt, den Oberchefredaktor Arthur Rutishauser. Der beliebt zu kommentieren: «Fanatisierte Impfgegner sprechen wegen des Covid-Zertifikats von Faschismus, sie versprühen Hass.»

Rutishauser schreibt etwas gewählter und streicht sogar im Nachhinein unangemessene Faschismus-Vergleiche. Er umwickelt seinen Hammer etwas mit Schaumgummi: «Sympathisch sind uns Zwangsverordnungen eigentlich nie. Aber wenn es darum geht, ob man noch einmal das ganze Land schliessen muss, oder ob man dies mit einer Impfpflicht für alle nicht lebensnotwendigen Aktivitäten verhindern kann, ist diese Zeitung für die zweite Lösung.»

Das ist diese Flachrhetorik: eigentlich bin ich gegen die Todesstrafe. Aber wenn es darum geht …

Hetzer im eigenen Blatt

«Diese Zeitung ist eindeutig für diese Lösung», denn ausdrücklich nimmt Rutishauser seinen Politik-Chef in Schutz, der noch deutlicher durchrastete:

«Jetzt muss Berset die Gegner endlich zur Impfung zwingen»

Das ist mal eine klare Ansage, denn: «Mit der Rücksicht auf esoterische oder ideologische Impfverweigerer und rücksichtslose Trödler muss Schluss sein. Der Bundesrat und die Kantone müssen jetzt jeden erdenklichen Druck auf Impfverweigerer machen. Das Tabu Impfzwang, sei er direkt oder auch nur indirekt, muss jetzt fallen. Impfen ist in dieser Situation keine Zumutung, sondern Bürgerpflicht

Zwingen, jeden erdenktlichen Druck machen, rücksichtslose Trödler, Bürgerpflicht? Das Vokabular des Totalitarismus, das Denis von Burg verwendet. Eigentlich müsste ein Polit-Chef eines bedeutenden Zeitungsverbundes nach einem solchen Ausraster scharf ermahnt ode gleich entlassen werden, mit Rücksichten à la Corona-Kreische und Politikerbeschimpfer Marc Brupbacheralle übergeschnappt») müsste Schluss sein.

Aber doch nicht bei Tamedia.

Wieso können wir das nicht?

Wer richtig melancholisch werden will, mache einen Streifzug durch angelsächsische Medien.

Sicher, der potenzielle Leserkreis ist etwas grösser, wenn man auf Englisch publiziert. Mehr als 360 Millionen Muttersprachler, sicher über 1 Milliarde Menschen, die Englisch als Zweitsprache benutzen oder zumindest verstehen.

Aber Quantität alleine kann’s ja nicht sein, sonst wären die besten Zeitungen der Welt auf Mandarin abgefasst, oder Spanisch, da gibt es fast 550 Millionen Muttersprachler. Dagegen gibt es nur 130 Millionen, die Deutsch beherrschen. Also mehr oder weniger.

Dafür soll es ja angeblich die Sprache der Dichter und Denker sein. Ein Blick in die deutschsprachigen Medien bestätigt das nicht unbedingt. In Deutschland wird die Luft nach FAZ, «Die Zeit», «Die Welt» und halt immer noch «Der Spiegel» recht dünn. Österreich ist zwar das Land der Zeitungsleser im Kaffeehaus, aber eigene Produkte: schaler Kaffee.

Die Schweiz, oh je. Natürlich die NZZ, aber die reisst auch nicht alles raus, und sie steht so schrecklich alleine da. Die «Weltwoche» bietet auf ihre Art mit überschaubaren Bordmitteln jede Woche immer noch mehr An- und Aufregung als die gesammelte Tagespresse. Aber sonst? Erstaunlich, wie spurlos das Schweizer Gebühren-TV und -Radio jährlich 1,45 Milliarden Franken versenkt.

Melancholisch bis depressiv wird man allerdings, wenn man angelsächsische Medien durchblättert oder scrollt.

Da kommt keine Freude auf

«The Guardian», in vielen weltweiten Rankings immer auf den vordersten Plätzen.  Webseite, grafische Aufbereitung von Themen, Vielfalt: top.

Herausgegeben von einer Stiftung; zwar auch gerupft durch die Medienkrise und Corona, aber immer noch miles above von allem, was auf Deutsch erscheint. Kein Wunder, hat sicher eine Riesenauflage, mag man nun denken. Think twice, die Auflage beträgt rund 130’000 Exemplare

Das sind Infografiken, die den Namen verdienen.

Dann hätten wir, daran führt immer noch kein Weg vorbei, «The New York Times». Immer noch eine Referenzgrösse für Qualitätsjournalismus.

Man kann man nur grün vor Neid werden, mit über 1000 redaktionellen Mitarbeitern. 1000. Nicht immer fehlerfrei und sehr parteiisch gegenüber Ex-Präsident Trump, aber weiterhin eine halbe Million Auflage, vor allem aber: profitabler Internet-Auftritt. Es gibt genügend Leser, die bereit sind, für diese Qualität und Breite etwas zu bezahlen. Übrigens auch noch im Wesentlichen in Familienbesitz. Die Sulzbergers sahen die NYT aber nicht in erster Linie als Milchkuh. Im Gegensatz zu den Schweizer Medienclans.

Der NYT-Tower in New York.

Auch die Wirtschaftspresse ist eine Klasse für sich

Die Wirtschaftspresse wird zweifellos vom «Wall Street Journal» angeführt. Längst nicht mehr auf reine Wirtschaftsthemen fokussiert, erscheint das Blatt auf Englisch, Chinesisch und Japanisch. Auflage: über 2 Millionen Exemplare. Mehr, als in der Schweiz insgesamt pro Tag gedruckt wird.

Es ist Pflichtlektüre, Benchmark und absoluter Qualitätsstandard in der Berichterstattung, ein Machtfaktor zudem. So viel geballte Kompetenz muss sicherlich schweineteuer sein, wenn Schweizer Tageszeitungen schon mehr als 300 Franken im Schnitt für die digitale Ausgabe verlangen. Nun ja, ein Jahr WSJ online kostet schlappe 52 Dollar. Einen Dollar pro Woche (nicht pro Monat, wie ein Leser zu Recht monierte).

Dicht gefolgt wird das WSJ vom englischen «Economist» und natürlich der «Financial Times». Im deutschen Sprachraum wurde die FT in letzter Zeit wieder sehr bekannt, weil sie quasi im Alleingang das Schwindelkonstrukt Wirecard entlarvte. Lange Zeit verteidigten deutsche Medien den Konzern gegen einen angeblich ungerechtfertigten Angriff der neidischen Engländer. Bis Wirecard Insolvenz anmelden musste und in aller Hässlichkeit nackt und betrügerisch dastand.

Ein Mosaiksteinchen dabei: Die FT kam auf die naheliegende Idee, mal einen Reporter in Asien zu den Adressen zu schicken, wo angeblich gewaltige Umssätze von lokalen Partnern gemacht wurden. Es handelte sich aber um ein bescheidenes Einfamilienhaus, eine leerstehende ehemalige Autowerkstatt, usw. Kein deutschsprachiges Medium wollte das Geld aufwerfen, dass diese naheliegende Recherche gekostet hätte.

Besser aufkaufen als selber machen

Vor Kurzem hat der deutsche Springer-Verlag «Politico» gekauft. Ein Beispiel der sehr lebendigen US-Medienszene. Eigentlich von bescheidener Auflage (40’000 Exemplare), ausserhalb der Sitzungszeiten des Kongresses erscheint das Blatt nur wöchentlich einmal. Aber im Internet und durch die Konzentration auf die Washingtoner Politik mit 350 Mitarbeitern, ist «Politico» ein Beispiel von neuen Medien. Erst 2007 gegründet, soll Springer dafür angeblich fast 700 Millionen Dollar aufgeworfen haben.

Solche Neugründungen gibt es zu Hauf; die «Huffington Post» ist wohl das bekannteste Beispiel, obwohl sie mit Internationalisierung und der Eroberung des deutschsprachigen Marktes scheiterte.

Dann gäbe es noch den «New Yorker», «The Atlantic», «Mother Jones», den «Rolling Stone», «Vanity Fair», weitere exzellente Tageszeitungen, darunter auch die «India Times», und, und, und. Es gibt Experimente wie «Substack», eine Plattform für die vielen Tausend Journalisten, die auch in den USA ihre Stelle verloren in den letzten Jahren. Hier  gibt es moderne Mittel zur Distribution. Im deutschen Sprachraum wird das Pausenzeichen gesendet.

Schweizer Medienmanager (Symbolbild).

Es gäbe noch Dutzende von weiteren Beispielen, aber wir sind schon depressiv genug und lassen es dabei bewenden. Aber so viel zum Thema, dass die digitale Transformation in der Schweiz nur mit gewaltigen Staatshilfen gestemmt werden könne. Das ist nichts anderes als: der Steuerzahler soll für die Unfähigkeit der wohlbezahlten Medienmanager und der geldgierigen Besitzerclans abdrücken.

Auch Dürer wusste, was Melancholie ist.

Es darf gelacht werden: Resteverwertungen

Ob’s eine Milliarde verbessert? Unsere zwei Qualitätskonzerne als Abfalleimer.

Wie es inzwischen auch Tamedia aufgefallen ist: Die Ära Merkel geht in Deutschland zu Ende. Echt jetzt. Dazu interessiert den Schweizer Leser der gesammelten Kopfblätter sicher eine Bilanz, eine Würdigung. Vielleicht auch aus Schweizer Sicht.

Wieso denn, es gibt doch Linda Tutmann. Linda wer? Also bitte, die Dame ist Redaktorin bei «Zeit»-Online und wird dort als Allzweckwaffe eingesetzt. Das Schicksal in Afghanistan steckengebliebener und verratener Hilfskräfte, Ganztagesbetreuung in Deutschland, Schule und Corona, virtuelles Verlieben, kein Thema ist vor ihr sicher.

Da reicht es doch auch noch für «Wie die Kanzlerin mir als Linke ans Herz wuchs». Für so einen Quatsch wäre sich «Die Zeit» zu schade, aber da haben wir doch unsere helvetischen Resteverwerter wie Tamedia.

Qualität mit copy/paste und Bauchnabelschau

Ausland: wird weitgehend von der «Süddeutschen» angeliefert. Wie auch Kultur, Gesellschaft, so ziemlich alles. Nun also auch noch eine deutsche Linke über ihr Verhältnis zu Angela Merkel. Das ist von rasender Brisanz, von atemberaubender Aktualität, eine Pflichtlektüre für jeden aufgeschlossenen Schweizer Leser, wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist den «Freiheitstrychlern» zu lauschen.

Welchen Gewinn kann man aus den 17’000 A ziehen?

«Wenn man so will, ist Angela Merkel die Savanne unter den Politikern und Politikerinnen.»

Ehrlich gesagt begann ZACKBUM hier, nur noch quer zu lesen. Bei Karl May lassen wir uns sogar «Durch die Wüste» gefallen, aber ein solches schräges Bild, hergeleitet vom Schnarch-Modebegriff «Resilienz»? Nein, danke.

Apropos, der Head Global Media, die Repräsentanz von «Equal Voice» bei Ringier, Ladina Heimgartner, baut ihre ganze Karriere auf dieses Wort. So oft verwendete sie es bei einer Podiumsdiskussion des Clubs der Zürcher Wirtschaftsjournalisten. Die Zukunft der Medien? «Resilienz». Die Strategie? «Resilient werden.» Überlebenschancen eines Printprodukts? «Hängt davon ab, wie resilient es wird.»

Im Gegensatz zu Tamedia will aber Ringier auch nicht unbedingt als Konzern gelten, der nur teuer zu bezahlende Qualität, überragende Eigenleistungen herstellt. Wobei die Frage schon gestellt werden darf, wieso man für Nonsens über Schamlippen, per copy/paste übernommene Artikel aus der SZ und der Restenverwertung allgemein mehr als 700 Franken im Jahr bezahlen soll. Plus eine Zusatzmilliarde an Steuergeldern für notleidende Medienclans.

Was treibt der andere Teil des Tageszeitungsduopols?

Aber schauen wir, was der andere Teil des Tageszeitungsduopols so macht, also CH Media. Dort zeigt Daniel Zulauf Wirtschaftskompetenz. In seinem Kommentarfoto sieht er allerdings, mit Verlaub, mehr so aus, als hätte er gerade in eine Steckdose gefasst. Aber das muss ja keine schädlichen Auswirken auf die Hirnzellen haben.

Redaktor mit Notfrisur: Daniel Zulauf.

Er will die Leser über «Die Not mit der Politik des Geldes» aufklären. Nein, er fängt ganz grundsätzlich an; Staatskunde für Anfänger:

«Bei uns bedeutet Politik Staatsführung zum Nutzen aller.»

Da bohrt endlich mal einer ganz dicke Bretter. Aber es geht ihm gar nicht so um Politik zum Nutzen aller, sondern um «die Politik des Geldes». Also Geldpolitik, nur hört sich eine Genitiv-Konstruktion viel gelehrter an als ein Kompositum.

Zulauf klärt dann  alle CH Media-Leser auf, dass Geld ja keine Zinsen mehr abwirft, daher die Notenbank kaum etwas tun kann, um das «Kreditangebot im überhitzten Hypothekenmarkt so rasch als möglich weiter zu verknappen».

Am Leitzins könne Nationalbank-Chef Thomas Jordan «kein Jota» ändern, das würde eine massive Aufwertung des Franken bewirken. Eine Erkenntnis, die nicht nur einen Dreitagebart wie Zulauf hat. Dann gäbe es aber noch den «antizyklischen Kapitalpuffer». Also der Zwang für Banken, bei Kreditvergabe mehr Eigenkapital dafür vorzuhalten.

Auch diese Erkenntnis ist so neu wie die Zeitung von vorgestern. Abgesehen davon, dass bei weiter brummender Konjunktur und Nullzinsen der Hypothekenmarkt weit entfernt von Überhitzung ist: ein Kommentar, dessen Erkenntniswert für den Leser ungefähr dem Studium einer Keilschrift entspricht.

Immerhin eigene Auslandberichterstattung, wobei …

Nun muss man der Gerichtkeit halber erwähnen, dass CH Media die Berichterstattung über den deutschen Wahlkampf von Fabian Hock bestreiten lässt. Nein, der arbeitet nicht für ein deutsches Organ, sondern ist Co-Leiter Ausland und durfte tatsächlich an einen Auftritt von Armin Laschet nach Villingen-Schwenningen reisen. Allerdings: Damit muss dann die einzige Seite «Ausland» gefüllt werden.

Denn der Begriff Co-Leiter ist ein wenig irreführend. Das gesamte Ausland-Ressort des zweiten Qualitätsmedienverbunds besteht aus haargenau zwei Nasen. Und wenn eine auf Reisen ist, muss die andere schlichtweg die ganze Welt im Blick behalten. Das traut sich nicht jeder zu.

Anderes Niveau bei der NZZ

Ganz anders aufgestellt, muss auch gelobt werden, ist die NZZ. Am gleichen Freitag gönnt sie dem Leser ganze vier Seiten «International», darunter eine Seite verdienstvolle Berichterstattung über die Befürchtungen der Journalisten in Afghanistan. Die haben entschieden andere Probleme, als sich über die Verwendung des Begriffs Schamlippen aufzuregen.

Wie man mit einer Karikatur den Abschied Merkels viel besser darstellen kann, als eine minderbegabte Autoren mit vielen Buchstaben, zeigt die NZZ nebenbei auch:

Politisch nicht ganz korrekt, aber lustig.

Der helvetische Kuschelkonsens

Der Schweizer (Achtung, Rassismusgefahr) liebt den Kompromiss. Ist kompromisslos gefährdet.

Dem Schweizer ist die deutschen Wesensart (Vorsicht, Rassismus) nicht sehr angenehm. Zu arrogant, grosssprecherisch, eingebildet. «Fräulein, ich krieg’ dann noch‘n Bier», das käme keinem Schweizer über die Lippen.

Auch in politischen oder geschäftlichen Auseinandersetzung ist der Deutsche mehr auf Krawall gebürstet. Deshalb entfalten deutsche Politdebatten gelegentlich einen gewissen Unterhaltungswert, während sie in der Schweiz meistens nach eingeschlafenen Füssen in ungewaschenen Socken riechen.

Deshalb ist der einzige angriffige Talker der Schweiz als zu aggressiv, zu angriffig, gar als «Pitbull» verschrien ­– und Roger Schawinski hat keinen Nachfolger gefunden.

Das Vermeiden von breiten Rändern in der Gesellschaft

Der Hang zum Kompromiss, zum Abwägen, Ausgleichen, Konsensualen hat durchaus auch seine Vorteile. Der Einbezug möglichst vieler in eine Entscheidung lässt nur kleine Ränder in der Gesellschaft entstehen, die sich nicht verstanden, mitgenommen, berücksichtigt fühlen.

Während es in Deutschland eigentlich nur Sieger und Verlierer gibt, Politiker nur in höchste Not Kompromisse und Koalitionen suchen, bleiben dort viele Ränder unberücksichtigt, was der wesentliche Grund für den Aufstieg der AfD ist. Sicherlich kommt noch hinzu, dass auch dreissig Jahre nach der Wiedervereinigung sich die Bürger der Ex-DDR immer noch nicht als ganz ernstgenommen von den Westlern empfinden.

In der Schweiz hingegen, schon alleine gezwungen durch die Mehrsprachigkeit, käme es nicht gut, wenn sich eine gesellschaftliche Gruppe durchsetzen würde. Also die deutschsprachige Schweiz als Mehrheit. Oder Zürich als wirtschaftsstärkster Kanton. In der Schweiz heisst ernsthafter Konflikt, was die Béliers oder Sangliers vor der Abspaltung von Bern machten.

Typisches Beispiel für das Suchen nach Kompromiss.

Für deutsche Verhältnisse Pipifax. Sicher, es gibt auch in der Schweiz so etwas wie einen Schwarzen Block. Aber selbst sein traditioneller Zerstörungszug am 1. Mai in Zürich wurde ihm weggenommen; Zustände wie in Hamburg während des G7-Gipfels wären unvorstellbar in Helvetien.

Aber die aktuelle Pandemie bewirkt, neben unübersehbaren wirtschaftlichen Schäden, auch zum ersten Mal einen gesellschaftlichen Schaden, der in seinen Auswirkungen nicht zu unterschätzen ist.

Schlimmer als im Kalten Krieg

Sicher, zu Zeiten des Kalten Kriegs wurden Linke diskriminiert, ausspioniert, fichiert, «Moskau einfach», die Angst vor Willi Wühler ging um, einer Kunstfigur aus dem «Zivilverteidigungsbüchlein», das vor subversiv-umstürzlerischen Gesellen warnte. Auch wenn das damals für viele nicht sehr lustig war, zu Stellenverlust oder Abbruch einer Karriere führte: es ging vorbei.

Das ist bei Corona anders. Hier kommen bedenklich viele Faktoren zusammen, die eine ungekannte, tiefe Spaltung in der Gesellschaft auslösen.

  1. Vertrauensverlust in die Regierenden. Überforderung, Wackelpolitik, Verlust des Augenmasses, Ersatz von Argumenten durch Arroganz. Der erste Faktor.
  2. Vertrauensverlust der Wissenschaft. Wenn früher eine eidgenössische Task Force (oder Expertengruppe, wie das hiess, als man noch Deutsch sprach) ihre Erkenntnisse bekannt gab, dann war das amtlich. Dann war das EMPA, gesichert, Ende der Debatte. Heute ist es eine wüste Kakophonie sich widersprechender Experten. Faktor zwei.
  3. Die sorgfältige Abhandlung überprüfbarer Fakten wird durch klickgetriebene Panikmache ersetzt. Immer wieder wird vor Zehntausenden von Toten, einem überforderten Gesundheitssystem gewarnt. Es hat sich ein Chor von Corona-Kreischen gebildet, die nur noch durch Übertrumpfen Aufmerksamkeit erzielen. Faktor drei.
  4. Diese Faktoren haben zum Entstehen einer Gesellschaftsgruppe geführt, die den Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie kritisch bis ablehnend gegenübersteht. An ihren Rändern versammeln sich auch Verschwörungstheoretiker, Gestörte und Sonderlinge. So wie es bei jeder gesellschaftlichen Strömung einen Kern vernünftiger Teilnehmer gibt, plus einen Rand von problematischen Mitläufern. Faktor vier.
  5. Immer wieder müssen sich linke Bewegungen davon distanzieren, was gewalttätige Extremisten unternehmen, immer wieder müssen sie sich gefallen lassen, dass man ihnen im politischen Kampf gleiche Denke vorwirft, sie als geistige Brandstifter denunziert, die den Boden für Gewalt gegen Sachen oder sogar Personen bereiten. Das gleiche Modell wird nun auf die Massnahmen-Skeptiker angewendet. Orchestriert und begleitet von einer geradezu einheitlichen Darstellung in den Massenmedien. Faktor fünf.
  6. Die sogenannte Vierte Gewalt, die Kontrollinstanz, die Plattform für öffentlichen Meinungsaustausch, für Debatten, ist denaturiert. Ein Brain Drain ungekannten Ausmasses hat stattgefunden. Durch Massenentlassungen, Einsparungen, Leistungsdruck, Kurzatmigkeit, durch den Ersatz von Argument durch Meinung. Faktor sechs.
  7. Wenn man davon ausgeht, dass trotz vorhandenem Angebot über 30 Prozent der Schweizer Bevölkerung nicht geimpft ist, selbst wenn man medizinische Gründe abzieht, handelt es sich um eine bedeutende Minderheit, nicht einfach um ein paar randständige Spinner. Dennoch wird diese Minderheit so dargestellt, was die Zentrifugalkräfte stärkt. Faktor sieben.
  8. Meinungsstarke Beschimpfungen von Impfgegnern als verantwortungslose und fahrlässige Deppen, grob überzeichnete Meldungen von Ausschreitungen bei Demonstrationen, die Verweigerung jedes Dialogs, jedes Meinungsaustauschs, der zunehmende Eindruck, dass die verbleibenden Medienkonzerne gut Wetter bei den Regierenden machen wollen, von deren Subventionsbereitschaft sie immer mehr abhängen, lässt viele Konsumenten auf alternative Nachrichtenquellen zurückgreifen. Faktor acht.

Damit läuft die Schweiz Gefahr, einen Schaden zu erleiden, der viel nachhaltiger wirken wird als eine Pandemie. Denn im Gegensatz zu vielen Unkenrufen wird auch dieser Seuchenzug vorrübergehen. Wie alle vorher. Er wird vielleicht einige Verhaltensweisen ändern, vielleicht muss man sich an Maskentragen in der Öffentlichkeit gewöhnen. Aber viel gefährlicher als jede Virusmutation ist der Verlust der Konsensfähigkeit.

Die Deutschen beneiden die Schweizer

Der (deutsche) Wutbürger.

Schon längst haben die konfliktbegabten Deutschen aufgehört, die putzigen Schweizer mit ihrem komischen Dialekt zu belächeln. Stattdessen herrscht Neid, Erstaunen darüber, wie es denn die Eidgenossen auch ohne Bankgeheimnis und die Aufbewahrung von Blutgeldern aus aller Welt schaffen, eine funktionierende Infrastruktur aufrechtzuerhalten, die Schulhäuser in Schuss sind, die Staatsverschuldung überschaubar, die Notenbank in Geld schwimmt und Wohlstand herrscht.

Der Deutsche fühlt sich verarscht.

Das Konsensuale spielt dabei offensichtlich eine bedeutende Rolle, denn arbeitsam, pünktlich und genau sind sowohl Deutsche wie Schweizer. Aber sollte das Ausgrenzen, das Verwenden verbaler Zweihänder, das Beschimpfen ganzer Bevölkerungsgruppen, das Fuchteln mit Morgenstern und Hellebarde gegen Abweichler anhalten oder gar zunehmen, dann könnten durchaus deutsche Zustände in der Schweiz ausbrechen. Und das sollte doch niemand wollen.

Rassenkunde: Neues vom Mohrenkopf

Gibt es verschiedene Rassen auf der Welt? Oder ist schon die Frage rassistisch?

Die «Süddeutsche» vermeldet: «Ein wichtiges Medizin-Fachjournal publiziert bald nur noch Studien, wenn in diesen die «Rasse» der Probanden angegeben wird. Woran liegt das?»

Natürlich findet dieser Artikel seinen Weg in die Spalten der Qualitätsmedien von Tamedia, die ja immer weniger Content selber herstellen. Allerdings wurde am Lead etwas geschraubt, so heisst die Schweizer Version:

«In Studien soll künftig die «Race» der Probanden angegeben werden, um Minderheiten besser abbilden zu können. Damit begibt sich das New England Journal of Medicine auf gefährliches Terrain.»

Denn es kann ja in diesem Konzern mit hochstehendem Qualitätsmanagement nicht sein, dass der Leser mit einer ergebnisoffenen Frage in einen Artikel entlassen wird. Da muss eine Wertung her, damit von Anfang an alles klar ist.

Worin besteht denn nun dieses «gefährliche Terrain»? Zunächst einmal kommt dieser Begriff im differenzierten Artikel des Wissenschaftsjournalisten Markus C. Schulte von Drach nicht vor.

Nicht nur wegen den Erfahrungen im Hitler-Faschismus ist der Begriff «Rasse» auf Deutsch aufgeladen, problematisch, verbrannt. Zudem herrscht allgemein Einigkeit, dass Rasse nur schwerlich ein biologischer Begriff ist, sondern vielmehr ein soziales Konstrukt, wie von Drach referiert.

Muss weg.

Dann liefert er die Begründung des NEJM, das übrigens zum Club der weltweit hochangesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschriften gehört.

«In den Vereinigten Staaten haben schwarze Amerikaner hohe Raten von Bluthochdruck und chronischer Nierenerkrankung, hispanische Amerikaner haben die höchste Prävalenz von nicht-alkoholischer Fettleber, amerikanische Ureinwohner haben überproportional häufig ein metabolisches Syndrom, und asiatische Amerikaner sind einem besonderen Risiko einer Hepatitis-B-Infektion und nachfolgenden Zirrhose ausgesetzt, jedoch sind diese Gruppen in klinischen Versuchen und Kohortenstudien häufig unterrepräsentiert.»

Differenzierte Debatte von Fachleuten

Zudem hat das Journal eine ganze Reihe von Fachleuten eingeladen, sich zu diesem Thema zu äussern. Sie liefern – verständlich – einen Eiertanz ab. Auf genetischer oder biologischer Ebene gebe es keinerlei Beweise für die Existenz unterscheidbarer rassischer Gruppen. «Aber in einigen Fällen, ich denke, da ist es den meisten von uns klar, dass Rassekategorien bis zu einem gewissen Grad mit genetischer Abstammung korrelieren», eiert Michele Evans. Ein Nephrologe ergänzt: «Es ist eine Sache zu sagen, dass Rasse ein soziales Konstrukt ist, aber es gibt genetische Abstammungsmarker, die sehr wirkungsvoll über die Ausprägung von Krankheiten in bestimmten ethnischen Minderheitengruppen informieren können.»

Dahinter steht das Problem, ob und wie man Rassismus Vorschub leistet. Diese unausrottbare Unart geht davon aus, dass gewisse Eigenschaften auf Rassen zutreffen. Also beispielsweise «Weisse sind intelligent, Schwarze sind faul und dumm». Das ist natürlich hanebüchener Blödsinn, weil es auch viele faule und dumme Weisse gibt, viele intelligente Schwarze.

Ist schon weg.

Nicht alle Schweizer mögen Schokolade, blasen ins Alphorn und arbeiten auf einer Bank. Der chaotische Italiener, der stolze Spanier, der pünktliche Deutsche. Alle diese normativen und generalisierenden Begrifflichkeiten sind Versuche, durch Verallgemeinerungen etwas Ordnung zu schaffen, greifen aber auf der Ebene individueller Betrachtung viel zu kurz. Dort entscheidet sich dann, ob ein Rassist spricht oder kein Rassist.

Verwendung von Unterscheidungsmerkmalen ist völlig richtig

Aber die Verwendung von Kategorien zwecks besserer Einteilung, gesteigertem Verständnis beispielsweise von Krankheiten, was soll daran falsch sein? Wer sagt, dass stark Übergewichtige überproportional höhere Gesundheitsrisiken haben im Vergleich zu Normalgewichtigen, ist deswegen doch kein Rassist oder Ausgrenzer und äussert auch kein Ressentiment gegen Dicke.

Es ist auch kein Rassismus, Formulierungen wie «gefährliches Terrain» als Ausdruck von in Dummheit umschlagendes Gutmenschentum zu kritisieren. Korrelationen zwischen Ethnien – um den Begriff Rassen zu vermeiden – und überproportional häufig auftretenden Krankheiten können bei Therapie und Heilung helfen. Wer dagegen ist, ist ein Dummkopf.

Wer sagt, jeder Schwarze habe Bluthochdruck, hat ebenfalls nicht alles verstanden. Hinzu kommt die unterschiedliche Sensibilität beim Ausdruck «race». In jedem amtlichen US-Formular wird heute noch nach Geschlecht, Nationalität und Rasse gefragt. Das stört dort auch niemanden gross, obwohl der Bürgerkrieg um die Sklavenbefreiung nicht Hunderte von Jahren her ist.

Ausdifferenzierte Fragen nach ethnischer Zugehörigkeit.

In den USA wird viel unternommen, um verschiedenen, bleiben wir bei Ethnien, gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft zu eröffnen. Einem Hispanic oder Schwarzen besondere Förderung zuteil kommen zu lassen, ist aber nur möglich – wenn er so kategorisiert werden kann.

Ethische und Rasseninformation wird gesetzlich verlangt.

Denn die Benachteiligung von Schwarzen ist nur messbar, wenn man Schwarze als solche identifiziert. All das übersehen die Rassimus-Kreischen, die am liebsten alle diese Kriterien als diskriminierend, eben rassistisch abschaffen möchten, so wie den Mohrenkopf.