Slogans lesen macht dumm

Eigentlich sollten solche Werbekampagnen strafbar sein.

«20 Minuten» gibt seine Printausgabe auf. Verständlich. Die Gratispostille gibt für jedes Exemplar alles in allem einen Franken aus. Das ist heutzutage durch Printwerbung nicht mehr reinzuholen.

Natürlich ist die kommende Umstellung Anlass, mal richtig Gas zu geben. Da läuft ein «Head of Product» zu grosser Form auf. Die Chefredaktorin Desirée Pomper leitet, ein CTO ist auch an Bord, dazu das Entwicklerteam, versteht sich. Plus noch die üblichen Werber, diesmal von der Grossagentur «Prophet», von deren erfolgreichen Wirken man allerdings noch nicht viel gehört hat.

Item, mit erster Priorität muss am Logo rumgefummelt werden. Denn so geht das ja nicht mehr:

Wurde zwar 25 Jahre etabliert, kennt inzwischen jeder, aber das ist ja kein Grund, es nicht wegzuschmeissen (Argument sicherlich: Das ist ja eine Schreibmaschinenschrift, igitt) und durch das hier zu ersetzen:

Damit fällt das Logo auseinander und geht in die Breite. Eine Allerweltsschrift, die Digitalzahlen 20 sind leicht schräg gestellt und angeblich von einem «frischeren Blau» umgeben. Ach ja, und natürlich wurden die Kanten leicht abgerundet. Der Zusammenhang zwischen Zahl und Zeitangabe geht verloren. Grossartig. An Beliebigkeit nicht zu überbieten.

Ein Beitrag zu: nach dem Redesign ist vor dem Redesign. Denn da fallen selbst der ChatGPT aus dem Handgelenk zwei, drei Verbesserungsvorschläge ein. Und erst noch kostengünstig:

Die ganze Übung erinnert an das verunglückte Redesign der «Blick»-Familie.

Auch die gibt wieder Gas:

Begleitet vom üblichen Gequatsche: «Nach unserem visuellen Relaunch machen wir das Versprechen unserer Marke nun auch mit der neuen Kampagne sichtbar» (Maximilian Börke, Head of Marketing Ringier Medien Schweiz), und natürlich unvermeidlich: «Wir wollen nicht nur berichten, sondern alle Facetten einer Geschichte beleuchten», behauptet Ladina Heimgartner, die sich dazu den Hut «CEO Ringier Medien Schweiz» aufsetzt.

Dabei ist auch dieser Spruch an Einfalt schwer zu überbieten. Gemeinsames Bewegen? Wenn «uns» bewegt, was «euch» bewegt, wieso soll man dann den «Blick» lesen dafür? Und kann mal einer (oder eine) ein Beispiel geben, wo der «Blick» «alle Facetten einer Geschichte beleuchtet» hätte?

Irgendwie haben die Verantwortlichen bei Medien kein glückliches Händchen bei der Auswahl der Typen, die am Logo rumfummeln. Wo dann ein Regenrohr beim «Blick» rauskommt und leicht abgerundete Kanten bei «20minuten». Pardon, «20 Minuten».

Ach, und dann gab es ja noch das «plussen» bei der völlig verunglückten Einführung von «Blick+». Auch da kann «20minuten» mithalten:

Echt jetzt? Fühlen sich auch die Leser von ZACKBUM sexy? Alle?

Ein Slogan sollte eigentlich den Zweck erfüllen, beim Betrachter ein «muss haben» auszulösen. Oder zumindest ein «finde ich gut». Die Voraussetzung dafür ist, dass der Betrachter den Slogan überhaupt mal kapiert.

Da liegen eigentlich alle Medienhäuser Kopf an Kopf, was den Wettkampf um den schwachsinnigsten Slogan betrifft. «Haltung zeigen – watson lesen». Hä? Haltung für Listicals, Fails, dumme Sprüche und pseudolustige Videos? «Plussen» mit «Blick+». Hä? Nix verstan. «Finden wirs raus.» Hä? Wobei soll ich als Betrachter dem Tagi helfen?

Und nun «Lesen macht sexy». Wer liest, vornehmlich «20Minuten» (oder ausschliesslich?), wird also sexuell anziehend, erotisch attraktiv oder reizvoll, verführerisch. Womit wir schon mitten im starken Geruch nach Sexismus wären.

Soll die Lektüre dafür sorgen, dass die Leser übereinander herfallen und wie die Karnickel …? Dabei kann man dann aber schlecht lesen, nicht wahr.

Natürlich ist es nicht einfach, einen neuen Werbeslogan für eine Gratispostille zu erfinden. Toll wäre es aber, wenn der auch nur weit entfernt etwas mit dem Angebot, dem Inhalt, der USP zu tun hätte. Die Frage beantworten würde: und wieso soll ich das Blatt lesen?

Immerhin, die NZZ, ein Lichtblick, hat einen einigermassen akzeptablen Slogan: «Gemacht für Zeiten des Umbruchs». Unschlagbar ist nach wie vor die uralte Werbekampagne der FAZ. Man sieht einen durch das Blatt verborgenen Leser, plus: «Dahinter steckt immer ein kluger Kopf

Aber «Lesen macht sexy», what a bullshit, würde sogar Trump sagen. Und ZACKBUM sagt: sexy sind wir selber, dafür müssen wir nicht eine Gratispostille lesen.

2 Kommentare
  1. Lukas Hellinger
    Lukas Hellinger sagte:

    Die Schweizer Typografie und Grafik hatte etwa 1965 ihren peak erreicht. Fantastisches Design – einfach, klar, wesentlich.
    Es ist, wie mit dem Suppenlöffel beim Mittagessen: Am Abend sollte man sich an die Suppe und nicht das Besteck, ob gut oder schlecht, erinnern.
    Die Suppe von 20 Minuten ist gar nicht so übel. Am meisten schmerzt mich, dass mit der Einstellung der Printausgabe das physische Kreuzworträtsel verschwindet. Das war mit das Beste an der Schweizer Medienlandschaft. Nicht das beste Rätsel – das Beste überhaupt.

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