Zur Phänomenologie des Lesens
Wer schon beim Titel hä? sagt, befindet sich in guter Gesellschaft.
Ein Viertel aller 15-Jährigen in der Schweiz sind nicht in der Lage, einfache Texte zu verstehen. Von Fremdwörtern ganz zu schweigen.
Statt Lesekompetenz werden mündliche Informationsvermittlung (Podcasts) oder Videocasts bevorzugt. Zudem bricht eine allgemeine Grundinformiertheit auf, weil immer mehr Jugendliche ihre Informationen vorgefiltert via Social-Media-Blase beziehen.
Diese Plattformen sind null an Erkenntnissteigerung interessiert, sondern lediglich an Werbeeinnahmen generierende Klickzahlen. Und natürlich nimmt jeder Mensch lieber etwas zur Kenntnis, was seine vorgefasste Meinung bestätigt. So inkompetent und oberflächlich die auch sein mag.
Ein weiterer Sarnagel für die modernen Elendsmedien in der Newsvermittlung. Obwohl dort auch mit anderen Erzählformen als Buchstaben gearbeitet wird, publizieren sie nach wie vor die Mehrheit ihrer Artikel schriftlich.
Erschwerend kommt hinzu, dass nicht nur die Verwendung von Fremdwörtern zwecks Reputationssteigerung gepflegt wird, sondern auch teilweise die «korrekte Sprache». Also gendern, Inklusion, das Vermeiden von Begriffen, bei denen sich jemand «unwohl» fühlen könnte. Neger geht gar nicht, Schwarzer auch nicht mehr, wer «Mohrenkopf» sagt, erntet einen Shitstorm von erregten Sprachreinigern.
Wie immer gibt es Untergangspropheten, die die nachlassende Bereitschaft, Schriftliches zur Kenntnis zu nehmen, sogar als Ursache für die steigende Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft sehen. Denn wer liest, trainiere damit seine Vorstellungskraft, ist in der Lage, sich anderen Denkweisen gegenüber tolerant zu verhalten und stärke seine Empathie.
Starres Denken dagegen mache anfällig für Extremismus. Die Frage ist wie immer, ob hier Koinzidenz mit Kausalität verwechselt wird.
Bis hierher dürfte sich ZACKBUM bereits von einem Teil seiner Leser verabschiedet haben. Offensichtlich setzen wir nach wie vor auf die Kraft des geschriebenen Wortes. Im Wissen darum, dass unsere Artikel weitgehend wirkungslos sind und nur einem Schreibzwang geschuldet.
Auf der anderen Seite: vor der Schriftlichkeit gab es nur mündliche Überlieferung. Vor dem Druck gab es nur handschriftliche Zeugnisse, meistens von Mönchen in jahrelanger Arbeit hergestellt. Dann kam der Fax (ältere Leser erinnern sich) zur schnellen Informationsübermittlung, und schliesslich das Internet.
In seinem Meer der verfügbaren Informationen sucht sich jeder seine Insel, auf der er sich vor allem dann wohlfühlt, wenn seine eigene Meinung bestätigt wird.
Da die Welt rund, bunt, kompliziert und widersprüchlich ist, steigert das das Bedürfnis nach einfachen Koordinatensystemen, in denen der Mensch Halt findet und meint, Übersicht gewonnen zu haben. Russland böse, Ukraine gut. Israel gut, die Araber böse. Trump ein stabiles Genie oder ein narzisstischer Amok.
Jeder Versuch der differenzierten Betrachtung zerschellt an der dadurch ausgelösten Verunsicherung. Russland nicht nur böse, Israel nicht nur gut, Trump nicht nur ein Amok, solche Komplexitäten verunsichern ungemein.
Erschwerend kommt hinzu, dass immer häufiger Meinung mit Haltung verwechselt wird. Wer die israelische Regierung kritisiert, ist Antisemit. Wer Trump einen Plan unterstellt, ist völlig gaga. Wer auf vernachlässigte Massaker wie im Sudan hinweist, stört den Seelenfrieden.
Denn das sind Neger, es geht nicht um wichtige Rohstoffe, und man kann sich nicht um alles kümmern.
Viele Massenmedien – so zum Beispiel Tamedia mit Genderpäpsten wie Andreas Tobler – schreiben zudem mit ihren Sprachvergewaltigungen am Publikum vorbei. Seitenlange Debatten über die Frage, ob und wie der Genderstern richtig eingesetzt werden muss. Hymnen auf den Frauentag, als ob das die Mehrheit der Leser gross interessieren würde. Bauchnabelbetrachtungen, als ob das irgend einen Leser gross interessieren würde.
Neben der zunehmenden Leseunlust, klopfen sie so einen weiteren Sargnagel für ihre Beerdigung. Das ist so, wie wenn Migros oder Coop nur noch Hafermilch verkaufen würde, um ihre Konsumenten dazu zu erziehen, dass keine armen Kühe mehr gemolken werden müssen, die sowieso das Klima zufurzen.
Wer sich für intellektuell hält, möchte das gerne zeigen. Dass ihm Fremdwörter wie Metaphysik oder eine poststrukturalistische Debatte im Sinne Derridas und unter Berücksichtigung der luhmannschen Systemtheorie, und den herrschaftsfreien Diskurs von Habermas nicht zu vergessen, durchaus nahe sind.
Während die absolute Mehrheit der Leser nur noch hä? sagt und umblättert oder wegwischt.
Wenn die Pferdedroschke durch das Automobil abgelöst wird, macht es wenig Sinn, Halfter für Gäule anzubieten. Mit dem Argument, dass das doch schon immer so war.
Viele Journalisten verhalten sich so wie der Heizer einer Dampflock, der der Elektrolok keine Chance geben möchte. Statt umzulernen, ist er zum Untergang verurteilt.
Es gibt kleine Sammelplätze für die happy few, von denen auch ZACKBUM profitiert. Aber wer zuschaut, wie sein Lesepublikum aus Altersgründen wegstirbt und es nicht schafft, Junge mit neuen Lesegewohnheiten zu attrahieren, ist im besten Fall zur Frühpensionierung verurteilt.
Ob die asozialen Medien und die Generation Ego, der iconic turn, oder kommerzialisierte GPTs unserer Kultur den Garaus machen, weiss ich nicht. Aber das ist die Zukunft – wir sind es nicht.
Poststrukuralistische oder poststruk – t – uralistische Debatte? Ersteres kenne ich wirklich nicht… das zweite habe ich schon gehört.
Um jenen eins auszuwischen, die sich intellektuell aufplustern und gerne mit Fremdwörtern um sich schmeissen, haben Sie sicher den lieben Jacques Derrida mit einem r geschrieben. Vielleicht wollen Sie einfach nur wissen, welche Fische anbeissen. Da ich im Sternzeichen Fische geboren bin, habe ich die Tendenz, bei Hunger und mit schlechten Augen ab und zu in einen den Angelhaken zu beissen. Der Fischer, so er seine Tätigkeit nicht berufsmässig ausübt, sondern es als Hobby betreibt, hat Erbarmen und wirft mich wieder ins Wasser zurück.
Peinlich …
Das Phänomen der Pod- und Videocasts fasziniert irgendwo. Vor Jahren hatte man am Radio den Sender umgeschaltet, weil vor lauter „Gschnurr“ zu wenig Musik kam. Diskussionssendungen am Fernsehen wurden so öde und abgehoben (zB. Literaturklub, überhaupt Dsischtigsklub) dass sie nur noch von ein paar Bildungsbürger geschaut wurden, die dann inhaltlich aber nicht abgeholt wurden. Dabei sind offenbar breite Teile der Bevölkerung richtig begeisterungsfähig für diese Formate, hören und sehen gerne ein ungezwungenes Gespräch. In einfacher Sprache, ganz ohne den Anspruch, ein Thema abschliessend abhandeln und deuten zu wollen.
Die Altmedien haben das verkannt. Die Podcasts von Tages-Anzeiger hören sich oft nach frustrierten Veganer auf einer Grillparty an. Immer darauf aus, dem einfachen Bratwurstesser reinzuwürgen, warum seine Wurst ganz schlecht und böse ist und er doch jetzt auf gebratene Auberginen umsteigen müsse. Dabei sind die Auberginen fad und öde. Der Bratwurstesser hatte einfach Freude am gemütlichen Beisammensein.
„Diskussionssendungen am Fernsehen wurden so öde und abgehoben … [sic!] dass sie nur noch von ein paar Bildungsbürger geschaut wurden…“
Bildungsbürger, Bildungsbürger…? Sind das die, die noch um das „-n“ beim männlichen und sächlichen Dativ Plural und um die Kommaregeln bei Nebensätzen wissen?
Das „-n“ beim männlichen und sächlichen Dativ Plural und die Verletzung der Kommaregeln bei Nebensätzen, das wars doch, was dem Bildungsbürger light auch aufgefallen ist… Nun herrscht wieder Klarheit , Bitterli seis verdankt!
Ok, Guscht. „War‘s“, „Sei‘s“: Das fällt natürlich schon auch auf. Und vielleicht wäre „gedankt“ besser als „verdankt“.
Sie gebrauchen den Begriff, der die höchstentwickelte je auf Erden wallende Ausprägung des homo sapiens bezeichnet, in übler linker Tradition eher – ich glaube das herauszulesen – pejorativ? Das sollten Sie nicht tun. Cellospielende Ärzte und dichtende Rechtsanwälte sind uns ebenso über wie pensionierte Mathematiklehrer auf Studiosus-Reisen. Mir zumindest. Deswegen gebrauchen Sie das Epitheton „light“ sehr zu recht.
Liest man diesen Text verständnisinnig, kommt man zum Schluss, dass der Meister auch schon Besseres geschrieben hat.
Völlig einverstanden. Zum Glück hat der Mohrenkopf, allen Anfeindungen zum Trotz,
überlebt.
Die Entdeckung des Gendersterns kann nicht genug gewürdigt werden.
Es ist mehr als eine kopernikalische Wende. Was der NASA mit ihren
Milliardenbudgets nicht gelungen ist, schafft die Zürcher Regierung
mit links. Die meisten Astrologen machen bereits jetzt viel bessere,
treffsicherere Prognosen.