Kleiner Lichtblick beim Tagi

Allerdings hat es auch Schattenseiten.

Aber zunächst das Positive: In den allgemeinen Jubel, die Durchhalteparolen und die Verdammung des russischen Angriffskrieg hinein wagt es Tamedia, die offenbar desolate Situation der ukrainischen Armee zu beschreiben. Nicht nur durch Feindeinwirkung.

«Am 16. Mai veröffentlichte Bataillonskommandant Schyrschyn, Codename Genie, einen explosiven Beitrag auf seiner Facebook-Seite. «Ich habe nie mehr idiotische Aufgaben bekommen als in der heutigen Anweisung … Der dumme Verlust an Leuten und das Zittern vor den dämlichen Generälen führt zu nichts als Fehlschlägen. Alles, was sie tun können, ist schimpfen, nachforschen und Strafen auferlegen. Sie können alle zur Hölle gehen. Die politischen Spiele und Einschätzungen der Dinge haben nichts mit der Realität oder den Möglichkeiten zu tun.»

Das sei keine Einzelstimme, weiss der Autor Florian Hassel. Die Gesamtlage sei kritisch, protestierende Stimmen mehren sich. Sieht nach einem starken Stück Recherchierjournalismus aus.

Es gibt aber auch jede Menge Negatives. Zunächst einmal fiel der Ukraine-Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung» schon mehrfach durch peinliche Meldungen auf. Dann ist er der Korrespondent der SZ, also besteht die Eigenleistung der Qualitätszeitungen aus dem Hause Supino aus einer runden Null.

Also nicht ganz, so lauteten Titel und Lead im Original in der SZ: ««Sie können alle zur Hölle gehen.» Immer mehr ukrainische Offiziere kritisieren Entscheidungen ihres Generalstabs. Gleichzeitig hat Russland die Taktik geändert – und bereitet eine neue Sommeroffensive vor.»

Daraus machte die kompetente Auslandredaktion von Tamedia: ««Dumme Verluste» und «dämliche Generäle»: Ukrainische Offiziere kritisieren die Armee­führung. Die Armee der Ukraine pfeife aus dem letzten Loch. Doch die katastrophale Situation werde geschönt, sagen Experten und Offiziere. Gleichzeitig bereitet Russland eine Sommeroffensive vor.»

Also Titel abgeschwächt, Lead sinnlos verlängert, die Taktikänderung gespült und gleich noch einen Kommentar reingepackt («pfeift aus dem letzten Loch»). Könnte in der Journalistenausbildung als Beispiel dienen, wie man es nicht machen sollte.

Dann schreibt Hassel auch dies: «Im Juni 2024 hatte Bohdan Krotewytsch, früher Stabschef der militärisch hoch angesehenen Asow-Brigade, auf X ähnlich festgestellt …» Vielleicht hätte er hinzufügen können, dass diese Brigade ein Haufen von Neofaschisten ist. Die USA hatten bis Mitte letztes Jahr jegliche Waffenlieferungen an sie verboten: «Das stand im Einklang mit dem sogenannten «Leahy-Gesetz», das die Ausbildung und Bewaffnung ausländischer militärischer Gruppen verbietet, die schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben», weiss das ZDF.

Diese Brigade stand lange unter der Führung einer Neonazigruppe, ihr gehören auch rechtsextreme Strassenkämpfer an, das Kennzeichen der Truppe hat eine entlarvende Ähnlichkeit mit einem Nazi-Symbol aus dem Zweiten Weltkrieg. Kein Wunder in einem Land, in dem der Kriegsverbrecher und Nazi-Helfer Stepan Bandera bis heute mit Denkmälern geehrt wird. Aber wenn sie halt «militärisch hoch angesehen» sein soll …

Erschwerend kommt weiter hinzu, dass Hassel einfach einen Zusammenschrieb von kritischen Meldungen über den Zustand der ukrainischen Armee abliefert. Die «New York Times», BBC, «Washington Post», Reuters und viele andere haben bereits über die anschwellende Kritik an der Militärführung und an inkompetenten Generälen berichtet. Allerdings auf Englisch.

Natürlich berichten auch ukrainische Medien, die allerdings im Ausland erscheinen. Denn in der Ukraine herrscht die gleiche Pressezensur wie in Russland.

Bei genauerer Betrachtung verdüstert sich also dieser Lichtblick, und der Artikel schrumpft auf das Niveau des normalen Elendsjournalismus. Der noch elendiglicher wird, wenn Tamedia ihn hinter der Bezahlschranke versteckt und von seinen Lesern auch noch Geld dafür will, dass sie per copy/paste ein Produkt aus München vorgesetzt bekommen.

In der Hoffnung: merkt doch keiner. Und woher die Weisheiten des Autors stammen, das weiss doch keiner.

Wie lange man wohl noch den zahlenden Tamedia-Leser für dumm verkaufen kann?

2 Kommentare
  1. Peter Bitterli
    Peter Bitterli sagte:

    Laut Hassel haben seinerzeit schon die Serben mit den Köpfen ermordeter kroatischer Kriegsgefangener Fussball gespielt. Später, als gerade die einschlägigen Zahlen gegenüber der Jelzin-Zeit sich massivst verringerten, liess laut Hassel Putin Journalisten im Akkord umlegen. Hassel ist ein Krawallschreiber, immer hart am Wind des zeitgeistigsten Narrativs (tolles Wort!). Aktuell ist es angesagt, zähneknirschend das Versagen des ukrainischen Widerstandes in die Köpfe zu hämmern, um richtig gelegen zu haben, wenn es hoffentlich bald zu Ende geht.

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