Turbo-Lesen

Absurdes aus dem Departement Cassis.

Wie lange dauert es, um 1800 Seiten zu lesen? So umfangreich ist nämlich der Vertragsentwurf zum neuen EU-Deal. Den sollen nun ausgewählte Parlamentarier in einem sogenannten Reading-Room anschauen dürfen. Keine Handys, keine Kopien erlaubt, nur handschriftliche Notizen möglich.

Ein Stück wie aus Kafkas «Prozess». Lassen wir ausser Acht, dass es sich um ein hochkomplexes Schriftstück handelt. Bei normaler Lesegeschwindigkeit wären das 60 Stunden. Wenn man maximal 12 Stunden Lesen pro Tag annimmt, sind das fünf Tage. Pro Leser. Da es sich um insgesamt sechs handeln soll, wären das also insgesamt 30 Tage.

Also reicht die Lesezeit nicht einmal, um vor der offiziellen Behandlung im Parlament damit fertigzuwerden. Das ist ein Witz, aber ein schlechter. Zudem ist es völlig unklar, was die Auserwählten aus ihren Notizen anderen Parlamentariern oder gar der Öffentlichkeit bekannt geben dürfen.

Ganz abgesehen davon, dass es völlig unklar ist, ob diese Versuche einer Zusammenfassung überhaupt dem Inhalt des Monsterwerks entsprechen.

Zudem hat der Bundesrat in seiner unendlichen Weisheit beschlossen, die nötige Abstimmung nur dem Volksmehr zu unterstellen. In weiser Voraussicht, denn am Ständemehr wäre schon der letzte EU-Vertrag gescheitert. Weswegen er nur dem fakultativen Referendum unterstellt und vom Volk knapp angenommen wurde. Hätten die Kantone mitgezählt, wäre er haushoch abgelehnt worden.

In der Politik ist vieles erlaubt, um seine Ziele zu erreichen. Propaganda, umschwatzen von Unangenehmen, Verdrehung von Tatsachen, repetitive Wiederholung von Schlagworten, um sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit einzubrennen.

In der Demokratie ist einiges nicht erlaubt, wenn man sie nicht beschädigen will. Die Glaubwürdigkeit von Entscheidungsprozessen, die Sicherheit der Stimmbürger, dass ihre Volksvertreter im Parlament tatsächlich seriös und verantwortlich ihrem Auftrag, eben der Volksvertretung, nachleben, das darf nicht leichtfertig ausgehebelt werden, um sein Ziel zu erreichen.

Zurzeit erleben wir eine ganze Reihe solcher Anschläge auf das Vertrauen des Souveräns. In Deutschland wird die grösste Oppositionspartei vom deutschen Verfassungsschutz als «gesichert rechtsradikal» stigmatisiert. Der mehr als 1000 Seite umfassende Bericht ist geheim, nur seine Ergebnisse wurden veröffentlicht. Damit hat die AfD gar nicht die Möglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen.

Schlimmer noch: der Verfassungsschutz, der weltweit nur in Deutschland solche Befugnisse wie die Überwachung von demokratischem Parteien hat, soll etwas schützen, das es gar nicht gibt. Denn Deutschland hat keine Verfassung. Das Grundgesetz wurde von den Alliierten diktiert. Mit der Vorgabe, dass nach einer Wiedervereinigung eine entsprechende Körperschaft eine Verfassung ausarbeitet, die dann einer Volksabstimmung unterstellt werden muss.

Die Wiedervereinigung fand 1990 statt, von einem Verfassungsentwurf ist bis heute keine Rede.

Schlimmer noch: mit diesem Aufkleber stehen die AfD und ihre Mitglieder nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie das in Deutschland heisst. Und wer dort nicht steht, darf nicht im öffentlichen Dienst arbeiten. Früher, als das gegen Linke ging, nannte man das Berufsverbot. Nun fordert die selbe Linke sogar ein Verbot der AfD. Die zudem  als stärkste Oppositionsfraktion, von der Einsitznahme in wichtige Kommissionen ausgeschlossen werden soll. Zudem wird der CDU/CSU jede Zusammenarbeit auf Gebieten, wo man einer Meinung ist, verunmöglicht.

In den USA legt sich Amok Trump Mal für Mal mit der Justiz und der unabhängigen Notenbank FED an, nachdem seine absurdes Zollschlamassel bewirkt, dass in den USA die Preise steigen, die Wirtschaft abschlafft und eine Rezession vor der Türe steht. Er will ungestört mit «executive orders» durchregieren und foutiert sich selbst um Entscheidungen des Obersten Bundesgerichts.

Und nun werden selbst im Mutterland der direkten Demokratie Buebetrickli angewendet, um einen Vertragsentwurf durchzuboxen, der schwere Beeinträchtigungen der Schweizer Souveränität zur Folge hätte.

Natürlich sind das nicht nordkoreanische, russische oder chinesische Verhältnisse. Aber wie im Geschäftsleben ist es in der Politik so: ist das Vertrauen erst mal verspielt, strebt der Kunde zum Ausgang. Bei der Credit Suisse führte das zum Untergang der Bank. In der Politik sind die kurzfristigen Auswirkungen nicht so dramatisch. Aber es steigert den Politikverdruss ungemein, ist Wasser auf die Mühlen von allen, die überzeugt sind, dass die da oben in Bern sowieso machen, was sie wollen.

Das gilt verschärft für Deutschland und für die USA.

Das Fatale daran ist, dass man Vertrauen sehr schnell verspielen kann. Es wieder aufzubauen, das dauert und dauert.

Die völlig unfähige und bonusgierige Spitze der CS wurde von ihrem Wahlvolk, den Aktionären, nicht zum Teufel gejagt. Die Chancen, dass das verantwortungslosen Politikern passiert, sind leider auch nicht viel grösser.

Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, ob man für eine institutionelle Anbindung an die EU ist oder nicht. Hier ist ein Schaden entstanden, der durch die Unterwerfung unter EU-Recht nur unerheblich gesteigert werden könnte. Aber solange das nicht passiert, besteht noch Hoffnung.

 

____

Der Artikel erschien zuerst auf «Inside Paradeplatz».

1 Antwort
  1. Guido Kirschke
    Guido Kirschke sagte:

    Dynamische Verträge sind ein Absurdum. Damit genau eine Situation nicht dynmisch ausufert, werden Verträge geschlossen. Bei diesem EU-Mist wird gegaunert und getrickst von unseren ach so kompetenten NR und BR.

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert