Der Nachruf als Nabelschau
Der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas LLosa ist gestorben.
Der Schriftsteller war auch politischer Aktivist, und das nicht immer glücklich. Aber er hat eine Kathedrale von Werk hinterlassen und tiefe Spuren in der lateinamerikanischen, ja in der Weltliteratur.
Von «Die Stadt und die Hunde» über «Das grüne Haus» (von einigen als wichtigster lateinamerikanischer Roman des 20. Jahrhunderts gelobt) oder «Das Fest des Ziegenbocks», immer fand er einen eigenen Weg neben Grössen wie Alejo Carpentier, Gabriel García Márquez, Julio Cortázar, Jorge Borges und so vielen anderen, die ab den 60er-Jahren auch im deutschen Sprachraum reüssierten.
Weil sie eine ganz neue Intensität, magischen Realismus, dazu die perfekte Beherrschung des Handwerks mitbrachten. Dabei Themen aus diesem geschundenen Kontinent bearbeiteten, neben denen viele europäische oder deutsche Werke blutleer wirkten.
Hugo Loetscher hatte ein grosses Verdienst dabei, vielen (auch mir) diese lateinamerikanische Literatur näherzubringen, eine echte Horizonterweiterung.
Nun ist Llosa mit 89 Jahren gestorben, und in seinen letzten Lebensjahren hat er nichts mehr publiziert, was an das Niveau seiner früheren Romane heranreichte. Aber als unermüdlicher Essayist und wortgewaltiger Kommentator politischer Ereignisse war er immer ein unterhaltsamer, kritischer, kantiger Geist.
Ein solches Monument von Hochliteratur zu würdigen, einen so vielschichtigen Menschen in all seinen labyrinthischen Irrwegen und in all seinen luziden Erkenntnissen, das ist nicht einfach.
Ganz einfach macht es sich mal wieder Tamedia. Deren ehemaliger Lateinamerika-Korrespondent Sandro Benini greift tief in sein Archiv und erinnert sich an zwei Interviews, die er 2004 und 2020 mit Llosa führte. Nicht ohne aus der Kammerdienerperspektive den grossbürgerlichgen Aufritt Llosas zu beschreiben, sein luxuriöses Ambiente mit livriertem Butler.
Da sich Llosa nicht mehr wehren kann, drischt Benini ungeniert auf ihn ein:
«Während des (zweiten, R.Z.) Interviews benutzte Vargas Llosa oft wortwörtlich identische Formulierungen und sogar ganze Sätze wie 16 Jahre zuvor. (Ich hatte Teile des damaligen Gesprächs als Vorbereitung nochmals abgehört). Offensichtlich griff er beim Reden auf – freundlich formuliert – sehr konsolidierte Versatzstücke zurück.
Vor allem aber war er auch argumentativ in den 1990er-Jahren stehen geblieben: Dieselbe ungeteilte Begeisterung für die Globalisierung, derselbe Fortschrittsoptimismus, derselbe Glaube, dass die freie Marktwirtschaft unweigerlich auch zu gesellschaftlicher Liberalisierung und politischer Demokratisierung führen müsse.»
Um als Schlusspointe zum tödlichen Streich anzusetzen:
«Mario Vargas Llosa war ein distinguierter Mann und ein grosser Schriftsteller. Aber ein drittes Mal hätte ich ihn nicht interviewen wollen.»
Wahrscheinlich hätte ein drittes Interview auch niemand mehr lesen wollen.
Nun ist es den Bauchnabelbetrachtern des modernen Elendsjournalismus unbenommen, auch den Tod eines grossen Schriftstellers an ihren eigenen, mediokren Erlebnissen mit ihm zu spiegeln. Offensichtlich war Llosa durch die Fragen nicht sonderlich animiert, sondern spulte sein Tonband für «muss halt PR für mein Werk machen, auch wenn’s weh tut und langweilt» runter.
Hätte Benini nicht den grössten Teil seiner 6000 A Nachruf auf die Beschreibung von Nebensächlichkeiten verwendet (was die Anekdote, dass Márquez 10’000 Dollar für eine Stunde Interview wollte, hier zu suchen hat?), hätte man vielleicht etwas mehr über die Ansichten von Llosa erfahren.
Aber schon im Titelzitat schimmert die Egoshooter-Perspektive des Autors durch. Dass Llosa mit «zornigem Lachen» Unsinn gerufen habe, hält Benini für berichtenswert. Ob der Schriftsteller vielleicht auch noch das eine oder andere Argument hatte, um diesen Ausruf zu untermauern – das liegt bereits ausserhalb der Egoblase von Benini.
Gut, dass Llosa dieses Stück Schmierenjournalismus nicht mehr erleben musste.
Bitterli dissertiert zu Leckerli. Passt irgendwie…
Und dissertiert man dann doch nicht, so disst man wenigstens…
Der Zusammenhang zwischen Blähhals des Journalisten und Blödheit desselben ist bis dato trotz zahlloser übler Beispiele unerforscht und bleibt also ebenso rätselhaft wie unappetitlich. Würde ich zum Thema dissertieren, so basierend auf der These, dass das den Blähhals verursachende Wohlleben beim Konsum von Leckerli und Alkohol dem gnadenlosen Opportunismus geschuldet ist, der die Mittel dafür garantiert.
Hä? What?