Ganz billige Nummer
Tamedia macht eine Leserumfrage. Mit Gutscheinen!
Früher, ja früher, da haben Zeitungsverlage für Leserumfragen noch Geld in die Hand genommen. Denn gelegentlich fällt es den Redaktionen auf, dass der Inhalt des Organs nicht durch die Gemütslage, die Bauchnabelschau oder die Weltsicht der Journalisten bestimmt werden sollte.
Sondern dass es hier eigentlich um eine bezahlte Dienstleistung geht. Nämlich die Vermittlung von nach professionellen Kriterien aufbereiteten Nachrichten. Samt Auswahl, Gewichtung, Analyse, Hintergründe. Das geht allerdings nur zu oft vergessen, wenn der Schreiber mal wieder auf dem Kriegspfad gegen Trump, für mehr Inklusion, gegen Sexismus und Diskriminierung und zu andere weltbewegende Themen unterwegs ist.
Dabei missbraucht er gerne seine Plattform als Abführmittel für eigene Wehwehchen, Boboli, für sein Unwohlsein über dies und das und vor allem für seinen grossen Frust, dass niemand auf ihn hört, obwohl er doch die Lösung für (fast) alle Probleme der Welt parat hätte.
Irgendwann fällt es dann jemandem auf, wahrscheinlich beim Blick auf die schrumpfenden Abozahlen und die abbröckelnde Leserschaft, dass man sich vielleicht mal nach deren Bedürfnissen erkundigen könnte. Wie macht man das, wenn man’s billig haben will?
Genau, mit einer leicht zu manipulierenden Online-Umfrage. Ganze zehn Minuten will da Tamedia seinen Lesern stehlen:
«Wie nutzen Sie digitale Nachrichten? Welche Formate wünschen Sie sich? Helfen Sie uns, unsere Angebote besser auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen.
Die Umfrage dauert rund 10 Minuten und enthält Audio- und Video-Beispiele. Stellen Sie bitte sicher, dass Sie beim Ausfüllen der Umfrage die Möglichkeit haben, diese Audio- und Video-Beispiele zu hören.»
Falls das nicht sichergestellt werden kann, macht nix: man kann ja auch eine Meinung haben, ohne zu wissen, um was es eigentlich geht. So entstehen doch auch die meisten Kommentare bei Tamedia.
Aber immerhin, man muss ja schliesslich einen Preis ausloben, um die Leser in Scharen dazu zu motivieren, an der Umfrage teilzunehmen. Da Redaktionen immer noch mit Gratismustern, Gratisreisen, Gratiskosmetik, Gratis-Probefahrten und so weiter überschüttet werden, könnte man da einen netten Strauss von Guetzli ausloben.
Aber doch nicht im modernen Elendsjournalismus:
«Unter allen Teilnehmenden verlosen wir zwei Coop-Gutscheine im Wert von je 100 Franken!»
Man wagt es tatsächlich, dieses blamable Schmürzelangebot zu fetten und mit einem Ausrufezeichen zu versehen. Man muss aber der Gerechtigkeit halber sagen: es hätte auch nur ein einziger Gutschein sein können, da wäre also noch Luft nach unten gewesen.
Ich glaube, der Tagi braucht keine Umfrage. Die Abonnenten sind mittlerweile wirklich auf dieses kleine Häufchen zusammengeschmolzen, das die Nabelschau und Geistesblitze der ABC-Tagi-Schützen lesen will. Das sieht man mittlerweile am Kommentar-Einheitsbrei (oder ist das der rigiden Zensur geschuldet). So oder so – vergebene Liebesmüh.
Wer für sein «Produkt» Umfragen oder die unsäglichen Bewertungen braucht, hat frei nach Lagerfeld die Kontrolle über sein Leben verloren. Bei Tamedia, für was haben die eine hochbezahlte Geschäftsleitung, wenn die Kundenbedürfnisse scheinbar unbekannt sind…
Das mit den Gutscheinen hat etwa das Niveau von Kaffeefahrten Verkaufsveranstaltungen.
Ich finde den Tagi noch unterirdischer als den Blick (man fragt sich wie das möglich ist). Inhaltslos wie dieser, aber stets untermalt mit besserwisserischen Gesinnungsgeschwafel.
Naja, wenn es mit den Gratis-Bratwürsten bei der Impfung funktioniert hat…
Immerhin besteht bei 2 Gutscheinen eine Gewinnmöglicheit von 50%. Mehr als vier nehmen wohl nicht teil an dieser Ausfragung.
Ich habe immer schon vermutet, dass Leute, die fix im Prozentrechnen sind, einen sehr sehr eingeschränkten Humor haben.
Der Behauptungshumor: Ich behaupte eine Tatsache und behaupte gleichzeitig, dass diese lustig sei. Zum Beispiel diese Witze: Obama ist ein Muselmann. Putin ist totkrank. Grüne sind die intellektuelle Avantgarde.
Bitter.
Dumm.
Und das war’s dann mit dem bilateralen Meinungsaustausch.