Kedves ganz nackt

Reingefallen, sie schreibt über nackte Wahrheiten.

Alexandra Kedves meldet sich selten zu Wort. Aber wenn, dann zu bedeutenden Themen. Wir müssen hier das Objekt ihrer, nun ja, Aufmerksamkeit, züchtig beschneiden.

«Fast nackt bei den Grammys: Warum tut Kanye Wests Frau das?» Da möchte man als strammer Feminist einwenden: hat die keinen eigenen Namen? Wird sie so nicht von der Autorin zum Anhängsel schon im Titel degradiert? Herrscht hier nackter Sexismus?

Bei diesem Rätsel möchte Kedves auf jeden Fall nicht gerne allein sein: «Das fragt sich die ganze Welt.» Ganz ehrlich, ZACKBUM gehört offenbar nicht zu dieser Welt. Aber während die sich noch fragt, hat sie bereits eine Antwort: «Eines steht fest: Glücklich wirkt Bianca Censori dabei nicht

Woran merkt man das? Wie wirkt eine Frau glücklich, wenn sie in einem Hauch von Nichts, dazu freizügig ausgeschnitten, kurz bei den Grammy Awards auftaucht? Auf jeden Fall hat sich Kedves in alle anzüglichen Details vertieft: man bekäme «alles gezeigt: die fülligen Brüste mit den grossen Vorhöfen ebenso wie die totalrasierte Scham. Die Bildagentur warnte denn auch: «image contains nudity».»

Aber wenn es um die Beantwortung der letzten Fragen der Menschheit geht, lässt sich eine mutige Redaktorin davon nicht abschrecken. Denn sie ist sich das gewohnt: «In der Sommerbadi beispielsweise kann man dreiviertelblutter Körper in allen Farben und Formen ansichtig werden, das ist kein Ding. Und doch.»

Und doch? «Ist das extreme Freiheit oder extreme Gefangenschaft – ist Censori versklavt von Schönheitsidealen, dem männlichen Blick? Der «New Yorker» widmete Censoris Nacktheit im letzten Sommer einen ganzen Essay, ohne das Rätsel zu lösen.» Um hier die Pointe vorwegzunehmen: woran der New Yorker scheiterte, da versagt auch Kedves.

Sie hat leider auch keine Antworten, nur Fragen: «Braucht Ye so einen Auftritt seiner Gemahlin wie andere den baumelnden Porsche-Schlüssel in der Hand? Oder braucht sie das, um sich an ihrem perfekten Body zu berauschen? Sind das überhaupt die richtigen Fragen

Vor allem die letzte ist sehr tiefsinnig. Wenn’s die falschen sind, wieso stellt sie die denn? Und sind es die richtigen, wieso zweifelt sie dann?

Auf jeden Fall gibt es natürlich jede Menge vergleichbare Fälle. Die kurz hervorblitzende Brust von Janet Jackson, was nun allerdings ein an der Brustwarze herbeigezogener Vergleich ist. Eine Lehrerin, die wegen einer nackten Statue im Kunstunterricht zum Rücktritt gezwungen wurde. Es handelte sich aber um den echt nackten David von Michelangelo. «Nackte Körper können ja auch als lebendige Kunstwerke zelebriert werden oder als Ausdruck von Emanzipation. Blosse Brüste zum Beispiel haben als Protestrequisite Tradition», weiss Kedves noch und beendet damit den Ausflug ins Archiv.

Aber alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Da muss noch eine Schlusspointe her, sozusagen der Po des Artikels: «Wen weibliche Perfektion triggert, sollte lieber wegschauen. Bei anderen (auch bei mir) stellt sich freilich, bei aller frustrierten Selbstreflexion vor dem Spiegel, am Ende vor allem ein Gefühl ein: Mitleid.»

Hui, da wurde es Kedves aber – wegen des Blicks in den Spiegel? – ganz blümerant. Abgesehen davon, dass man im Fall Censori das mit der weiblichen Perfektion so oder so sehen kann: wieso sollte der wegschauen (oder die oder everybody beyond), den das triggert? Schliesslich könnte man ja nur vom Hinschauen genervt werden. Oder so.

Und was soll hier der Einblick in Kedves Innenleben? «Frustrierte Selbstreflexion», möchte sie tatsächlich auch so aussehen? Und woher kommt dann das Mitleid? Für eine arme, reiche, nackte Frau? Wäre das nicht vorhanden, wenn Censori dazu ein Gesicht wie ein Vamp gemacht hätte?

Aber Kedves weiss auch hinter die Nacktheit zu schauen: «Man spekulierte schon über ihre allenfalls angeschlagene Psyche und die eventuell toxische Beziehung zwischen den beiden.» Oh je, könnte das also in Wirklichkeit der Ausdruck einer Störung sein?

Auf jeden Fall ist es ein weiterer Beitrag vom 5000 A des Tagi zur Reihe Hut und Porträt, oder in nackten Worten: Leserverarsche.

 

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