The Future

Im Vergleich zu den anderen Produkten aus dem Haus Tamedia gibt es einen King.

Gut, es ist unverdientes Schwein, dass «20 Minuten» nicht in die Hände einer publizistischen Leiter nach unten und einer Hobby-Verlegerin aus dem Lifestylebereich gefallen ist, die in ihrem unsäglichen Tun von einer inkompetenten Führungscrew unterstützt werden, bei deren Auswahl Geschlecht wichtiger als Eignung war.

Aber auf der anderen Seite ist «20 Minuten» wohl die Zukunft des Journalismus im Hause Tamedia – wenn es die denn noch gibt.

Das Erfolgsrezept ist eigentlich ganz einfach und lässt sich an den Fingern zweier Hände aufzählen:

  1. Gratis. «20 Minuten» verlangt von seinen Konsumenten keinen Eintritt. Weil die bereits mit Attention und im Internet mit ihren persönlichen Daten bezahlen.
  2. Kein Kommentar. «20 Minuten» verzichtet konsequent auf die Lieblingsbeschäftigung ach so vieler frustrierter Gesinnungsjournalisten: es wird berichtet, nicht kommentiert. Auch nicht gefärbt, ideologisiert oder mit Spin. Soweit das halt möglich ist.
  3. Das Angebot wird stetig weiterentwickelt, dabei werden alle modernen Formen wie Video, Interaktivität, Rankings, Faktenchecks oder Rubriken wie #wirsinddiezukunft ausgenützt.
  4. Es wird sowohl Internationales, Nationales wie auch Lokales gepflegt. Es gibt keine Quatsch-Rubriken wie «Dry January und Veganuary», sondern «Community», «Nahostkonflikt», «Krypto» oder «Ukraine».
  5. Es wird konsequent nach Leserinteressen gewichtet; wenn gerade der Feuersturm über LA das Thema ist, dann stehen zuoberst Storys darüber. Und nicht etwa das Meinungsstück des Tages wie bei Tamedia.
  6. Das Online-Layout ist so aufgeräumt wie im Print. Keine blödsinnigen AD-Fürze wie beim verunglückten Redesign von Tamedia, nach dem sich der schuldige AD schleunigst nach Berlin abseilte. Sondern Form follows function, übersichtlich, gute Platzausnützung, die Navigation mit einer Menüleiste oben und links ist vorbildlich aufgeräumt.
  7. Leserführung. «Wichtigste News», «Meistgeschaute Videos»,«Unterhaltung», wenn die Redaktion etwas «empfiehlt», dann sind das keine Egofürze, sondern möglichst massentaugliche Vorschläge.
  8. Auch leichte Themen haben ihren Platz. «Body & Soul», «Eat & Drink», «Fashion», «Reisen», «Beauty». Und schliesslich Wettbewerbe und Gratis Online-Spiele.
  9. Was fehlt: der Leitartikel des Chefredaktors. Der erhobene Zeigefinger des besorgten Redaktors. Die überhebliche Belehrung des arroganten Weltverbesserers. Das Essay eines Flachdenkers. Die Ratschlage an die Welt. Die Gender-Debatte und die Bedeutung der Inklusion sowie des Kampfes gegen Rechtspopulismus, Rassismus und Faschismus in jeder Form.
  10. Schliesslich sind die Artikel mundgerecht. Das heisst, sie nehmen Rücksicht auf moderne Formen der Attention Span. Und natürlich nimmt die Darstellung im Internet darauf Rücksicht, dass immer mehr Konsumenten die Inhalte auf dem Mäusekino des Smartphones oder höchstens auf dem Tablett visionieren.

Kann doch eigentlich nicht so schwer sein, wird aber im Kopfblattsalat von Tamedia niemals stattfinden. Dort will sich der Dinosaurier einfach gesundschrumpfen. Als ob das etwas nützen würde, nachdem der Meteorit Internet schon vor mehr als 25 Jahren eingeschlagen ist.

«20 Minuten» als Newsplattform und der Verlag Konsumenteninfo (K-Tipp & Co.) beweisen, dass es Rezepte gegen den Untergang gibt. Es ist also kein Naturgesetz, dass Newsmedien zum Abserbeln verurteilt sind. Sie sind es nur dann, wenn sie – um im Bild zu bleiben – wie die Dinosaurier zu kleine Hirne haben.

5 Kommentare
  1. Eveline Maier
    Eveline Maier sagte:

    Aha. Dieser Hansdampf dieses Tamedia-online Relaunches hat sich bereits wieder nach Berlin verabschiedet? Auf seiner Website kann sich der Abgehobene nicht genug loben für seinen verunglückten Dienst. Die Unübersichtlichkeit und die schwache Leserführung bleiben zurück; auch die Scrollitis (verwandt mit der Scrollose) als Preis für seinen eitlen Gestaltungsfurz. Ein Relaunch dieses Relaunches dürfte bald folgen. Durch Schaden wird man im publizistischen Leitungsteam bestimmt klug.

    https://thomasweyres.de/

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    • Rolf Karrer
      Rolf Karrer sagte:

      Alleine verantwortlich für diesen verunglückten Relaunch ist die publizistische Leitung der Tamedia. Dem Art Director wurden bestimmt enge Pflöcke gesetzt. Die Ausgestaltung im Dschungel dieses Kopfblattsalates scheint kaum mehr zu bewältigen zu sein. Auch die CH Media hat eine riesige Anzahl von Splitausgaben, bei denen man Schwindelgefühle bekommt. Auch im online-Bereich müssen ständig die regionalen Feinheiten im Auge behalten werden.

      Die NZZ hat es einfacher. Sie kann sich vollumfänglich auf ihr Produkt konzentrieren; dies merkt man auch.

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        • Rolf Karrer
          Rolf Karrer sagte:

          Terminus stammt nicht von mir, sondern wohl bestimmt von René Zeyer selber. Habe mir erlaubt, diesen so zu verwenden, weil er wirklich passend ist.

          Vielleicht weiss jemand, ob diese Kopfsalatitis auch in anderen Ländern derart ausgeprägt ist.

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          • E.H.
            E.H. sagte:

            Herr Zeyer verwendet den Ausdruck „Kopfblattsalat“ im Zusammenhang mit Tamedia schon seit langem, wie auch in diesem Artikel im zweitletzten Absatz. Er stammt also ganz sicher von ihm.

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