Der Zerrspiegel
Neues Jahr, neues Glück? Aber doch nicht beim «Spiegel».
Das muss wohl seinen Grund haben: Die verkaufte Auflage des «Spiegel» sank seit 1998 um über ein Drittel. Oder um rund 385’000 Exemplare. Im Jahr 2000 lag sie bei über einer Million Exemplare, aktuell sind es noch 672’000.
Das ist doch kein Grund, sich grundsätzlich Gedanken zu machen, woran das liegen könnte. Wohlfeile Erklärungen sind sowieso zur Hand: Inserateflaute, Internet, die Welt, das Klima. Die Konzentration auf eine schrumpfende Gesinnungsblase, die man als Resonanzverstärker bedient? Niemals.
Das aktuelle Titelblatt ist symptomatisch. Früher war eine «Spiegel»-Titelgeschichte Anspruch und Ereignis. Heute tut es ein Interview mit dem abtretenden Kinderbuchautor und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Das sinnfreie Zitat unter dem geschmäcklerischen Porträtfoto: «Finger weg von unserer Demokratie, Herr Musk!» Wie der daran rumfingert, wieso er die Finger weglassen sollte und wie Habeck das erreichen möchte? Also wirklich, keine dämlichen Fragen, bitte.
Noch schwindsüchtige 124 Seiten umfasst das Blatt, die zudem schnell überblättert sind. Vor der Heisse-Luft-Orgie mit Habeck wird noch kurz die CSU abgewatscht: «Eine Partei macht sich überflüssig». Das wäre zwar ein guter Titel für die Grünen oder allenfalls die FDP gewesen.
Aber zum Interview, das mit einem Foto Habecks eingeleitet wird, das auch Leni Riefenstahl gefallen hätte. Nordisch kühl vor Wasser in Flensburg, Grau in Grau edel gewandet, der Blick bestimmt, das Haar gut frisiert, der Mund sensibel, der Dreitagebart sitzt. Die Hände in den Hosentaschen, das hebt die Schultern, die hochgekrempelten Ärmel trotz Kälte signalisieren Macherqualitäten.
Dass Habeck auch Primadonna ist, beweist er nicht nur mit seiner Flut von Beleidigungsklagen. Dem «Spiegel» muss er auch leicht auf den Zeiger gegangen sein, wenn der als Titelzitat zum Interview stellt: «Ich kann mit einigen Ihrer Fragen nicht viel anfangen». Der Leser mit den meisten Antworten wohl auch nicht. Aber 36’634 A wollen durchgestanden sein, obwohl sie auch aus der «Republik» stammen könnten.
Während früher «Spiegel»-Fragen auch mal Schweissausbrüche auslösten, weil sie so präzise durch wolkigen Politikertalk stachen, lässt das Blatt nun den Wirtschaftsminister unwidersprochen Selbstlob-Arien singen: «Ich habe in den letzten drei Jahren – zusammen mit den Mitarbeitern im Wirtschaftsministerium – die Energiekrise abgewehrt, Putins Gas ersetzt, Energiewende und Klimaschutz auf Kurs gebracht, Verfahren beschleunigt, Unternehmen gerettet und, und, und. Ein Gesetz folgte dem nächsten.»
Wow, offenbar lebt Habeck in einem Paralleluniversum, in dem es der deutschen Wirtschaft blendend geht. Toll ist auch dieser Satz: «Ich arbeite jeden Tag daran, die vielen Probleme gerade der deutschen Leitindustrien abzufedern»; ob es eine Klage auslöst, wenn man dagegenstellt, dass er jeden Tag daran arbeitet, neue Probleme zu schaffen?
Nicht nur die Parteigründer Petra Kelly oder Gerd Bastian, deren Pazifismus eine der Wurzeln der grünen Bewegung ist, rotieren im Grab, wenn sie Habeck fordern hören, dass er 3,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung für die Rüstung ausgeben will: «Wir müssen fast doppelt so viel für unsere Verteidigung ausgeben, damit Putin nicht wagt, uns anzugreifen.» Was im Umkehrschluss bedeutet, dass das Putin sonst täte oder zumindest ernsthaft ins Auge fasste.
Hier verbietet es die Klagewut des Noch-Ministers und Kanzlerkandidaten, das entsprechend zu qualifizieren.
Was hält denn der «Spiegel» sonst noch parat? Nun, wen macht das Blatt wohl unter dem Titel «Der Obertroll» nieder? Richtig geraten, natürlich Elon Musk; da entwickelt sich eine gegenseitige Hassliebe, eindeutig. Im Vorbeilaufen würgt der «Spiegel» auch noch seinem Lieblingsfeind Mathias Döpfner über Seiten eine rein. Interessiert Journalisten ungemein, Leser eher weniger.
Nochmal ein leicht zu lösendes Titelrätsel: «So fängt es an». Thema? Schon wieder richtig geraten, die AfD als stärkste Kraft in Bitterfeld-Wolfen.
Blätter, blätter, blätter. Dann die geradezu Habeck-gute Nachricht: «Kohlestrom auf Rekordtief». Dann kommt die Nummer Chefredaktor fragt: und was haben wir zu Syrien? Betretenes Schweigen. Chefredaktor läuft rötlich an: das kann’s ja wohl nicht sein. Reporter und Fotograf spurten los und bringen eine nette Bildergeschichte aus Damaskus mit: «Einige Zufallsbesuche mit unerwarteten Ergebnissen». So stellt man sich Weltklassejournalismus vor.
Rührend dann die Herzschmerz-Story «Tod eines Rennpferds». Tja, dann mal Nachrufe, Personalien, Briefe und – herbeigesehnt , die «Letzte Seite». Immer noch mit dem «Hohlspiegel» samt merkwürdigen Scherzchen. Der inzwischen in einem Zerrspiegel erscheint.
Ein Schatten seiner selbst. Erblindet, verschattet, verblödet. Verständlich, dass selbst Bill Gates ihn nicht mehr finanziell unterstützt. Verständlich, dass viele Menschen den Montag immer noch für den «Spiegel»-Tag halten. Weil sich nicht mitgekriegt haben, dass er seit geraumer Zeit am Freitag erscheint.
Im Radio sagt man gerne: das versendet sich. Beim «Spiegel» wäre es: das überblättert sich.
Der „Spiegel“ ist nur noch ein langweiliges Sprachrohr der rot-grün-woken Gesinnungsblase. Journalismus für antifaschistische Klimakleber und solche die es werden wollen.