«Unfassbar»

Die Bachelorette is back.

Patrik Müller, der ansonsten zurechnungsfähige Oberchefredaktor bei CH Media, hat es in ein gültiges Wort gefasst: «unfassbar». Allerdings meinte er es leider nicht so, wie es angebracht gewesen wäre.

Die Bachelorette der Politik hat es geschafft, wieder von null auf hundert zu kommen. Oder auf fast 90 Treffer in der Mediendatenbank seit Samstag. Obwohl sich die Sonntagspresse vornehm zurückhält; abgesehen von einem etwas verunglückten Beitrag von Alain Zucker in der NZZaS: «Was Sanija Ameti von Donald Trump lernen könnte». Was das genau wäre, enthüllt Zucker allerdings nicht. Und in der Reihe seiner Beispiele von gefallenen Politikern fehlt der wohl allergrösste Heuchler der Schweiz: der stramm katholische («heilige Werte der Ehe») Ex-CVP-Präsident Christophe Darbellay.

Der kam sogar mit einem Seitensprung mit Nachwuchs und einer nicht wirklich gut auf ihn zu sprechenden Seitensprungmutter davon. Damit sei er im katholischen Wallis wohl erledigt, vermuteten wir. Völlig falsch, er wurde problemlos zum Staatsrat gewählt.

«Strategie Kniefall», nennt das Zucker. Verblüffend ist hingegen, dass niemand, wirklich keiner auf die vielen Widersprüche in der tränen- und rührseligen Geschichte der Dame hinweist – ausser ZACKBUM. Wir tun’s gerne nochmal und erläutern die Bestandteile dieser Räuberpistole.

  • Nicht die Dame selbst hat die Fotos geknipst. Also kann sie sie auch nicht von Schmerz überwältigt selbst beim Hinausstürzen gepostet haben.
  • «Ich konnte den Schmerz nicht alleine tragen und wollte ihn abschalten. Und wusste offenbar nicht anderswo hin damit, als es zu posten.» Den Schmerz? Der sie bei Schiessübungen plötzlich überfallen hat? Weg damit ins Internet? Wie lachhaft ist das denn? Wie kann man dem widerspruchslos lauschen?
  • «Aber ich schwamm da in einem Meer des Schmerzes, der Kopf war … nicht mehr da. Ich war nicht fähig, irgendetwas zu überlegen, ich konnte nur noch tun. Das Handy war da, und so tat ich, was ich mit etwas Überlegen nie getan hätte.» Und derjenige, der die Fotos geknipst hatte, war nicht in der Lage, mit dem Handy in der Hand die Dame davon abzuhalten?
  • Der Tod des Bruders: «Ich habe es ein Leben lang verdrängt. Im Nachgang zu jenem Abend begriff ich, welche Dimension das hat. Ich habe mir dann professionelle Begleitung geholt.» Die Dimension tauchte bei Schiessübungen auf ein Marienbildnis auf, echt jetzt? Und wenn sie das schon als unglaubwürdige Entschuldigung (oder «Kontextualisierung») nimmt, dann möchte man auf die Frage «wann geschah der tragische Tod ihres Bruders?» schon eine genauere Antwort als «in den 90er-Jahren, aber ich möchte nicht darüber sprechen». Die Dame wurde 1992 geboren …
  • «Ich bezeichnete mich in den Medien mehrfach als Atheistin, wenn ich danach gefragt wurde. Ich habe eine muslimische Herkunft, aber ich bin Atheistin.» Sie bezeichnete sich in den Medien auch schon als Muslima. Als ZACKBUM sie fragte, was es denn nun sein dürfe, schwieg sie.
  • Sie machte auch schon mit der Behauptung Schlagzeilen, dass sie bis zu 100 Hassmails am Tag bekomme. Als ZACKBUM bat, doch eine anonymsierte Auswahl zu zeigen, schwieg sie.
  • Sie stellt munter weiter wilde Behauptungen auf: «Ich solle «verschwinden», hiess es öffentlich. Das war eine orchestrierte Hetze, die einem Manual der Identitären Bewegung folgte.» Wow, ein Manual der «Identitären Bewegung». Ob sie das zufällig zur Hand hat?
  • «Sich allein zu fühlen, bricht einen Menschen. Ich hätte all das nicht durchgehalten, wenn mir nicht meine Freunde, Verbündete in der Partei und bei der Operation Libero – und so unglaublich viele Fremde – geschrieben und mich unterstützt hätten. Und wenn nicht Tausende diese Petition unterschrieben hätten. Ich las jeden einzelnen Namen. Meine Familie und mein Umfeld liessen nicht zu, dass ich mich allein fühlte.» Ob die Dame wohl bereit wäre, eine kleine Auswahl dieser Unterstützungsschreiben anonymisiert zur Verfügung zu stellen?
  • «Noch bevor es Medienberichte gab, löschte ich meinen Post, entschuldigte mich und bat um Vergebung.» Das ist im Streubereich der Wahrheit; der Post war auf jeden Fall stundenlang online, bis ZACKBUM anfragte, was es damit auf sich habe – und keine Antwort erhielt.
  • «Beim Anblick des Bildes an der Wand sah ich gar nichts. Ich fühlte nur einen Schmerz. Einen Schmerz, der keinen Anfang und kein Ende kennt. Nach dem Schiessen rannte ich raus. Der Schmerz war immer noch da, irgendwie war er unterbewusst immer da, stärker seit dem Ukraine-Krieg.» Wie können zwei erwachsene Journalisten ohne Gegenwehr einen solchen Stuss anhören? Niemand formuliert so aus dem Stegreif. Das sind alles wohlvorbereitete, überlegte, auf ihre Wirkung hin abgeklopfte Narrative.

Was auch immer mit der Bachelorette der Politik geschehen wird, sie hat die Medien mal wieder um den Finger gewickelt. Tamedia hat sich sogar nicht entblödet, alte, peinlich gestellte Fotos zwecks Illustration seiner Nacherzählung wieder aus dem Archiv zu holen.

Vielleicht war es wirklich ein Fehler von Farner, die Dame zu entlassen. Sie ist ein Naturtalent, eine Wiedergängerin von Tartuffe im 21. Jahrhundert. Um ihre Kunstfertigkeit zu beschreiben, bräuchte es wahrlich einen Molière.

7 Kommentare
    • Simon Ronner
      Simon Ronner sagte:

      Im Sinne dass sie eine eigenständige Persönlichkeit wird? Nein, das wird sie nicht werden können. Nie.

      Jedoch entwickeln sich solche Fake-Persönlichkeiten ähnlich einer KI systematisch weiter. In Verhalten, Auftreten, Kommunizieren werden sie ständig raffinierter, perfider, niederträchtiger, manipulativer. Denn niemand darf dahinterkommen, wie es in diesen Menschen tatsächlich aussieht.

      Der Stuss aus dem Interview und die darin beinahe physisch schmerzhafte Schleimigkeit ist typisch für solche Menschen: Es knarzt, rumpelt, kratzt; es wirkt nicht nur «unecht», es ist es auch. In persönlichen Interaktionen über- oder unterschiessen solche Personen mit Emotionen und Reaktionen, da sie diese aus Mangel an Empathiefähigkeit und der Unmöglichkeit der eigenen Abgleichung vorspielen müssen.

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  1. Petra Hartmann
    Petra Hartmann sagte:

    Lügen haben kurze Beine. Der Geltungsdrang ist bei manchen Menschen unermesslich. Er geht sogar soweit, das ein selbst geschriebenes Buch, mit 5 Sternen kommentiert wird.

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  2. K. Meyer
    K. Meyer sagte:

    „Das Handy war da, und so tat ich, was ich mit etwas Überlegen nie getan hätte.“
    Aha. „Wenn ich vorher gewusst hätte, was da auf mich zukommt, nie getan hätte“ müsste es wohl heissen.

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