Wer hat Angst vor Milei?

Die NZZ zeigt mal wieder, was Journalismus ist.

Der argentinische Präsident Javier Milei? «Bricht mit allen Regeln der Diplomatie, um eine rechtsextreme Internationale aufzubauen» (WoZ), «demonstriert wurde gegen ein umstrittenes Reformpaket der ultraliberalen Regierung» (SRF), «Diese Woche brannten mal wieder die Straßen von Buenos Aires. Dabei trat Argentiniens Präsident Javier Milei vor einem halben Jahr mit dem Versprechen an, das Land zu goldenen Zeiten zurückzuführen» («Süddeutsche Zeitung»).

Lateinamerikas Trump, Kettensägen-Präsident, Ultra-Liberaler, Anarcho-Kapitalist, selbst seine Frisur war Anlass zu launigen Bemerkungen in der Mainstreampresse. Thomas Fuster resümiert in der NZZ: «Noch vor einem Jahr schwankte der europäische Blick auf Javier Milei zwischen Belustigung und Entsetzen.» Wobei doch das Entsetzen überwog.

Denn das Problem war und ist: sollte Milei mit seiner Radikalkur gegen alles, was dem woken Gutmenschen lieb und teuer ist, Erfolg haben, dann sind mal wieder alle Illusionen eines solidarischen, sich verschuldenden Sozialstaats in Lateinamerika geplatzt. Die waren in Argentinien selbst für den härtesten Linken schon vorher am Ende. Zu offenkundig korrupt und unfähig richtete der Kirchner-Clan das Land zugrunde. Präsidentin Kirchner versuchte noch vergeblich, mit Kampftiraden gegen Geierfonds zu verhindern, dass Argentinien endlich einmal seinen Versprechungen nachkommen musste, seine Schulden auch wirklich zu bezahlen. Vergeblich, der nächste Staatsbankrott war fällig.

Und nun das, wie Futer Zwischenbilanz nach einem Jahr Milei zieht: «Er hat die Staatsausgaben real um fast einen Drittel gesenkt, die Zahl der Ministerien halbiert, Bürokratie abgebaut und dringend benötigte Devisen zurück ins Land geholt. Mit disziplinierter Finanzpolitik ist es ihm gelungen, dass der Staat wieder Primärüberschüsse ausweist; ohne den Schuldendienst übersteigen die Einnahmen somit die Ausgaben

Es ist eine nötige Rosskur eines Landes, das jahrzehntelang über seine Verhältnisse gelebt hat und dabei gigantische Schuldenberge auftürmte: «Die Reformen beginnen zu greifen, wobei der Bevölkerung grosse Opfer abverlangt werden. Argentinien durchleidet eine schwere Rezession. Die Armutsquote steigt. Und im öffentlichen Sektor, der von den Peronisten zuvor stark aufgebläht worden war, sind schon Zehntausende von Stellen gestrichen worden

Dennoch – oder vielleicht deswegen – ist die Popularität Mileis in der Bevölkerung ungebrochen hoch, zum Leidwesen aller, die in ihm ein politisches Feindbild par excellence sehen. Dazu schreibt Futer richtig:

«Diese Popularität wird oft mit Populismus verwechselt. Doch wenn ein Populist ein Politiker ist, der den Leuten nach dem Mund redet, ihnen das Blaue vom Himmel verspricht und Probleme verharmlost, dann ist Milei der Anti-Populist. Er hat dem Wahlvolk nichts versprochen ausser Blut, Schweiss und Tränen. Er sagt: «No hay plata» – da ist kein Geld. Nach Jahrzehnten der Misswirtschaft gibt es nichts mehr zu verteilen.»

Nicht einmal zu dieser einfachen und logischen Einsicht sind die meisten übrigen Analysten, Lateinamerikaspezialisten und Rechthaber in der Lage, die die Welt so hinschreiben wollen, wie sie ihnen in den Kram passt.

Auch die Gleichsetzung von Trump und Milei ist gugus, hält Futer fest: «Der Argentinier wehrt sich gegen fast alles, was der Amerikaner will: Zölle, Protektionismus, Subventionen für die Industrie. Milei fordert vielmehr Freihandel, Wettbewerb, Austerität. Dass dies kurzfristig unbequemer ist als staatliche Rundumversorgung, verheimlicht er nicht.»

Also Operation in vollem Gange, der Patient leidet, stirbt aber nicht. Will man das auf Europa übertragen, dann wäre zum Beispiel im zweitgrössten EU-Staat Frankreich mit seiner gigantischen Staatsverschuldung von über 3,3 Billionen Euro eine ähnliche Rosskur dringend nötig. Oder in Italien. Oder in Griechenland. Oder langsam sogar auch in Deutschland.

Aber das wird nicht geschehen. Vielleicht schon deswegen, weil es an einer charismatischen Figur wie Milei fehlt, der seine Exzentrik durchaus als Propagandawaffe einsetzt.

Aber wer dem Stimmbürger Rentenerhöhungen, mehr Sozialleistungen, Ausbau staatlicher Dienstleistungen und Ähnliches verspricht, das Ganze – wenn er überhaupt davon spricht – über ungehemmtes Schuldenmacher finanzieren will, der sammelt in Europa immer noch mehr Wählerstimmen als einer, der bittere Wahrheiten verkündet.

In der Schweiz hält ein SP-Co-Präsident eine 12-Millionen-Schweiz für «machbar», ist stolz über das Bodigen des Ausbaus der Infratstruktur, schimpft über Singapur, ohne von dem Stadtstaat die geringste Ahnung zu haben, und fantasiert, dass die Schweiz doch die Schuldenbremse über Bord werfen könnte und sich doppelt so hoch wie aktuell verschulden, damit seien dann fast alle Probleme gelöst.

Höchstwahrscheinlich sind also Traumtänzer wie Cédric Wermuth eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, weil sie ungedeckte Checks auf Kosten der nächsten Generationen einlösen wollen. Und Liberale wie Milei ein Hoffnungsschimmer.

Auch das muss nicht so sein; ein Jahr ist eine zu kurze Zeit, um zu beurteilen, ob er mit seiner Radikalkur Erfolg haben wird – oder ob er mit Schimpf und Schande von einer gequälten Bevölkerung aus dem Amt gejagt wird. Das eigentliche Trauerspiel ist aber mal wieder die Berichterstattung über ihn, die dem Leser null Nahrung gibt, um sich selbst ein Bild über die Politik und die Erfolge Mileis zu machen. Daher ein dickes Lob an Futer und die NZZ.

 

 

4 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Es soll kein NZZ-Reflex sein, aber etwas mehr Vorsicht zur Lobeshymne auf das Lobby-Blatt und Herr Futers ‹Analyse› wäre angebracht.

    Argumentation:
    «No hay plata» – da ist kein Geld. Nach Jahrzehnten der Misswirtschaft gibt es nichts mehr zu verteilen.»
    Doch doch, verteilt wird weiterhin heftig, jetzt halt zum Teil wieder aus Überschüssen: UMVERTEILT.
    Im Falle Argentiniens von der Schicht jener, die noch etwas hatten, hin zu immer mehr, die gar nichts mehr haben.
    Dito, Frankreich ……. ‹Oder in Italien. Oder in Griechenland. Oder langsam sogar auch in Deutschland.›
    Alle auf dem gleichen Weg hin zu: …… und ihr werdet glücklich sein.

    Das ist auch kein Votum für die Schuldenwirtschaft der alles-allen-Versprecher vorher:
    die Verschuldung von Volkswirtschaften (Ländern) ist die Falle und Handschrift der kalten Kriegsführung durch Ökonomie. Mit ‹Zucker› abhängig, gefügig und zu Sklaven machen.

    Ob Trump, Milei und jede andere Pest oder Cholera Wahl: hinschauen, wer mit welchen ‹Schmuddelkindern› spielt, dann ist die Befürchtung gross, wo die Reise hin geht.
    Das hat rein gar nichts mit ‹Kontaktschuld›, aber viel mit nüchterner Betrachtung zu tun – wir leben in Zeiten, wo fast jedes Etikett schamlos in orwellscher Voraussicht pervetiert wird.

    In diesem Sinne wird FJ Degenhardt verzeihen, wenn ich seine ehrenwerten Schmuddelkinder als Bezeichnung orwellsch missbrauche. Denn man muss heutzutage vorsichtig sein, Verbrecher und Schweine so zu benennen, wie sie sich aufführen.
    Sonst kommt die Justiz und sorgt für deren Recht und Ordnung.

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  2. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Extreme können offenbar nur durch Extreme gestoppt werden. Darum wird das
    Elend wohl nie enden.
    Eine 12-Millionen-Schweiz wäre natürlich gar kein Problem. Jährliche
    Mietzinssteigerungen von 10% und 20% für die KraKaprämien wären
    für die Arbeitnehmenden durchaus verkraftbar!

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  3. Hug Rolf
    Hug Rolf sagte:

    Dieser Artikel zeigt schonungslos auf, warum die Lügenpresse von Tages-Anzeiger, Republik, Blick (Liste nicht vollständig) so im Niedergang ist. Weil sie konsequent die Realität verweigern. Und mit ihnen ihre Höflinge, all die Wermuths, Glättlis Funicellos und Konsorten, die weder etwas von Arbeiten noch von Wirtschaft verstehen; das einzige was die können ist Geld verteilen, dass andere verdient haben, und neue Schulden machen. Die Rosskur in Argentinien ist dringend nötig, und das einzige Heilmittel zur Gesundung des Landes; bleibt zu hoffen für das Volk, dass sich die Erfolge bald zeigen.

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