Ach, du liebe NZZ

Immer wieder Glanzlichter in diesem Schattental namens Journalismus.

Wir gestehen: ZACKBUM mag Botho Strauss nicht wirklich. Sein «Anschwellender Bocksgesang» hatte zwar einen tollen Titel, aber der Inhalt war zu sehr Blut-und-Boden-Geschwurbel. Auch sein dichterisches Werk erscheint uns zerquält, gewunden, ohne rechten Lustgewinn zu lesen.

Aber dann schreibt Roman Bucheli eine Würdigung zum 80. Geburtstag von Strauss (der im Übrigen in der «Kulturredaktion» des Qualitätskonzerns Tamedia völlig unbekannt sein dürfte), die einen sogar fast dazu verleitet, doch wieder Strauss zu lesen. So gut ist die.

Bucheli schwingt sich beschwingt in Strauss hinein und kommt mit ziemlich luziden Erkenntnissen wieder heraus:

«Das Ganze nämlich, eine in sich geschlossene und sich selbst genügende Welt, wie sie der Roman vorstellt, ist Botho Strauss längst suspekt geworden. Er sieht, wenn er in die Welt schaut, zwar auch das Zusammenhängende. Vor allem aber sieht er Bruchstücke. Überreste eines vormals Ganzen, die sich nicht mehr zueinanderfügen. Doch im Fragment schlummert eine Erinnerung an das Ganze, so bleibt dieses gegenwärtig, selbst im Zustand der Zerstörung.»

Zu eben diesem runden Wiegenfest ist eine neue Sammlung von, nun ja, Bruchstücken von Strauss erschienen: «Das Schattengetuschel». 230 Seiten für leicht unverschämte Fr. 38.90, die Versuchung ist da, es dennoch zu kaufen und vielleicht sogar zu lesen.

Denn Bucheli macht einem schon etwas den Mund wässrig:

«Botho Strauss hat nie verhehlt, dass er die Gegenwart als eine Verfallsgeschichte betrachtet. Der Mensch ist ein spätes Wesen in der Evolution und zugleich eines der unvollkommensten. Über viele Jahre und viele Theaterstücke hinweg hat Botho Strauss diese rätselhaft unbeholfenen Figuren auf die Bühne gebracht. Heute, da dieser melancholische Rebell achtzig Jahre alt wird, bündelt er seine Beobachtungen im Bestiarium der Menschenwesen zu ungeschliffenen Bruchstücken von herber Schönheit. Doch die Schärfe der Gedanken hat nichts an Brisanz eingebüsst.»

Was soll man dazu mehr sagen als: so soll ein Feuilleton sein. Aber dafür hat Tamedia ja Nora Zukker, die mit einer zweitklassigen Schriftstellerindarstellerin im Friedhof Prosecco schlürft.

Die NZZ hat zudem noch Guido Kalberer, der durchaus auf Flughöhe Peter Sloterdijk ist. Der Mann ist nun in der Lage, aus dem Stand anhand des Einschlagens eines Nagels in die Wand ein kulturhistorisches Essay zu verfassen, dass Bögen von den alten Griechen über die Aufklärer, die Strukturalisten, die Poststrukturalisten plus Prisen von Habermas, Derrida und Althusser spannt.

Sloterdijk war im Frühling zu Vorlesungen ans Collège de France eingeladen. Das ist eine grosse Ehre, von einer grossen Institution ausgesprochen, die ihre Geschichte bis 1530 zurückverfolgen kann. Sein Wahlspruch lautet «docet omnia», es lehrt alles.

Selbst Sloterdijk zeigte sich beeindruckt von dieser Einladung und wusste, dass er hier noch mehr brillieren muss als sonst schon. Kein Problem für den Mann: «Was ist Europa anderes als ein Klub aus Nachfolgern gedemütigter Imperien?» Was für ein Paukenschlag als Einleitung zu seinen Vorlesungen.

Natürlich kann Sloterdijk das unterfüttern: «Der Schriftsteller unter den deutschen Philosophen beschreibt die wechselvolle Geschichte Europas wie ein Theaterstück, das nach seiner Uraufführung im Römischen Reich zahlreiche Reinszenierungen erlebte: Der Traum antiker Grösse führte die Nationalstaaten zuerst zu ungeahnter Grösse, dann zumeist in die Tragödie. Der Untergang des Imperium Romanum wurde so vor wechselndem Bühnenbild mehrmals zur Aufführung gebracht», schreibt Kalberer.

Und tanzt mit Sloterdijk durch dessen Erkenntnisräume: Was Michel Foucault als «dire vrai sur soi-même» beschreibt, meint eine Offenlegung mit einer ausgeprägten Tendenz zur Selbstkritik: Bekenntnisse sind Geständnisse. Die «Selbstentblössungsliteratur», die in Europa heute weit verbreitet ist, wendet Sloterdijk in den letzten zwei Vorlesungen ins Politische: Der «autobiografische Kontinent» neige vor lauter Selbstbespiegelung und -befragung dazu, sich selbst zu marginalisieren und aus dem Spiel zu nehmen.»

Da bekommt Sloterdijk plötzlich eine schneidende Schärfe und seziert das, was in allen woken Gutmenschenumgebungen im Schwang ist, aber eigentlich zutiefst verächtlich. Dafür findet Sloterdijk die passenden Worte, die Kalberer genüsslich wiedergibt:

«Die ‹postkolonialen Studien›», schreibt Sloterdijk, «bilden die jüngste Metastase des von der religiösen Geständniskultur präformierten Geistes der europäischen Selbstkritik». Der «Amoklauf der Selbstbezichtigung», eine Folge des historisch gewachsenen Geständniszwanges, sei Wasser auf die Mühlen der Diktatoren. Für viele westliche Intellektuelle, insbesondere radikale Linke, die ins Lager des globalen Südens übergelaufen seien, sei «der Zivilisationsverrat das Gebot der Stunde».

Wunderbar und wahr. «Der Kontinent ohne Eigenschaften» heisst die Verschriftlichung dieser Vorlesungen, in Anspielung an den Mann ohne Eigenschaften von Musil (das war, aber lassen wir das). Knapp 300 Seiten, die man wohl lesen muss.

Man könnte der NZZ direkt böse sein, dass sie dermassen viele zusätzliche Werke auf den sowieso schon nicht kleinen Bücherturm legt, der der Beachtung harrt. Aber solange die NZZ noch so ein Feuilleton pflegt, seien ihr alle Häslers und sogar die NZZaS verziehen.

1 Antwort
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Ob das ein Botho oder Sloterdijk auch so sehen, im gleichen Schlamm mit Häsler&Co?
    Klar, die fragt man nicht danach und Bucheli und Kalberer müssen wohl auch Miete&Krankenkasse zahlen.

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