Verborgene Perle

Per Zufall ist ZACKBUM auf ein Juwel von Text gestossen.

Auch eine Restaurantkritik kann zu einem funkelnden Diamanten geschliffen werden. Wenn man’s kann und nicht gerade Nutella in einer Schokoladentarte vermutet.

Dabei hat Katharina Bracher ganz anderes durchgestanden. Ein solches Erlebnis launig durchzustehen und dem Leser als Leckerbissen zu servieren, das ist gekonnt:

«Wir, das sind sechs Autorinnen und Bloggerinnen, die von einem Reiseanbieter in ein sterbendes Dorf an der Westküste Grönlands gekarrt wurden. Hier serviert eine 2-Michelin-Sterne-Gastwirtschaft ein Stück Walhaut in Form und Grösse eines Spielwürfels.»

Man muss zugeben, auch das Leben eines Restaurantkritikers hat nicht nur schöne Seiten: «Den tranigen Geschmack in meinem Mund spüle ich mit einem Schluck kostbaren Champagner aus dem 18 Flugstunden entfernten Frankreich.» Offensichtlich ist es hier einem Restaurant am, Pardon, Arsch der Welt gelungen, die kulinarische Version von des Kaisers neue Kleider aufzuführen, denn es hat doch tatsächlich zwei Michelin-Sterne und einen lausigen Service: «Wir warten vor leeren Champagnergläsern, als vierzig Minuten später der zweite Gang kommt.»

Allerdings hebt der auch nicht gerade die Stimmung: «Vor mir steht ein Schüsselchen, in dem ein briefmarkengrosses Stück Fisch schwimmt. Es ist ein roher Kapelan mit silbriger Haut, daneben Pfützen aus fermentierten Stachelbeeren, die sich von einer Salzlake absetzen. Den Atem anhaltend, kaue ich auf der zähen Haut herum und schlucke. Brot gibt es immer noch keines. Der Würgereflex treibt mir die Tränen in die Augen.»

Nun kommt offenbar jeder weitere Gang, oder sollte man Gängchen sagen, mit Weinbegleitung, was durchaus beachtliche Folgen hat:

«Irgendwann verstummen die Gespräche. Eine der Frauen legt ihren Kopf auf der Tischplatte ab und atmet geräuschvoll ein und aus. Ich setze mit einem Magengrummeln einen Akzent in der Stille. Es ist jetzt nach Mitternacht. Der Höhepunkt des Abends ist schon Stunden her: ein blutrotes Club-Sandwichlein aus hauchdünnem Rentierspeck, darin steckte der ganze Flügel eines Schneehuhns: Das Gericht sah aus wie die Überreste einer überfahrenen Möwe.»

Eigentlich will die Autorin aufstehen und dieser Qual ein Ende machen, aber: «Genau in diesem Moment serviert die Bedienung einen Mundvoll geschmorten Moschusochsen mit geräuchertem Knochenmark auf einem Löffelchen Rhabarbermatsch. Ich bin zu betrunken, um zu fragen, ob Rhabarber auf Permafrostboden gedeiht

Natürlich, die Schlusspointe ist vorhersehbar, «lehne ich mich an die Brüstung vor dem Klippenrand und gebe dem Meer sein Fett zurück».

Das ist nun kein Text, der irgend ein Problem der Welt löst. Vielleicht nicht einmal das Phänomen, das absurd Abgelegenes und Verschrobenes im dekadenten Journizirkus seine Liebhaber findet, die sich nicht trauen, so herrlich entlarvend darüber zu schreiben wie Bracher. Allerdings läuft sie damit das Risiko, nie mehr zu solchen kulinarischen Höhepunkten eingeladen zu werden. Aber es ist zu vermuten, dass sie das verschmerzen kann. Obwohl wir Leser dann nicht mehr in den Genuss einer so witzigen Beschreibung von Ungeniessbarem kommen.

4 Kommentare
  1. peter weilharter
    peter weilharter sagte:

    Beim lesen des artikels fiel mir ausser der gekonnten beschreibung der «leckerbissen» vor allem der umgang der dortigen geschäftsträger mit zu klein gewordenen gemeinwesen ins auge.

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