Lest einfach ein paar gute Bücher
ZACKBUM hat vorgelegt, die NZZaS hat versagt, ZACKBUM legt nach.
Während die Bücherbeilage der NZZaS das Niveau tiefergelegt hat (es fehlte eigentlich nur die Erwähnung von lustigen Heftchen aus Entenhausen oder das Werk einer mit ihrer Geschichte seit Jahren durch die Medien tingelnden Geschändeten), sollen hier noch einige Bücher empfohlen werden, mit denen man wirklich (mit oder ohne Schnee) geruhsame Lesestunden verbringen kann.
Steht natürlich nicht auf der NZZaS-Liste, ist aber ein herausragendes historisches Buch. Dem Autor David Grann gelingt es, die unglaubliche Geschichte eines englischen Flottenverbands so nah wie möglich an der Wirklichkeit nachzuerzählen. «Eine wahre Geschichte von Schiffbruch, Mord und Meuterei», lautet der Untertitel. Was hier Menschen ausgehalten haben, bis 1742 30 Überlebende des königlichen Eroberungsschiffes «Wager» an der brasilianischen Küste landen; nach einer Odyssee in einer Nussschale über mehr als 2000 km, das ist einfach unglaublich. Dann werden noch 3 Überlebende an Chiles Küste angeschwemmt, die ebenfalls nach einer unglaublichen Reise von einer unwirtlichen Insel als Letzte davongekommen sind. Kälte, Hunger, Entbehrungen, harte Hierarchie, Meuterei, dann sogar noch ein Prozess in England, das sprengt alles die menschliche Vorstellungskraft und wird nüchtern, flüssig lesbar erzählt.
Oder wie wäre es mit noch einem James Ellroy: «Die Rothaarige. Die suche nach dem Mörder meiner Mutter».
Dieses Verbrechen von 1958 war die Keimzelle, der Beginn der Schriftstellerkarriere des wohl bedeutendsten zeitgenössischen Krimiautors («Die schwarze Dahlie», «Ein amerikanischer Thriller», «Blut will fliessen», «L.A. Confidential», «Ein amerikanischer Alptraum»). Dokumentation und Fiktion, niemand benützt diese Mischung so virtuos wie er, dazu seine treibende, brutale Sprache, der schwarze Zynismus eines enttäuschten Moralisten. Keine friedlichen Weihnachtsgeschichten, aber echte «page turner», wie man das auf Englisch nennt.
Sie wollen auch etwas unterhaltsame Bildung? Unbedingt, dann müssen Sie zu Philipp Blom greifen.
Die Herrschaft der Vernunft, ist das wirklich der Weg aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit? Oder gibt es nicht auch den Alptraum der Vernunft, die Angst vor «der intellektuellen Hybris derer, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnen und deren Namen sich wie eine breite Blutspur durch die Geschichte ziehen». «Gefangen im Panoptikum», ein grossartiges Buch, so aktuell wie 2017, als es erschien. Und wer von Blom (der allerdings auch Schwächeanfälle hat) nicht genug bekommt, unbedingt noch «Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung» lesen und an Denis Diderot, den so schmerzlich unterschätzten Aufklärer und Philosophen, erinnert werden. 400 Seiten, die sich unbedingt lohnen. Genauso wie die beiden Bände «Der taumelnde Kontinent, Europa 1900 – 1914» und «Die zerrissenen Jahre, 1918 – 1938». Panoramen, mitreissend, kenntnisreich geschrieben, die Mosaiksteine fügen sich zusammen wie in einem Puzzle, man wird bestens unterhalten und belehrt.
Oder, wenn wir schon bei diesem Zivilisationsbruch sind, durch den Ersten Weltkrieg verlor die Aufklärung und Europa endgültig ihre Unschuld; vielleicht nicht ganz auf dem Niveau von Blom, aber als Kaleidoskop fast nicht zu übertreffen:
Ein Jahr, von Florian Illies in Scheiben geschnitten seziert und als überbordender Lesespass dargeboten, als «1913. Der Sommer des Jahrhunderts». Lesespass, das Stichwort für Charles Lewinsky, der sich gerade gegen idiotische Vorwürfe wehren muss, einige dicke Schinken vorlegte, aber mit «Rauch und Schall» uns ein wunderbares Juwel von Buch schenkte.
Der grosse Dichterfürst Goethe hat plötzlich eine Schreibblockade (und Hämorrhoiden), damit beginnt der moderne Schelmenroman über das Schreiben und die Schwierigkeiten dabei. Hier bedauert man, dass die unaufdringlich gebildete Unterhaltung nach 296 Seiten zu Ende ist, was man bei den 944 Seiten «Melnitz» nicht unbedingt sagen kann.
Montaigne (1533 – 1592) ist auch so ein Denker und Schriftsteller, dessen Bedeutung gerne unterschätzt wird, der – ausser in seinen Aphorismen – nicht ganz für voll genommen wird als Philosoph. Ein Irrtum, beweist Volker Reinhardt.
«Philosophie in Zeiten des Krieges», treffender kann ein Untertitel kaum sein, auch heute noch kann man viel von Montaigne lernen, der distanziert sich und die Welt betrachtete und eine beeindruckende Fähigkeit entwickelte, die Dinge «plötzlich von ganz anderer Seite» zu betrachten. Eine Eigenschaft, die heutzutage immer mehr Mitmenschen abgeht.
Für Putin-Versteher, solche, die es werden wollen, aber auch für Putin-Hasser sei ein Buch empfohlen, das so vieles erklärt, was bis heute die sowjetische, die russische Politik, ihre Machthaber, ihr Denken prägt. Es ist natürlich die Oktoberrevolution von 1917 und der anschliessende grausame Bürgerkrieg bis 1921, in dem beide Seiten, die Revolutionäre und die Konterrevolutionäre, mit unglaublicher, äusserster Brutalität vorgingen. Da wurden im wahrsten Sinne des Wortes keine Gefangenen gemacht, mit unmenschlicher Fantasie Todesarten ausgedacht und angewendet, mit der brutalen Grausamkeit aufeinander eingeschlagen, die es selbst im Zarenreich so nicht gegeben hatte. Antony Beevor versucht sich an einer Gesamtschau der Ereignisse. Sie wurden schon unzählige Male dargestellt, aber noch nie so erhellend wie hier. Man darf sich vom ungeheuerlich umfangreichen Personal der handelnden Figuren nicht abschrecken lassen; viele Namen muss man sich nicht merken.
Allerdings ist auch das ein Wälzer für eher lange Winterabende mit seinen 668 Seiten:
Und noch zwei kleine Wunderwerke als Absackerchen.
Wer meint, Bildbetrachtungen seien nun so was von öde, wird das nach der Lektüre von Patricia Görg nie mehr denken. Elf kleine Wunderwerke über bekannte und weniger bekannte Bilder, denen die Autorin Tiefe, Erkenntnis und Durchdringung angedeihen lässt, die den Leser beglückt und bereichert zurücklassen. Und Urs Hafners längst überfällige Biographie über Karl Bürkli (ja, der mit dem Bürkliplatz). Patrizier, Frühsozialist, Ideengeber für Coop und Zürcher Kantonalbank, Weltreisender nach Texas und Nicaragua, Befürworter des Frauenstimmrechts und Kneipenwirt. Man staunt, dass die Schweiz im vorletzten Jahrhundert (Bürkli lebte von 1823 bis 1901) solche Charakterköpfe hervorgebracht hat.
Das wäre mal eine kleine Auswahl von wirklich lesenswerten Büchern.
Lieber René Zeyer,
Ich bedanke mich für diese Empfehlungen.
Und frage mich, wie Sie das alles bewerkstellen.
It looks like you’re working day and night.
Bless you.
Vielen Dank für die Buchempfehlungen 🙂
Der Bürkliplatz in Zürich hat seinen Namen vom ehemaligen Stadtingenieur Arnold Bürkli.
Dass Sie sehr fleissig sind, gut und viel schreiben können, komplizierte Sachverhalte einfach erklären, eine Meinung haben und alleine eine Zeitung herausgeben könnten, das alles wissen die Zackbum-Leser. (Eigentlich schade, die Zeit für Pressekritik zu vergeuden; die werden eh nie mehr besser!)
Dass Sie dazu noch die Zeit finden, auch noch so viel und vielseitig zu lesen, unglaublich! Sie müssen eine tolle ubd verständnisvolle Partnerin haben…
It’s hard to believe.
Hope Zeyer gets something back for this important work.