Tamedia recherchiert im Schnee

Das ist mal knallharter Newsjournalismus.

Es hat geschneit. In der Schweiz. Auch in Zürich. Wahnsinn. Die Qualitätsmedien überschlagen sich mit Meldungen: «Es hat geschneit». Fast 300 Treffer in der Mediendatenbank SMD am Freitagmorgen.

Der Tagi beschränkt sich auf vier Storys. Für funktionale Analphabeten: «Die besten Bilder zum Wintereinbruch». Die übliche Meldung: «Flughafen Zürich: Zahlreiche annullierte Flüge in Kloten» (für Leser, die nicht wissen, wo der Flughafen ist).

Dann die Portion Geeiertes: «rekordverdächtig», bollert der Titel, «neuer Rekord aber fraglich», relativiert der Text. Dann staatstragend: «Erster Schnee in weiten Teilen des Mittellandes sorgt für Verzögerungen». Echt jetzt? In Bern, Basel und Zürich brach der ÖV zusammen, die SBB kämpften mit Verspätungen und Ausfällen, Anschlüsse wurden verpasst, im Flughafenbahnhof Zürich (dort in Kloten) sassen Passagiere eine halbe Stunde im stehenden Zug, ohne Informationen, wie «Inside Paradeplatz» schreibt.

Der Finanzblog trocknet mal wieder mit seiner Berichterstattung zu einem ihm nicht gerade naheliegenden Thema die Qualitätsmedien ab. Der «Blick» ist immerhin einigermassen auf der Höhe und greift erzieherisch ein:

Sogar die NZZ übt staatstragend leise Kritik:

Nur der Tagi säuselt etwas von einem rekordverdächtigen, aber doch nicht rekordträchtigen «Wintereinbruch». Dabei müsste man doch klar sagen: es war angekündigt, dass es am Donnerstag ganz hübsch zu schneien beginnen wird. Natürlich sind die Strassenverkehrsämter nicht in der Lage, jede einzelne Schneeflocke einzufangen, bevor sie den Boden erreicht.

Aber ein wenig Vorbereitung? Damit Zehntausende von ÖV-Benützern wenigstens wissen, dass sie nach der Arbeit nach Hause laufen dürfen? Durchsagen und Informationen, die etwas mit der Realität zu tun haben? Das Räumen von Strecken und Strassen, wo der ÖV jedes Mal Mühe hat, wenn es schneit? Zu verhindern versuchen, dass ab Donnerstagnachmittag auf der A1 zwischen Zürich und Bern durchgehend Stau herrschte?

Wenn Büne Huber auf der Bühne einen Spruch auspackt, dann geht ein gnadenloser Recherchierjournalist einem Problem nach, das keines ist. Wenn die Schweiz beim Phänomen Schneefall halb zusammenbricht, dann ist das Tamedia keine Zeile wert. Oder einfach ein paar trockene Informationen.

Dabei interessiert den Leser das Lalü Lala einer wild gewordenen Sprachpolizei genau null. Die Beeinträchtigung des ÖV und seine Fortbewegung hingegen sehr. Eine prima Gelegenheit (die aber nicht mal der zahnlose «Blick» benützt), um sich über Sesselfurzer aufzuregen, kritische Fragen zu stellen, auszuschwärmen und Passanten zu fragen, wer den weitesten Heimweg zu Fuss hatte. Einen Schneeräumer bei der Arbeit begleiten. Tipps für Velofahrer geben. Meinetwegen auch sein Erstaunen äussern, dass die Klimaerwärmung mal wieder versagt hat.

Dazu äussert sich der Tagi dann ausführlich: «Ebenso gibt es derzeit in den Modellen der Klimaforscher keine Anzeichen einer plötzlichen stratosphärischen Erwärmung. Das ist ein atmosphärisches Phänomen vor allem im Winter, das den Polarwirbel aus der Bahn wirft und schwächt – mit möglichen Folgen für das Wetter in unseren Breiten. Es kann dann zu extremen Kälteeinbrüchen kommen.» Und weiter: «Ein Grund ist der Polarwirbel, der sich jedes Jahr im Herbst von neuem aufbaut, wenn im Winterhalbjahr immer weniger Sonnenlicht die Polarregion erreicht. Er dreht in einer Höhe von rund 20 bis 50 Kilometern in der Stratosphäre im Gegenuhrzeigersinn, angetrieben durch die Temperatur- und Druckdifferenz zwischen dem hohen Norden und den mittleren Breiten, die im Winter am grössten ist.»

Solches Meteorologen-Gewäsch interessiert den Leser natürlich ungemein, der vielleicht gerne wissen möchte, worauf er sich am Freitag einzustellen hatte. Aber immerhin, gegen Mittag, nachdem die Redaktion soweit wach ist, interviewt einer tatsächlich einen Lokführer. Wahnsinn. Aber nein, das wäre zu viel der Arbeit. Er schreibt einfach ab, was ein Lokführer auf Reddit gepostet hat. das ist Qualitätsjournalismus at its best.

Beim Schreiben an den Leser denken, das ist eine Fähigkeit, die bei Tamedia weitgehend verloren ging. Nicht erst im Schneetreiben.

2 Kommentare
  1. Guido Kirschke
    Guido Kirschke sagte:

    Das Versagen des Schneeräumdienstes des Kt. Zürich ist einfach nicht akzeptabel. Die Gemeinden waren vielfach schneller und auch noch gründlicher mir ihrer Räumung unterwegs. Es ist ja nicht so, dass es sich hier um einen Blizzard gehandelt hätte, sondern es war Tage im voraus bereits bekannt, dass es bis in die Niederungen schneien wird und das nicht zu knapp.

    Ein weiteres Problem waren viele unvorbereitete Autofahrer, die sich offenbar auf Sommerreifen und den Kt. Schneedienst verlassen haben. Auch einige Postautobetreiber haben sich offenbar diese Taktik zu eigen gemacht.

    Kein Wort darüber von den Qualitätspressenden.

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  2. C. Rickenbacher
    C. Rickenbacher sagte:

    Hätten sich vielleicht besser ein paar Linien gezogen. (Können Schnee von Schnee doch nicht unterschneiden.) Dann wäre vielleicht sogar etwas Inspiration entstanden…

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