Im Ernst jetzt?

Der Leser braucht psychologische Beratung, um mit Trump fertigzuwerden.

Es gibt Journalisten, die sehen Dunkelheit, die Rückkehr der Macht der alten Männer, den Faschismus, gar das Ende der Welt (wie wir sie kennen). Sie haben rabenschwarze Visionen, für sie gilt der gute Satz vom Elder Statesman Helmut Schmidt: Wer in der Politik Visionen hat, sollte zum Arzt.

Aber sie können sich immerhin auf Kosten ihrer Leser ausagieren, schreiben als Therapie. Schrecklich, und dafür gibt es nicht mal Schmerzensgeld, wenn man diesen Schrott lesen muss.

Diese Doomsday-Propheten denken dann doch auch an ihre Leser und nehmen an, dass die genauso «schockiert, verzweifelt, ratlos» sind wie sie selbst. Ein typischer Fall von Übertragung. Also bieten sie aller Orten Psychologen auf, die wohlmeinende Ratschläge geben. Das ist eigentlich schon überall passiert, vom «Spiegel» aufwärts und abwärts.

Mit der gehörigen verschnarchten Verspätung klappert nun auch noch Tamedia hinterher: «Die Psychologin Sabina Pedroli erläutert, was Menschen mit krankhafter Angst umtreibt. Und ob die Wahl Donald Trumps eine Depression auslösen kann.»

Therapie-Spezialist Sandro Benini stellt stellvertretend für den angegangenen Leser einfühlsame Fragen: «Frau Pedroli, könnte der Sieg Donald Trumps jemanden im klinischen Sinn in eine Depression stürzen?» Bevor der ZACKBUM-Leser an den Fingernägeln knabbert oder eine Sonderration von Aufhellern einwirft, es gibt Entwarnung:

«Zumindest in der Schweiz ist das eher unwahrscheinlich, weil hier niemand lebt, der sich beispielsweise durch angekündigte Ausschaffungen bedroht fühlen könnte. Einige meiner Patientinnen haben zwar erwähnt, dass ihnen Trumps Wahlsieg Sorgen bereite oder dieser sie wütend mache. Insofern könnte das Ereignis etwa eine bereits bestehende Depression verstärken.»

Allerdings, so sind Fachpsychologen halt, nur teilweise. Denn nicht alle haben volle Auftragsbücher, und wann kann man schon mal so ungehemmt Werbung in eigener Sache machen: «Das Weltgeschehen kann Gefühle wie Hilflosigkeit, Angst oder Ohnmacht provozieren, und in den letzten Jahren höre ich dies von meinen Patientinnen und Patienten deutlich häufiger als früher.»

Dann gleitet das Gespräch doch etwas in Fachkauderwelsch ab: «... beeinflussbare und nicht beeinflussbare Stressoren … erlernte Hilflosigkeit … Konzept der Selbstwirksamkeit … es gibt Leute, die vulnerabler sind als andere … generalisierten Angststörung …»

Die Antwort auf die Frage, was man denn gegen «quälende Weltangst» tun könne, ist allerdings fatal für den Fragenden und sein Medium: ein schnell wirksames Mittel bestehe darin, «den Medienkonsum einzuschränken». Allerdings entgeht einem dadurch der ganze Spass, wenn sich intellektuell Minderbemittelte in holpriger Sprache selbst zum Deppen machen.

Schliesslich gibt die Psychologin einen weiteren Ratschlag, dem sich (fast) die ganze Tamedia-Redaktion konsequent verweigert:

«Eine weitere therapeutische Massnahme besteht darin, das Gespräch mit anderen Leuten zu suchen, um aus der eigenen Blase herauszukommen und die eigenen Gedanken an der Realität zu messen. Die Überprüfung der eigenen Kognition ist ein wichtiger Bestandteil einer Verhaltenstherapie

Allerdings ist das Aussprechen eines Schreibverbots nicht gerade ein Zeichen, das hier Anlass für Optimismus gibt.

Man könnte nun eine ganze Latte von Tamedia-Redaktoren (generisches Maskulin) aufführen, die diese therapeutische Massnahme dringend nötig hätten. Da wäre doch mal Qualitätspapst Simon Bärtschi, die mütterliche Überchefredaktorin Raphaela Birrer oder gar mindestens der Avatar von Jessica Peppel-Schulz gefragt. Aber wo sind diese Führungskräfte, wenn man sie mal bräuchte. Vielleicht schon selbst in Therapie, nach dem vernichtenden Echo auf das grosse Rausschmeissen zur Qualitätssicherung und das völlig verunglückte Online-Redesign, nach dem sich der Verursacher blitzschnell wieder nach Berlin abseilte.

Aber, in dem Sinn ist das Interview durchaus lesenswert, allerdings nicht unbedingt für Leser, sondern für Redaktoren, die Psychologin beschreibt noch eine weitere Verhaltensweise, die typisch für viele Tamedia-Schreiber ist: «Eskapismus bedeutet, sich bewusst aus der Wirklichkeit auszuklinken, um in eine andere Welt einzutauchen und sich dort mit anderem zu beschäftigen. Eskapismus kann nützlich sein, wenn er bewusst und moderat als Auszeit und zur Selbstfürsorge genutzt wird.»

Den zweiten Teil beherzigen aber die Schreibkräfte von Tamedia nicht. Sie entblössen sich hemmungslos vor den Augen ihrer Leser, sofern die nicht schamvoll den Blick abwenden und sich die richtige Antwort auf die Frage geben, ob sie für diese selbsttherapeutische Nabelschau auch noch etwas bezahlen sollten.

In diesem Fall hier, denn diese Lebenshilfe ist hinter der Bezahlschranke versteckt, ist es doch gut, dass der Tamedia-Angestellte (noch) ein Gratisabo online hat. Nur: einen weiteren Aspekt seines Krankheitsbildes erwähnt die Psychologin nicht: rechthaberische Beratungsresistenz.

3 Kommentare
  1. Mathias Wyss
    Mathias Wyss sagte:

    Medien wie der Tagi, Juso und Grüne leiden unter dem Peter-Pan-Syndrom. Echte Beratung brauchen jetzt die Tesla-Fahrer: Wie werde ich mein Musk-Vehikel los? Diese Hilfe kann keine Therapeutin bieten.

    Antworten
  2. Peter Bitterli
    Peter Bitterli sagte:

    Wenn in Heinrich von Kleists Dramen und Erzählungen eine Figur sich mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass ihre ideale oder traumatische Vorstellung von der Wirklichkeit nicht mit dieser übereinstimmt, fällt sie ohnmächtig platt zu Boden. Das berühmteste Beispiel ist das „Ach!“ der Alkmene am Ende des „Amphytrion“. Nennen wir nur noch die Marquise von O., nachdem sich ihr Retter als ihr Vergewaltiger herausgestellt hat.
    Die Journaille erlebt gerade ihren Kleist-Moment als Massenphänomen. Die Kleistschen Figuren befinden sich meist in einem Prozess der Selbstermächtigung dank innerer Heilungskräfte. Die Journaille ist wegen der intellektuellen Untauglichkeit ihrer Vertreter und der allgemeinen Niedertracht der Gattung dazu unfähig.

    Antworten
  3. K. Meyer
    K. Meyer sagte:

    Wer das einfältige Geschreibsel des Tagi gesundheitlich einigermassen unbeschadet übersteht, braucht sich um seine mentale Resilienz keine Sorgen zu machen.

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert