Fauler Zahlenzauber

Wie viele Entlassungen gibt es nun bei Tamedia?

Es ist sicherlich der heikelste und sensibelste Aspekt der verunglückten neuen Strategie, die eine sichtlich überforderte CEO Jessica Peppel-Schulz zusammen mt der publizistischen Leiter nach unten Simon Bärtschi ausgeheckt hat.

Überforderung zeigt sich häufig in Ruppigkeit. So erfuhren die Redaktoren des «Züritipp» zeitgleich mit der Öffentlichkeit, dass ihr Magazin – entgegen anderslautenden Behauptungen – eingestellt wird.

Während inzwischen mehr als 300 Kommentarschreiber gegen das verunglückte Redesign toben (form follows function, schrieb einer ironisch, Weissraum steht für Inhaltsleere), hat es keiner der Entscheidungsträger bislang über sich gebracht, dazu etwas zu sagen. Offensichtlich gilt das Prinzip von Supino abwärts: Augen zu und durch, die regen sich dann schon wieder ab.

Abr zum wahren Tollhaus wird die Übung durch den Zahlensalat, wie viele Kündigungen es denn nun gibt – und wer über die Klinge springen muss. Letzteres ist immer noch nicht bekannt, also darf jeder Redaktor weiter an den Fingernägeln knabbern.

Zunächst war die Rede von 90 mal Rausschmiss, ein gewaltiger Aderlass, ein wahres Massaker. Bedauerlich, aber unvermeidlich. Dann, Wunder gibt es immer wieder, sei nur 55 mal Feuern nötig. Sozusagen eine gute Nachricht, in Wirklichkeit eine Bankrotterklärung.

Aber die geht noch weiter. 55? Ach was, April, April im Oktober, es seien dann nur ganze 17 Vollzeitstellen. Das sind noch rund 16 Prozent der ursprünglichen Zahl. Ein Desaster.

Nun muss auch diese Zahl korrigiert werden: «Wie sich auf Nachfrage der WOZ nun herausstellt, ist dies nicht korrekt. Tatsächlich streicht Tamedia 17 Vollzeitstellen, die Anzahl der Kündigungen ist mit 25 deutlich höher.»

Zudem fährt das Blatt fort: «Offenkundig sehen viele Journalist:innen auf den Redaktionen von Tamedia – darunter gerade hochqualifizierte, wie mehrere Quellen unabhängig voneinander bestätigen – keine erträgliche Perspektive mehr im Unternehmen. Die Unsicherheit in der Belegschaft sei riesig. Die Geschäftsleitung will das nicht wahrhaben.»

Besonders bemängelt wird der schnoddrige Umgangston, eine zynische Begriffswahl und völlig abgehobene Aussagen der CEO wie: «Das Interesse am angebotenen Freiwilligenprogramm und die Solidarität haben uns überwältigt.»

In Wirklichkeit, wie auch ZACKBUM aus verschiedenen Quellen weiss, teilt sich die Redaktion schlichtweg in zwei Gruppen. Die eine, die noch Chancen auf dem freien Markt sieht und nix wie weg will. Und die andere, die sich keine Hoffnung macht und unbedingt auf ihrem Stuhl sitzenbleiben will. Beide Gruppen sind völlig demotiviert und versuchen, mit Dienst nach Vorschrift über die Runden zu kommen. Und ja nicht aufzufallen.

So traut sich auch intern keiner, das verunglückte Redesign, gegen das der Leser Sturm läuft, auch nur leise zu kritisieren. Dabei ist es offenkundig, dass es unbrauchbarer Schrott ist. Eine misslungene Kopie der NZZ, hergestellt von Inkompetenten, umgesetzt von Programmierern, die einfach Anordnungen ausführen – und begleitet von so vielen Chefs und Häuptlingen und ahnungslosen Wichtigtuern, dass kein strukturiertes Arbeiten möglich war.

Fast 40 Nasen sollen an diesem Absturz beteiligt gewesen sein. Das bedeutet: keiner ist schuld, keiner fühlt sich verantwortlich, für jeden gilt: SOS, save your own ass.

Dementsprechend ist auch das Dargebotene im Kopfblättersalat. Tragisch dabei, dass Tamedia immer noch mehr als eine Million Leser damit quält. Oder wie heisst es so schön im Slogan: «Tamedia. Mehr als die nächste Schlagzeile.» Das ist leider wahr.

 

1 Antwort
  1. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    CEO Jessica Peppel-Schulz überfordert? Bestimmt nicht, sie hat Supinos Werk vollendet. Supino hat dem Tages-Anzeiger die finanzielle Grundlage entzogen, Peppel hat den Journalismus eingedampft und Bärtschi der Nachtwächter muss zur vollen Stunde immer «Qualitätsjournalismus schreien!

    Positives von Turi Rutishauser. Der Unterbezahlte durfte mit Unterstützung von Nature Team Pakistan besuchen: «Luxus im Zelt, die Regierung im Schlepptau und die Berge vor Augen». Wahrscheinlich Dank dafür das der Tages-Anzeiger immer wieder überteuerte Reisen von Nature Team bewirbt.

    Gut das Bärtschi nicht «unabhängiger Qualitätsjournalismus» schreit und Rutishauser sollte sich genau überlegen wenn er über Beeinflussung von Dritten schreibt!

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