Stimme der Vernunft

Eingestanden: es tut manchmal einfach gut, die NZZ zu lesen.

Gleichzeitig ist es so verblüffend wie beelendend, wie viele Meinungsträger sich zum Dokumentarfilm «Russians at War» äussern, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben. Mit dem hirnrissigen Argument: muss ich gar nicht, das ist von Moskau bezahlte prorussische Propaganda.

Andreas Scheiner von der NZZ hat den Film, der dem Zürcher Publikum vorenthalten wurde, offenbar gesehen. Und stellt ruhig ein paar Dinge richtig:

«Der Film, der mit französischem und kanadischem Geld entstanden ist, ist keine Putin-PR. Auch wenn die kanadischrussische Regisseurin, Anastasia Trofimowa, bis 2020 für den Propagandasender Russia Today gearbeitet hat. Für dessen Dokumentarfilm-Abteilung war sie als Kriegsreporterin in Kongo, im Irak und in Syrien. «Russians at War» zeigt nun Russlands Krieg. In all seiner unsäglichen Sinnlosigkeit. Der Film ist erschütternd. Nichts daran ist glamourös, von der Stimmungsmache einer Leni Riefenstahl ist Trofimowa weit entfernt. Als Rekrutierungsvideo taugt «Russians at War» schon gar nicht. Etliche der Protagonisten, denen man im Verlauf von 129 Minuten begegnet, sind am Ende verstümmelt oder tot.»

Damit erfüllt Scheiner schon mal die Grundvoraussetzung von seriösem Journalismus. Er schreibt über etwas, das er kennt. Er hat auch für alle Schreihälse mögliche Banal-Recherchen gemacht, wie die, mit welchen Geldern der Film finanziert wurde.

Auch der Frage, inwieweit das russische Militär informiert oder gar einverstanden war, weicht Scheiner nicht aus:

«Die Männer sind Kanonenfutter. Als sie an die Front gerufen werden, rückt Trofimowa mit ihnen vor. Laut eigener Aussage ist sie ohne Genehmigung unterwegs. Vor dem Krieg war die kanadischrussische Regisseurin auch für amerikanische Netzwerke tätig, belieferte diese teilweise mit regimekritischem Material. Wie man hört, ging sie dabei recht weit. Während manche Beobachter ihre Version anzweifeln, hält es ein Journalist, der ihr seinerzeit begegnet ist, für plausibel, dass sie sich ohne Bewilligung an die Front vorgewagt habe. Angeblich sieben Monate verbringt Anastasia Trofimowa im Gefecht. Vor allem mit einer kleinen Gruppe von Sanitätern scheint sie unterwegs gewesen zu sein. Unter ihnen auch zwei Frauen. Ihr Tun blieb vom Regime kaum unbeobachtet. Wer sich monatelang bei den Truppen aufhält, wird registriert. Aber womöglich stellten sich die Überwacher einen anderen Film vor. Trofimowa zeigt den Krieg ungeschönt. Militärisch machen die Russen einen schlampigen Eindruck, alles wirkt unübersichtlich, unkoordiniert

Nun können Schlaumeier natürlich behaupten, das bedeute, dass es sich hier um eine besonders raffinierte Form von subversiver russischer Propaganda handle. Aber natürlich spart Scheiner auch nicht an Kritik. Trofimova stelle den Krieg als fatalistisches Ereignis dar, an dem niemand Schuld trägt.

Scheiner bemüht sich unaufgeregt um eine gerechte Darstellung: «Aber Anastasia Trofimowa ist keine Putin-Versteherin. In Interviews hat die Regisseurin, die Russland nach dem Dreh verlassen hat, den Krieg klar verurteilt. Auch an den russischen Kriegsverbrechen hegt sie keine Zweifel. Sie sieht sich als Anti-Kriegs-Reporterin. Ihr Anliegen ist es, zu zeigen, dass Krieg überall Verheerung anrichtet. Dass auch russische Soldaten Menschen, mehr noch: Opfer sind. Daran ist nichts falsch.»

Soweit eine aus all dem Schweigen und Geheule herausragende Einordnung. Aber auch mit dem Zurich Zensur Festival geht Scheiner kritisch um, wobei er einleitend erwähnt, dass es der NZZ gehört, aber völlig unabhängig von ihr operiert. Könnte man sich vorstellen, dass Tamedia, CH Media oder Ringier so mit einem eigenen Anlass umgingen?

«Bei aller Sympathie für das kriegsversehrte Land: Wenn es zutrifft, dass von ukrainischen Akteuren eine Schweizer Kulturveranstaltung mit Gewaltandrohungen gegängelt wurde, muss das diskutiert werden. Dann muss sich auch das Zurich Film Festival, das sich gerne als Hüterin gegen die Cancel-Culture bezeichnet (Polanski, Winnetou), wehren. Vielleicht wäre das Beste, was dem Festival jetzt passieren könnte, ein mutiger Jury-Entscheid.»

Zu diesem mutigen Entscheid (der Artikel wurde am Tag vor den Preisverleihungen publiziert) kam es dann nicht, der Dokumentarfilm, obwohl im Wettbewerb, erhielt keine Auszeichnung.

Aber dieser Artikel verdient Lob und Auszeichnung. Er verkörpert all das, was die NZZ nicht mehr immer, aber immer noch oft genug von allen anderen deutschsprachigen Organen unterscheidet. Der Autor weiss, worüber er schreibt. Der Autor wägt ab und schildert, ohne zu verurteilen. Wenn er urteilt, tut er das fundiert und faktenbasiert. Und schliesslich tut er all das ohne Rücksicht auf Verluste, denn dem Festival-Chef Christian Jungen dürfte dieser Artikel im Organ des Besitzers des Festivals überhaupt nicht gefallen haben. Vor allem, da die übrigen Medien den Zensurskandal totschweigen.

Also tut ZACKBUM ausdrücklich, was wir vielleicht zu selten tun: Applaus, Chapeau, anerkennendes Kopfwackeln und Note sechs.

10 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Nix gegen Lob
    und schon gar nix dagegen, wenn’s bei all Ihrer Trauerarbeit auch mal was gibt, was Ihnen gut tut.
    Wünschte Ihnen und der Schweiz mehr davon.

    Aber ‹Stimme der Vernunft› (ich versteh sehr gut, dass Sie damit den Herrn Scheiner loben), das ist ganz genau dieser Anstrich, den sich dieses Blatt hart und etwas kostspielig leistet.
    Damit sie dann voll Rohr für Krieg, für’s Kapital, gegen alle Vernunft feuern können, wenn sie uns Idioten wieder ins Feuer treiben müssen.
    Funktioniert seit es gut kapitalisierte Zeitungen gibt
    und neustens kommt noch zwangs-subventioniertes TV dazu.

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  2. Petra Hartmann
    Petra Hartmann sagte:

    Leseempfehlung: ZOV der verbotene Bericht

    Seite 181: In unserem Land wurde die Armee ruiniert. Die meisten Menschen, die in diesem System Einfluss, Geld und Macht haben, schicken ihre Kinder nicht zum Militär. Und wenn Eltern ihre Kinder nicht zum Militär schicken wollen, dann steht es schlecht darum. Es kommt mir sehr verdächtig vor, dass unsere Streitkräfte so planmäßig zerstört wurden, während man der Bevölkerung im Fernsehen das Gegenteil verkündet. Gleichzeitig versucht man uns einzubläuen, dass unser größten Feinde die NATO und die Ukraine sind. Und am Ende, als man die Armee komplett zerstört hatte, fing man einen Krieg an.

    Selbst wenn wir irgendwann, nach vielen Schlachten die gesamte Ukraine einnehmen würden – was, zum Teufel, wollen wir mit ihr? Und wie viele Millionen Menschenleben wollen wir dafür vernichten? Und wie bitterarm wird unser Land dann sein?

    https://www.blick.ch/ausland/vom-aggressor-zum-verraeter-das-drama-eines-russischen-elitesoldaten-id18330546.html

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  3. Beth Sager
    Beth Sager sagte:

    Hoffe sehr Herr Zeyer, ihr Applaus gilt auch nächste Woche ……..Smile.

    Die NZZ hat sich als einzige Schweizer Zeitung positiv weiterentwickelt. Jahr für Jahr. Auch die Filiale in Deutschland wird offenbar auch dort sehr geschätzt. Der kürzliche Ausbau der dortigen Redaktion als Beweis. Das weltweite Korrespondentennetz der NZZ vertrauenswürdiger als etwa dasjenige des süddeutschen Tagesanzeigers.

    Die Finanzstruktur der NZZ echt transparent. Die am OTC-X gehandelte Aktie Neue Zürcher Zeitung,Valor 12651797 geht heute zu einem Kurs von CHF 5060.- . Anzahl der liberierten Aktien sind 40000 Stück; Kapitalisierung 200 Mio CHF

    Würde mir eine solche vertrauensbildende Transparenz auch bei der Weltwoche wünschen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Publikation wohl bloss dank schönen Zuwendungen aus dem Triangle Herrliberg, Moskau und Lugano existieren kann.

    Käuflicher Journalismus ist des Teufels!

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    • Mario Sacco
      Mario Sacco sagte:

      Verleger Roger Köppel sollte sich ein Vorbild nehmen an der REPUBLIK. Hier ist alles transparent und überprüfbar. Keine arglistige Geheimniskrämerei. Mit seiner Auflage von 40000 bezahlten Abos bei der WELTWOCHE und dazu mit kargen Werbeeinnahmen, kann man nicht einmal die Lohnkosten zahlen

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      • René Zeyer
        René Zeyer sagte:

        Nun ja. Die entscheidende Frage, wie viele von den rund 27’000 Abonnenten Vollzahler sind, beantwortet die furchtbar transparente «Republik» aber nicht. Ebenso wenig, wieso genau sie sich von ihrem Starreporter trennte. Oder wieso sich Roger de Weck so rasant als VR-Präsident verabschiedete. Oder wieso Christof Moser, Gründer, weggemobbt wurde. Usw.

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      • Mathias Wyss
        Mathias Wyss sagte:

        Herr Sacco, mit Verlaub, ein Taschenrechner würde Ihnen helfen. 40’000 x 300 (um es einfach zu machen; das Jahresabo kostet 346) ergibt mind. 12 Mio. Fr. Also bedeutend mehr, als die WeWo-Löhne ausmachen können. Bei viel weniger Lohnempfängern als bei der Republik. Hinzu kommen die Werbeeinnahmen aus Print und Online.

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    • René Küng
      René Küng sagte:

      Käuflicher Journalismus?
      Wo kommen denn die 200 Mio Kapitalisierung der NZZ her.
      Zufall, dass diese so schamlos der Rüstungsindustrie zuschaufelt, wenn die Heerscharen verfeuert werden?
      Ansonsten dem business, den Chefs, dem Aktienkapital zudienen, in den etwas ruhigeren Zwischenphasen.

      Könnte üppig finanzierter Journalismus auch des Teufels sein?
      Das etwas liberale, kritische, schöngeistige Décors einfach gutes Marketing, um die entscheidenden Kernbotschaften besser verkaufen zu können wenn’s drauf ankommt?

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      • Oliver Keel
        Oliver Keel sagte:

        Es sind Namen-Aktien bei der NZZ. Alles transparent. Keine undurchsichtigen Gelder aus beispielsweise dem Umfeld von RT etc.

        Die NZZ arbeitet nicht für die Rüstungsindustrie. Kommentiert bloss diesen Bereich und viele, viele Weitere.

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        • René Küng
          René Küng sagte:

          Herr Keel, was wäre denn ‹undurchsichtig› wenn – köstlicher Gedanke – RT (meinen wir das Gleiche?) Aktionär bei der NZZ wäre?
          Lesen Sie dieses RT oder andere Medien von der Gegenseite
          und glauben Sie, dass es bei der System-Propaganda hüben wie drüben grosse Unterschiede gäbe?

          Ich höre (und lese ab und zu ein paar der schlimmsten Kriegstreiber Schweinereien dieses sogenannten ‹Blattes für die Intelligenzia› – ganz laaaanges siiiiiiiiiiic(k)).
          Wer auf diesem existenziellen Gebiet so absolut widerwärtig hetzt
          -ist erstens verdammt aktiv im Kriegsbusiness
          -und zweitens ‹out of time›, wenn nach den fürchterlichen Kriegen im letzten Jahrhundert und dem ‹militärischen Fortschritt› seither, Lösungen für die Menschheit immer noch mit Waffen erzwungen werden wollen.

          Das hat mit Intelligenz rein gar nichts mehr zu tun, da helfen auch die vielen, vielen weiteren Bereiche und Kommentare nix.
          Camouflage wird das dann,
          aber diesen weiterführenden Gedanken für interessierte Leute habe ich ja schon versucht in die Diskussion einzubringen.

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  4. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Andreas Scheiner hat den Film gesehen. Crotti (ehemals Bambi Konzern) und Jungen vielleicht auch aber nicht verstanden, nicht nachgefragt, aber dem ukrainischen Druck nachgegeben!

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