Kriegsverbrechen
Larifari statt Wertesystem.
Heuchelei und Verlogenheit passen nicht gut zum Ansatz, dass unsere westlichen, demokratischen, freiheitlichen Werte allen anderen Wertesystemen überlegen seien. Menschenrechte, Freiheit, Respekt vor dem anderen, Demokratie, Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit. So der Kanon, heruntergebetet wie ein Rosenkranz.
Verstösse dagegen werden mindestens verbal streng geahndet. Die Parteidiktatur in China, die Familiendiktatur in Nordkorea, die korrupte Diktatur in Venezuela, das Putin-Regime in Russland. Die Mullah-Herrschaft im Iran. Furchtbar. Der Ukrainekrieg mit seinen Kriegsverbrechen, eigentlich ausschliesslich vom entmenschten Iwan verübt, furchtbar. Wie sagte doch die ukrainische Regierung so richtig: alle russischen Soldaten sind Kriminelle, Verbrecher und Vergewaltiger. Genau.
Deshalb darf man auch in der Schweiz keinen Dokumentarfilm zeigen, der russische Soldaten als Menschen porträtiert. Das sind sie doch nicht, das ist nur russische Propaganda.
Wie wär’s, wenn man das Gleiche über alle israelischen Soldaten sagen würde? Da erhöbe sich ein ungeheuerlicher Shitstorm, man sähe die Halszäpfchen in brüllenden Mäulern. Antisemit wäre noch das mildeste Schimpfwort, mit dem man bedacht würde.
Natürlich kann man das in dieser Allgemeinheit auch nicht über Mitglieder der israelischen Armee sagen. Aber man kann mit Fug und Recht sagen, dass diese Armee Kriegsverbrechen im Libanon begeht. Wobei sich die Mainstreammedien hier auf eine rein deskriptive Berichterstattung zurückziehen.
So tickert der Qualitätskonzern Tamedia eine DPA-Meldung:
«Bei israelischen Angriffen im Libanon sind am Dienstag nach Behördenangaben mindestens 36 Menschen getötet worden. 150 weitere Personen seien verletzt worden, teilte das libanesische Gesundheitsministerium mit. Damit seien seit Ausbruch der Gefechte zwischen der Hizbollah und dem israelischen Militär vor einem Jahr mindestens 2119 Menschen getötet und 10’019 weitere verletzt worden, teilten Behörden mit. Das Ministerium unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Hizbollah-Kämpfern.
Allein am Dienstag registrierte der Notfallausschuss der geschäftsführenden Regierung insgesamt 137 israelische Luftangriffe im Libanon.»
Bevor wieder die üblichen Rechthaber mit ihrem Sermon kommen, dass das halt ein asymmetrischer Krieg sei und Israel ja nichts dafürkönne, dass sich die Terroristen der Hetzbollah hinter Zivilisten versteckten: wer weiss eigentlich genau, was ein Kriegsverbrechen ist?
Irgend etwas Furchtbares, was im Krieg begangen wird, wobei Krieg als solcher ja schon ein Verbrechen darstellt, dürfte wohl die mistgenannte Antwort sein. Versuchen wir es etwas konkreter:
Als Kriegsverbrechen gelten Verhaltensweisen, die in den Genfer Konventionen von 1949 „als schwerer Verstoss“ definiert sind oder durch bestimmte Bestimmungen des Anhangs zur vierten Haager Konvention über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1907 verboten sind.
Zum Beispiel?
- Tötung, Geiselnahme, Folter und Vergewaltigung von Zivilbevölkerung und Kriegsgefangenen
- Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf Krankenhäuser, Kirchen, Schulen, Universitäten und Denkmäler
- Plünderungen und Zerstörung von Eigentum
- Angriffe auf humanitäre Hilfsmissionen, friedenserhaltende Missionen und auf Missionen des Roten Kreuzes
- Verwendung von biologischen, chemischen Waffen und Atomwaffen.
Womit die israelischen Angriffe in einem nicht erklärten Krieg gegen den Libanon eindeutig darunterfallen.
Geahndet werden Kriegsverbrechen, sollte die Nation, die sie begeht, nicht selbst dazu in der Lage sein, durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Allerdings muss seine Autorität zunächst einmal anerkannt werden. Länder wie die USA, China, Indien, Russland, Kuba, Pakistan – und Israel – tun das nicht.
So ist die seit Dezember 2019 andauernde Untersuchung von Kriegsverbrechen, die von Israel oder der Hamas oder anderen bewaffneten Gruppen in Palästina begangen wurden, ohne Wirkung. Dazu gehören auch Verbrechen im Zusammenhang mit der Errichtung illegaler israelischer Siedlungen im besetzten Westjordanland sowie Angriffe auf israelische Zivilisten durch die Hamas und deren Verwendung von Palästinensern als menschliche Schutzschilde.
Ein Massaker rechtfertigt nicht das nächste, es gibt keine Relativierung von Kriegsverbrechen. Wer sich ein Antidot gegen das Dröhnen einseitiger Darstellungen verabreichen will, kann diese ebenfalls einseitige Darstellung anschauen. Nicht als «so ist’s wirklich», sondern als «sieht man sonst eher nicht».
Wer eine regelbasierte Ordnung, die zwar mildernde Umstände und den Begriff der Notwehr kennt, dennoch aber universell gültig sein sollte, als letzten Schutzwall gegen Willkür, Faustrecht und Barbarei ansieht, muss Verstösse dagegen als Kriegsverbrechen bezeichnen.
Unabhängig davon, von wem sie begangen werden. In allen grossen Kriegen der Vergangenheit (und Gegenwart) gibt es immer die Flachdenke, dass die anderen, der Feind, der politische Gegner Kriegsverbrechen ohne Zahl begeht. Seine Soldateska ist enthemmt und entmenscht, während die eigenen Streitkräfte edel und gut sind. Die einen sind die Besetzer, die anderen die Befreier. Die anderen kämpfen für ein Unrechtsregime, die Eigenen für unsere moralisch überlegenen Werte.
Schiessen vertierte Hetzbollah-Terroristen eine Rakete auf ein ziviles Ziel in Israel, ist das ein Kriegsverbrechen. Schiesst die israelische Armee eine Rakete in ein Wohngebiet von Beirut, wo Terroristen vermutet werden, ist das legitim, sind getötete Zivilisten Kollateralschaden. Sie hätten halt rechtzeitig flüchten sollen, so wie im Gazastreifen. Wo ihnen zuerst angeblich sichere Gebiete zugewiesen wurden, die dann anschliessend bombardiert wurden.
Niemand, der nicht ein fundamentalistisch umnebelter Fanatiker ist, kann die terroristischen Aktionen der Hamas, der Hetzbollah und anderer Hilfstruppen des Iran, finanziert von Katar und anderen Scheichtümern, billigen. Aber das als billigen Vorwand zu nehmen, um alle israelischen Kriegsverbrechen zu legitimieren, ist unredlich und macht diese Verteidiger unglaubwürdig.
Was diese Eurozentristen ausblenden: genau aus diesem Grund findet die Sanktionspolitik der EU, der USA und ihrer wenigen Verbündeten bei fast allen Ländern der Welt keinen Anklang. Genau deswegen unterstützen viele Länder der Welt Israel nicht.
Denn die Definition von Kriegsverbrechen, der Versuch, etwas Zivilisation in die Barbarei eines Krieges zu bringen, gilt universell. Genau wie die Menschenrechte. Die auch dort gelten sollten, wo sie dem Wertewesten aus verschiedenen Gründen scheissegal sind. Zum Beispiel im Sudan, in Äthiopien oder in Eritrea. Weil dort die Menschen die falsche Hautfarbe haben und keine nennenswerten Rohstoffe. Oder in Saudi-Arabien, weil die Wahhabiten (noch schlimmere Fanatiker als die Schiiten im Iran) sehr viel Rohstoff haben.
Und bevor diese alte Leier nochmal kommt: natürlich war der Krieg gegen Hitlerdeutschland in jeder Form legitimiert und richtig, wobei man nicht vergessen sollte, dass die Sowjetunion den grössten Blutzoll entrichtete und die Deutschen wie die Barbaren in den besetzten Gebieten wüteten. Dennoch war die Bombardierung Dresdens durch die Westalliierten ein Kriegsverbrechen.
Das Fundament unserer Rechtsverständnisses beruht darauf, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Sein sollten. Individuen genau wie Staaten. Im Frieden und im Krieg. Letztlich ganz einfach, aber offenbar so schwer zu verstehen.
Wuchtig vorgetragener Moralismus, aber trotzdem falsch. Warum hatten die Russen den grössten Blutzoll. Weil der Krieg zu einem Grossteil auf ihrem Territorium stattgefunden hat und sie lange schlechter bewaffnet waren. Und übrigens den Krieg ohne massive US – Hilfe verloren hätten. Waren Dresden, Hiroshima & Co. Kriegsverbrechen? Hätten die USA versuchen sollen, unter Inkaufnahme von Millionen toter und verletzter US – Soldaten Japan zu erobern, ein fanatisiertes Kriegervolk und Aggressor? Wer unter Schulen und Spitälern kriegsrelevante Objekte betreibt, ist ein Verbrecher, nicht der, der sie eliminiert. Sonst könnte man ja in jedem Kampfbomber und Panzer ein, zwei Kinder mitnehmen, dann dürfte man sie nicht mehr abngreifen. Etc. Unlogisch, das Ganze.
Jeder Krieg ist ein Verbrechen!
Natürlich gibt es Rädelsführer. Diese sind
schlimmer als die dummen Mitläufer. Dann gibt es
noch ein Völkerrecht – sollte totale Entmenschlichkeit verhindern.
Dann gibt es noch Privat- und Staatsterror. Dazu Peter Ustinov:
«Der Terrorismus ist der Krieg der Armen und der Krieg
ist der Terrorismus der Reichen».
Nein, die Mitläufer sind die schlimmsten.