Es kann nur einen geben

Eric Gujer und Frank A. Meyer kolumnieren zum Nahen Osten.

Eine Koinzidenz, eine Peinlichkeit. Da haben wir den unermüdlichen Kolumnisten Frank A. Meyer, nicht mehr Hausgespenst bei Ringier, nur noch Gespenst seiner selbst.

Er steht vor dem Brandenburger Tor und betrachtet, der Tor, die Welt durch seine dunkel verschattete Brille. Durch die sieht er einfache Verhältnisse:

«Zwei Welten und zwei Zeiten prallen aufeinander: die westliche Freiheits- und Fortschrittszivilisation auf die muslimische Religions- und Rückschrittsideologie, der aufgeklärte Westen auf die unaufgeklärte Doktrin der Gläubigen Mohammeds und Allahs.»

Dass es in Israel mindestens so unaufgeklärte Doktrinen von orthodoxen Juden gibt, die sogar an der Regierung beteiligt sind, dass fanatische israelische Siedler ihre illegale Landnahme mit Mord und Totschlag verteidigen, dass die westliche Freiheit- und Fortschrittszivilisation zu widerlichen Kriegsverbrechen fähig ist, das passt nicht in sein Schwarzweiss-Raster der Welt.

Von Berlin aus mag man das mit getrübtem Blick vielleicht so sehen, von nahe betrachtet ist das eine Beleidigung der Schweiz: «So steht Israel seit gut 75 Jahren für alles, wofür, beispielsweise, die Schweiz steht: Freiheit, offene Gesellschaft, wirtschaftlichen Erfolg – und Wehrhaftigkeit.» Schon alleine der Unterschied, dass die Schweiz noch nie einen Regierungschef hatte, den nur die Immunität des Amtes vor dem Knast bewahrt, ist Unterschied genug. Von der Annexion fremder Länder ganz zu schweigen.

Schliesslich das klare Bekenntnis eines Salonkolumnisten, ein wohlfeiles Bekenntnis, das nichts kostet: «Es ist an der Zeit, dass für die Begriffe Israel und Juden einfach nur ein einziges Wort steht: Wir.» Seit Charlie Hebdo und «nous sommes Charlie» abgehalftert wie nur was.

Aber von den Tiefebenen des «SonntagsBlick» zum Luziden der NZZ und ihres Vordenkers Eric Gujer. Auch der macht sich so seine Gedanken zum Nahen Osten. Man mag mit ihnen einverstanden sein oder auch nicht, elegante Schärfe, Weit- und Tiefenblick ist ihnen nicht abzusprechen. «Die Zeit der Mässigung ist vorbei», titelt Gujer, und er belegt das mit einer historischen Reminiszenz: «Nach dem Libanonkrieg im Jahr 2006 formulierte der Hizbullah-Führer Hassan Nasrallah diese Sichtweise prägnant. Er sagte in einem Interview, hätte er gewusst, was die Entführung zweier israelischer Soldaten auslösen würde, hätte er nie seine Zustimmung gegeben.»

Ironie der Geschichte, nennt man das wohl. Und wie äussert sich das Fehlen der Mässigung:

«Die Invasion am 7. Oktober und der sadistische Blutrausch enthemmter Palästinenser änderten alles. Die Hamas liess den Geist aus der Flasche, der ab 2006 gebändigt schien. Jetzt gilt wieder Auge um Auge, Zahn um Zahn oder, etwas weniger alttestamentarisch ausgedrückt: Die fatale Neigung ist zurückgekehrt, Probleme ein für alle Mal lösen zu wollen.»

Auch hier beweist Gujer, im Gegensatz zu vielen Instant-Konfliktordnern, historische Kenntnisse: «Auch die Israeli hofften mit dem Einmarsch in Libanon 1982, den Unruheherd an ihrer Nordgrenze mit Stumpf und Stiel zu vertilgen. Die fürchterlichen Massaker in den Beiruter Palästinenserlagern Sabra und Shatila waren die Folge. «Ein für alle Mal» ist das todsichere Rezept für ein Desaster im Nahen Osten.»

Einer erinnert sich an Sabra und Shatila, schon dafür gebührt Gujer Lob. Die Dimension des Desasters ist den westlichen Verbündeten Israels offensichtlich nicht klar: «Einer Fehleinschätzung unterliegen auch die USA und die Europäer. Sie rufen zur Zurückhaltung auf und appellieren an den gesunden Menschenverstand, so als würden in diesem Grosskonflikt nicht längst andere, atavistische Kräfte walten

Viel Hoffnung für die Zukunft vermag Gujer nicht zu geben: «Das Feuer, das jetzt wütet, muss ausbrennen. Das System der relativen Mässigung ist kollabiert. Eine neue Ordnung für den Nahen Osten muss erst entstehen, und das geschieht in dieser Region meist mit Waffengewalt

Für den Nahen Osten sei der Moment der Wahrheit gekommen, orakelt Gujer. Entweder versucht der Iran, seinen Anspruch auf «die absolute Hegemonie vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer» zu erheben. Hätte Teheran damit Erfolg, stünden alle anderen im Nahe Osten als Verlierer da, inklusive USA und EU, was sie nicht zulassen könnten. «Muss aber Iran einen Rückzieher machen, steht es in den Augen seiner Verbündeten geschwächt da.»

Zu gelinde formuliert, als Verlierer. Neckisch dann, dass Gujer mit einem abgewandelten Zitat von Karl Marx endet, der das über Revolutionen sagte: «Im Nahen Osten tanzen die Machtverhältnisse

Während Meyer ärgerlich, im besten Fall mitleidserregend ist, liefert Gujer Food for Thought, Gedankennahrung, die erbaut, befremden mag, aber befruchtet. Er zeigt, was für Vorteile darin liegen, wenn man Geschichte nicht nur rezipiert hat wie Meyer, sondern auch gedanklich verarbeitet. Für Meyer gilt hingegen «si tacuisses», hätte er besser geschwiegen, dann wäre ihm diese Verzwergung erspart geblieben.

 

13 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Ja, Frau Maier,
    da sind wir uns sehr einig.
    Und das ist auch sehr wichtig, dass sich die kleinen Nichts unten auf den Leitern in den wesentlichen Dingen des Lebens und des erwünschten, schwierigen Friedens einig gingen.
    Dass wir uns angeifern, das eine oder andere Propaganda-Szenario der Mächtigen einander um die Köpfe schlagen, das ist genau das, was diese Stellvertreter des Kapitals (Politiker haben wir keine mehr) wollen. Erst recht jetzt in Zeiten, wo alles wackelt, zuvorderst die maroden, zu Grunde gezockten Währungen.
    Ob aus der Geschichte (lange genug zurück gedacht) oder der rasant aufziehenden ’new world›, wo sie uns unter den digitalen Kontroll-Hammer KRIEGEN wollen: da sollten wir einander unsere Sichtweisen erzählen und um mehr Durchblick ringen; miteinander, nicht gegeneinander.
    Schlimm genug, dass unser verfilztes, gekauftes Parlament und ganz bestimmt die ‹Auswahl› die sich immer noch getraut, sich ‹Landes’regierung zu nennen, obwohl es nur NickAugust****** im Dienst von globalen Kriegsherren sind.
    Die Amherd hochoffiziell, der ganze Rest aber geschlossen für ein ‹modernes› 5G Netz (das ist Grundlage, Infrastruktur für digitalen KontrollTerror), darauf die digitale ID (vom Volk vor kurzem klar abgelehnt), das digitale Geld in Salami-Taktik und alles unter der Kuppel der Verlogenheit, wenn diese Gauner mit Hilfe ihrer Medien-Clowns noch definieren wollen was ‹fake news› und Desinformation sei.

    In Beamten-Deutsch sind das oben Geschriebene fake-news und sogenannte ‹Verschwörungstheorien›. Aber die einzige hoch organisierte, total korrupte und sehr reale VERSCHWÖRUNG sind die offiziellen westlichen Verbandelungen von globalen Konzern-, Finanz- und Politik-Filzen.
    Ich schreib’s immer wieder, damit das andere mit unserer ‹Realität› abgleichen können.

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  2. René Küng
    René Küng sagte:

    Gescheit reden und/oder schreiben mit der grösseren Knarre in den Fingern, das erinnert stark an coole Western-Figuren, oder die grossartige Weisheit, dass ‹winner› immer recht hätten.
    Nein, ich teile das Lob für Gujer auch jetzt nicht.
    Es ist einfach die gebildete Arroganz (nur bedingt gleichbedeutend mit ‹Bildung›), die sich einmal mehr aufbläst, denn die Logik dieses Mannes fusst auf den immer gleichen Prämissen.
    Mässigung ist vor allem was für die unterm Stiefel.
    Und der grenzen- und schamlosen Heuchelei dieser Cowboys & EUgirls im edlen Anzug.
    Die USA und EU rufen ‹zu Zurückhaltung› auf und liefern Waffen, Waffen, Waffen…..

    Von ‹gesundem Menschenverstand› im Zusammenhang mit diesem knallharten, skrupellos krankhaften Machtdenken der Führungsfiguren ‹unserer› Zivilisation zu sprechen, das ist Gujer.
    Hat für mich mit ‹Bildung›, Zivilisation oder Kultur rein gar nichts zu tun, nicht mal Journalismus ist das.
    Da fehlen mir grundlegendste Werte von Menschlichkeit, Sachlichkeit (für Atlantiker: Fairness) und Anstand, als dass solche Figuren mit dem Finger auf andere Totalitäre zeigen dürften.

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    • Peter Bitterli
      Peter Bitterli sagte:

      Tadellose Diagnose: Guyers Argumentation fusst immer auf den gleichen paar Prämissen, egal bei welchem Thema. Es ist die Rationalisierung der schlichten Lust, im schnellsten Auto auf dem Beifahrersitz zu sitzen und kräftig mitzuhupen. Draussen mag weghopsen, wer nicht gekeult werden will. Wer Bildaufzeichnungen von Guyer im Gespräch kennt, wird sich ob der riechbaren physischen Unbehaglichkeit, in die ihn Widerspruch immer wieder versetzt, auch schon gewundert haben. Da wirkt der Kasernenhofton doch sehr lindernd.
      Von Deutschland aus hat er übrigens vor der Inthronisierung an der Falkenstrasse jeweils genau das Zeug abgesondert und propagiert, für das jetzt Häsler zuständig ist, also Kriegsgegurgel als Simulation von tabu- und angstfreier Analyse. Rollenmodell: der Unerschrockene, der Unbestechliche, der wohltätige Chirurg ohne Anästhesisten.
      Dumm allerdings ist das in der Regel nicht, was er schreibt. Man hat die Wahl: Soll man gähnen ob der ranzigen Stossrichtung oder sich anregen und ärgern lassen durch Fakten und Gedankengänge, die ansonsten nicht leicht zusammenzutragen und nicht selbstverständlich zu drechseln sind.

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  3. Robert Müller
    Robert Müller sagte:

    Für einmal zu 100% mit Meyer einverstanden (kommt selten genug vor). Das nicht-orthodoxe Israel ist unserer europäischen Alltags-Kultur (oder dem, was davon noch übrig ist) definitiv näher als die religiös verblendeten und faschistoiden Verfechter eines mittelalterlichen Islam im Iran und und den ihm zugewandten Orten. Trotz allen berechtigten Einwänden, die man gegenüber der aktuellen israelischen Eskalations-Politik anbringen kann.

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  4. Benno Derungs
    Benno Derungs sagte:

    Wer mag sich noch an den George Habash vom Black September erinnern, der im Jahre 1970 u.a. auch eine Swissair DC-8 in die jordanische Wüste entführt hat.
    Auch das Münchner Olympia-Attentat vom 5. September 1972 soll nicht vergessen werden, wo elf der 14 israelischen Olympiateilnehmer ermordet wurden.
    Hier die lange Liste des brutalen, fanatischen Palästinensischen Terrors:
    https://en.wikipedia.org/wiki/Palestinian_political_violence

    Hier die lange Liste der Islamistischen Terrorattacken, die nie vergessen gehen sollen:
    https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Islamist_terrorist_attacks

    Erwähnt wird hier u.a. auch die barbarische Attacke von Islamisten auf das Bataclan Theater in Paris am 13 November 2015. Explizit möchte ich hier auch erwähnen, wie zwei Touristinnen aus Skandinavien im Atlas-Gebirge von Marocco von Islamisten ermordet wurden (eine davon gar geköpft!) am 17.Dezember 2018.

    Nie vergessen, was wahr. Zwei Welten und zwei Zeiten prallen aufeinander: die westliche Freiheits- und Fortschrittszivilisation auf die muslimische Religions- und Rückschrittsideologie.

    Ein Aufprall der Jahrhunderte – im 21. Jahrhundert!

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    • René Küng
      René Küng sagte:

      Keine Zweifel an ‹unserer› Fortschrittszivilisation Herr Derungs?
      Und bei allem Grauen, das Sie aufzählen, blenden Sie das Grauen auf der andern durchgehend aus?
      Der Aufprall für unsere Nachkommen, die nicht mehr lange blind in Saus und Braus leben werden, wie wir es eitel & dünkel konnten, wird vieles auf den Kopf stellen was war und wahr ist.

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  5. Markus Fischer
    Markus Fischer sagte:

    Herr Zeyer, das Titelfoto ist etwas zuviel der Ehre für die beiden Kolumnisten, denn es ist schön. Danke für den Artikel.

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  6. Eveline Maier
    Eveline Maier sagte:

    So lange in Teheran die Mullahs an der Macht sind ist Frieden im nahen Osten nicht möglich. Deshalb wäre es wünschenswert, dass dieses Regime derart geschwächt wird, dass eine neue iranische Revolution endlich möglich wird und der iranische Staatsterror ein Ende findet. Und übrigens……..die Probleme mit dem Islamismus begannen exakt nach dem 1. Februar 1979, nachdem Ayatollah Khomeini die Macht ergriffen hatte. Er wurde an diesem Tag mit einer Boeing747 auf Kosten der Franzosen von Paris nach Teheran ausgeflogen.

    Danke Eric Gujer, danke Frank A. Meyer für die Sicht der Dinge mit Tiefenblick.

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      • Eveline Maier
        Eveline Maier sagte:

        Reza Shah Pahlavi bestimmt kein Ruhmesblatt.

        Gemäss einer Umfrage des in Holland ansässigen Gamaan-Institutes, möchten mehr als 60% der Iraner einen Regierungswechsel in Iran. Würden gar die Pahlavi Dynasty dem jetzigen Mullah-Staat vorziehen. Insbesondere gebildete Iranerinnen sehen in diesem Mullah-Staat keinerlei Perspektiven.

        https://www.iranintl.com/en/202204015794

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        • René Küng
          René Küng sagte:

          Frau Maier,
          wenn es exact 1 Tag weiter zurück geht als der 1.Februar 1979, dann wischen Sie das mit wenig Worten zur Seite.
          Ein totalitärer Religions-Staat kann nicht weggewünscht werden, ohne das totale $eligions-System als Vernichter der demokratisch gewählten Regierung Persiens anfangs der 50er Jahre mit zu erinnern.
          Unsere Konsum-Religion war immer schon auf Ausbeutung (und Unterdrückung) ausgerichtet, aber nie totaler als in ErdÖlZeiten.

          Antworten
          • Eveline Maier
            Eveline Maier sagte:

            Ja Herr Küng, ein trauriges Kapitel die Stürzung von Prime Minister Mohammad Mosaddegh durch die Englischen und US-Geheimdienste im Jahre 1953.

            Wünschte dem wunderbaren persischen Volk nichts anderes als eine gute, echt funktionierende Regierung, weit weg von Monarchien und Mullahs.

            Gehen wir da einig?

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