Die Ermordung von Nasrallah ist ein Kriegsverbrechen

Wenn das Gute böse wird und das Böse böse bleibt.

Wer das trotz aller klammheimlichen Freude über das Ende eines fundamentalistischen Terroristen bestreitet, hat Mass und Anstand verloren.

Ich halte dafür, dass ein unbescholtener Bewohner Beiruts genauso das Recht auf Leben hat wie ein ebenso unbescholtener Mieter in einem Wohnblock in Zürich Schwamendingen.

Das gilt auch dann, wenn sich in unmittelbarer Nähe ein Terrorist einquartiert hat. Wer den Tod von unschuldigen Zivilisten als nebensächlichen Kollateralschaden bei einem Kriegsverbrechen verniedlicht oder ignoriert, hat nicht nur seinen moralischen Kompass verloren.

Wer schönfärberisch von «Tötung», «Liquidierung» oder schlichtweg vom «Tod» des Anführers der Hisbollah spricht oder schreibt, stellt damit die Prinzipien einer regelbasierten Ordnung des Zusammenlebens infrage.

Solche Relativierer übersehen, dass Moral und Regeln Prinzipien sind, deren Verletzung schweren Schaden anrichtet. Deren Relativierung den Weg in die Hölle öffnet. Die Unterscheidung zwischen Normalfall und erlaubter Ausnahme relativiert etwas Unrelativierbares.

Was bei «normalen» Verbrechen gilt, soll das bei besonders abscheulichen nicht mehr gelten? Ein Mörder wird für seine Tat mit Gefängnis bestraft. Sollte aber der abscheuliche Mörder von Rupperswil nicht strenger bestraft, gefoltert, getötet werden? Wie steht es mit einem Kinderschänder, der seine Opfer tötet? Hat der es verdient, weiterzuleben?

In solchen Fällen kocht die Volksseele schnell über, und besonnene Zeitgenossen mahnen und erinnern daran, dass ein regelbasiertes Zusammenleben, das Faustrecht und Willkür verhindert, die letzte Brandmauer gegen Barbarei und das Recht des Stärkeren darstellt.

Wer verspürte keine klammheimliche Freude, als Bin Laden ermordet wurde? Wer, so er nicht fundamentalistischer Wahnsinniger ist, verspürt Trauer bei der Nachricht, dass Hassan Nasrallah in seinem Bunker in die Luft gesprengt wurde?

Dennoch handelt es sich ohne Zweifel um ein Kriegsverbrechen. Zum unscharfen Katalog von Handlungen, die als Kriegsverbrechen stigmatisiert sind, gehören vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder das vorsätzliche Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte verursachen wird.

Seit die Menschheit die zivilisatorische Reife erreicht hat, über die Begriffe Gut und Böse nachdenken zu können, stellt sich die Frage, wie böse das Gute werden darf, um sich gegen das Böse zu wehren. Gilt da «Auge um Auge, Zahn um Zahn»? Ab wann und wo verschwimmt die Grenze zwischen dem Guten, das böse wird, um Böses zu liquidieren, und dem Bösen? Ist es legitimierbar, dass der Friedensnobelpreisträger Barak Obama zum Kriegsverbrecher wurde, indem er wöchentlich eine «Kill List» abzeichnete, die die Ermordung von angeblichen Terroristen weltweit sanktionierte, inklusive Kollateralschäden wie die Liquidierung einer Hochzeitsgesellschaft in Afghanistan?

Ist es nicht so, dass Figuren wie Nixon, Bush, Kissinger oder Obama nur deswegen nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag landeten, weil die USA dessen Autorität nicht anerkennen? Gilt die Haager Landkriegsordnung, die Genfer Konvention und ihre Zusatzprotokolle? Oder nur von Fall zu Fall? Oder gilt Radio Eriwan: Im Prinzip ja, aber?

War Nasrallah nicht ein Terrorfürst, ein Massenmörder, der sich selbst an keinerlei Regeln hielt? Und sind dann die Bewohner von Beirut halt nicht auch ein wenig selber daran schuld, dort zu wohnen? Ist ihr Tod zwar bedauerlich, aber durch das grössere und edlere Ziel, das Ausschalten eines Terroristen, gerechtfertigt? Darf man da nicht auch ohne Kriegserklärung und unter Bruch aller internationalen Regeln zuschlagen?

Wird man niedergekräht, wenn man darauf hinweist, dass solche Angriffe Staatsterrorismus darstellen, blinden terroristischen Hass gegen Israel schüren, der dann wieder neuerlich unter Bruch aller internationalen Regelwerke bekämpft werden muss?

Es gibt keine wissenschaftlich oder erkenntnistheoretisch basierten Definitionen von Moral, Regeln und Konsequenzen von Regelverletzungen. Ab wann und wie gilt «du sollst nicht töten» nicht mehr? Ist ein Menschenleben in bestimmten Weltgegenden weniger wert als anderswo? Schon in Beirut viel weniger als in Zürich Schwamendingen? Und im Sudan oder Myanmar überhaupt nichts mehr?

Die entscheidende Frage ist: ist die Ermordung eines Massenmörders gerechtfertigt, rechtfertigbar, sinnvoll, wird dadurch die Erde ein besserer Ort? Dürfen dafür zivile Opfer als bedauerliche, aber unvermeidliche Nebensächlichkeiten hingenommen werden? Wer das mit einem uneingeschränkten Ja beantwortet, hat Mass, Anstand und moralischen Kompass verloren, möchte das menschliche Zusammenleben in finstere Zeiten zurückführen.

Fatal auch das Schweigen zur überdeutlichen Parallelität zwischen zwei angeblich «begrenzten» militärischen Spezialoperationen. Natürlich gingen der völkerrechtswidrigen russischen Invasion der Ukraine Terrorbombardements von russischstämmiger Bevölkerung durch die ukrainische Regierung voraus. Natürlich gingen der israelischen Invasion im Libanon Raketenangriffe der Militärmacht der Hetzbollah voraus.

Hier dröhnende Verurteilung, Sanktionen, Militär- und Wirtschaftshilfe. Dort peinlich berührtes Schweigen und gelindes Stirnrunzeln. Diese Doppelmoral und Heuchelei sorgt dafür, dass rund 190 Staaten der Welt die Sanktionspolitik der EU, der USA und weniger Verbündeter gegen Russland nicht mitttragen.

Wer die Ermordung des Terroristen Nasrallah als die Erledigung eines Stücks Scheisse bejubelt, zeigt erschreckende Ähnlichkeiten mit dessen Denken. Wer die Absetzung eines Dokumentarfilms am Zürcher Zensur Festival bejubelt, weil damit russischer Propaganda keine Plattform gegeben werde, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben, ist ein Opfer primitivster Propaganda. Wer die dabei ausgeübten Druckversuche durch die ukrainische Regierung und anonyme Kläffer mit Todesdrohungen nicht scharf verurteilt, ist ein scheinheiliger Duckmäuser, ein peinlicher Versager bei der Verteidigung unseres Meinungspluralismus.

So werden nicht westliche Werte verteidigt. Weder in der Ukraine, noch im Libanon. Sondern sie werden in Grund und Boden bombardiert.

23 Kommentare
  1. Felix Abt
    Felix Abt sagte:

    Die Hisbollah tötet israelische Soldaten, die in ihr Land einmarschieren, während israelische Soldaten absichtlich Frauen und Kinder, medizinisches Personal und Journalisten töten. Raten Sie mal, welche Seite der Westen als Terroristen bezeichnet.

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    • Peter Bitterli
      Peter Bitterli sagte:

      Was war doch gleich noch das Land des Hisbollah? Und: Raten Sie mal, welche Seite der Westen als Terroristen bezeichnet. Fragen über Fragen. Ein Quiz für alle, denen Demokratie, Individualismus, Menschenrechte, Freiheit etc. komplett am Arm vorbei gehen. Knifflig; aber ich versuch‘s mal. Äääh, hmmm… Das Land des Hisbollah, in das israelische Soldaten einmarschieren: Gibt es nicht. Welche Seite bezeichnet der Westen als Terroristen? Irgendeinen aus der Kim-Sippschaft wahrscheinlich.

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  2. Guido Kirschke
    Guido Kirschke sagte:

    Ich bin nicht der Meinung, dass die Liquidierung von Nasrallah an sich ein Kriegsverbrechen ist. Er war schliesslich Kriegspartei. Das Vorgehen der Israelis bei seiner Tötung hingegen ist in meinen Augen klar eine Kette von Kriegsverbrechen.

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  3. Bockhorn
    Bockhorn sagte:

    Nun steht fest: Ich habe «Mass und Anstand verloren». Und meinen «moralischen Kompass» obendrein. Und das schon in den ersten Abschnitten. Was wäre da wohl noch im Rest des Artikels dazugekommen?! So stehe ich nun da, geknickt im Zeyerland – aber doch froh, dass es noch so aufrechte Hüter der Moral gibt.

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    • Peter Bitterli
      Peter Bitterli sagte:

      Yep! Das habe ich in den genau gleichen Formulierungen schon am Tag zuvor ganz privat abgekriegt, was mich mit Stolz erfüllt hat.
      Schwierig ist es jetzt natürlich für die üblichen Cheerleaderinnen und Jubelperser. Entweder ist man anderer Meinung und kriegt dann eben zünftig Ranzenschnitten, oder man teilt des Gastgebers Auffassung, ist dann aber kaum in der Lage, das virtue signalling zu steigern und moralisch in noch höhere Sphären zu fliegen.

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      • René Küng
        René Küng sagte:

        Herr Bitterli,
        ganz ohne linguistische Höhenflüge:
        geht es um die Sache, ob wir eine Welt wollen, in der ausgegrenzt, nieder gemacht, ‹isoliert› oder weggebombt wird?
        Oder geht es darum, dass wir zum Amusement und Langeweile süffisant-kultiviert oder provokativ auf ‹Andere› zielen, so die heimliche kleine Kriegslust ausleben?

        Cheerleaderinnen, Jubelperser oder vielfältige andere persönliche Unterstellungen sind schlicht und einfach nur solche Sticheleien, die Nichts aber rein gar nichts mit dem Elend von Krieg, Terror und mit den Menschen dort zu tun haben, die ins Feuer geworfen sind.

        Anstatt zünseln und wehleidig Ranzeschnitte beklagen, hinterfragen, ob wir, die Schweiz, der Tragik von Konflikten wirklich noch mit intelligenter Neutralität begegnen können? Es ist ein Geschenk aus der Vergangenheit, das aktuell achtlos für üble Interessen verschachert und verraten wird.
        Fängt im ganz Kleinen, im Forum an.
        Hier wär’s ein Luxus, wenn wir Differenzen und andere Ansichten noch mit Respekt diskutieren könnten – die Seuche der vorgegebenen Wahrheiten herrscht schon genug in diesen neuen Zeiten.

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      • Bockhorn
        Bockhorn sagte:

        Lasst uns in moralischen Belangen unserem Gastgeber nacheifern, wohlwissend, dass wir ihm in der feinen Kunst des virtue signalling nie werden das Wasser reichen können. Lasst uns streben, bis wir erkennen, dass Nassrallahs Tod ein gar fürchterliches Verbrechen war, das es inniglichst zu betrauern gilt.

        PS: Schade bloss, dass der «Jubelperser» mir nicht eingefallen ist…

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        • René Küng
          René Küng sagte:

          Wollt Ihr Zeyer ans Bein pinkeln, mir, oder dafür, dass Nassrallahs wegegebombt werden dürfen, mit Kollateralschäden?
          Was macht Ihr dann mit der Clique in Israel, oder anderswo in der Welt?
          Alles die gleiche Denke, auf der Tastatur oder beim Abdrücken.

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  4. René Küng
    René Küng sagte:

    Danke Herr Steiger,
    für den traurig ernüchternden Exkurs in die Vergangenheit.
    Vor hundert Jahren schon der gleiche Befund über unsere ‹Wertegesellschaft› – nichts dazu gelernt, der ‹Fortschritt› macht die Bestie nur noch viel effizienter.

    Hart die Gegensätze und Befunde hier im Forum, aber immerhin noch mit etwas Rest-Anstand (heute, bis jetzt). Wenn ich mir die gehässig bösen Kommentare auf der Bänggler&Bängler Plattform (zum gleichen Bericht) nur auszugsweise antue,
    dann erschrecke ich, wie treffend Rosa Luxemburg diese bürgerliche Gesellschaft gezeichnet hat.

    Wir, in alter Dumm- und Schamlosigkeit, auf’s nächste – biblophile reden vom letzten – Ende der zwischenzeitlichen Mimen-hoch-Zeit und maximalen Heuchlerperiode zurasend.

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  5. Felix Abt
    Felix Abt sagte:

    Der preisgekrönte amerikanische Journalist Seymour Hersh, ein Jude, erzählt in seinem neuesten Substack-Artikel, wie sehr er Nasrallah mochte, mit dem er sich stundenlang unterhielt.

    Alastair Crooke, der als britischer Diplomat und MI6-Geheimagent jahrelang in Beirut stationiert war und mit der Hisbollah-Führung verhandelte, über die er bestens Bescheid weiss, sagt, Nasrallah habe seinen Männern ausdrücklich befohlen, Zivilisten zu verschonen und nur militärische Ziele anzugreifen.

    Und hier kommt ein Journo, der Nasrallah nicht kennt, ihn aber vollmundig als „fundamentalistischen Terroristen“ bezeichnet. Bravo!

    Antworten
    • Manfred
      Manfred sagte:

      Danke, dass Sie der Entmenschlichung des Anderen entgegegentreten; das ist die Grundlage für humanes Handeln.
      Gestern hat Paul R. Pillar hier https://www.telepolis.de/features/Terrorismus-als-Taktik-Israels-riskantes-Kalkuel-im-Libanon-9957657.html geschrieben: «Die israelischen Operationen – wie auch die gegen die Hamas – basieren auf der irrigen Annahme, dass Gewaltdrohungen gegen Israel auf die bösartige Natur bestimmter Gruppen zurückzuführen sind und dass die einzig angemessene Reaktion darin besteht, so viele Mitglieder und vorzugsweise Führer dieser Gruppen wie möglich zu töten.»
      Der einzige Weg zum Frieden basiert m.E. auf dem gegenseitigen Anerkennen als Mensch.

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  6. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Besonders abscheulich ist wenn «geistliche Führer», Terroristen, die Zivilbevölkerung als persönliche Schutzschilder benützen. Welche Prinzipien gelten da?

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  7. Alan Steiger
    Alan Steiger sagte:

    Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht wenn sie, geleckt und sittsam, Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und Rechtsstaat mimt ­- als reißende Bestie, als Hexensabbat der Anarchie, als Pesthauch für Kultur und Menschheit -, so zeigt sie sich in ihrer wahren, nackten Gestalt. (Rosa Luxemburg)

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    • Peter Bitterli
      Peter Bitterli sagte:

      Auch so ein hochgejazzter Dummbeutel aus trüber Vergangenheit, diese Luxembourg. Und rhetorisch immer in der Hyperbel. Wie kann man solche Nulpen zitieren?

      Antworten
      • Alan Steiger
        Alan Steiger sagte:

        Das ist natürlich ein Kommentar von hohem Niveau, Herr Bitterli. Was nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht geschah, war dann wohl ganz in Ihrem Sinne. Aber immerhin scheinen Sie das Zitat mit Ihrer doch recht primitiven Rhetorik zu bestätigen, in diesem Sinne vielen Dank.

        Antworten
  8. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Bewundernswert wie RZ inmitten furchtbaren Kriegsgeheuls die
    Fahne der Menschlichkeit hochhält. Viele Freunde macht er sich so
    kurzfristig bestimmt nicht. Die Lage um Jerusalem ist wohl nicht mehr
    zu beruhigen. Zu viele Terroristen auf allen Seiten!

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  9. Beth Sager
    Beth Sager sagte:

    Nasrallah ist ein skrupelloser Kriegsverbrecher. In Kriegszeiten gelten eben andere Gesetze. Seit Jahren regnet er Raketen in das Territorium von Israel. Ob Hisbollah, Houthi, Hamas und Iran – alle diese Fanatiker wollen Israel von der Landkarte tilgen.

    Israel will die Rückkehr von 60000 Israelis ermöglichen, die seit Monaten durch die Hisbollah-Angriffe aus Gebieten entlang der Grenze vertrieben wurden. Nur Dank dem zuverlässigen Iron Dome-air defense system sind nicht abertausende von Opfern zu beklagen.

    Ja was haben die reichen, korrupten Hamas und Hisbollah in all den Jahren investiert, mit den Milliarden $$$ an Spendengeldern? In ein hoch entwickeltes Tunnel-Netzwerk.

    Ich empfehle auch, sich Fotos anzuschauen, wie der Libanon aussah, bevor die Islamisten das Ruder übernahmen. Bis in die sechziger Jahre galt Beirut als das Paris des Nahen Ostens. Dann verlor die christliche Mehrheit die Kontrolle und das Land kippte ins Chaos. Heute ist der Libanon ein besonders eindrückliches Beispiel, was passiert, wenn der Islam regiert.

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  10. Peter Bitterli
    Peter Bitterli sagte:

    Jeder, der nicht so denkt wie ich, ist ein Lump. Der sich wiederholenden Invektiven können nicht genug sein. Edel ist der Gesinnungsethiker, ein Schuft der Handlungsethiker. Und morgen trete ich bei den Grünen ein.

    Antworten

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