Thüringen als Test

Im deutschen Bundesland geht es hoch zu und her. In den Medien auch.

«Eklat an der ersten Landtagssitzung in Thüringen», weiss Tamedia. Bzw. übernimmt das Qualitätsschrumpforgan von der SDA.

«Lähmende Machtprobe in Thüringen», berichtet neutral die «Süddeutsche Zeitung», und wer’s noch nicht kapiert hat, für den legt sie nach: «Was Sie betreiben, ist Machtergreifung». Plus: «Es musste so kommen».

CH Media echot: «Parlaments-Chaos in Thüringen». Und auch die «Südostschweiz» weiss: «AfD sorgt für Chaos und Gebrüll im Thüringer Landtag». Auch SRF bleibt bei der gebotenen Neutralität: ««Schwer erträglich», «beschämend», «skandalös», «destruktiv»: Die erste Sitzung des Landtags im ostdeutschen Bundesland Thüringen ist im Chaos mit Ordnungsrufen, Unterbrechungen, rhythmischen Klatschen von Abgeordneten und lautem Lachen versunken

Man sieht, die schlimmsten Befürchtungen der Demokraten und der demokratischen Presse sind wahr geworden. Dieser angebräunte Haufen um den Brandstifter Björn Höcke hat keinen Respekt vor parlamentarischen Gepflogenheiten. Stattdessen wird Chaos gestiftet, gebrüllt und der ordentliche Betrieb aufgehalten.

Könnte man meinen. Es wäre allerdings diversen Medien gut angestanden, zunächst einmal auf die Ausgangslage hinzuweisen. In Deutschland werden alle Parlamente bis hinauf zum Bundestag nach Wahlen zunächst von einem Alterspräsidenten geleitet. Das ist im Fall Thüringen Jürgen Treutler. Der eröffnete mit den freundliche Worten «ich heisse sie herzlich willkommen» die erste Sitzung. Treutler ist 71, was noch nicht gegen ihn spricht. Allerdings gehört er der AfD an, was schon blöder ist.

Ganz blöd ist allerdings, dass es parlamentarischer Brauch ist, dass die stärkste Fraktion den Posten des Parlamentspräsidenten für sich beansprucht. Ist so, war so, darf nicht mehr sein, finden die Altparteien. Denn, oh Schreck, der Wähler in seiner Verblendung hat doch tatsächlich die AfD zur stärksten Fraktion in Thüringen gemacht.

Und statt sich darüber zu schämen, auf diese Position zu verzichten und sie lieber einem der Verlierer der Wahl anzubieten, will die AfD doch tatsächlich das Parlamentspräsidium übernehmen. Das ist ein weiterer eklatanter Missbrauch demokratischer Spielregeln, typisch für diese Partei von Querulanten.

Gesittet verhalten sich hingegen alle anderen Parteien. Ein CDU-Mann fordert das Wort für sich ein und protestiert lautstark, als er es nicht erteilt bekommt. Worauf er in den Saal ruft: «Was sie hier treiben, ist Machtergreifung.» Das ist in Deutschland seit 1933 ein sehr kontaminiertes Wort.

Statt diesen parlamentarischen Brauch zu respektieren, fordern die übrigen Parteien im Thüringer Parlament, dass neuerdings jede Fraktion einen Kandidaten für das Landtagspräsidium vorschlagen darf.

Das erinnert, nein, nicht an braune Zeiten. Sondern an die Wahl eines FDP-Mannes zum Ministerpräsidenten im Jahr 2018. Mit den Stimmen der AfD! Eine solche Unverschämtheit konnte nicht Bestand halten; Mutti Merkel forderte eine sofortige Korrektur dieses Fehlenstscheids – die dann auch prompt erfolgte.

CDU, BSW, Linke und SPD wollen auch diesmal demokratische Spielregeln ändern, weil ihnen ein Mitspieler nicht passt. Wehrt der sich dagegen, ist das typische Krawallpolitik der AfD und mangelnder Respekt vor demokratischen Gepflogenheiten.

Nun muss das Thüringer Verfassungsgericht entscheiden. Fängt ja gut an. Was für ein Trauerspiel im Parlament. Was für ein Trauerspiel in den Medien. Wie gefestigt das Demokratieverständnis der Leser von Tamedia ist, belegt exemplarisch der Kommentar eines völlig Verpeilten:

«70 Prozent der Menschen in Thüringen sind gegen den Faschismus. Darum lehnen die demokratischen Parteien von CDU bis BSW zurecht jede Zusammenarbeit mit der AfD ab und fordern eine Regeländerung. Das ist nicht nur legitime Notwehr gegen eine rechtsextreme Machtergreifung, sondern geradezu eine Pflicht aller demokratischen Kräfte. Es darf nicht sein, dass demokratische Rechte vom Faschismus missbraucht werden, um die Demokratie zu zerstören.»

Wer so einen Unsinn öffentlich absondert, schadet der Demokratie entschieden mehr als es die AfD jemals könnte.

 

5 Kommentare
  1. Ferdi K.
    Ferdi K. sagte:

    Herr Brunner, Sie haben vergessen zu erwähnen, welcher Partei die Verfassungsrichter angehören, resp. welche Partei die Verfassungsrichter vorgeschlagen hat. Was Sie berichten entspricht der heutigen MSM Presse, entsprechend der Losung: «Sage immer die Wahrheit, sage die Wahrheit nur wenn sie dir passt.» Im übrigen waren in diesem Fall nicht die AfD die Radaubrüder, sondern die «AlleGegenEine»-Partei. Ich empfehle Ihnen sich die Liveübertragung anzuhören.

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  2. Guido Kirschke
    Guido Kirschke sagte:

    Das Beispiel zeigt, dass die CH wirklich richtig liegt, dass sie ohne «Verfassungsrichter» auskommt. Bei uns wird die Verfassung durch die Bundesversammlung und durch den Souverän geschützt und interpretiert. Wenn sog. Parlamentarier nicht in der Lage sind, einen Weg ohne Richterspruch zu finden, dann hat das in meinen Augen nicht mehr viel mit Demokratie zu tun. Aber ausgerechnet diese eskalierenden und nicht gesprächsbereiten Parlamentarier schreiben sich «Kämpfer der Demokratie» auf die Brust und die Wähler nehmen das denen nach wie vor ab. Dies kann nur noch durch Angst der Deutschen Wähler vor mehr Demokratie erklärt werden. Eine andere Begründung sehe ich nicht mehr.

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    • Victor Brunner
      Victor Brunner sagte:

      Eben nicht, bei verschiedenen Abstimmungen wurde der Volkswillen nicht respektiert, MEI. Auch die Zeitwohnungsinitiative wird mittlerweile ausgehöhlt, besonders im Wallis. Parlamente sind keine Garanten für die Sicherung des Volkswillen! Unsere Parlamente sind durchsetzt mit bezahlten oder verbandelten PolitikerInnen, im Ausland nennt man das Korruption!

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  3. René Küng
    René Küng sagte:

    Es ist traurig, wenn einem die Idiotie, Perfidie und die Verlogenheit der sogenannten ‹Demokraten› förmlich hintreibt zu Parteien, bei der mann oder frau sich nicht unbedingt heimisch fühlen möchte.

    Hinter dem traurigen, erbärmlichen Gebaren, dem Verfall der Werte und dem Respekt in Politik, Medien und Justiz lauern die Interessen der autoritären Kreise, die darauf abzielen, dass das, was mal ‹Gesellschaft› war, sich fetzt und zerfetzt.
    Nicht Nazis oder Faschisten die sich als ‹Könige› aufführen, sondern die Könige, die schon lange herrschen und herrschen lassen, befeuern und provozieren diesen Niedergang.
    ‹Creative Zerstörung› nennt sie der Alt-Nazi oder neue HeilBringer, der für die Monarchie die digitale Revolution predigt.
    Er hat genug Fans und noch mehr Profiteure, die sich damit eine goldene Nase verdienen.
    Und nur die noch ein Auskommen haben, die glauben oder schlucken, dass diese Welt nur noch aus 0 und 1 bestehen soll.

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  4. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Das Verfassungsgericht Thüringen hat entscheiden:
    Der AfD Alterspräsident Treutler muss vorläufige Schriftführer ernennen, die Beschlussfähigkeit des Landtags feststellen, die Tagesordnung zur Abstimmung stellen. Wenn die feststeht, muss die Sitzung nach Tagesordnung geleitet werden!
    Auch entschieden hat das Gericht:
    Eine Debatte und Beschlussfassung über eine Änderung der Geschäftsordnung bereits vor der Wahl des Landtagspräsidenten sei zulässig.
    Die AfD mit Treutler war von Anfang auf Krawall aus den hat sie erhalten, auch mit der Nominierung von Wiebke Muhsal als Landtagspräsidentin die schon mal den Thüringer Landtag belogen hat und zwei Monatslöhne einer Mitarbeiterin für ihre Zwecke verwendet hat!

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