Gibt es Medienkritik ohne Medien?

Oder kann man im Nichtschwimmerbecken crawlen?

ZACKBUM widmet sich für einmal an einem geruhsamen Sonntag dem Lieblingsorgan der meisten Journalisten. Dem Bauchnabel.

Vor etwas mehr als vier Jahren, genauer am 25. Juli 2020, hat ZACKBUM begonnen. Geboren aus dem Bedürfnis heraus, der serbelnden Medienkritik eine neue Plattform zu geben. Damals gab es noch ein paar ernstzunehmende Mitbewerber, wie man so schön sagt. «Die Medienwoche», eine feste Medienseite in der NZZ mit einem erfahrenen Betreuer. Den «Schweizer Journalist», der dann zur «Schweizer Journalist:in» denaturierte, sich aber wieder gefangen hat. Auch Tamedia und CH Media frönten gelegentlich der Medienkritik.

Alles weg.

3630 Artikel, über 14’000 Kommentare. Befriedigende Einschaltquote, eine kleine Truppe von ZACKBUM-Fans, eine Truppe von Neugier-Lesern, eine grosse Truppe von ZACKBUM-Hassern. Besonders die machen ungemein Spass.

Das Problem eines Duopols im Tageszeitungsbereich mit einem zu Tode redesignten und entkernten «Blick», plus Planet NZZ: es gibt dort keine Medienkritik mehr. Denn der Tagi kann schlecht die BaZ kritisieren. Die «Aargauer Zeitung» nicht dem St. Galler «Tagblatt» die Leviten lesen. Der «Blick» kann sowieso fast nix. Und die NZZ probiert’s manchmal, haut dann alle anderen in die Pfanne, spart sich selbst aber unsouverän aus.

Und was soll da die letzte unabhängige Medienkritik, die keinerlei Verpflichtungen hat, keinerlei Hemmungen kennt (ausser vor teuren juristischen Auseinandersetzungen)? Ist ein manischer Schreibzwang Grund genug, gewisse repetitive Schlaufen zu übersehen? Ist es Verteidigungsargument genug zu sagen, wenn die Journaille immer wieder die gleichen Dummheiten macht, dass dann auch immer wieder das Gleiche daran kritisiert werden muss?

Oder soll sich ZACKBUM im Sonnenschein aalen, dass wir der Rächer der Stummen und Entmündigten sind? Es ist natürlich schön zu wissen, dass ZACKBUM fleissig gelesen wird. Es ist noch schöner, dass aufgeblasene Wichtigkeiten bei der Lektüre rot anlaufen und Verbalinjurien knirschen. Es ist beelendend mitzuerleben, wie Journalisten sich vertraulich melden und ihr Leid klagen. Das Leid einer sterbenden Berufsgattung.

Nicht nur das Rauchen und Saufen ist aus dem Journalismus verschwunden. Sondern auch sonst das meiste, was Spass gemacht hat. Die Welt kennenlernen. An jede Türe klopfen dürfen, und mit der Begründung «bin Reporter» wird man (meistens) reingelassen. Die Entdeckerfreude. Die Neugier. Die Cleverness, Hindernisse zu umkurven, die Entdeckerfreude, der angenehme Adrenalinschub durch die Deadline. Der Stolz, ein rundes Stück abgeliefert zu haben, das garantiert die Welt verändern wird. Mindestens für Aufsehen sorgen. Allermindestens dafür geeignet ist, in fröhlicher Runde nacherzählt zu werden.

Die Zeiten, bevor der Chefredaktor fragte, wenn überhaupt noch so etwas geplant wird, was denn die These sei, bevor die Recherche überhaupt begonnen hat. Die Zeiten, bevor Bedenkenträger und Erbsenzähler an die Macht kamen. Technokraten mit grauen Gesichtern und grauen Hirnen und grauer Schreibe. Zeiten, bevor die Farbe aus dem Journalismus verschwand.

Zeiten, wo noch galt: Kisch, schreib das auf! Wo galt: hingehen, hinschauen, hinschreiben. Alles aufschreiben. Die Farbe der Tischdecke, der Geruch in der Küche, die abgetragenen Schuhe, der müde Blick. Nicht, dass man all die Details gebraucht hätte für die Story. Aber nur wer aus einer Überfülle auswählen kann, kommt der Wirklichkeit nahe. Nicht, wer aus drei Beobachtungen eine ganze Story bastelt, ein flaches Abziehbildchen, Fast Food, mit Fett oder Zucker zur schlechten Gewohnheit gemacht.

Schade, eigentlich. Bedauerlich einzig, dass noch nie eine ganze Branche an der Unfähigkeit des führenden Managements zugrunde gegangen ist. So wie der Journalismus. Denn es kann doch niemand im Ernst behaupten, dass all die alternativen Medien, die Newsschleudern auf den sozialen Plattformen, die ausweichenden Formen der Newsaufnahme entstanden wären, wenn die klassischen Medien ihrer Aufgabe gewachsen geblieben wären.

Wenn zwischen «das ist amtlich» und «das steht so in der Zeitung» kein grosser Unterschied wäre. Aber heutzutage kann man sich ja nicht mal mehr auf amtlich verlassen, siehe AHV.

Was soll dann noch ZACKBUM? Seinen Einzugsbereich vergrössern und all die unzähligen Newsgroups abklappern? Kä Luscht. Uns weiterhin mit Bärtschis, Binswangers und anderen Nullen herumärgern? Immer wieder das Klagelied über zunehmenden Analphabetismus, Kulturlosigkeit, Ungebildetheit, Unfähigkeit zu logischem Denken, zu Schlussfolgerungen anstimmen?

Immer wieder sprachartistische Girlanden auf einen Sumpf flechten?

Das muss man wohl pragmatisch sehen: ZACKBUM macht genauso lange weiter, wie’s noch Spass macht. Und dann wird der Stecker rausgezogen. Und vorher keine Bauchnabelschau mehr betrieben.

8 Kommentare
  1. Franco Schoenenberger
    Franco Schoenenberger sagte:

    Merci so oder so, René Zeyer, für diesen fleissigen und tapferen Dienst. Montag bis Sonntag schaue ich fix tagtäglich auf zackbum mit Leidenschaft vorbei und ist bei mit heute Teil meines Alltagsrituals.
    Selber bin ich weder aus der Branche noch guter Schreiber und trotzdem finde ich als Amateur immer Zugang und Anspruch.
    Besonders herzlich bedanken möchte ich mich bei dieser Gelegenheit für die tolle Moderation der Kommentare. Jeder Kommentar von mir, der angelehnt werden musste, wurde das mit Recht, weil über das Ziel hinaus geschossen oder im Ton vergriffen. Aber nirgends, kann ich in der ganzen Schweiz online, scharfe pointierte Sachen so drastisch sagen, wie hier! Und doch mit gewissem Niveau. In diesem Sinne: Ich werde noch so lange vorbei schauen, wie es Spass macht. Und das tut es.

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  2. Ast
    Ast sagte:

    Herr Zeyer, täglich aus der Mediensuppe, einer verdünnten Brühe, einer Suppe von der Suppe von der Suppe, eine Consommé zu zaubern ist eine grosse Leistung. Dazu, in Zeiten von KI, Zensur in Köpfen, Redaktionen und Kommentarspalten, allerlei Tümeleien hüben wie drüben, sind Sie als leibhaftiger Journalist mit Fleisch am Knochen, der sich eine eigene Meinung leistet und andere Meinungen (fast) immer zulässt, äusserst rar. Es menschelt angenehm, wahrscheinlich sind Sie kein bot.
    Das ist Ihre zweite Ankündigung in kurzer Zeit, dass Sie ans Aufhören denken. Das verstehe ich gut. Mehr und mehr überkommt mich ja auch das Gefühl, dass heutzutage der Konsum von Tagesmedien nur noch eine schmerzhafte Verschwendung von Lebenszeit ist… dennoch, wie Tucholsky sagte: nichts ist ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen. Drum sei Ihnen und uns noch der eine oder andere, gute oder bessere Artikel auf zackbum vergönnt. Danke, Prost und Salam

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  3. Peter Bitterli
    Peter Bitterli sagte:

    Ich möchte schon festhalten, dass wir Sie an dieser Stelle brauchen, Herr Zeyer. Wir müssten sonst den ganzen Dreck selber lesen, wären schlechter unterhalten, und so gar Mancher würde daran scheitern, sein Missfallen an der Journaille und anderen schmutzigen Zeitgenossen in eigenen Worten zu kommunizieren.

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  4. Simon Ronner
    Simon Ronner sagte:

    «Oder soll sich ZACKBUM im Sonnenschein aalen, dass wir der Rächer der Stummen und Entmündigten sind?»

    Warum nicht? Schliesslich ist dieser Aspekt (Rächer der Stummen und Entmündigten) für Medienkonsumenten ja von Relevanz, da eine medieninterne Kontrolle nicht (mehr) vorhanden ist.

    Benedict Neff hat das Thema in der Folio-Beilage der NZZ kürzlich aufgegriffen. Einiges scheint er richtig erfasst zu haben, wenn auch sehr, sehr spät. Das Bild ist bei weitem noch nicht komplett, und starten sollte man bei der Behebung von erkannten Missständen bekanntlich immer dort, wo es am nächsten liegt: bei sich selbst. Zwei Tipps für den Anfang, NZZ: Stoppt die peinliche Abgrenzeritis gegen andere liberal-konservative Kräfte. Und mistet endlich diesen unerträglichen Saustall NZZaS aus.

    https://www.nzz.ch/folio/sklaven-des-mainstreams-ob-fluechtlingskrise-trump-oder-corona-journalisten-sind-allzu-oft-einer-meinung-ld.1844840

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  5. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Bei dem Söihäfeli/Söideckeli Medienpaltz Zürich ist unabhängige und bissige Medienkritik wichtig, sonst verludert der Medienplatz Zürich mit TA, NZZ, BLICK und SRF total!

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  6. Beat Morf
    Beat Morf sagte:

    Ich wünschte es Gäbe die Zeitung mit Zeyer als Chefredaktor. Ich bin mir sicher, die Zahl der Leserschaft würde rasch wachsen. Die normalen Leute haben die Nase so voll von diesen schreibenden Pfeifen bei TA, CH-media, etc.

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  7. Slavica Bernhard
    Slavica Bernhard sagte:

    Medienkritik ist viel mehr: Um Medienkritik machen zu können, muss man nicht nur Lesen und Schreiben können. Man muss auch die Story kennen! Herzlichen Dank an Herrn Zeyer!

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