Folter à la Tamedia

Wer wird gefeuert, wer nicht? Der Stimmungskiller im Glashaus.

Am 27. August wurden die «Weichen für Qualitätsjournalismus» im Hause Tamedia gestellt. Dazu gehört, dass 200 Drucker und 90 Journalisten gefeuert werden sollten.

Nun schreiben wir den 18. September, es sind seither mehr als drei Wochen vergangen. Aber die Namen der rauszuschmeissenden Journalisten sind immer noch nicht bekannt gegeben worden.

Das gibt Raum für einige Überlegungen.

  1. Die kompetente CEO Jessica Peppel-Schulz hat einfach mal eine Zahl in den Raum gefeuert. 90 hört sich irgendwie gut an. 100 wäre zu gross, 89 zu wenig, 90 ist einfach zu merken. Können aber auch nur 55 sein. Oder so. Die Zahl mit Inhalt zu füllen, das überlässt sie dann anderen.
  2. Wie wurden denn die zu Feuernden ausgewählt? Namensroulette? Mit Pfeilen auf ein Poster mit allen Mitarbeitern geworfen? Oder Unbotmässige, Frechdachse («der hat sich doch über meinen letzten Kommentar lustig gemacht», «der wurde dabei beobachtet, wie er ZACKBUM las und dabei schmunzelte», «der hat doch gefragt, was Hasse, ausser Selfies, eigentlich macht») mit einem Kreuz versehen?
  3. Natürlich wissen die Häuptlinge inzwischen, wen’s trifft. Also laufen Raphaela Birrer und die anderen Verantwortungsträger durch die Grossraumbüros an der Werdstrasse, nicken dem und der freundlich zu, hören sich Pläne zu zukünftigen Artikeln geneigt an, merken an, dass man wegen der Gehaltserhöhung oder der Ferienplanung dann mal sprechen werde – und wissen gleichzeitig, dass sie mit lebenden Redaktionsleichen sprechen. Was für ein Gemüt muss man haben, um das ohne Psychopharmaka auszuhalten?
  4. Während sich die publizistische Leiter Simon Bärtschi unsterblich lächerlich und unbeliebt macht, hört man von der Chefredaktion kein Wort. Tauchstation, Schweigen, Führungsverantwortung, was ist das.
  5. Gleichzeitig fragt sich jeder, aber wirklich jeder Journalist seit drei Wochen unablässig, ob es ihn trifft oder nicht. Zu alt, zu teuer, zu widerspenstig, nicht genügend Leserzuspruch, zu wenig woke, zu wenig feministisch, zu kritisch, zu wenig Speichellecker, das Gesprächsangebot von Bärtschi ignoriert? Mit einem Kollegen beim Feierabendbier über die Chefetage abgelästert, und ob der dichthält?
  6. Oder gleich Durchmarsch; freiwillige Meldung bei HR, wie es denn mit einer Frühpensionierung so stehe. Ob die Umschulung zum Taxifahrer bezahlt werde. Ob bei Editorial Services noch ein Pöstchen frei sei. Ob man nicht als Moderator der Leserkommentare noch ein kleines Zubrot zur Sozialhilfe verdienen könne.
  7. Oder gar Aufruhr und Widerstand? Schliesslich rufen die Journalisten doch unablässig zu Zivilcourage auf, gegen Diskriminierung, Ausgrenzung, gegen raffgierige Besitzer und Unternehmer. Immerhin, in der Romandie gab es ein Streikchen. Einen Bonsai-Streik. Von einer Stunde. Aber wie wäre es, wenn eine Mehrheit der Redaktion eine ganze Ausgabe lang streiken würde? Die wenigen opportunistischen Streikbrecher mit Verachtung straften? Protestschreiben online stellen würden? Das Recht auf Meinungspluralismus einfordern? Die bittere Wahrheit ist: all diese Maulhelden in fremden Sachen sind in der eigenen viel zu feige.
  8. Es gibt sinnvolle Vorschläge, auch von ZACKBUM, wie man mit gezielten Sparmassnahmen in den Häuptlingshorden, von VR, Geschäftsleitung und Redaktionsleitung abwärts, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könnte. Die Massenentlassung würde überflüssig, weil man damit mindestens so viel Geld spart. Und wenn hier gefeuert würde, wäre das tatsächlich eine Weichenstellung für mehr Qualität. Denn wer braucht schon eine Peppel-Schulz, einen Bärtschi, eine Birrer? Um nur ein paar Namen zu nennen. Würde jemand (ausser ihnen selbst) ernsthaft behaupten, mit deren Einsparung würde die Qualität bei Tamedia spürbar sinken?
  9. Will wirklich, ausser Bärtschi natürlich, jemand ernsthaft behaupten, nach einer Massenentlassung sei der Inhalt des Kopfblattsalats von Tamedia gleich viel Geld wert wie vorher? Wird dann endlich der Abopreis auch mal gesenkt, anstatt ständig erhöht?
  10. Inzwischen wurde ein Stück der Katze aus dem Sack gelassen. Es gibt nur noch vier Redaktionen für alle Tages- und Sonntagstitel. In Zürich verschwinden die eigenständigen Rumpfredaktionen von «Landbote», «Zürichsee-Zeitung», «Zürcher Unterländer » und «SonntagsZeitung». Arthur Rutishauser bleibe Chefredaktor der SoZ. Chefredaktor wovon genau? Er bleibe «Kopf der SonntagsZeitung, wichtiger Inputgeber für die ganze Redaktion», säuselt die Medienstelle.
  11. Der «Züritipp» wird eingestellt, womit schon mal ein paar Stelleneinsparungen klar sind. Statt 90 Stellen sollen nun auf einmal nur 55 wegfallen. Soll das befriedende Salamitaktik sein? Und zeugt es von überlegener Menschenführung, wenn die Mitarbeiter des «Züritipp» zusammen mit allen anderen erfahren, dass sie überflüssig sind? Während man ohne zuvor noch Hoffnungen machte, dass das Magazin erhalten bleibe?
  12. Das hier wird sicherlich die Stimmung ungemein verbessern: «Tamedia ist sich der Schwere dieser Massnahmen bewusst. Es kommen Sozialpläne inklusive Möglichkeit von Frühpensionierungen zur Anwendung. Neben persönlicher Begleitung und Beratung bietet Tamedia den betroffenen Mitarbeitenden finanzielle Unterstützung für Weiterentwicklungs- und Umschulungsprogramme an.» So eine «Weichenstellung für Qualitätsjournalismus» geht halt nicht ohne schmerzliche Verluste.
  13. Eine solche Massenentlassung ist der Beleg für ein krachendes Versagen der Verlagsetage. Ein Beweis für die schreiende und anhaltende Inkompetenz der wohlbezahlten Manager. Das ist schon schlimm genug. Aber eine solche Massenentlassung über Wochen hinweg zur Folterkammer der potenziell Betroffenen machen, das ist nicht mehr bloss Unfähigkeit. Das ist schon Sadismus.
5 Kommentare
  1. Balti
    Balti sagte:

    Die Folter soll evtl. veranlassen, dass genug Freiwillige das sinkende Boot verlassen, wenn die übel riechenden Schwefelblasen abgesondert wurden an Bord. Lange hiess es , BZ/Bund würden separate Redaktionen bleiben – heute ist das Geschichte. Dasselbe hiess es beim Züritipp, SonntagsZeitung, etc. Auch bald Geschichte. Wer sich so das Vertrauen der Leser und Mitarbeiter erhofft, muss sturzbesoffen das Steuer lenken.

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  2. Karl Warth
    Karl Warth sagte:

    Einzelschicksale von Rutishauser interessieren zu wenig, wenn ganze Zeitungen, Der Landbote, zum sterben verdammt werden. Warum hat man die Zeitung ursprünglich gekauft, wenn sie jetzt eingestampft wird? Warum den Verkauf an Christoph Blocher verhindert? Richtig, um Konkurenten aus dem Weg zu räumen und danach alles veröden zu lassen. In Winterthur. Während Schaffhausen abseits von Tamedia eine ziemlich lebendige lokale Presse hat – an der Rentabilität liegt es also nicht. Sogar Andelfingen hat seine Zeitung.
    Tages-Anzeiger hält sich offenkundig für eine Art Bundesbetrieb, der Produkte nicht „quersubventionieren“ könne… Aber sicher kann das jedes private Unternehmen und nach belieben. Tragi glaubt, man wäre in der Lage, ähnlich wie Post und SBB, Dienste stetig abzubauen und damit indirekt aufzuschlagen. Der Markt ist allerdings ein anderer und es gibt sie, die fundierten erfolgreichen Regionalnachrichten, nach wie vor. Nur im Kanton Zürich nun nicht mehr. Tagi kennt also weder Markt noch Publikum und die Schweiz womöglich gar nicht.
    Und das ist gut. Tagi macht endlich Platz für neues – denn Winterthur wird das nicht einfach hinnehmen. Wer, ausser Bundesbetrieben, killt eine Kundschaft von Hundertausend? Man hätte eher Kopfblatt als Regionalausgaben töten sollen, Mörder Pietro Supino.

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  3. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Supino hat das Unternehmen an die Wand gefahren, Peppel-Schulz-Schulz weidet es aus, Bärtschi verspricht das ewige Leben und Birrer ist das loyale und ehrgeizige Feigenblatt!

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  4. C. Wallens
    C. Wallens sagte:

    Vielleicht ist das Blatt den Lesenden, Medienkonsumierenden und Zeitungsabonnierenden einfach nicht genug woke, erzieherisch, besserwisserisch, belehrend, einordnend, drohend, kriegerisch, inklusiv, moralisierend und erklärend? Wenn man nach den freien, unzensurierten und äusserst vielfältigen Beiträgen in den Kommentarspalten urteilen würde, könnten die Redaktorierenden in dem Bereich durchaus noch eine Schippe drauflegen.

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