Qualitätsjournalismus? My ass

Kurt W. Zimmermann knöpft sich den Qualitätsanspruch von Tamedia vor.

Eine Massenentlassung, die mehr als 100 Journalisten bei Tamedia die Stelle kosten wird. Gleichzeitig blamierte sich die publizistische Leiter nach unten Simon Bärtschi mit einem Kommentar in «eigener Sache» unsterblich.

Oder wie Zimmi in der «Weltwoche» schreibt:
«Die aberwitzigste Begründung für die Sparübung kam vom obersten publizistischen Leiter des Verlags. Die Massenentlassung, schrieb er, sei ein Glücksfall. Es sei eine «Weichenstellung für den unabhängigen Qualitätsjournalismus».
Qualitätsjournalismus durch Massenentlassung? Weichenstellung? Die Branche brüllte vor Lachen, von der nahen NZZ bis zu den ferneren Le Monde in Paris und der Frankfurter Allgemeinen.»
Seither gibt es endlich einen Masstab zur Messung von Peinlichkeit im Journalismus. Es ist die Bärtschi-Skala. Mit dieser Lachnummer legte er die Benchmark vor: 10 Bärtschis. Sie wird selten übertroffen, häufig unterboten.
Diese lachhafte Behauptung, die wohl nicht einmal karrierefördernd war, nimmt Zimmi zum Anlass, selbst Kriterien aufzustellen, nach denen sich «Qualitätsjournalismus» messen lässt. Nein, Massenentlassungen gehören nicht dazu. Dafür aber vier Dinge, die eben eine NZZ, eine Le Monde, eine FAZ oder eine NYT zu Qualitätsmedien machen.

Wie bei Bärtschi kann man das ganz einfach messen, es sind nur vier Kriterien:

– Auslandberichterstattung
– Feuilleton
–Wirtschaftsberichterstattung
– offene Meinungsbildung

Nun könnte man noch diskutieren, wenn ein Blatt nicht alle vier Kriterien erfüllt. Bei Tamedia hingegen ist es ganz einfach: hier wird Qualität nur behauptet, nicht geliefert. Das Medienhaus fällt bei allen vier Kriterien durch.

Statt eigener Auslandberichterstattung mit eigenen Korrespondenten übernimmt es flächendeckend die Berichterstattung der «Süddeutschen Zeitung», die mit sehr linker, teutonischer Sicht die Welt betrachtet und mit typisch deutscher Rechthaberei bewertet und benotet. Nicht nur hier, nebenbei, der halbe Tagi ist voll von Artikeln aus der SZ, wenn sie nicht von der DPA, SDA oder AFP stammen.

So etwas wie ein Feuilleton oder eine Kulturberichterstattung gibt es nicht mehr. Es gibt zwar noch ein Team «Kultur», das diesem Namen aber Schande macht. Man kann ja nicht im Ernst behaupten, dass Andreas Tobler oder Nora Zukker etwas mit Kultur zu tun hätten.

Tamedia hat sich gerade rumpelig von seinem Wirtschafts-Chef getrennt; niemand weiss, warum. Was früher mal eigenständig war, ist inzwischen ein Mischmasch von «Politik & Wirtschaft». Der einzig ernst zu nehmende Wirtschaftsjournalist Arthur Rutishauser kann das im Alleingang auch nicht rausreissen.

Debattenkultur ist das letzte Kriterium. Alle grossen Qualitätszeitungen pflegen den Gastkommentar, die andere Meinung, den Widerspruch. Bei Tamedia kommentieren meistens die eigenen Schreiber. Am liebsten auch noch sich selbst und ihren Bauchnabel. Will aber zum Beispiel René Zeyer einen Gastkommentar als Erwiderung zu einer unerträglichen Kriegstreiberei schreiben, dann wird ihm mitgeteilt, er habe «Schreibverbot». Ausgesprochen von zwei unsicheren Weibern der Chefredaktion, die sich durch ihn «diffamiert» fühlen.

Auf die Frage, ob sie dafür vielleicht ein, zwei Beispiele nennen könnten, verstummt die Chefredaktion. Das ist mal echte Debattenkultur.

Es ist schon lachhaft, ein grosses Rausschmeissen als Weichenstellung für Qualitätsjournalismus verkaufen zu wollen. Schlimmer noch, selbst der dümmste Leser merkt, dass er hier verarscht wird, auf den Arm genommen, über den Löffel balbiert.

Aber auch unabhängig davon ist Tamedia schon lange nicht mehr ein Qualitätsorgan. Der Tagi ist in weiten Teilen eine (oft schlechte) Kopie von «20 Minuten». Mit zwei Unterschieden: der Tagi ist nicht gratis, und er ist vollgesosst mit Meinungen und Kommentaren der Redaktoren, die meistens keinen Menschen interessieren.

Kein Qualitätsorgan käme auf die Idee, die Autoren eines angeblichen Scoops sich selber produzieren zu lassen, mit stolzgeschwellter Brust über ihre übermenschliche Leistung zu schwadronieren. Das dürfen auch die Autoren einer Podcast-Serie über eine Sprinterin, die vor langer Zeit gestorben ist und keinen Menschen mehr interessiert.

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung, heisst es. Den will Tamedia offenbar nicht tun. Ein erstes Zeichen wäre es, wenn sich das Medienhaus von seinem publizistischen Leiter trennen würde. Denn mit einer solchen Lachnummer kann es nicht besser werden.

4 Kommentare
  1. K. Meyer
    K. Meyer sagte:

    Was will man von einem Verlag erwarten, der während der Corona-Zeit Hysteriker wie Scherzbold Brupbacher und Impfzwang-Forderer wie Denis Von Burg (leider kein Scherz) auf die zahlende Leserschaft losgelassen hat. Hier wäre (neben den im Artikel erwähnten Figuren) tatsächlich Sparpotential vorhanden.

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  2. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    In einem Medienhaus mit Anspruch wäre der „publizistische Leiter“ nach dem Artikel auf der Stelle gefeuert worden. Nicht so an der Werdstrasse, da wird der loyale Hofschranz noch gebraucht als Vorbild und Beispiel für die JournalistenInnen, tiefer geht immer und ganz tief ist am besten. Da kann Bitrer und viele andere wieder besser schlafen, so schlimm wird’s mit der deutschen Zuchtmeisterin nicht!!
    Deutsche CEO, abhängig von der SZ, die Germanisierung des TA!

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  3. Ursina Müller
    Ursina Müller sagte:

    Der Wirtschaftsjournalist Jorgos Brouzos liefert immer mal wieder gute Artikel, der fällt neben Rutishauser auch positiv auf.

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  4. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Der Tagi ist schon lange ein Tragi. Würde er ganz
    verschwinden, wäre das kein grosses Unglück. Ausser natürlich
    für die Verträger, das Reinigungspersonal und einige Azubis

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