Ein entlarvendes Interview
Tamedia übertrifft sich im Framing mal wieder selbst.
«Bschiss», «Bischiss», «Bschiss». Ein paar Redaktoren beim Tagi können vor lauter Wichtigkeit kaum mehr geradeaus laufen. Ihre Enthüllung erschüttere angeblich die Schweiz. Tausende von Unterschriften unter Initiativen seien wohl nicht nur gekauft, sondern auch gefälscht. Und keiner habe was gemerkt, bis der Tagi kam.
Der erste Teil der Ansage harrt noch des Beweises. Der zweite Teil ist erwiesenermassen falsch. Um eine solche Story am Köcheln zu halten, braucht es natürlich unter anderem auch das Interview mit dem Fachmann. Mit einem Experten. Voilà:
«Nach den Enthüllungen dieser Redaktion verlangt Campaigner Daniel Graf einen sofortigen Stopp des Unterschriftenkaufs.» Nicht nur Thomas Baumann fragt sich in der «Weltwoche», ob Graf da wirklich der geeignete, neutrale Fachmann sei.
Denn hier wie kaum sonst gilt ein genialer Satz von F.W. Bernstein:
«Die schärfsten Kritiker der Elche
waren früher selber welche».
Jacqueline Büchi stellt ihn dem Leser einleitend vor (Graf, nicht den Elch): «Kaum jemand im Land kennt den Maschinenraum der direkten Demokratie so gut wie Campaigner Daniel Graf. Der Historiker ist Mitbegründer der Stiftung für direkte Demokratie und der Plattform Wecollect. Im Interview übt er scharfe Kritik am heutigen System.»
Das grenzt nun schon an Fake News. Denn richtig ist, dass der «Campaigner» das Thema Unterschriftensammlungen sehr, sehr gut kennt. Er darf hier auch Staatstragendes absondern: «Es steht viel auf dem Spiel, es geht um das Vertrauen in die direkte Demokratie.»
Zunächst einmal steht hier wieder die Glaubwürdigkeit des Tagi auf dem Spiel. Denn wäre es nicht redlich gewesen, dem Leser ein wenig mehr Informationen über den Interviewten zu geben? Da gibt schon mal die Webseite seiner Bude «wecollect» Auskunft: «Seit dem Start 2015 haben wir über 800 000 Unterschriften gesammelt.» Ach so, der Mann ist kein «Campaigner», sondern ein Unterschriftensammler.
Wir wollen ihm natürlich nicht unterstellen, dass er das mit unlauteren Mitteln täte. Aber es ist doch vielleicht ein wenig unfair, einen Unterschriftensammler über andere herziehen zu lassen, ohne den Leser darüber zu informieren, dass das möglicherweise nicht ganz uneigennützig oder objektiv geschieht.
Das ist ungefähr so, wie wenn man einen Coop-Marketingmenschen über die Rabattpolitik der Migros interviewen würde – ohne zu sagen, dass der Interviewte für den direkten Konkurrenten arbeitet.
Dass Graf sich selbst eindeutig im linksliberalen Lager verortet, ist für Büchi auch kein Problem; sie lässt ihn ungebremst über die «Bürgerlichen» herziehen, wobei er den Namen Blocher gar nicht erwähnen muss: «Zudem gibt es im bürgerlichen Lager Komitees, die über sehr viel Geld verfügen und im Extremfall ganze Initiativen kaufen.» Allerdings kann er für diesen happigen Vorwurf nur ein einziges Beispiel anführen, die Blackout-Initiative. Und was er zu erwähnen vergisst: für Unterschfitensammeln bezahlen, das ist erlaubt. Kennt er selbst.
Aber Baumann hat noch ein weiteres Schmankerl auf Lager. Graf verfügt ja über eine der besten Adresskarteien der Schweiz. Die er selbstverständlich nur für Gotteslohn zur Verfügung stellt. Er fordert: «Ich befürworte schon lange, dass Unterschriften auch elektronisch gesammelt werden können. Beim sogenannten E-Collecting könnte man die Handynummer hinterlegen.»
Ganz abgesehen von schweren staatspolitischen und datenschützerischen Bedenken: «Können Unterschriften auch elektronisch gesammelt werden, dann gewinnt die «berühmte» Adresskartei von Daniel Graf noch mehr an Macht», schliesst Baumann messerscharf.
Man sieht (bzw. sieht nicht): hier gäbe es einiges an Aufklärungsbedarf, wenn man diesen Graf schon die Gelegenheit für Gratiswerbung und Selbstdarstellung gibt. Aber da er mit seiner Haltung in die Gesinnungsblase der Tamedia-Redaktion passt, hält es Büchi nicht für nötig, dem Leser einige Informationen mit auf den Weg zu geben, mit denen er das Geblubber von Graf richtig einordnen könnte.
Stattdessen die Lieblingsbeschäftigung der Qualitätsjournalisten von Tamedia: Leserverarsche.
Eine typische Tagi-«Unleistung».
Nichts hassen die Linken an unserem politischen System mehr als das Mitbestimmungsrecht des einzelnen Pöbels. All diese Dummen können nämlich von Rattenfängern und Populisten, diesen verkackten Bonzenschweinen, zu ganz schlechten Entscheidungen verführt werden. Demokratie? Schtonk!
Tagi, Du bist hässlich.
Unglaublich. So penetrant wie Herr Graf in den Sozialen Medien seine Duftmarken setzt, fragt man sich, was dem Herrn mit so viel Gesinnung den Auftritt in einem soliden Qualitätsblatt beschert …
Bschiss? Besser: Leserverarschung, gelabelt als «Qualitätsjournalismus».
Natürlich weiss der Campaigner was der gemeine Tamedia-Journalist auch weiss: die Namen auf den Unterschriftenbögen werden von der Wohngemeinde und später nochmals von der Bundeskanzlei verifiziert. Spätestens dann fallen Donald Duck aus Entenhausen und Gottfried Keller aus Seldwyla raus.
«Jacqueline Büchi stellt ihn dem Leser einleitend vor: ‹Kaum jemand im Land kennt den Maschinenraum der direkten Demokratie so gut wie Campaigner Daniel Graf.›
Das grenzt nun schon an Fake News. Denn richtig ist, dass der ‹Campaigner› das Thema Unterschriftensammlungen sehr, sehr gut kennt.»
Der zweite Abschnitt bestätigt, was im ersten steht. Was also grenzt da an Fake News?
Unterschriften (gesammelt oder gekauft) ist ein Handwerk oder IT-Job,
Wahl-Propaganda ist die Waschmaschine,
Abstimmungstag ist Demokratie – oder das, was wir meinen es sei Demokratie, nach all den Hirnwäschen von der Wiege bis zur Demenz.
Campaigner und Demokratie, das ist so nah an fake news wie Büchi.