Böses Erwachen?

Tamedia weidet sich an seiner Grosstat der Bschiss-Story. Wie lange noch?

«Unsere Autoren erzählen, wie sie den Unterschriften-Bschiss enthüllten». Das ist eine entlarvende Schlagzeile. Selbst bei einem solchen Thema darf die Bauchnabelschau nicht fehlen, müssen die Federn gespreizt werden, sind die Boten mindestens so wichtig wie die Botschaft.

«Unterschriften-Bschiss erschüttert die Schweiz», auch da geht es keine Nummer kleiner. Die Behauptung: «Tausende Daten für Initiativen gefälscht». Die davon abgeleitete Vermutung: es kamen Initiativen zur Abstimmung, die möglicherweise gar nicht genügend gültige Unterschriften hatten, um korrekt zustande zu kommen.

Wobei deutlich unterschieden werden muss zwischen gekauften Unterschriften (legal) und gefälschten (illegal).

Das ist, das wäre natürlich tatsächlich ein Skandal. Nun hat aber die  für solche Themen zuständige Bundeskanzlei nach längerem Schweigen eine Stellungnahme veröffentlicht. Die ist ernüchternd für Tamedia in vollem Schuss, daher wird sie zuerst geframt und ins Narrativ eingepasst, wie man moderndeutsch sagt:

«Die nach dem Bekanntwerden von mutmasslichen Unterschriftenfälschungen in die Kritik geratene Bundeskanzlei hat sich erstmals ausführlich zu den Vorfällen geäussert, welche diese Redaktion publiziert hatte.
Mehrere Parlamentsmitglieder und Politologen liessen am Dienstag kein gutes Haar an der Bundeskanzlei
, welche die Unterschriftensammlungen für eidgenössische Volksinitiativen und Referenden prüft. Es sei unverständlich, dass Missstände erst nach einer Tamedia-Recherche ans Licht gekommen seien, lautete der Tenor.»

Nach diesen Watschen weidet Tagi-Redaktor Felix Müller (Karriere bei «Surprise», SRF und nau.ch, seit 2023 «am Desk») eine SDA-Meldung aus, denn hier versagt der eigene Recherchiermuskel. Ein Tausendsassa, zuvor schrieb er noch: eine andere SDA-Meldung zusammen: «Unkontaktierte Indigene töten zwei Holzfäller in Peru». Aber nun Themenwechsel; «Bundeskanzlei erklärt Schweigen mit Diskretion», hämt der Zwischentitel seines neusten Werks. Dann wird die Bundeskanzlei endlich mal zitiert:

«Das Amtsgeheimnis, die Unschuldsvermutung, die laufenden strafrechtlichen Verfahren sowie der Schutz der Abstimmungsfreiheit gebieten es der Bundeskanzlei, die bestehenden Verdachtsfälle diskret zu behandeln.»

Dann weist sie auf ein paar Selbstverständlichkeiten hin:

«Solange die laufenden Strafuntersuchungen nicht abgeschlossen sind, kann die BK (Bundeskanzlei, Red.) keine gesicherten Aussagen machen über das Ausmass mutmasslicher Unterschriftenfälschungen. Doch ihres Erachtens liegen keine belastbaren Indizien vor für die Vermutung, dass über Vorlagen abgestimmt wurde, die nicht rechtmässig zustande gekommen sind.»

Schliesslich fügt die BK noch hinzu: «Eine selektive Nachkontrolle einzelner Volksinitiativen erscheint nicht gerechtfertigt, allenfalls sogar problematisch. Der rechtliche Spielraum dafür wäre überdies begrenzt.»

Im Übrigen ermittelt die Bundesanwaltschaft bereits seit geraumer Zeit zu diesem Thema. Was nebenbei impliziert: sowohl BK wie BA gehen diesen Vorwürfen seit geraumer Zeit nach, nicht erst nach der Kampagne voN Tamedia.

Offensichtlich hat die Tamedia-Berichterstattung einen Kritisierten auf dem falschen Fuss erwischt. Der Präsident von Incop Franck Tessemo, dessen Firma eine Beteiligung an Unterschriftenfälschungen vorgeworfen wird, ist der Lieblingsprügelknabe von Tamedia – und war in erster Schockstarre nicht zu einer Stellungnahme bereit. Inzwischen hat er sich aber offenbar telefonisch bei den Tamedia-Cracks Christian Brönnimann und Thomas Knellwolf gemeldet. Und streitet alles ab:

«Die Anschuldigungen stammten von Leuten, die ihm und Incop schaden wollten, sagt Tessemo: «Wir haben uns nichts vorzuwerfen.» Hinter allem stecke ein unzufriedener Klient, so behauptet Tessemo. Der Incop-Chef spielt auf die Verantwortlichen der Service-Citoyen-Initiative an, die ihre Erfahrungen mit Incop dokumentiert und Strafanzeigen unter anderem gegen den Verein und Tessemo eingereicht haben.»

Wenn er von einem Betrug erfahre, entlasse er den Unterschriftensammler, behauptet Tessemo. Gleichzeitig scheint er in die USA expandieren zu wollen und hat in Kalifornien eine Firma gegründet. Das bringt die beiden Rechercheure etwas durcheinander. Im Artikel schreiben sie: «Er persönlich (Tessemo, Red.) beabsichtige nicht, in die Vereinigten Staaten umzusiedeln.»

Aber beim Frontanriss auf diese Story lautet der Titel: «Chefsammler meldet sich in der Schweiz ab», und weiter: «Recherchen zeigen, dass sich der Chefsammler just in der Zeit aus Lausanne abmeldete, als die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen intensivierte: Am 14. Mai teilte er der Einwohnerkontrolle der Stadt mit, er ziehe in die USA. Tessemo sagt, es bestehe kein Zusammenhang zum Verfahren.»

Vielleicht hätte es geholfen, Tessemo mit diesen «Recherchen» zu konfrontieren. Aber dann wäre die schöne Schlagzeile futsch gewesen.

Zurzeit ist eher unklar, ob der «Bschiss» wirklich «die ganze Schweiz erschüttert»– und wenn ja, ob zu recht. Wie man die Unschuldsvermutung umdribbelt, zeigt Tamedia mal wieder exemplarisch:

«Trickserei bei Unterschriften Der Präsident der Sammelfirma, die im Visier der Schweizer Ermittler steht, expandiert in die USA.» Das ist mal wieder Demagogie vom Feinsten.

ZACKBUM ist gespannt, ob dieser Skandal – wie so viele vor ihm – wie ein Soufflee zusammenfällt.

6 Kommentare
  1. Manfred
    Manfred sagte:

    Ich verstehe die ganze Aufregung als ‹Bürger, die keine blassen Schimmer haben, werden unsanft aus rosaroten Träumen gerissen›. Wer jemals Unterschriften auf der Strasse gesammelt hat, weiss doch, das ein gewisser Anteil immer zweifelhaft ist, auch ganz ohne böse Absicht. Wenn dann noch kommerzielle Interessen dazu kommen, sind Fehler geradezu programmiert. Darum werden die Unterschriftenlisten ja auch genau überprüft und zurückgewiesen, wenn fehlerhaft. Nichts daran ist skandalös oder kriminell. Dass ein Auftraggeber, der viel Geld ausgibt, um seine Initiative durchzubringen, sich hinterher aufregt, weil es trotzdem nicht gereicht hat, ist nachvollziehbar. Das einzige was für mich bleibt, ist die Erkenntnis, dass man Initiativen scheinbar tasächlich kaufen kann.

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  2. René Küng
    René Küng sagte:

    Ins Fäustchen lachen sich nur die IT-Firmen.
    Das nächste business wartet, wenn auch sammeln, wählen, prüfen alles nur noch digital laufen soll.
    Und das ist dann ja alles sicher & save……..

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  3. René Küng
    René Küng sagte:

    Schlimmer als Kindergarten.
    Ob fälschen oder tricksen, genau so wie das politisch geduldete (warum?) Geld für Unterschriften-business ist daneben.
    Aber jede Initiative wird an der Urne gewogen, abgelehnt oder angenommen – das mit Zählfehlern oder andern Problemli ob’s denn stimmt was wir abstimmen, lassen wir mal beiseite.

    Aber der einzige, wahre, unglaubliche Skandal wird immer wieder distinguiert rumkurvt:
    dass Bern (die Politik, der ‹Apparat› und die zugewandten Lobbies aus nah und fern) in den Abstimmungsbüchlein immer wieder genau so dreist lügt, mit Zahlen betrügt, die (noch) gutgläubigen Wählenden manipuliert.
    Ob auf noch schlimmerem, dümmeren Level als die Medien, das wäre mal eine Recherche wert, absolut verwerflicher ist es auf jeden Fall.

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    • Gabriel
      Gabriel sagte:

      Im Abstimmungsaltpapier kann gelogen werden dass sich das Papier kraust, das liest doch eh kein Knochen.
      Die letzte Seite ist relevant, und dann entscheidet man sich für oder gegen die Empfehlung, halt je nach Staatsgläubigkeit.

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