Der Name des Baumes

«Das Magazin» begibt sich auf das Niveau einer Schülerzeitung.

Von Thomas Baumann
Die Magazin-Redaktorin Nina Kunz, deren Peinlichkeiten schon einige Male Thema auf ZACKBUM waren, hat es wieder getan.
In einem «Essay eines Stadtkindes» fragt sie sich: «Warum kenne ich die Namen der Bäume in meiner Strasse nicht
Naheliegender wäre eigentlich gewesen: ‹Warum kenne ich die Betonmischungen und Eisenarmierungen der Häuser nicht, obwohl ich freiwillig in der Stadt wohne?›
Der Lead sagt eigentlich schon alles: «Unsere Autorin fühlt sich entfremdet von der Natur und möchte das ändern. Eine Selbsterkundung in elf Kapiteln.»
Wer da noch weiterliest, ist selber schuld. Wir haben für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, das Kreuz auf uns genommen. Immerhin war die Autorin jenes Textes zweimal «Kolumnistin des Jahres» der Fachzeitschrift «Schweizer Journalist:in».
Bereits im ersten Satz gesteht die Autorin ein, dass sie «kein Gespür» für die Natur habe. Eine erste Duftmarke ist gesetzt. Im fünften Satz «macht» (nicht: gibt) ihr «diese fehlende Sensibilität ein ungutes Gefühl», in Satz Nummer sieben «denke» sie nie, ihr «Leben sei irgendwie verwoben mit dieser Welt», und in Satz Nummer neun «fühlt es sich so an, als wäre da permanent eine Barriere zwischen der Natur und mir.»
Grosse Gedanken, grosse Literatur benötigen nicht immer komplizierte Sätze à la Immanuel Kant. Siehe Camus› «L’étranger». Aber simple Gedanken machen weder grosse Literatur noch Philosophie.
Gleich hinter der «Barriere» «keimt» bei der Autorin «da auch ein Unbehagen auf», weil ein Baum sie daran erinnere, «dass meine ganze Existenz von ausgeklügelten Ökosystemen abhängt
So weit müsste sie gar nicht blicken: Ein Blick in die Hinterlassenschaften in der Toilettenschüssel reicht, um jedermann daran zu erinnern, wie sehr er vom «ausgeklügelten Ökosystem» des Mikrobioms abhängt.
Aber natürlich ist es viel poetischer, sich von Bäumen daran erinnern zu lassen, vor allem, wenn da auch gleich noch etwas «keimen» soll. Bäume könnte man ja gegebenenfalls auch noch umarmen, im Gegensatz zu, na eben…
Das erste Kapitel beginnt dann gleich mit dem Zauberwort, das alle ersehnt haben: «Entfremdung». Bedeutet zwar nichts, macht sich aber immer gut.
In Kapitel zwei interviewt sie wieder einmal ihre Grossmutter. Wie Lesern dieser Plattform wohlbekannt ist, nicht zum ersten Mal .
Offiziell tönt es zwar so: «Wie immer, wenn ich ein Problem habe, frage ich meine Grossmutter.» In Wirklichkeit dürfte es bei besagtem «Problem» vor allem darum gehen, Zeilen zu schinden.
In Kapitel drei kommt die Autorin dann zur Erkenntnis, dass sie «nicht nur die Natur, sondern die ganze Welt als eine Art Kulisse für mein Leben» wahrnehme.
Spätestens jetzt sollte jedem nur ein wenig gewitzten «Magazin»-Leser eigentlich klar werden, dass er selber bloss zu dieser Kulisse gehört, vor der sich diese Selbstdarstellung eines Lebens als «Autorin» vollzieht.
Ohne Leser gibt es keine Autoren-Existenz, gleich wie es ohne Fans keine Stars geben würde.
An ihre Leser, diese blosse «Kulisse» ihrer bedeutungsvollen Existenz, verschwendet sie jedoch keinen Gedanken, sondern führt ihr Problem darauf zurück, dass sie «in einem grotesken Überfluss gross geworden» sei, während die Grossmütter weiland noch die Rüben aus dem eigenen Garten essen musste.
Grotesk ist an der Autorin bzw. an ihrer Schreibe ja so allerhand — aber kaum der angebliche Überfluss, in dem sie gross geworden sein will.
In Kapital vier geht es mit «Entfremdungsgefühlen» weiter und wie der Mensch begonnen habe, «die Erde gewaltvoll auszubeuten» (symbolisiert unter anderem durch den Produktionsprozess von Avocados), bevor es in Kapitel fünf zum Landdienst auf den Acker geht. Ganz in homöopathischer Dosierung nur für einen Nachmittag.
Wäre ja zu schlimm, wenn sich infolge längerer, direkter Auseinandersetzung mit der natürlichen Umwelt das «Entfremdungsgefühl» und damit die Grundlage für den ganzen Artikel verflüchtigen würde.
Natürlich ist es in Kapitel sechs der Autorin nicht zu blöd, uns darüber zu informieren, dass sie auch in der freien Natur nicht lassen könne, auf den Bildschirm ihres Telefons zu starren.
Und kommt so zur Erkenntnis: «Wenn ich ein [Pflanzen-]Blatt anschaue, denke ich jedenfalls nicht: ‹Ich will mehr davon.›» Ein durchaus naheliegender Gedanke übrigens. Jeder Bauer denkt so beim Anblick von Unkraut.
Diese quälende Entfremdung — und die Sehnsucht: «Das Erhabene — ich will mehr staunen können».
Auf der Suche nach diesem Erhabenen lässt uns die Autorin wissen, dass sie gerne am Zürichsee spaziere. Also wieder etwas Natur in homöopathischer Dosierung. Doch selbst dort «durchfährt» sie «ein gewaltiges Schaudern», «weil ich mir versuche vorzustellen, dass es dieses Seebecken ja nur gibt, weil sich vor rund zwanzigtausend Jahren der Rhein-Linth-Gletscher zurückgezogen hat.»
Stellt sich die Frage: Warum soll einem ein Schaudern durchfahren, weil ein See in einer ehemaligen Gletschermulde entstanden ist? Beziehungsweise war die Mulde ja schon da und wurde einzig durch den Rückzug des Gletschers frei.
Mit gleichem Recht könnte erschüttert sein, wer sich vorstellt, dass ein Kinosaal sich leert, damit andere Besucher hineinströmen können.
Doch wenn es kompliziert sein soll, dann so richtig: Das Schaudern überkommt die Autorin ja nicht wegen der geologischen Fakten, sondern «weil [sic!] ich mir versuche vorzustellen», dass es eben jene geologischen Gegebenheiten gab.
Spätestens jetzt durchfährt den Liebhaber gepflegter Literatur, nicht nur aufgrund einer Satzstellung, welche einem schlecht gerichteten Gebiss ähnelt, selber ein gewaltiges Schaudern.
Und der Freudianer fragt sich: Nimmt der sich langsam aus der Mulde zurückziehende Gletscher in der Phantasie der Autorin womöglich eine ähnliche einschüchternde Rolle ein wie das Pferd in der Phantasie des Knaben aus der «Phobie eines fünfjährigen Knaben»?
Doch damit sind die gequälten Leser noch nicht entlassen: «In diesen Momenten fühle ich mich winzig und riesengross, weil [sic! schon wieder!] ich begreife, dass es eine Zeitrechnung gibt, die nicht für meine Menschenhirn gemacht ist. Ausserdem staune ich in diesen Momenten über alles, und es kommt mir absurd vor und wie das grösste Glück, dass es die Erde gibt und Seen und flache Pfirsiche und Wolken.»
Böse Avocados, gute Flachpfirsiche? Dass es letztlich wohl in erster Linie darum geht, sich selbst «riesengross» zu fühlen, verrät die Autorin dankenswerterweise gleich selbst.
Sonst merkt man dem Text nur eins an: Es geht immer nur um die Autorin — und ihren kaum verhohlenen Wunsch, dass endlich einmal etwas in ihrem Leben geschehen möge.
Dabei fällt ihr gar nicht auf, wie infantil es im Grund ist, freiwillig in der Stadt zu wohnen und sich darüber zu beklagen, dass es dort zu viel Beton gebe.
Unweigerlich fühlt man sich da an Marxens Diktum vom «Geist geistloser Zeiten» erinnert. Wobei Marx damit ja ursprünglich die (christliche) Religion meinte. Welche im Gegensatz zu solchem Geschreibsel wenigstens noch grosse Literatur hervorgebracht hat.
9 Kommentare
  1. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Nina Kunz wandert jahrelang durch die Stadt und weiss nicht einmal welche Bäume ihren Weg säumen, so peinlich, macht aus ihrem Unvermögen noch einen Artikel. MAGAZIN mittlerweile nur noch eine journalistische Kloake!

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  2. Oliver Brunner
    Oliver Brunner sagte:

    Eigentlich will ich den Reflex gegen Produkte des TA-Hauses zu schnöden unterdrücken, denn was bringt’s und sie machen sowieso so weiter. Aber das «Magazin» ist ein Trauerspiel der Extraklasse. Als ich vor über 30 Jahren nach Zürich kam, war die Publikation eine feste Grösse: Relevante Geschichten, interessante Kolumnen. Heute schreibt ein gewisser Loser (Nomen est Omen) über seinen Traum von Sozialistischen Volksrepublik Schweiz, eine gemäss ihrer Sprache auf 14 Jahre geschätzte Dame schreibt darüber, dass sie «nie» Kinder will. Eine Ansammlung von Nabelschau, sprachlichen Rollator-Fahrern und zugekauften Artikeln. Wer braucht das?

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  3. Balti
    Balti sagte:

    Die schöne Welt der Subventionierten … Drama pur. Social Media sei schlimm und man fühle sich in der Natur entwurzelt, hat aber eine Insta-Followerschaft von über Zehntausend. Kein Wunder, ist die Welt «nur Kulisse».

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  4. Peter Bitterli
    Peter Bitterli sagte:

    Schlusssatz:
    „Welche [die christliche Religion] im Gegensatz zu solchem Geschreibsel wenigstens noch grosse Literatur hervorgebracht hat.“ Das Geschreibsel hat keine grosse Literatur hervorgebracht? Ach so, anders gemeint! Die Religion hat grosse Literatur statt nur Geschreibsel hervorgebracht. Ja, wie soll man das auch verstehen bei einer Satzstellung wie ein schlecht gerichtetes Gebiss?

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