Paula Scheidt spricht nicht mit jedem
Die neue Chefredaktorin des NZZ am Sonntag Magazin hat einen ganz schwachen Start.
Die erste Ausgabe nach der Sommerpause unter neuer Leitung war ein Totalflop. Der Tiefpunkt war ein rezykliertes Interview, das tags zuvor bereits in der NZZ erschienen war.
Peinlich wie der ganze Rest der Ausgabe. Nun legt Scheidt mit einem Typo-Titel nach, der an Unleserlichkeit schwer zu überbieten ist:
In ihrem zweiten Editorial betreibt sie das, was schlechte Journalisten am liebsten machen: Bauchnabelschau – im wahrsten Sinne des Wortes. «Ich erinner mich, wie ich im Frühjahr 2020 hochmotiviert ins Büro zurückkehrte …» Geburt von Zwillingen, Lockdown, Elternwerden, «die neue Wackeligkeit der Welt». Der Leser ist indigniert, dass er solche Einblicke serviert bekommt. Aber das ist nur die Einleitung zur Gruppentherapie, die Scheidt im Blatt auslebt: «Das Expertinnengespräch hatte für mich dann neben vielen erhellenden Momenten auch etwas Beruhigendes. Wie eine Therapiestunde …»
Die breitet sie dann über 31’487 A im Eigentherapieblatt aus. Drei Psychotherapeutinnen dürfen sich über die Befindlichkeit der Schweizer aussossen. Die richtige Lektüre an einem verregneten Sonntag, wo einem ein Spaziergang dagegen direkt erholsam vorkommt.
Selbst ein wunderbar ziseliertes Porträt des Ex-Bundesrats Ueli Maurer durch die Altmeisterin Margrit Sprecher vermag das umgebende Elend nicht zu lindern.
Den Vogel, und das ist nicht so leicht, schiesst mal wieder «Bellevue» ab. Diesen Titel muss man sich erst mal trauen:
«Meisterwerke vereint», nun ja. An der Wand hat’s wohl einige, die beiden Fussel-Mops vorne sollen angeblich Schuhe sein. Für die sich Salvatore Ferragamo in Grund und Boden schämen sollte.
ZACKBUM liefert exklusiv die Bezugsquelle, muss nur noch eingefärbt werden:
Noch einen drauf legt das hier:
Blöd bloss: diese Gaga-Popcorn-Kette gibt’s bei Acne Studios gar nicht …
Antworten von der Chefredaktorin übrigens auch nicht. Obwohl sie an die mitteleuropäische Regel des Anstands erinnert wurde, dass man auf eine journalistische Anfrage zu reagieren habe, schweigt sie verkniffen, obwohl die Fragen doch durchaus eine Antwort verdienten:
Ist das der neue Stil des Magazins unter Ihrer Leitung, dass Interviews, die tags zuvor in der NZZ erschienen sind, hier rezykliert werden?Sie beginnen Ihr erstes Editorial mit der Behauptung, es hätte viel Anrufe, gar Briefe und E-Mails gegeben, weil das Magazin vermisst worden sei.Sie können sicherlich quantifizieren, wie viele Meldungen das insgesamt waren. Und auch ein paar anonymisierte Beispiele von Briefen oder Mails vorweisen, zum Beleg.
Was soll Scheidt antworten? Ich bin nicht in der Lage BELLEVUE zu machen, ich bin nicht in der Lage kritische Fragen zu beantworten, auch wenn mir Kompetenzen fehlen unterrichte ich am MAZ und an der Zürcher Hochschule der Künste. Ich trage gerne zur Verelendung des Journalismus und der «KünstlerInnen» bei!
Kritisieren und nachhaken darf man heute nicht mehr. Entweder wird das Gespräch verweigert, es wird geweint oder man schreibt in Scharen Protestbriefe und klagt an. Argumentieren, debattieren, diskutieren? Auch für Nemo war das offensichtlich zu viel der Auseinandersetzung. Wir sind im Zeitalter der therapeutischen Ich-Findung auf Kosten von Relation und Relevanz.