Flieg, Schumi, flieg!

Überflieger im Journalismus sind meist Bruchpiloten.

Von Thomas Baumann
ÜberfliegerSamuel Schumacher, Auslandsredaktor «Blick» mit beeindruckendem Lebenslauf, beglückte die Welt unlängst wieder mit einer seiner beeindruckend schrecklichen «Analysen».
Und das kam so: Vor fünf Wochen lag ein Exemplar des «Blick» im Briefkasten. Weder bestellt noch abonniert. Daher auch erst jetzt gelesen. Aber der Inhalt ist es trotzdem wert, selbst mit Verspätung hier rapportiert zu werden.
Das Stück hiess im Print: «Nur ein neuer Rütlischwur kann den Bürgenflop verhindern». Online noch etwas knalliger: «Letzte Chance für die Schweiz: So wird die Bürgenstock-Konferenz zum Wendepunkt im Ukraine-Krieg».
Für Thesenjournalismus sind Fakten entweder a) unbedeutend oder b) lästig. Entsprechend ist Überflieger Schumacher bei diesen etwa so sattelfest wie ein Rodeo-Reiter kurz vor dem Abflug. Oder vielleicht orientiert er sich ja eher an Goethe: Sind die Fakten nicht willig, so brauch ich Gewalt!
So schrieb er: «Gewichtige Stimmen wie die Türkei, […] Südafrika oder Saudi-Arabien fehlen am runden Tisch hoch über dem Vierwaldstättersee.» Faktencheck: Dreimal falsch.
An demselben Abend, an dem Samuel Schumacher die Tasten seines Computers malträtierte, gab der Präsident der Jungen SVP, Nils Fiechter, dem russischen Sender RT ein Live-Interview. Darin behauptete er, dass Indien, Brasilien und Indonesien nicht an der Konferenz teilnähmen. Ebenfalls dreimal falsch.
Der Unterscheid: Während die Tamedia-Blätter Fiechter umgehend «Fake News» vorwarfen, gab es zu Schumacher keinen Pieps.
OK, das sind, wie der Presserat so schön zu sagen pflegt, «handwerkliche Fehler». Ganz so, als wäre Journalismus kein Handwerk. Doch damit hat es sich natürlich noch längst nicht. Die Passage, wo einem glatt die Spucke wegbleibt, im Folgenden integral und unkommentiert (die Schreibe spricht für sich selbst):
«Jetzt [wäre] der perfekte Zeitpunkt, um sich das Wirken der helvetischen Ahnen in Erinnerung zu rufen. Unweit des Bürgenstocks auf einer steilen Wiese am Urnersee kamen die Eidgenossen schon einmal zu einer Friedenskonferenz zusammen und schworen sich ‹im Hinblick auf die Arglist der Zeit … Beistand, Rat und Förderung mit Leib und Gut … mit ihrem ganzen Vermögen gegen alle und jeden, die ihnen Gewalt oder Unrecht antun› — und zwar explizit ‹innerhalb ihrer Täler und ausserhalb›.
1291 war das. 2024 ist die ‹Arglist der Zeit› nicht weniger geworden. Ein neuer Rütlischwur täte not. Die Sicherheit unserer Talschaften wird vom russischen Regime mit seinem kaltblütigem Meucheln im Osten und seinen unermüdlichen Vernichtungsdrohungen gegen den Westen massiv gefährdet. Den ukrainischen Kämpfern, die für uns die Drecksarbeit übernehmen, gebührt mehr Ehre als ein lahmes Communiqué, verlesen im Presseraum des Luxusressorts.
Die Schweiz müsste die Zäsur wagen und vor versammelter internationaler Gästeschar auf dem Bürgenstock die Abkehr von der starren Neutralität verkünden. Indirekte Waffenlieferungen und eine Aufstockung der wirtschaftlichen Hilfe (etwa durch den Einsatz von hierzulande eingefrorenen Russenvermögen) wären ein guter Start. Wagt die Schweiz den Schritt und legt den Schalter um, dann bleibt der Bürgenstock-Gipfel womöglich für immer als Wendepunkt im Ukraine-Krieg in Erinnerung.»
Amen! Ein Fakt doch noch: Während die EU-Staaten bestenfalls die Kapitalerträge russischer Vermögen für die Hilfe an die Ukraine verwenden, will der wackere «Blick»-Reporter dafür offenbar auch das Kapital antasten.
Natürlich erkennt man in dieser Passage unschwer auch die typisch helvetische Selbstüberschätzung: Wir brauchen bloss «den Schalter» umzulegen, und alle Probleme der Welt sind gelöst — Klimawandel, Ukraine-Krieg, you name it… Die Welt nimmt’s zur Kenntnis und lacht.
Um ‹Überflieger› Samuel Schumacher jedenfalls braucht man sich angesichts solcher Artikel keine Sorgen zu machen: Der ist so aufgeblasen, dass er von selbst fliegt.
Und was das Blatt betrifft, für das er schreibt: Vor langer Zeit diente es einst auf Baustellen-WCs als informelles Toilettenpapier. Die Zeiten haben sich geändert: Dank solcher Artikel steht heute im Blatt, was früher  …
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