«Analyse», bis es wehtut

Einordnen, analysieren, kontextualisieren. Drei Wörter zum Davonlaufen.

Was früher «ich mein› ja bloss, habe aber auch keine Ahnung» hiess, heisst heute grosskotzig «Analyse». Tamedia benennt sogar Kommentarstücke aus der «Süddeutschen Zeitung» so um.

Aber manchmal ist das Medienhaus der Qualitätsblätter auch selbst zu solcher Tollerei fähig. Da gibt es zum Beispiel eine «Analyse zu Bella Hadid und Adidas», nachdem eine einschlägig voreingenommene SZ-Redaktorin dem Model bereits Antisemitismus unterstellen durfte.

Wieso muss dann Martin Fischer, seines Zeichens «Redaktor und Content Manager im Ressort Leben», nachjapsen? Dafür gibt es nur eine griffige Erklärung: Sommerloch.

Intellektuell auf Flughöhe Bordsteinkante hebt Fischer mit seiner «Analyse» an, es gebe nur eine mögliche Erklärung: «Adidas hat bei der Planung der jüngsten Kampagne schlicht nicht auf dem Schirm, dass die Verpflichtung von Model Bella Hadid problematisch ist.»

Wie denn das? Adidas habe «das US-amerikanische, dezidiert israelkritische Model gebucht». Um einen Turnschuh zu bewerben, der im Retrolook an die Olympischen Spiele von 1972 in München erinnern soll. Da hat sich Fischer dann richtig schlau gemacht: «Dort kam es, so viel Geschichtsbewusstsein muss sein, zu einem Anschlag einer propalästinensischen Terrorgruppe, 17 Menschen starben.»

Vielleicht ist es allerdings der Aufmerksamkeit von Fischer entgangen, dass Hadid 1996 in Washington geboren wurde. Also 24 Jahre und knapp 7000 km von diesen Ereignissen entfernt.

Es ist hingegen richtig, dass Hadid, mit palästinensischen Wurzeln, Kritik an der Militärinvasion Israels im Gazastreifen übt. Oder wie das Analytiker Fischer formuliert: «Denn dass Hadid sich für einen freien Staat Palästina ausspricht, ist unübersehbar.»

Sie nahm doch tatsächlich beispielsweise an einem Protestmarsch in New York teil und erzählt ungefragt aus ihrer Familiengeschichte: Ihre Familie «wurde 1948 aus ihren Häusern in Palästina vertrieben und  zu Flüchtlingen in Syrien, dann im Libanon, dann in Tunesien». Aber damit nicht genug: «Ich stehe an der Seite meiner palästinensischen Brüder und Schwestern. Ich werde euch beschützen und unterstützen, so gut ich kann

Wohl noch schlimmer:

«Ich liebe euch. Ich fühle mit euch. Und ich weine um euch. Ich wünschte, ich könnte euch euren Schmerz nehmen. Den Schmerz eines Vaters, der seine Frau und seine Kinder nicht mehr umarmen kann.»

Das tropft geradezu vor Antisemitismus. Versuchen wir, den Analytiker zu verstehen. In München fand 1972 ein palästinensischer Terroranschlag statt. Adidas hat in einer Retroreihe einen Turnschuh lanciert, der an diese Olympischen Spiele, sicher nicht an den Anschlag, erinnern soll. Dafür hat die Firma eines der bekanntesten und einflussreichsten Models der Welt engagiert. Das bislang nicht als Unterstützerin dieses Terroranschlags, als Befürworterin von fundamentalistischen Massakern oder durch das Äussern antisemitischer Sprüche aufgefallen ist.

Daraufhin erhob sich dennoch vor allem in israelischen Kreisen ein Riesengeschrei, das eine Verbindung zwischen dieser Werbung, dem Model und dem Münchner Massaker herstellen wollte. Wobei Hadid sofort die Keule «Antisemitin» übergebraten wurde. Wie eigentlich jedem, der zwar nicht antisemitisch ist, aber die aktuelle Regierungspolitik Israels kritisiert, sich kritisch über die Kriegsverbrechen im Gazastreifen äussert.

Aktuell haben die Beteiligten einen Überfall militanter israelischer Siedler überlebt, obwohl sich diese Bilder nicht für eine Werbekampagne eignen, als Vermummte auch die Begleiter von Palästinensern attackieren und verletzen, die eigentlich die Einheimischen dabei beschützen wollten, zu ihren Anpflanzungen zu gelangen. Ein paar hundert Palästinenser im Westjordanland hatten nicht so viel Glück und starben bei solchen Angriffen.

Dazu fällt dem Analytiker ein: «Dass ein Schuh, der an die Olympischen Spiele von 1972 erinnern soll, auch mit dem Terrorangriff verknüpft werden würde, hat Adidas übersehen.» Aber noch schlimmer: «Der französische Fussballer Jules Koundé ist ebenfalls Teil der Werbeaktion. Koundé hat sich auch schon pro-Palästina positioniert.»

Will uns der Analytiker damit sagen, dass sich jedes Model, jeder Sportler, der sich «pro-Palästina positioniert», als Werbeträger disqualifiziert? Nur für diesen Adidas-Schuh oder ganz allgemein? Und wie ist es dann mit Sportlern oder Models, die zwar das barbarische Massaker der Hamas kritisieren, aber das barbarische Wüten Israels im Gazastreifen und die ständigen Verbrechen illegaler israelischer Siedler in der Westbank befürworten?

Nun hat Hadid offenbar einen laufenden Vertrag mit Adidas und klagt folgerichtig auf Erfüllung, plus Rufschädigung. Die hat zwar nicht Adidas begangen, aber die Firma ist vor diesem Shitstorm eingeknickt und hat das Model gecancelt.

Was schliesst der Analytiker Fischer messerscharf daraus?

«Auf Instagram entschuldigt sich die Firma bei Bella Hadid und den weiteren prominenten Gesichtern, die bei der Kampagne eingespannt sind. Das zeigt: die Angelegenheit ist grösser geworden, als den Verantwortlichen lieb sein kann. Auf die reine Provokation, auf den kalkulierten Shitstorm kann es Adidas kaum angelegt haben.»

Was will uns das Analysegenie denn damit sagen? Unverständliches Gemurmel, wobei das Motiv zu sein scheint: Fischer will sich weder auf die Seite derjenigen schlagen, die hier «Antisemitin» krähen, noch will er Habib in Schutz nehmen, und erst recht nicht will er Adidas verteidigen.

Das ist mal eine windelweiche Schaumgummi-Analyse, zu der jeder verantwortungsbewusste Tagesleiter hätte sagen müssen: ein wunderbares Stück, eine Zierde jedes Papierkorbs. Denn das wollen wir dem Leser wirklich ersparen.

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