Orbans Schatten

Wie nahe darf ein Journalist einem Politiker kommen?

Roger Köppel ist gerne Fan. Das hat etwas Jugendliches, manchmal auch ein wenig Infantiles. Und manchmal wird es echt gefährlich für ihn und sein Blatt.

In jüngster Zeit fant Köppel für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Der sei schlichtweg «ein Held». Dafür darf Köppel ihn ausführlich interviewen. Mit ihm zu Selenskyj nach Kiew reisen. Mit ihm nach Moskau zu Putin reisen. Leider musste Köppel aber bei Orbáns Reise nach Peking und nach Washington zu Hause bleiben.

Aber das tut der Bewunderung keinen Abbruch. Auch Philipp Gut, der Mann fürs grobe Nachbearbeiten, darf nacheifern: «Orbán als Vorbild für die Schweiz und die EU».

Dass Köppel reflexartig Russland verteidigt, wohlan. «Russland dementiert Angriff auf Kinderspital», vermeldet er in seinem «Weltwoche daily». Beweis, Beleg, Begründung? Wozu auch.

Bei Orbán gerät Köppel richtig ins jugendliche Schwärmen: «Eine schwarze Wagenkolonne, zwei Dutzend schwerbewaffnete Elitesoldaten und zwanzig Stunden Fahrt durch die Landschaften der Ukraine: Meine Reise mit Europas neuem Ratspräsidenten Viktor Orban zu Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Kiew.» Wow, und er durfte mitfahren, Wahnsinn. Mit dem «Glücksfall für Europa». Mit der «Alternative für Europa». Mit der Alternative für alternativen Journalismus, wo der animierte Chefredaktor mit bübischen Grinsen aus dem Innern des Kreml berichten darf, nachdem er zuvor die blitzblanken Strassen Moskaus gelobt hat, soweit er das aus der Limousine beobachten konnte.

Lohn der Mühe: «Viktor Orbán in Moskau: Das erste Interview nach dem Putin-Gipfel». Denn Köppel durfte nicht nur in der schwarzen Wagenkolonne mitfahren, er durfte auch neben dem Ministerpräsidenten im Flieger sitzen.

Der Ministerpräsident kann sicher sein, dass er mit keiner kritischen Frage belästigt wird. Dieses Privileg genoss auch schon Wladimir Solowjow. Der «Superstar des russischen Politfernsehens» durfte in der WeWo ungebremst einen Unsinn nach dem anderen raushauen:

«Ich bin die reinste Form eines Journalisten … Ihr (Europäer, Red.) tut uns leid … Europa führt wieder einmal Krieg gegen Russland, zum dritten Mal seit Napoleon und Hitler … Wir sagten Selenskyj, er solle aufhören, Menschen zu töten. Dann begannen wir unsere begrenzte militärische Operation … Gemäss den Verträgen, die wir unterzeichnet haben, war das zu 100 Prozent legal … Alles, was wir tun, tun wir auf der Grundlage des Völkerrechts, auf der Grundlage von Verträgen … Es spielt keine Rolle, wie lange es dauert. Wir werden gewinnen.»

All das hat bei Köppel leider Tradition. Genau in der Woche, als Präsident Putin seinen Überfall auf die Ukraine begann, liess ihn Köppel als den «missverstandenen» Friedensengel abfeiern.

Nun ist die einseitige und voreingenommene Berichterstattung der Mainstreammedien über Putin und Orbán auch kein Ruhmesblatt für den angeblich so freien westlichen Journalismus. Dagegen anzuschreiben, wieso nicht.

Natürlich reisen auch andere Journalisten im Tross von Regierenden mit (eingeladen, im heutigen Elendsjournalismus würde das keine Redaktion selbst bezahlen). Und sicher wird man nicht mehr eingeladen, wenn man zu kritisch über den grosszügigen Regierenden berichtet.

Aber gleich eine ganze Serie? Zuerst einige liebedienerische Interviews mit und Beschreibungen von Orbán. Dann die Belohnung, Köppel in Kiew. Dann die nächste Belohnung, Köppel im Kreml.

Damit schadet der Tausendsassa seinem Blatt, sich selbst und auch der von ihm vertretenen Sache ungemein. Denn die Berichte von Groupies liest man vielleicht bei Taylor Swift gerne (wenn man Fan von ihr ist). Aber mal im Ernst, Orbán als Lichtgestalt, die unermüdlich um die Welt glüht, um endlich Frieden in der Ukraine zu erreichen? Termine mit Händeschütteln mit den Wichtigen und Mächtigen, und im Hintergrund murmelt Köppel Wichtigkeiten in sein Handy, da ist die Grenze zwischen Realität und Realsatire deutlich überschritten.

Nachdem die WeWo schon stolzgeschwellt vermeldete, dass Köppel nach seinem «was wollten Sie schon immer mal sagen?»-Interview mit dem serbischen Ministerpräsidenten in der serbischen Presse wohwollend bemerkt wurde, kommt nun noch das Gleiche aus Ungarn:

«Schweizer Renaissance-Mann». Massierst du mir meinen, massier ich dir deinen. Ist das peinlich.

7 Kommentare
  1. Karl Warth
    Karl Warth sagte:

    Ach, ich weiss nicht, sehe das etwas anders… Die Aktion ist in meinen Augen weniger peinlich als es die Blick-Bsüechli mit Irene Kälin in der Ukraine waren. Da hatten sich auch gewisse Journalisten gut aushalten lassen, nur sich nacher nicht so ins Zentrum gestellt. Immerhin macht Köppel da etwas frisches.
    Lustig auch, mit was sich Birrer so abgibt, im Vergleich dazu, was Köppel so macht.

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  2. Basil Weiss
    Basil Weiss sagte:

    Wen wundert es bei Köppel. Grundsätzlich anderer Meinung als alle anderen, unabhängig von Fakten, unn danach alle anderen pauschal als Mainstream bezeichnen. Wer braucht schon Wahrheit und Wissenschaft, wenn man unbelegte Lügen verbreiten kann. Überraschend ist eigentlich nur, wie viele solchen unbelegten Schmarrn unbesehen in ihr Narrativ übernehmen und diesen Rattenfänger von Hamel gleichsam zum Guru stilisieren.

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  3. Guido Kirschke
    Guido Kirschke sagte:

    Jemand muss den Frieden zuoberst auf die Agenda nehmen. Dass Orban dies trotz massiven Gegenwind aus der EU-«Elite» tut, zeigt eindeutig, dass er von ganz anderem Kaliber und von ganz anderem Format ist, wie sämtliche «Gut-» und «Besser-Politiker» des sog. Wertewestens. Aber die Frage des journalistischen Abstandes stellt sich natürlich. Jedoch denke ich, dass Köppel sich diese Nähe zu Orban erlauben darf, da sie sich vom Typ her ähneln, auch Orban ist ein «Begeisterer».

    Die Aktionen und Reaktionen auf welche der Ukrainekireg folgte sind nicht trivial und ziehen sich über mehr als 20 Jahre hin. Die bisherhigen anerkannten Fanale waren: 2004 Orangene Revolution, 2014 Maidan, 2014 Speparationsbestrebung Luhansk und Donnezk, 2014 Beginn der Bombardierung des Donbas durch die ukrainische Armee und Beginn der Zählung der zivlien Opfer, 2014 Annexion der Krim durch Russland, 2014 Minsk I, 2015 Minsk II, 2022 Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine.

    Die Eskalation immer und immer nur den Russen in die Schuhe zu schieben, ist, ich wiederhole mich, einseitig und faktisch falsch. Das kann alles noch zu einem späteren Zeitpunkt richtiggestellt werden, die Ukraine von 1991 – 2022 jedenfalls ist Geschichte.

    JETZT müssen die Waffen schweigen und die Deeskalation eingeleitet werden. Und wenn Orban der Politiker ist, der den Frieden wieder vor den Krieg bringt, dann ist er auch mein Held. Wir dürfen in unserern geheizten Sofas nicht vergessen: Es gibt wöchentlich bis zu 30’000 tote oder verwundete junge Männer in der Ukraine. Wie lange soll das noch weitergehen?

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  4. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Für einen gereiften Eidgenossen ist es eine grosse Genugtuung, dass die
    «Ungarnhilfe» von 1956 so wunderbare Früchte getragen hat.
    Orban ist eine Frohnatur und dementsprechend ein Lebensbejaher.
    Kann man leider von unseren Natod-Freunden nicht behaupten.

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  5. Jürg Streuli
    Jürg Streuli sagte:

    Roger Köppel ist das Gegenteil der Mainstream-Sesselfurzer in ihren Verrichtungsboxen wie zum Beispiel beim Tages-Anzeiger. Um seinen Lesern zu berichten geht Köppel an die Front. Dass er von den neidischen und missgünstigen Journis auf den Deckel bekommt, kann einem Köppel wurscht sein. Missgünstig weil den Knechten des verdummten Mainstreams nicht erst seit Corona das intellektuelle Format und die grosse Energie eines Roger Köppels bei weitem fehlt. Es ist immer gut miteinander zu sprechen! Wie blöd für den Mainstream, dass sich Putin gesprächsbereit zeigt. Doch gleich einen durchschlagenen Erfolg zu reklamieren, bedeutet die pure Scheinheiligkeit.

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