Die bösen Guten

Wer erinnert sich noch an den Sammelband «Oh Boy»? Sollte man aber.

Es sollte eine Debatte über Männlichkeit werden. Einschlägig schwurbelnde Autoren wie Kim der Horizontlose verliehen dem Buch Aufmerksamkeit. Das Feuilleton überschlug sich, endlich werden «Opfer sexualisierter Gewalt» thematisiert, ein Täter gar bekennt sich zur Tat und seiner Schuld. Typischer Diskussionsstoff für die queer-feministische Bubble, die sich wie Quallen überall ausbreitet (ui, gibt das schon Ärger mit den Quallen?).

Aber, so ist das halt bei haltlosen Menschen, plötzlich schlägt die Stimmung um. Gegen den sich outenden Täter wird plötzlich ein gewaltiger Shitstorm losgetreten. Sofort reagiert das sensible Feuilleton. Interviews werden abgesagt, Artikel in den Papierkorb geschmissen, Dichterlesungen finden nicht mehr statt. Vom Shitstorm zur Hetze ist es nie weit.

Schnell wird’s persönlich, wie Nadine A. Brügger in ihrer ausgezeichneten Spurensuche eines stalinistisch anmutenden Schauprozesses in der NZZ nachzeichnet. Es fehlen einzig die Todesurteile am Schluss, zumindest berufliche Existenzvernichtung wird betrieben.

«Im Zuge der Kampagne gegen «Oh Boy» wird die Privatadresse der Eltern von Mitherausgeber Donat Blum publiziert und nicht nur gegen das Buch, sondern auch wiederholt gegen Einzelpersonen Stimmung gemacht.»

Denn die nächste Eskalationsstufe in der Hetze gegen einen Einzelnen ist die Aufforderung, dass sich alle um ihn herum von ihm zu distanzieren haben. Schnell knickt der Buchverlag ein, auch diverse Autoren «distanzieren» sich plötzlich vom Buchinhalt, das Werk wird aus dem Buchhandel genommen.

Die meisten der Mitautoren (erinnert an den Fall «Rundschau») geben nun eine gemeinsame Erklärung ab, wie furchtbar sie plötzlich das Werk finden, an dem sie teilgenommen haben. Aber schlimmer noch:

«Wer das Statement nicht unterschrieben hat, wird am Internationalen Literaturfestival Berlin (ILB) an den Pranger gestellt: Vor grossem Publikum und mit Live-Übertragung im Internet verlesen Unterstützerinnen des Opfers eine schwarze Liste mit Autorennamen.»

Kritisiert und gehetzt wird natürlich – wie eigentlich immer – anonym. Geradezu lachhaft wird es, als nun auch noch das «Opfer» Einzelheiten des «sexuellen Übergriffs» bekanntgibt. Er bestand darin, dass der «Täter» auf der Tanzfläche eines Berliner Clubs bei einer Dame kurz Hand auflegte. Dann unterscheiden sich die Beschreibungen, sie behauptet, «ich habe versucht, seine Hand wegzuziehen, bin aber total auf Widerstand gestossen.»

Er stellt dagegen: «Ich habe ihr nonverbales Nein sofort akzeptiert und meine Hand zurückgezogen. Es gab weder Zwang noch Gewalt.»

Einmal anfassen beim Tanzen, echt jetzt? Der zweite Teil des Vorwurfs des «Opfers» wird schnell kommentarlos gelöscht; offensichtlich, weil es Unsinn ist: «Er hat erst von mir abgelassen, als er seine Befriedigung bekommen hat.»

Ein Mann versucht, beim Tanzen mangels verbalen Kommunikationsmöglichkeiten eine Frau anzubaggern, indem er sie anfasst. Sie reagiert abweisend, er zieht zurück. Was für ein unglaublicher Skandal, ein Paradebeispiel von Rape Culture, sexualisierter Gewalt, sollte verboten und bestraft werden.

Der «Täter» legt noch eine weitere Erklärung nach, er habe gedacht,  «weil dem Ereignis eine kurze intime Beziehung vorausgegangen war, wäre es irgendwie okay». Es war also eine Handlung zwischen zwei erwachsenen Menschen, die sich bereits intim kannten?

Schadensbilanz: Der «Täter» und Autor hat sich aus dem Buchgeschäft zurückgezogen. Der feige Verleger verweigerte das Gespräch mit der NZZ. Der mutige Herausgeber Donat Blum, der nicht einknickte, wird bis heute boykottiert. Brügger führt weiter aus:

«Die Kritiker im Internet hatten nie etwas zu befürchten: Juristisch gesehen sind anonyme Profile kein echtes Gegenüber. Wer weder einen Namen noch ein Gesicht hat, kann für Grenzüberschreitungen im Netz kaum belangt werden. Die zahlreichen Mitläufer verschwinden in der digitalen Masse. Donat Blum kämpft noch immer gegen aktiven Widerstand für das Weiterbestehen im Literaturbetrieb. «Josy»  (Pseudonym des «Opfers», Red.) hat sich gegen ein Gespräch für diesen Artikel entschieden. «Meine Stimme wurde gehört. Andere haben mich verteidigt», schreibt sie in ihrer Absage.»

Toleranz, gewaltfreier Umgang, Debattenkultur? Gerade die Vertreter solcher Behauptungen zeigen wieder und wieder: wenn es darauf ankommt, verwandeln sie sich in gnadenlose Inquisitoren, befeuert von der falschen Überzeugung, das Gute und Richtige mit Löffeln gefressen zu haben und einen heiligen Kampf gegen das Böse und Falsche führen zu müssen.

Ein widerwärtiger Anblick.

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