Journalismus auf Abwegen Teil 3
Der Fall «Schaffhausen»: Gesinnungsjournalismus hui, Recherchejournalismus pfui.
Von Thomas Baumann
Verkehrte Welt: Nicht Journalisten, welche Verschwörungserzählungen verbreiten, stehen in der Kritik und müssen sich entschuldigen — sondern solche, welche ihrem Handwerk seriös nachgehen.
Wildwest im nordwestlichsten Teil der Ostschweiz: Vor zweieinhalb Jahren wurde in Schaffhausen eine Frau in der Wohnung eines Anwalts (welche gleichzeitig als eine Art Partylokal diente) verprügelt.
Die Staatsanwaltschaft liess daraufhin Beweismittel sicherstellen und eröffnete ein Strafverfahren gegen vier beteiligte Personen wegen Tätlichkeiten, Nötigung, Gewaltdarstellungen, Angriffs, einfacher Körperverletzung und Gefährdung des Lebens.
Da die Beweismittel — detaillierte Videoaufnahmen der Taten — kaum Zweifel offen lassen, ist mit einer Verurteilung der mutmasslichen Täter zu rechnen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Einziger Schönheitsfleck: Strafverfahren dauern in Schaffhausen, wegen Überlastung der zuständigen Behörden, oftmals ungebührlich lange.
Die «Rundschau» des Fernsehens SRF zimmerte daraus Ende Mai eine reisserische Geschichte: Weil das Opfer angab, etwas mehr als eine Woche vor der Attacke von einem Bekannten des Anwalts vergewaltigt worden zu sein, sei es, so die Story von SRF, in die Wohnung des Anwalts gelockt worden, um es von einer Anzeige abzubringen. In diesem Rahmen erfolgten dann die Schläge und, wie SRF spekuliert, möglicherweise eine weitere Vergewaltigung.
Phantastische Verdächtigungen
SRF überspielt mit diesen phantastischen Verdächtigungen eine juristisch reichlich dürftige Sachlage. Trotz der schockierenden Bilder der Überwachungskamera qualifiziert die Staatsanwaltschaft die Schläge als «einfache Körperverletzung» und der von SRF herbeigezogene Experte, Strafverteidiger Konrad Jeker, meint: «Einer der Schläge geht dann schon in den Bereich einer versuchten schweren Körperverletzung.»
Das bedeutet aber auch: keine vollendete schwere Körperverletzung, sondern irgendetwas zwischen einfacher und versuchter schwerer Körperverletzung. Dessen ungeachtet war die Geschichte ein voller Erfolg: Zeitungen aus der ganzen Schweiz berichteten darüber, bereits zwei Tage später fand in Schaffhausen eine Demonstration mit rund 400 – 500 Teilnehmern statt.
SRF selber schlachtete die Geschichte genüsslich aus: Beinahe im Tagesrhythmus erfolgten weitere Meldungen zu dem Fall, bevor die «Rundschau» eine Woche darauf mit einem neuen Beitrag nachlegte — und dabei in demselben reisserischen Ton weitermachte.
In diesem zweiten Beitrag geht es zu Beginn während mehrerer Minuten um Handy-Videos der Tat, welche angeblich herumgezeigt würden (und — im Beitrag ungesagt — die Persönlichkeitsrechte des Opfers verletzten).
Angst und Schrecken in der Kleinstadt
Originalton aus der Sendung:
«Die Behörden nehmen dies zur Kenntnis, intervenieren aber nicht. […] Die Videos zirkulieren weiter in Schaffhausen. […] Die Behörden intervenieren immer noch nicht. […] Mehr als drei Jahre nach der Tat hört das Opfer von jemandem, dass die Videos viel umfangreicher seien als anfangs gedacht. Die Person, die wohl mehr weiss, will allerdings nicht aussagen und nennt der Polizei folgenden Grund: ‹Ich will nämlich nicht, dass mir irgendwann irgendetwas passiert.›»«Eine mögliche Auskunftsperson, die aus Angst nicht aussagen will. Die Behörden nehmen es zur Kenntnis, werden diesbezüglich aber nicht weiter aktiv. […] Aber am 30. März 2023 rückt die Polizei zu einer weiteren Hausdurchsuchung beim Anwalt aus. […] Wer ist dieser Anwalt?»
Eine phantastische Wildwest-Geschichte nimmt hier immer groteskere Züge an: Nicht bloss das Opfer berichtet, eingeschüchtert worden zu sein — nein, jetzt sollen offenbar auch noch unbeteiligte Zeugen eingeschüchtert worden sein. Dass diese Aussage eines Zeugen wohl mit einer grossen Prise Vorsicht zu geniessen sind, verschweigt SRF.
Viel lieber stellt der Sender einen Zusammenhang zum Anwalt her. Keinen inhaltlichen, wohlgemerkt: SRF behauptet selbstverständlich nirgendwo konkret, dass der Anwalt jemandem bedroht habe.
Aber so funktioniert Demagogie auch nicht: Demagogie arbeitet nicht mit Argumenten, sondern mit Assoziationen. Im konkreten Fall: Ein Zeuge fürchtete um sein Leben — Hausdurchsuchung beim Anwalt. Genau so, wie Szenen in einem Kriminalfilm geschnitten werden. Das Gehirn macht die Verbindung ganz automatisch.
SRF schustert eine Geschichte zusammen
Der Anwalt ist ganz offensichtlich ein Ziel der «Rundschau»: Bereits im Beitrag eine Woche zuvor wurde seine Befähigung für seinen Beruf in Frage gestellt — gekoppelt mit einer kaum verhüllten Aufforderung, ihm endlich das Anwaltspatent zu entziehen.
Und auch diesmal wird wieder während geschlagener eineinhalb Minuten auf ihn eingedroschen. Dabei ist der «Rundschau» kein Mittel zu blöd, um ihre Ziele zu erreichen — zum Beispiel ein Selfie: «[Der Anwalt] mit einem zweiten Mann im Zug — und einem weissen Pulver.» Man kann es mit Fug und Recht eine Hexenjagd auf den Anwalt nennen. Sein Vergehen: Er hat möglicherweise einen Vergewaltiger juristisch beraten.
Was von der ‹Recherche› der «Rundschau» ganz generell zu halten ist, zeigt diese, bereits oben zitierte, Aussage: «Mehr als drei Jahre nach der Tat…» Die Tat fand am 28. Dezember 2021 statt, drei Jahre nach der Tat wäre offensichtlich der 28. Dezember 2024. SRF funktioniert hier nach der Devise ‹Back to the Future›…
Dem Sender geht es dabei wie anderen, die sich auf einer heiligen Mission glauben: Man sieht nur noch die grossen Zusammenhänge — oder schustert sich notfalls welche zusammen — und schludert dafür umso mehr bei den Details.
Agota Lavoyer im Doppelpack
Diese Mission zeigt sich auch im weiteren Verlauf der Sendung. Noch im Beitrag selbst kommt die bekannte «Expertin für geschlechterspezifische Gewalt» Agota Lavoyer zu Wort — und wird daraufhin gleich nochmals für ein Gespräch an die Theke im Studio eingeladen.
Gewohnt im Umgang mit Medien, spult diese in druckreifen Sätzen ihr Repertoire ab: «Es braucht verpflichtende regelmässige Ausbildungen, Weiterbildungen zu häuslicher Gewalt, zu sexualisierter Gewalt, zu geschlechtsbezogener Gewalt von Polizeien, Staatsanwaltschaften und Gerichten. Es geht nicht darum, dass einzelne Leute solche Ausbildungen machen, es muss flächendeckend sein.»
Lavoyer verkauft selber solche Aus- und Weiterbildungen. Noch bezeichnender jedoch, wie sie in der Sendung vorgestellt wird: «Bei mir im Studio ist nun: Agota Lavoyer. Sie kämpft als Expertin gegen geschlechterspezifische Gewalt».
Auf die Idee, dass eine Expertin eine neutrale Fachpersonal sein könnte, kommt man bei SRF schon gar nicht mehr. Ganz selbstverständlich geht man dort davon aus, dass ein Experte für etwas kämpfe. So wie für SRF auch bei NGOs lauter «Experten» und «Wissenschaftler» sitzen.
Ehrliches journalistisches Handwerk
Ganz anders die Schaffhauser AZ. AZ steht dabei oder stand zumindest für «Arbeiterzeitung». Man ist dem Namen entsprechend links, man ist progressiv — Leserbriefe heissen hier tatsächlich «Leserinnenbriefe».
Und wie Schumpeter einst über Marx sagte: «Nirgends hat er die positive Wissenschaft an die Metaphysik verraten» — so schrieb es sich auch diese kleine linke Wochenzeitung mit einer Auflage von etwas mehr als 2000 Exemplaren auf die Fahne, in dieser düsteren Affäre unbestechlich und objektiv ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Oder mit den Worten der Schaffhauser AZ: «[Wir] wollen die folgenden Geschehnisse weniger interpretieren als rapportieren. So möchten wir ein möglichst objektives Bild der brutalen Gewalttat und ihrer Entstehung zeichnen.»
So erfährt man zum Beispiel, dass das spätere Opfer um vier Uhr morgens die ‹Party› verliess, bloss um eine Dreiviertelstunde später zurückzukommen — die Handgreiflichkeiten setzten nochmals eine halbe Stunde später ein. Das Narrativ von SRF, dass das Opfer in einem Hinterhalt gelockt worden sei, zerschellt an dieser Tatsache, wie das vom Opfer geworfene Glas am Brustkorb eines der späteren Täter zerschellt.
Vorrang der Ideologie
Doch alle Fakten nützen nicht bei einer heutigen Linken, die sich entgegen dem Schumpeter’schen Diktum vor allem der Metaphysik verschrieben hat: Widersprechen sich Fakten und Ideologie, dann stimmt die Ideologie. Die Schaffhauser AZ erlebte einen Shitstorm aus dem eigenen Lager und musste zu Kreuze kriechen.
Zum Beispiel so: «Als Journalistinnen und Journalisten hätten wir wissen müssen, dass keine einzelne Sicht objektiv sein kann — auch unsere nicht. Stattdessen wäre es unsere Aufgabe gewesen, Kontext und Einordnung zu unseren Rechercheergebnissen zu liefern, etwa durch Expertinnenstimmen, welche die Mechanismen bei der Entstehung von Gewalt hätten aufzeichnen können.»
Also noch einmal Lavoyer auf einem weiteren Kanal. Eine Woche zuvor tönte es dagegen noch so: Man wolle «weniger interpretieren als rapportieren». Beides hat selbstverständlich seine Berechtigung: interpretieren wie rapportieren. Doch stimmen die Fakten nicht, dann ist auch jegliche Interpretation nutzlos.
Selektive Wiedergabe
Zur Erinnerung: SRF hat in dieser Affäre die Fakten bewusst selektiv wiedergegeben. Im Rahmen des Journalistenkodex wäre dies als eine Verletzung der Wahrheitspflicht, d.h. der Pflicht zur Wahrheitssuche, zu qualifizieren. Doch entschuldigen tut sich nicht etwa SRF — sondern die Zeitung, die sich den Fakten zu widmen trachtete.
Weiter entschuldigt sich die Schaffhauser AZ dafür, den «sozioökonomischen Status» des Opfers und dessen Intoxikation öffentlich gemacht zu haben. Auch dies ein Zugeständnis an die Meute Rechtgläubiger, welche auf die Zeitung losging.
Fakt ist: Beruf und sozioökonomischer Status wurden bei den meisten an jenem Abend Anwesenden genannt. So hiess es auch beim Haupttäter, dass er zum Tatzeitpunkt von der Sozialhilfe lebte. Bei niemandem hat dies einen ursächlichen Bezug zu den Ereignissen — doch nur beim Opfer darf man nicht sagen, was nicht sein darf, schliesslich hat das Opfer makellos rein zu sein.
Auch die Tendenz zur Intoxikation wurde nicht beim Opfer alleine erwähnt. So hiess es zu einem der Hauptverdächtigen: «Ende 2021 hatte der Anwalt ein grosses Alkoholproblem.» Kein Problem offenbar — doch zu erwähnen, dass das Opfer zum Tatzeitpunkt zwei Promille intus hatte, geht angeblich überhaupt nicht.
Ministerium für Wahrheit
Überhaupt ‹angeblich›: «Ein Fehler war auch die Verwendung des Wortes «angeblich» im Bezug auf die mutmassliche Vergewaltigung zwölf Tage vor der Nacht in der Anwaltswohnung.»
Dem Wort «angeblich» wohnt im Sprachgebrauch tatsächlich eine abwertende Bedeutung bei. Stattdessen «mutmasslich» zu schreiben, wäre aber genauso verkehrt. Denn mutmassen tut hier niemand: Für das Opfer war es eindeutig (und nicht mutmasslich) eine Vergewaltigung, für den daran beteiligten Mann und die Staatsanwaltschaft ebenso eindeutig keine.
Wenn ein paar Journalisten mutmassen, dann heisst das noch lange nicht, dass in der Realität gemutmasst wird. Denn schliesslich sollten Journalisten darüber schreiben, was in der Realität vorgeht – und nicht in ihrem eigenen Kopf. Korrekt wäre die Formulierung: Das Opfer gibt an, vergewaltigt worden zu sein. Damit wäre man schon relativ nahe beim ursprünglichen Wortsinn von «angeblich».
Mit klaren Worten distanziert sich die Zeitung zuletzt noch noch von der Aussage ihres Redaktors, niemand sei zu hundert Prozent ein Opfer und niemand zu hundert Prozent ein Täter: «Diese Aussage war unüberlegt und komplett falsch.» Auch dabei geht es wieder darum, die linke Metaphysik zu bedienen: Das Opfer hat immer recht, das Opfer ist immer blütenweiss rein. Dass das Opfer einem der Täter vorgängig ein Glas an die Brust geworfen oder auf dem Kopf zerschlagen hat: geschenkt.
Fakten seien nicht objektiv, «Einordnung» hingegen schon — bei solchen Aussagen erinnert man sich unweigerlich an das Ministerium für Wahrheit aus George Orwell’s Roman «1984». Leider ist das keine Fiktion — sondern traurige Realität: Für Fakten muss man sich heutzutage entschuldigen.
@Baumann, herzlichen Dank für die versierten Berichte. Man kann nur hoffen, die Beschwerde vom RR wird Früchte tragen.
Man sehnt sich wehmütig an die Zeiten von Direktor Peter
Schellenberg. Der wäre schon längst hingestanden und hätte die erforderliche Glaubwürdigkeit wieder hergestellt.
Es ist ein Trauerspiel sondergleichen. Eine Direktorin die sich feige in Schweigen hüllt. Redaktionen die erfolglos, ihre Fehler schönreden wollen. Noch nie gab es beim SRF so viele Baustellen. Rundschau, Club, Meteo, Tagesschau und Arena berichten teilweise manipuliert. Von der einzuhaltenden wahrheitsgetreuen Berichterstattung, ist man durch’s Band, weit entfernt.
Es ist ein Geben und Nehmen im Leutschenbach. Frau Wappler duckt sich weg, nimmt ihre Führungsrolle nicht wahr, dafür danken die MitarbeiterInnen mit absoluter Loyalität.