Gähn-Sonntag
Es gibt nichts Schlimmeres als Fussball und Wetter.
Denn mit diesen zwei Themen sind bereits Titelgeschichten und Blattinhalte gesetzt. Was kann die Schweizer Nati, schafft sie es in den Final, wie war’s mit Italien, gähn.
Schwere Niederschläge im Westen der Schweiz, Überschwemmungen, dramatische Fotos, der Klimawandel zeigt mal wieder sein hässliches Gesicht. Schnarch.
Zudem ist das B- oder C-Team am Gerät, die Chefs sind in den wohlverdienten Sommerferien. Entsprechend sind die Inhalte. Genommen wird so ziemlich alles, bis zum Lachhaften. Denn wer hätte gedacht, dass in der politisch korrekten, woken, jeder Diskriminierung abholden, inkludierenden SonntagsZeitung so etwas möglich wäre:
Echt jetzt, «Tipps von «Dr. Love»»? Die Dame kostet 185 Euro die Stunde. Beratung, versteht sich. Oder aber, für schwierige Fälle, gibt es noch diesen hier:
«Wäre es nicht schön, wenn man einen Tag lang alle Fragen zum Thema Daten und Liebe auf einmal beantwortet käme?
Das finde ich auch und biete auf Anfrage einen halben oder ganzen Tag mit mir im Haus am Lubowsee an, in dem wir zu zweit all deine Dating-Fragen und Anliegen nachhaltig klären können. „Lubow“ heißt auf russisch Liebe, und ich denke, das passt.»
Aber gemach, bevor sich die SoZ-Leser in solche Unkosten stürzen, gibts mal Gratis-Tipps (und natürlich Gratis-Werbung für «Dr. Love» – ein selten bescheuerter Name). Und was für unentgeltliche Tipps hat denn diese Silke Denk (ob das ihr richtiger Name ist) zu bieten?
«Wichtig ist, dass das Flirten fair ist. Also keine Eheringe verstecken, keine falschen Versprechungen. Man muss klarmachen, was man sucht, und diese Frage auch für sich selber klären: Suche ich ein heisses Abenteuer oder eine langfristige Beziehung? Hier gilt tatsächlich: ein Mann, ein Wort. Wenn er sagt, er will Sex, dann will er Sex.»
Dr. Love enthüllt auch, dass es viele schlechte Anmachsprüche gibt: Etwa: ««Wie viel Zucker muss man essen, um so süss zu sein wie du.» Meine Empfehlung: Lasst das sein! Das gilt auch für Sprüche, die total random sind und sich nur auf das Äussere beziehen, etwa: «Du hast ein schönes Lächeln» oder «Du hast schöne Augen»».
Gut, nun steht der SoZ-Leser da, der arme Tor, und ist so klug wie zuvor. Also, ein heisser Tipp (bitte nicht lachen); wenn man die richtige Ausstrahlung und Körpersprache habe, «kann ich auch fragen: «Ein Sektchen?». Oder: «Bist du öfter an diesem Strand, oder soll ich dich gleich ansprechen?» Ein Geheimtipp: Man macht ein Kompliment und geht dann erst mal weg. Das funktioniert besser, als wenn man nach einem solchen Kompliment dickfellig stehen bleibt und auf eine Antwort wartet».
Ein Sektchen? Im Ernst? Und wie duckt man sich richtig weg, damit man keine gescheuert kriegt? Geht da noch was? Natürlich, mit diesen grandiosen Tipps landet man sicher und immer: ««Kannst du mir einen guten Strand empfehlen?». Oder: «Ich habe meine Sonnencreme vergessen, kannst du mir deine ausleihen?» Das sieht nicht sofort nach Anmache aus.» Nein, überhaupt nicht.
Spätestens hier kriegt die Feministenfraktion in der SoZ Schübe, Andreas Tobler kriegt sich nicht mehr ein: «Die traditionellen Rollenbilder spielen da noch immer mit. Dazu gehört auch, dass der Mann beim ersten Date die Drinks oder das Essen bezahlen soll.»
Nun ist ja Ferienzeit, und die verbringt man selbstverständlich am Strand. Wie soll man da vorgehen? «Wenn ich etwas Lockeres suche, sollte ich an einen Ort gehen, an dem viel Alkohol fliesst. Ansonsten gibt es mit den Dating-Apps in jedem Ferienort mit WLAN-Empfang Flirt-Optionen wie Sand am Meer.»
Und gibt es da auch Geheimtipps, so neben dem «breitschultrigen Animateur oder den braun gebrannten Surflehrer»? Aber sicher: «Zum Beispiel in der Hotelküche. Köche sollen sehr gut mit ihren Händen sein. Ich habe schon oft gehört, dass sich ein Blick in die Küche lohnt.»
Weil da viele Köche den Brei, aber lassen wir das.
Wir haben es hier mit einer absoluten Fachfrau zu tun, die nach einer hochstehenden Weiterbildung «das Dating-Training zu ihrem Beruf gemacht hat». Schon früh fiel sie mit Hammerideen auf: «Mit 20 gründete sie den Verein «Liebende im Praktikum», der mit Flirthilfen wie dem nicht funktionierenden Feuerzeug das zwischenmenschliche Funken erleichterte.» Das defekte Feuerzeug? Auch ein sicheres Mittel, um einen Drink ins Gesicht geschüttet zu bekommen.
Ach, will noch jemand wissen, welche Anmachsprüche (ausser den oben wiedergegebenen) man nicht verwenden sollte? Bitte sehr:
«— Glaubst du an die Liebe auf den ersten Blick, oder muss ich noch mal an dir vorbeigehen?
— Was muss ich tun, damit du mich nachts betrunken anrufst?
— Wusstest du, dass Polen und Indianer die besten Liebhaber sind? Ich heisse übrigens Winnetou Koslowski.
— Ich will gar nicht mit dir ins Bett. Mir reicht auch das Sofa.
— Na, Schnitte, schon belegt?»
Mit dem letzten Spruch sollte man übrigens nicht in der Schweiz zu landen versuchen, denn wer weiss hier schon, was eine Schnitte ist?
Damit hat die SoZ das Einzugsgebiet des Fremdschämens wieder deutlich erweitert. Der «Fokus» war früher mal eine anspruchsvolle Rubrik. Selbst wenn er mit der billigsten Masche, einem Interview, ausgefüllt wurde, bemühte man sich noch um Niveau. Das Interview hier ist aber nicht anmächelig, sondern absolut abturnend. Vor dem Gebrauch auch nur eines Ratschlags ist dringend abzuraten. Das gibt nur einen Satz rote Ohren.
Da ist alles besser, selbst: «auch hier?»
Ach, Sonntag ohne thrill wird schon auszuhalten sein. Samstagabend war genügend los. Montags geht‘s beim Tragi wieder steil: Rechtsextreme sollen in Frankreich die Wahlen gewonnen haben. Irgendwie schräg. Rechtsextreme verachten parlamentarische Demokratie und treten sicher nicht zu Wahlen an. Irgendwie vereskaliert der Tagi langsam sprachlich in Sachen „rechtsextrem“. What‘s next? „Anarchisten“ die zu Wahlen antreten?
Vergessen wurde «Ein Fickchen» – nach dem «Sektchen»…
Man muss Nadja Pastega die das Interview mit Dr. Love geführt hat verstehen. Sie ist mittlerweile über 60 und zählt bald zur Generation Abendrot. Der letzte heisse Ferienflirt ist wahrscheinlich Jahrzehnte her und da will Frau sich aufdatieren vielleicht ergibt sich noch einmal ein Ferienflirt mit einem braun gebrannten Gigolo. Drücke Pastega die Daumen!
Der helle Wahnsinn …