Unter einem schlechten Stern
Eine unfassbare Preisverleihung.
Es fängt mit der verqueren Namensgebung an. Früher hiess er Henri-Nannen-Preis. Denn diesem Journalisten und Berserker ist es zu verdanken, dass es den «Stern» überhaupt gibt und er – früher mal – erfolgreich war, auf Augenhöhe mit dem «Spiegel». Das ist das Wochenmagazin vielleicht heute noch, aber nur, weil beide Blätter auf dem Weg nach unten sind.
Seit ein paar Jahren heisst das «Stern-Preis», weil es dunkle, braune Flecken in der Vergangenheit von Henri Nannen zu entdecken gab. Was an seiner Lebensleistung «Stern» nicht das Geringste ändert. Aber item.
«Eine der bedeutendsten Auszeichnungen für deutschsprachigen Journalismus» wurde wieder einmal vergeben. In verschiedenen Kategorien, die Krönung ist jeweils «die Geschichte des Jahres».
Worum geht es da? Die Ansprüche steigen in die Stratosphäre:
«Diese Kategorie kürt die journalistische Glanztat der vergangenen zwölf Monate. Eine Geschichte, der es mit großer Eindringlichkeit oder Unmittelbarkeit gelungen ist, das Publikum über alle Grenzen von Alter und Weltanschauung hinweg in ihren Bann zu ziehen. Die nachhaltige Resonanz erzeugt hat. Die Maßstäbe setzt für die ungebrochene Kraft von großem Journalismus.»
And the winner is – Claas Relotius. Nein, kleiner Scherz, dieses Mal nicht. Aber was hier preisgekrönt wurde, ist fast genauso schlimm. Nämlich eine Story der «Süddeutschen Zeitung», die Hubert Aiwanger, dem stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten, unterstellte, er habe mit 17 Jahren eine Hetzschrift über das «Vergnügungsviertel Auschwitz» geschrieben.
Schon alleine dieser Vorwurf weit in die Vergangenheit hat ein Geschmäckle. Es gab aber eine Unzahl gravierender Probleme mit dem Pamphlet. Es erschien in eindeutiger Absicht kurz vor den Landtagswahlen, um Aiwanger und seine «freien Wähler» zu diskreditieren. Was im Übrigen nicht gelang, sie fuhren einen triumphalen Wahlsieg ein.
Nachdem der Fälscher und Erfinder Relotius nicht weniger als 19 deutsche Journalistenpreise eingeheimst hatte, schlug sogar der damalige «Stern»-Chefredaktor ein Moratorium vor, also eine Pause in der Preisverleihung. Aber doch nicht in der selbstverliebten Medienbranche.
Nun also dieser Preis für ein Machwerk, das alles Abschreckende beinhaltet, was den modernen Journalismus schwer erträglich macht. Er wurde moralinsauer mit vorgefasster Meinung und unverhohlener Absicht der Denunziation zwecks Demontage geschrieben. Er stützte sich ausschliesslich auf anonyme Quellen. Er enthielt keinen einzigen stichhaltigen Beleg für diese Behauptung. Dass sich Aiwangers Bruder als Autor des damaligen widerlichen Flugblatts zu erkennen gab, interessierte die SZ nicht.
Wenn man den Preis nach Demagogie-Gehalt verleihen würde, machte der erste Platz Sinn. Der wegzuschreibende Politiker wird so dargestellt: «Hubert Aiwanger reißt das Mikro aus der Halterung, wie ein Rockstar. Er krempelt die Ärmel hoch, wie ein Metzger, der gleich die Sau zerlegt. Er wird schwitzen, eine Stunde lang, wie ein Heizungsbauer, der natürlich keine Wärmepumpe installiert, sondern den neuen Ölkessel.»
Die Recherche: «Es gibt aber nicht wenige, die reden. Man kann das nicht alles wiedergeben, nicht alles überprüfen, jeder hat seine eigenen Erinnerungen. Und aus all den Erinnerungen ergibt sich ein Bild, das Hubert Aiwanger als einen jungen Mann zeigt, der mindestens eine Faszination haben soll für Hitler, für das „Dritte Reich“.»
Die Absicht: «Aber jetzt, kann Söder einfach so weitermachen? Mit einem Vize, den frühere Schüler und Lehrer als Nazi-Bewunderer beschreiben».
Der Konjunktiv-Journalismus: «Diese Zeilen in dem Flugblatt, zynisch, menschenverachtend, man hat so was noch nicht gelesen von einem Regierungsmitglied in Bayern, in der Bundesrepublik. Es wäre ungeheuerlich.»
Knapp 21’000 Anschläge üble Laune, Hetze, Hass und böse Absicht. Das soll preiswürdig sein?
Die SZ räumte zwar im Nachhinein ein paar kleine Fehler und einen falschen Zeitpunkt der Veröffentlichung ein. Aber der SZ-Chefredaktor entblödete sich nicht, folgenden tödlichen Satz zu äussern: «Auf die Urheberschaft kommt es nicht mehr an, der Rest ist schon schrecklich genug.» Mit anderen Worten: unsere Verleumdung hat doch recht getan, selbst wenn sie falsch ist. Das ist das Ende von seriösem Journalismus.
Dazu passt die Plagiatsaffäre im eigenen Haus, inklusive mehr als peinlicher Spionage der Chefredaktion der SZ gegen die eigenen Mitarbeiter. Dennoch jubiliert der «Stern» über seine Glanztat in seinen eigenen Spalten. Beim – natürlich rein vegetarischen – Festessen («welch ein Abend!») lässt sich der «Stern»-Chefredaktor gleich dreimal fotografisch verewigen. Da hatte es dann für Fotos der Preisträger in dieser Bildstrecke keinen Platz mehr.
Der deutsche Blogger Stefan Niggemeier («Übermedien») fragte beim «Stern» nach, welche Begründung es denn seitens der Jury für diese Preisverleihung gebe. Antwort: keine Antwort.
Aber etwas Gutes hat diese peinliche Affäre. In ihr ist wirklich alles drin, was die Konsumenten moderner Medien scharenweise in die Flucht treibt. Eine unreflektierte, beratungs- und lernresistente Journaille feiert trotzig sich selbst und ihren Gesinnungsjournalismus. Wenn der in einem Paralleluniversum stattfindet, belegfrei denunziert und nur unter Zwang kleine Fehler einräumt, dann ist das für diese Verblendeten Ausdruck edler Beharrlichkeit.
Damit bedient man vielleicht die eigene Blase. Da die aber immer kleiner wird – trotz ständigen Anstrengungen –, geht die Auflage in den Keller, mitsamt der Bedeutung. Eigentlich ist es gut, dass der Preis nicht mehr den Namen Henri Nannens trägt. Denn das hätte der Mann wirklich nicht verdient.
An ihren Preisen könnt ihr sie erkennen.
An ihren Konferenzen.
An ihren GeGipfeli.