Eine Frage der Beredsamkeit
Tomer Persico zieht in der NZZ vom Leder.
Zugegeben, im Vergleich ist das, was Joelle Weil auf CH Media kommentiert, intellektuelle Wassersuppe. Persico ist ein wortmächtiger Intellektueller, der an israelischen Universitäten arbeitet und forscht.
Er holt weit, weit aus, um sein Urteil auf die aktuelle «weltrevolutionäre Linke» (wer das wohl ist?) herabsausen zu lassen. Daher beginnt er im Jahre 1978, als der französische Strukturalist Michel Foucault Teheran kurz vor dem Sturz des Schahs besuchte.
Persico reiht ihn ein bei den Kritikern der westlichen Moderne; Foucault schrieb damals: «Die Modernisierung als politisches Projekt und als Prinzip der gesellschaftlichen Transformation gehört in Iran der Vergangenheit an.» Daran anknüpfend zerpflückt Persico die Verteidigung des Angriffs vom 7.Oktober durch die «Foucault-Adeptin» Judith Butler als angeblichen «bewaffneten Widerstand».
Weiter geht’s im wilden Ritt, «die Vernarrtheit der westlichen radikalen Linken in den islamistischen Terrorismus erscheint als eine Konstante, die bis zur Unterstützung der PLO durch die Sowjetunion nach dem Sechs-Tage- Krieg von 1967 zurückreicht». Dass die PLO damals «islamistischen Terrorismus» betrieb, wäre allerdings neu; die Hamas ermordete neulich deren Exponenten im Gazastreifen, weil sie ihr nicht islamistisch genug waren.
Geht es gegen französische Philosophen, darf natürlich Jean Baudrillard nicht fehlen, der – wie Foucault – neben Bedenkenswertem und Grossartigem auch viel Dunkeldummes gesagt hat. Aus diesen Steinbrüchen grosser Denker kann sich jeder bedienen, der sie wie Perisco denunzieren und nicht verständig kritisieren will.
Wer dann auch noch Sartres Vorwort zu Franz Fanons fulminanter Abrechnung «Die Verdammten dieser Erde» zitiert, beweist damit endgültig: hier geht es nicht um verstehen, sondern um verdammen.
Da darf im wilden Ritt dann die Romantik nicht fehlen, Max Weber natürlich, Émile Durkheim und schliesslich sogar der Faschismus und der Marxismus, die sich alle gegen den «Okzidentalismus», die westliche Moderne auflehnten.
Dabei schreckt Persico auch vor Absurdem nicht zurück: «Und strebten nicht auch dominante Teile der marxistischen Bewegung, in Wirklichkeit eine Rückkehr zur vormodernen Stammesgemeinschaft an?» Kleiner Spoiler: weder dominante noch andere Teile wollten einen solchen Unsinn.
Nachdem er weit, sehr weit ausgeholt hat, und dabei fast auf den Rücken gefallen wäre, kommt Persico endlich zu seiner Kernthese:
«Als offensichtlichste Manifestation des «Westens» inmitten des «Ostens», als das, was als vermeintlich letztes Überbleibsel kolonialer Herrschaft und des Imperialismus (wie klein auch immer) erscheint, fungiert Israel als Blitzableiter für das toxische Abendland.»
Dann macht er einen demagogisch geschickten Zwischenschritt: «Natürlich ist ein beträchtlicher Teil der Kritik an Israel nicht unbegründet. Israel unterdrückt ein anderes Volk militärisch und zeigt tragischerweise keine Bereitschaft, diese Unterdrückung zu beenden.»
Der ist aber nur die Einleitung zum Folgenden: «Aber die Verquickung von Postkolonialismus, Postnationalismus und Antirassismus, wie sie sich in der Feier des «Widerstands» der Hamas im Gazastreifen manifestiert, signalisiert Tieferes als eine begründbare Ablehnung der Einschnürung durch die israelische Armee.»
Nun greift Persico tief in die Trickkiste gelehrter Fremdwörter: Es gälte, Israel als «Emanation der Moderne zu überwinden», denn der Staat sei ein «Metonym für das gesamte zivilisatorische Feld, das von der Aufklärung bis zum industriell-militärischen Komplex reicht».
Für weniger Gebildete: Emanation ist schlichtweg Ausstrahlung, ein Metonym ist ein Wort, das für etwas anderes steht. Beispielsweise Bern für die Landesregierung. Aber das ist nur die Einleitung für einen Aufschwung ins lyrisch Bösartige:
«Israels Jüdischsein lässt seine Existenz zu einem doppelten Schlag ins Gesicht seiner Verächter werden. Als Stammvater des Christentums erscheint ihnen das Judentum als der archaischste Kern des Westens, als Ur-Punkt des Ur-Westens. Israel wird auf diese Weise zu einem Totem, das die bösen Geister der gesamten westlichen Geschichte vereint.»
Nun wird es so absurd, dass vollständig zitiert werden muss:
«Israel für seinen angeblichen rassistischen Kolonialismus büssen zu lassen, erscheint nicht nur als ein notwendiger Schritt auf dem langen Marsch zur Gerechtigkeit, sondern schafft für viele Reinigung und Absolution. Die Auslöschung Israels als westliche Inkarnation befreit den Westen selbst von seiner vergangenen Schuld. Der Wunsch, Israel zu vernichten, folgt dem Wunsch nach Therapie und Heilung. Die Verfehlungen aller Vorväter, dieser imperialistischen, kolonialistischen, sklavenhalterischen Europäer, werden endlich gesühnt. Der jüdische Staat soll in einem neuen Holocaust geopfert werden, um die Ursünden des Westens zu tilgen.»
What a bullshit, kann man zwischendurch kurz sagen. Es folgt die Schlussfolgerung. Hinter dem Kampf gegen «weisse Vorherrschaft», gegen «Imperialismus» stehe in Wirklichkeit: «Es ist die Ablehnung einer ganzen zivilisatorischen Kultur, der Moderne.Wir scheinen uns selbst einfach nicht verzeihen zu können, dass wir modern geworden sind.»
Auf die Gefahr hin, uns zu wiederholen: what a bullshit. Eigentlich sollten wir den Eurozentrismus, dass nur wir aufgeklärten und modernen Menschen die «zivilisatorische Kultur» verkörpern, gar «die Moderne», längst überwunden haben.
Schliesslich wissen wir darum, welche Verheerungen, welche unsäglichen Verbrechen diese Kultur nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt begangen hat. Kolonialismus, Auslöschung ganzer Kulturen, Sklaverei, Vernichtung durch Zwangsarbeit, abgesegnet durch die katholische Kirche – ist es da ein Wunder, dass bis heute grössere Teile der Welt diese angebliche Moderne aus tiefstem Herzen ablehnen, ja hassen?
Welche Arroganz, sich als einziger Vertreter der «Moderne» aufschwingen zu wollen, mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen, die längst vor «unserer» Zivilisation hochzivilisiert waren (wie Persien und China), sich aber nun teilweise ins religiöse Mittelalter verlaufen haben. Was man gerade im Fall des Irans als Gegenbewegung gegen diese angebliche Moderne verstehen kann, die vom westlich-korrupt-brutalen Schah verkörpert wurde.
Und die Vorwürfe gegen Israel kann man auch eine Nummer kleiner erklären: wer so vorgeht wie im Gazastreifen oder in der Westbank, der muss sich nicht wundern, dass er selbst von Verbündeten, Alliierten und Freunden scharf kritisiert wird. Nicht als Echo auf die Kritik am eurozentristischen Aufoktroyieren «unserer» Werte und Vorstellungen.
Dass es in der «weltrevolutionären Linken», was immer das sein mag, auch Verpeilte gibt, so wie in israelischen orthodoxen Kreisen, so wie in der Hamas, ist bedauerlich, aber kein Grund, sie so demagogisch fertigmachen zu wollen. Das ist Wulst, reines Wollen. Keine Kunst, denn die kommt von können.
Was würde Herr Zeyer machen, wenn er nach Hause käme und sehen würde, wie gerade jemand seine Tochter, Partnerin oder Mutter vergewaltigt und durch ein, zwei Ohrfeigen nicht zu stoppen ist? Vermutlich würde Herr Zeyer ihn dann gewähren lassen — einen Vergewaltigung fügt dem Körper ja praktisch keine Verletzungen zu, so dass es völlig unverhältnismässig wäre, den Täter zum Krüppel zu schlagen oder gar zu töten.
Blöde Frage, blöde Antwort: Ich würde den Wohnblock des Vergewaltigers in die Luft sprengen. Mitbewohner sind Kollateralschäden.
Persico gehört zu den Leuten, die Gerhirnkrämpfe vom «Erklärenmüssen» bekommen haben. Vor lauter «Verständnis» des Ganzen, kriegen sie Schreibkrämpfe. Ich kann diesem akademischen Scrabble nichts abgewinnen, rein gar nichts.
Dass es in der Hamas „auch Verpeilte“ gibt ist wohl die Verharmlosung des Jahres. Der ganze Verein ist „verpeilt“ und das nicht zu knapp…