Renegaten sind die Schlimmsten
Reinhard Mohr versäubert sich öffentlich von seiner Vergangenheit.
Die NZZ bietet immer gerne Hand, wenn mal wieder jemand bereut. Abbitte leistet, sich mit Schaudern von allem Linken, Revolutionären, Aufrührerischen abwendet. Und den Weg zurück in den Schoss der Indolenz der Akzeptanz der herrschenden Verhältnisse findet.
Schon wieder einer, der wohl frei nach Hegel lebt: «Das Gute ist überhaupt das Wesen des Willens in seiner Substantialität und Allgemeinheit.» Einer, der sich lieber nicht mehr an Brecht erinnern will: «Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge.»
Reinhard Mohr ist einer, der in seinem anderen Leben beim linksradikalen AStA (Allgemeiner Studentenausschuss, nicht aus Zufall in Anklang an den Wohlfahrtsausschuss der Französischen Revolution benannt) aktiv war, für die linksradikale Sponti-Postille «Pflasterstrand» schrieb, dann für die Berliner taz. Dann wanderte er über die FAZ zum «Spiegel» und landete schliesslich bei «Cicero».
Das ist nicht verboten, nur bleibt die Frage, wieso sich Mohr von seiner Vergangenheit öffentlich distanzieren muss; das Zuschauen bei versteckten Selbstgeisselungen, wenn der Autor im Büsserhemd auftritt, ist nicht schön. Jemand, der die eigentlichen Motive für seinen Parforceritt gegen alles Linke zudem verschleiert, ist kein schöner Anblick.
Er beginnt mit der eigentlich interessanten Frage, wieso linke und alternative Studenten sich mit den fundamentalistischen Wahnsinnigen der Hamas gemein machen, deren Ziele gegen alles stehen, was aufgeklärte, feministische, kritische, der Meinungsfreiheit zugeneigte Menschen wünschen und wollen.
Aber das dient Mohr nur als Sprungbrett für einen wilden Ritt durch die Wellen der Geschichte. Natürlich fängt er mit Arthur Koestler an, dessen «Sonnenfinsternis» vielen Renegaten als Leuchtturm dient. Die Erwiderung von Maurice Merleau-Ponty «Humanismus und Terror» haben sie hingegen nicht gelesen – oder längst verdrängt.
Dann räumt Mohr mit allen Ikonen der Linken auf:
«Lenin, Stalin, Mao Zedong, Fidel Castro, Che Guevara, Ho Chi Minh, Kim Il Sung, Enver Hodscha, Pol Pot, Yasir Arafat, Muammar al-Ghadhafi, Daniel Ortega – die Liste ist unvollständig, aber beeindruckend, zeigt sie doch, wie gross das unstillbare Bedürfnis nach Identifikation, Bewunderung und freiwilliger Unterwerfung war, wenn es nur um die Rettung der Menschheit ging, um die Erfüllung eines Traums.»
Es ist anzunehmen, dass auch Mohr in seinen besseren Tagen ein Che-Poster an der Wand hatte und «Ho, Ho, Ho Chi Minh» skandierte. Diese Verteufelung ehemals Angebetetem zeugt eigentlich nur davon, dass Mohr damals das Wirken dieser Revolutionäre nicht ganz verstanden hat. Was es ihm umso leichter macht, sich heute mit Grausen von ihnen abzuwenden. Ihm entgeht dabei, dass er damit nur die unkritische Bewunderung spiegelt, die er in seinem Aufsatz nicht müde wird, mit Abscheu zu kritisieren.
Mohr ist kein Freund von Lion Feuchtwanger, der in «Moskau 1937, ein Reisebericht für meine Freunde» seine Eindrücke von Stalins Sowjetunion festhielt. Wer sich mit der Arroganz des Nachgeborenen darüber hermacht, verkennt völlig die damaligen Zeitumstände. Verkennt, für wen oder für welches System sich jeder denkende Mensch entscheiden musste, wenn die Alternative Hitler gewesen wäre. Wer Lenin verurteilt, verkennt die Zustände im zaristischen Russland, die zur ersten kommunistischen Revolution führten. Wer Fidel Castro deklamatorisch niedermacht, hat keine Ahnung von dessen Lebenswerk.
Wer Feuchtwanger, diesen Giganten der antifaschistischen deutschen Literatur, auf dieses Reisetagebuch reduziert, ist ein Schmock.
Dass Mohr den unerträglichen Wendehals Wolf Biermann vorführt, der auf die geklaute Melodie von Carlos Puebla mit schrummelnder Gitarre seine Hymne auf Che Guevara anstimmte («Jesus Christus mit der Knarre / So führt Dein Bild uns zur Attacke»), ist geradezu aberwitzig, weil er sich damit von einer Selbstgeisselung salvieren will.
Aber Mohr verwendet all das nur als Staffage, als Kulissenschieberei, um gegen Schluss zu seinem eigentlichen Ansinnen zurückzukehren: «Die revolutionäre Ahnengalerie sinkt qualitativ und ist nun beim bärtigen Militärchef der Hamas, Yahya Sinwar, angekommen.» Was für ein Bullshit, kann man da nur auf Englisch sagen.
Aber wenn Mohr nicht in der Vergangenheit weilen kann und kein Klischee der Kritik an revolutionären Galionsfiguren auslässt, wird er recht flach und primitiv, wenn er in die Gegenwart zurückkehrt: «So steht nicht zufällig Israel am Pranger – und eben nicht Kuba, Nicaragua, Venezuela, Somalia, der Sudan, Syrien und das Afghanistan der Taliban, nicht einmal Nordkorea und China. Nein, Israel, die einzige Demokratie in der arabischen Welt, wird auf den Index gesetzt – Ersatzhandlung einer moralisch und politisch verkommenen Linken, die auf ihrer Suche nach dem revolutionären Subjekt nun in Gaza angekommen ist, im islamistischen Reich der Hamas.»
Pauschalieren, über einen Leisten schlagen, selbstvergessen nimmt Mohr Abschied von allem, was einen differenziert denkenden Intellektuellen ausmachen sollte. So schwarzweiss die Welt früher für ihn war, so schwarzweiss ist sie heute. Nur haben Schwarz und Weiss die Plätze gewechselt, ein Phänomen, das schon George Orwell mit Abscheu beschrieben hat.
Natürlich ist auch für Mohr jede Kritik an Israel antisemitisch, das Totschlagargument der Armen im Geiste. Und natürlich endet Mohr mit Robbespierre, dem ersten bürgerlichen Revolutionär. Auch Mohr kann man nur die Lektüre von «Gefangen im Panoptikum» von Philipp Blom empfehlen. Aber hätte er das gelesen, hätte er diesen in der NZZ als Werbung für Mohrs neustes Buch abgedruckten Text gewogen und selbst für zu leicht befunden.
Nützliche Idioten nannte Lenin Unterstützer seiner Sache, die sich dessen gar nicht bewusst waren. Mohr kann das noch steigern, er ist nicht mal das.
ZACKBUM meinte bislang, nur Lukas Bärfuss selbst sei in der Lage, die höchste Stufe von drei Bärfüssen zu erreichen. Was geht uns unser dummes Geschwätz von gestern an, Mohr kann’s auch. Bravo.
Braucht’s mein Lob auch noch?
Für diesen Text der mit Referenzen, Wissen und Einschätzung wohl nicht nur mich überfordert.
Aber ich bedanke mich für die Kraft, Wucht und unglaubliche Energie mit der sich René Zeyer gegen die Erbärmlichkeit dieser Hetzer, die in der NZZ noch Plattform kriegen, wehrt.
Wie üblich hervorragend geschrieben, Herr Zeyer.
Ich kann aber nicht unwidersporchen lassen, wenn Lenins Verbrecherregime relativiert wird und sei es auch nur durch einen Vergleich mit dem zarristischen System.
«…Wer Lenin verurteilt, verkennt die Zustände im zaristischen Russland, die zur ersten kommunistischen Revolution führten. …»
Nicht zutreffend. Die Bolschewiki haben die Menschewiki gestürzt resp. geputscht, nicht den Zaren! Lenin und seine Entourage inkl. Stalin waren skrupellose Berufsrevoluionäre. Dass sie ihr Mord- und Raubsystem über St-Petersburg hinaus ausweiten konnten, ist eines der grossen politischen Unglücke der neueren Zeit. Die Menschewiki waren nach ihrer erfolgreichen Machtübernahme ähnlich naiv wie knapp 20 Jahre später (1933) die Zentrumsparteien in Deutschland.
Mit ihrer Erlaubnis noch eine Nebenbemerkung: Fidel hatte das Glück, dass Kuba nicht in ein Jahrzente dauernden blutigen Konflikt gerissen wurde. Wäre das geschehen, hätte auch er kalt lächelnd sein Volk zu hundertausenden für die «Freiheit» geopfert, wie alle anderern sozialistischen Führer vor und nach ihm. Da darf man sich bei dieser Ideologie damals wie heute einfach nichts vormachen.
Sehr geehrter Herr Kirschke, grosse Themen.
War es Lenins Verbrecherregime, der schon anfangs der 20er Jahre in Krankheit unterging?
Ich weiss es zu wenig, hab nicht die Bücher wie Sie oder RZ gelesen, wobei ja immer entscheidend ist: welche Bücher.
Hypothetisch dann die Unterstellung an Fidel Castro, wenn……..
Nicht weil ich ein Fidel-Denkmal verteidigen will, muss, aber das Sklaven-Cuba von den Blutsaugern befreit haben,
und dann vor der Schnauze der Katze 50 Jahre überleben und ein Volk durchzubringen trotz 60 Jahren krimineller Embargos, Sanktionen und wuselnder CIA,
das ist eine Leistung.
Wir, die im Luxus verfetten, können schon lamentieren, dass auf der Insel oft spindeldürre Not herrscht – aber die Freiheit vor dem Dreckspack haben die sich weitgehend bewahrt (abzuwarten, ob sie sie durch die handies digital verlieren).
Wir haben unsere Freiheit und Unabhängigkeit schon lange verkauft.
Zackbum ist einfach unverzichtbar. Immer wieder wird man auf eine neue
Leuchte aufmerksam gemacht. Ein fantastischer Service!
Maurice Marleau-Ponty kannte ich bis jetzt nicht, geschweige habe ich «ihn»
gelesen. Koestler dagegen schon. Ich muss ihn schon ein bisschen verteidigen.
Keiner ist so ehrlich zu seiner jugendlichen poiltischen Verblendung gestanden wie er.
Und dann sein tragisches Ende! Immerhin: Spanien behielt er in seinem Herzen.
Dort herrschte eine der widerlichsten Bestien der Menschheitsgeschichte!
Unser Bundesrat bezeugte diesem höchste Ehrerbietung…
Besten Dank an Zackbum.