Nemo – das Nichts

Eine Hupfdohle am Non-Event. Und die Medien überschlagen sich.

Der Tagi, konsequent auf dem Weg nach unten, kriegt sich nicht ein:

Da trällert Ane* Hebeisen, als sei er ein pubertierender, kichernder Fan: Das Versatzstück aus allem, was wohl noch ein paar lustige Copyright-Streitigkeiten nach sich ziehen dürfte, sei «Unberechenbarkeit, Ohrwurmigkeit, Zeitgeist, Euphorie, Glam, Retro-Nostalgie, Eskapismus und eine Stimme, die so inbrünstig und staunenswert ist, dass es einem bei jedem Ton die Nackenhaare aufstellt».

Ausgeliehene Melodien und Attitude, viel Queen, ein wenig Conchita Wurst, eine Prise Rap, was für ein kommerzieller Schwachsinn; dazu ein Sänger, der plötzlich entdeckte, dass er eigentlich non-binär ist, was ihm aber nicht auffiel, bevor das schwer in Mode kam, so schaut’s aus.

Aber Hebeisen kriegt sich überhaupt nicht ein: «Das stärkste und hoffentlich nachhaltigste Zeichen hat in Malmö letztlich der Herzensmensch Nemo gesetzt. Nemo hat aufgezeigt, dass Andersartigkeit nicht zum unwirtlichen Nischendasein prädestiniert ist – sowohl musikalisch wie menschlich. Wir heben die Gläser!»

Zeichen setzen, die wohl abgelutschteste Metapher von allen. «Andersartigkeit als unwirtliches Nischendasein»? Was für ein Unsinn, da hat Kim der Unaussprechliche auch schon ein Zeichen gesetzt, wie man mit dieser Masche Preise einheimsen und viel Kohle verdienen kann. Und sich wie eine Primadonna aufführen, der Tagi kuscht brav und bringt immer dann eine seiner Kolumnen, wenn der Schriftstellerdarsteller gerade mal in Stimmung ist.

Der ganze Tagi ist in Wallungen: «Nemo und Beat Jans suchen einen Termin», «Nemos Reaktion zum ESC-Sieg», «Reaktionen zum Schweizer ESC»-Sieg; wenn diese blöden antiisraelischen Demos nicht gewesen wären, hätte man einfach und richtig schwelgen können.

Der «Blick» nachdem auch er alles durchs Regenrohr schob, macht sich schon Gedanken um die Zukunft:

Dabei ist doch die einzige brennende Frage: wann kümmern sich die Medien mal wieder um wichtigere Dinge?

Leider, man muss es betrübt konstatieren, macht auch die NZZ dieses Non-Event zur Aufmacherstory:

Immerhin ist es der alten Tante noch eine Notiz wert, dass sich 11’000 wehrpflichtige Ukrainer in der Schweiz aufhalten und hier lieber die Vorteile des Schutztstatus S geniessen, als zu Hause das Vaterland zu verteidigen. Das ist menschlich sehr verständlich, führt aber die Flüchtlingspolitik einmal mehr ad absurdum.

Ach, und dann will sogar eine Bundesrätin die Schuldenbremse aushebeln und mit einem Buebtrickli 10 Milliarden für die Armee und 5 Milliarden für die Ukraine ausgeben, obwohl völlig unklar ist, wofür das Geld dort eigentlich verbraten werden soll. Wenn es nicht in den tiefen Taschen der korrupten Nomenklatura landet.

Wer meint, wenigstens CH Media gebe der Stimme der Vernunft etwas Platz, sieht sich getäuscht. Auch dort kriegt man sich nicht mehr ein und räumt die halbe Webseite für die Berichterstattung über ein Nichts frei:

Aber sagen wir so: all das ist besser als der Betroffenheitsporno, den das «NZZamSonntag Magazin» seinen Lesern servierte. Dass es nicht mal selbstgemacht, sondern einfach vom «The Atlantic» übernommen und übersetzt ist, macht die Sache auch nicht besser. Was für ein Gruss zum Muttertag:

Das soll wohl unter schonungslos offen figurieren, dabei ist es schlichtweg widerwärtig:

«Ich hatte eine dicke Binde in meiner Unterhose, weil ich immer noch stark blutete, trug ein Bauchband mit Klettverschluss eng über meiner Kaiserschnittnarbe und Nippel-Pads in meinem Still-BH. Um die letzten Reste meiner Milch aufzusaugen.»

Bei der alten Tante muss die Qualitäts- und Niveaukontrolle im verlängerten Mutterschaftsurlaub sein.

*Nach Leserhinweis korrigiert.

19 Kommentare
  1. Karl Wild
    Karl Wild sagte:

    «…was für ein kommerzieller Schwachsinn; dazu ein Sänger, der plötzlich entdeckte, dass er eigentlich non-binär ist, was ihm aber nicht auffiel, bevor das schwer in Mode kam, so schaut’s aus…» – Eine schon fast geniale Beschreibung der (traurigen) Realität, Herr Zeyer!

    Antworten
  2. Simon Ronner
    Simon Ronner sagte:

    Und wieder einmal der so perfekte wie traurige Beweis dafür, dass unsere Medienschaffenden nicht mehr alle Tassen im Schrank haben.

    Antworten
  3. Benno Derungs
    Benno Derungs sagte:

    Alles richtig gesagt über dieses Nichts. Dazu noch als Ergänzung:

    Die politische und chauvinistische Instrumentalisierung dieses Concours Eurovision de la chanson ein absoluter Hohn; eine Steigerung kaum mehr möglich.

    Antworten
  4. Stephan Mester
    Stephan Mester sagte:

    Lieber Herr Zeyer,
    Ich lese Sie gerne. Immer glänzend pointiert formuliert und meistens mit einer Prise Poltergeist versehen. Merci.
    Die Überschrift «Nemo – das Nichts» erschliesst sich mir jedoch nicht:
    nemo = niemand
    nihil = nichts
    Eine beabsichtigte Verkürzung, um die persona (nemo) zur causa (nihil) zu entmenschlichen? Ich wäre enttäuscht.

    Antworten
    • René Zeyer
      René Zeyer sagte:

      Es geht hier nicht um Annihilation, noch viel weniger um Entmenschlichung. Es geht um die – zugegebenermassen verkürzte – Titelbotschaft, das der inhaltliche Wesenskern eines Nemo (angefangen beim geklauten Namen und der geklauten Non-Binärität) und der gelinde gesagt nachempfundenen Musik das blanke Nichts ist. Das entmenschlicht nicht, das macht kenntlich.

      Antworten
  5. Mathias Wyss
    Mathias Wyss sagte:

    Hebeisens Vorname ist nicht Arne, sondern Ane, was zwar kaum der Taufname ist, aber natürlich cooler klingt als der echte. Bin vor ein paar Jahren in der Berner Zeitung per Zufall auf seine (Musik-)Kritik an Gölä gestossen (dessen Musik mich nicht interessiert), der ihm offensichtlich aus politischen Gründen nicht in den Kram passt, zurückhaltend ausgedrückt: nicht links, also rechts und unintellektuell, kein Subventionsempfänger, als echter Büezer einigermassen populär (hat mit einem Kumpel das Letzigrund-Stadion zweimal gefüllt).

    Antworten
    • K. Meyer
      K. Meyer sagte:

      Das ist genau Hebeisens Problem. Er ist kein Musikkritiker, er ist ein Haltungsschreiber (damit ist er beim Tages-Anzeiger allerdings in guter Gesellschaft). Wenn nötig bis zur Schmerzgrenze, wie seine pubertär anmutende Lobhuddelei für dieses harmlose Stück Musikgeschichte sehr schön aufzeigt. Man stelle sich vor, Nemo hätte politisch nicht dem woken Zeitgeist geschuldete Bemerkungen getätigt, Hebeisens Begeisterung hätte sich, wenn überhaupt, in sehr engen Grenzen gehalten. Passt für die betreut denkende Tagi-Leserschaft. Frei nach dem Motto: Erst die richtige Gesinnung macht die Musik.

      Antworten
  6. peter weilharter
    peter weilharter sagte:

    … wobei es sich bei den elf tausend wehrpflichtigen doch um leib und leben gefährdete personen handelt. Auch ich würde und werde den teufel tun um mich für den «militärisch industriellen komplex» als kanonenfutter abschlachten zu lassen.

    Antworten
  7. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    «Nemo hat jetzt schon mehr geleistet als die meisten von uns – und blieb in seinem Innersten ein unschuldiges Kind.
    Er ist ein spezieller Botschafter fürs Land. Einer, der allen guttut, weil ihn alle ins Herz schliessen können».

    Nicht vom Tagi, NZZ, BLICK, Schweizer Illustrierte, Gala, Apotheker Rundschau, Schweizerbauer, G&G, Watson, 20 Minuten oder anderen schwachsinnigen Medienprodukten, sondern von Lukas Hässig InsideParadeplatz. Alle spinnen und gehen dem geschickten Marketing (Friedensbotschaft eines «Nonbinären» an die Welt) von Nemos Leuten auf den Leim. Nemo hat gewonnen, Gratulation, mehr nicht. Die Schweizer Medien, ein Trauerspiel!

    Antworten
  8. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Eine Superblamage für die Schweiz! Wer auf einen solchen
    Sieg stolz ist, hat nicht alle Tassen im Schrank.

    Antworten
    • Orla Golden
      Orla Golden sagte:

      Jawohl. Die (kulturelle) Schweiz unter Vormundschaft stellen. Einen Empfang dieses Rumpelstilzchen durch den Gesamtbundesrat würde gerade noch passen dazu…….

      Antworten
  9. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    Die Klamauk-Sendung ist endlich durch. Der neue «Star» hat viele neue «Freunde» gewonnen, die sich in seinem Rampenlicht sonnen wollen. So z.B. der Justizminister. Der hätte wirklich brennende Probleme zu lösen. Die Einführung eines gefühlten «Dritten Geschlechts» gehört ganz sicher nicht dazu.

    Antworten
  10. Beth Sager
    Beth Sager sagte:

    Kaum zu glauben, aber dieser Musik-Contest war einst ein musikalisches Ereignis, das die verschiedenen Kulturen und die Musik der europäischen Länder repräsentierte. Heute transportiert es gleichgeschaltet eine unverhohlene globalistische Cancel-Culture-Agenda zur Förderung von Homosexualität, Pädophilie und Satanismus.

    Da ist mir der Nihilismus in den fadengeraden Zeiten des Punks viel lieber. No future for you.

    Antworten
  11. Rolf Karrer
    Rolf Karrer sagte:

    Sehne mich zurück an die wunderbaren Folkfestivals auf Schloss Lenzburg in den 70er-Jahren mit kreativen internationalen Kulturschaffenden aus der Bretagne, Irland, Elsass und der Schweiz.

    Dieses Nichts bei diesem Contest macht mich seit vielen Jahren ratlos. Ratlos auch die Medienlandschaft, die diesen Anlass unkritisch abfeiert. Gut gibt es den René Zeyer, der diese Trivialiät mit markigen Worten fasst.

    Entwickelt sich etwa der Eurovision-Contest gar zu einer neuen Form von Dadaismus?

    Der Begriff Dada(ismus) steht im Sinne der Künstler für totalen Zweifel an allem, absoluten Individualismus und die Zerstörung von gefestigten Idealen und Normen.

    Die grosse Frage nun im Raum: Dadaismus, Gagaismus – oder Nichts?

    Antworten
  12. Mario Sacco
    Mario Sacco sagte:

    Grossartiger Kommentar, nebst all dem gleichgeschaltenen Pupertätsdrall dieser Medieneuphorie. Selbst der ansonsten kritische Wirtschaftsjournalist Lukas Hässig von Inside Paradeplatz, war entrückt und gedankenverloren in seiner Lobeshymne.

    Kaum zu fassen: Das nonbinäre Rumpelstilzchen soll jetzt gar für dieses Nichts eine bundesrätliche Audienz bekommen.

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert